Zu wenig Platz für den Ton

Um das Potenzial TV-Ton näher zu beleuchten, hat MEDIEN BULLETIN mit dem Experten und Praktiker in Sachen Live-TV-Ton, Dennis Baxter, ein Interview geführt, in dem er auf Probleme und Lösungen rund um das Thema TV-Ton, speziell auf das Thema Mehrkanalton, eingeht.

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Wir haben uns ja schon häufig über Probleme bei der Abwicklung von TV-Ton unterhalten, und es sind ja immer wieder die gleichen Problematiken. Zunächst zu der Frage, ob die Produktionsplaner und Durchführenden das Potenzial des TV-Tons überhaupt ausschöpfen?
Die Tontechniker und Mischer beginnen eigentlich erst, sich die Vorteile des Surround-Sounds zunutze zu machen. Der entscheidende Punkt des Surround-Sounds ist es, die Wahrnehmung des visuellen Geschehens mit Hilfe von zusätzlichen Audiokanälen zu verbessern. Zunächst muss man sich über die Erwartungshaltung der Zuschauer beziehungsweise Hörer Gedanken machen, welche durch die Videospiele und Erfahrung mit Filmen deutlich höher einzustufen ist. Dies ist genau mein Ansatz – etwas anders vielleicht als andere Tonmischer das sehen. Viele Sound-Mischer haben vorgefertigte Vorstellungen darüber, was einen guten Ton für eine Sportübertragung ausmacht, und streben eine möglichst gute Reproduzierung der Geräusche etc. an. Ich kann aber von meinem Standpunkt aus nicht sagen, dass dies der richtige Weg ist.

Aber wie auch immer, selbst wenn der Sound-Engineer sich auf die reine Reproduktion des Sport-Sounds beschränkt und mit Hilfe des massiven Einsatzes von Surround-Sound die Sportübertragung unterstützt, so glaube ich, hat eine Mischung das Potenzial, interessant und etwas Besonderes zu sein. Als ein Beispiel möchte ich den LFE-Kanal heranziehen, der von Filmmischern als Effekt genutzt und eigentlich sehr sparsam eingesetzt werden sollte. Ich habe von meiner Arbeit mit dem japanischem TV-Broadcaster NHK gelernt, dass sie sich mehr LFE-Nutzung wünschen und den LFE-Kanal sowohl als generelle Unterstützung als auch als Effekt einsetzen. Eine Fußballübertragung kann man zum Beispiel sehr vom leichten Einsatz des LFE profitieren, indem der Kick des Balls akustisch unterstrichen wird. Motorsport oder im Wintersportbereich das Bobfahren profitieren definitiv vom Einsatz des LFE. Man sollte immer berücksichtigen, dass der LFE nicht mit dem Sub-Woofer-Signal verwechselt wird. Weiter sollte man daran denken, dass eine Quelle, die ausschließlich dem LFE-Kanal zugeordnet ist, bei einem Matrix-Encoded-Downmix, wie eben Dolby Pro Logic II, verloren geht. Aber ich möchte noch etwas Grundsätzliches zum Surround-Sound-Mix sagen: Es gibt verschiedene Ansichten, wie eine richtige Surround-Sound-Mischung sein sollte.

Ein eher konservativer Ansatz ist es, die eigentlichen Geräusche des Sports beziehungsweise der Akteure auf die Front L/R-Kanäle, die Atmo auf die beiden Surround-Speaker und den Dialog auf den Center-Kanal zu legen. Ein eher aggressiver Ansatz ist es, Klangelemente der Sport-Geräusche als Effekt auch auf die Surround-Speaker zu geben. Durch die Nutzung der Surround-Speaker lässt sich das Schallfeld aus Sicht des Anwenders erweitern und sorgt so dafür, dass die natürlichen Klänge eines Sports in das Wohnzimmer des Konsumenten transportiert werden. Die Entscheidung, ob man den eher traditionellen oder den eher aggressiven Weg beschreitet, hängt davon ab, ob der Einsatz des Mehrkanaltons für die Gesamtproduktion einen deutlichen Mehrwert bringt oder nicht. Ich persönlich bevorzuge zum Beispiel bei Gymnastik-Sport-Übertragungen eher den aggressiven Weg. Ich platziere beispielsweise ein Kleinstmikrofon wie das Audio Technica AT 898 [mit Nierencharakteristik, Anm. d. Red.] an den beiden gegenüberliegenden Seiten unter dem Barren. Ein Mikrofon wird auf Front links/Rear rechts und das andere auf Front rechts/Rear links zu gleichen Pegelanteilen gelegt. Durch diese – ich sage das einmal so – Phantomschallquellenmitte wird der Zuschauer viel näher in das Sportgeschehen eingebunden.

Lass uns doch mal über die Mikrofonauswahl und Platzierung sprechen, die ja auch einen nicht unerheblichen Einfluss auf den guten TV-Ton hat…
Ein Teil des Problems bei der Auswahl von Mikrofonen ist ein traditioneller und oft mathematischer Ansatz beim Sound-Design und der Auswahl der Mikrofone. TV-Ton-Design basiert auf der einfachen Philosophie, die spezifischen Sportgeräusche von den starken Hintergrundgeräuschen zu trennen. Dies begünstigt den Einsatz von Shotgun-Richtmikrofonen, und man versucht über die gegebene Distanz, einen möglichst nah abgenommenen Sound zu erreichen. Sicherlich haben Hypernieren- oder Shotgun-Mikrofone ihre Berechtigung, aber man kann auch Closed-Up-Mikrofonie nutzen. Man muss hierbei auch betrachten, dass die heutzutage eingesetzten Kameraobjektive zu einer Veränderung der TV-Ton-Mikrofonaufnahmetechnik beigetragen haben. Die Leistungsfähigkeit der Objektive ist immens gestiegen, und eine Kamera ist in der Lage, immer größere Distanzbereiche abzubilden. Dies führt zu der Notwendigkeit, für eine Kamera mehrere Mikrofone einsetzen zu müssen, um unter Umständen den gesamten Distanzbereich einer einzelnen Kamera akustisch abzudecken. Ich habe dies zuerst bei einem Autorennen ausprobiert, bei dem eine Kamera in der Lage war, die ganze Rennstrecke optisch abzudecken. Ein einzelnes Shotgun-Mikrofon auf der Kamera montiert reichte hier für die Distanzabdeckung eben nicht aus. Drei zusätzliche Mikrofone waren in diesem Fall mindestens erforderlich.

Erst mit Hilfe der vier Mikrofone war der Tonmischer in der Lage, die gesamte Rennstrecke mit entsprechend starker Präsenz, wie bei einem Motorsportereignis erforderlich, abzudecken. Ich möchte noch mal erinnern, dass ein guter TV-Ton die Kameraperspektive und Einstellung unterstützt beziehungsweise unterstreicht. Man hat drei grundsätzliche Werkzeuge für die Aufnahme – und zwar Mono-, Stereo- und Surround-Mikrofone. Die richtige Auswahl und Platzierung kombiniert mit einer effektiven Mischung führt zu einem interessanten Ergebnis. Seit den 80er Jahren wurden auch zusätzliche Werkzeuge – sprich Mikrofontypen – dem Broadcast-Tontechniker bereitgestellt, welche einige neue kreative Anwendungen ermöglichten. Ich möchte hier einmal besonders die Grenzflächenmikrofone herausstellen. Die Grenzflächenmikrofone bieten einen sicheren und – aus Sicht der praktischen Anwendung – bequemen und effektiven Weg der Nahabnahme beim Sport. Die Nahabnahme fordert den Toningenieur, denn es kommen eine Menge Mikrofone zum Einsatz, und wenn zu viele Mikrofone offen sind, wird der Sound schnell diffus und nicht so auf das eigentliche Sportgeschehen ausgeprägt. Daher auch meine Meinung zu den Mikrofon-Arrays wie Holophone oder Soundfield.

Die richtige Position
Nun noch einmal näher zu der Frage, wo man ein Mikrofon positioniert. Wenn man die Positionierung auf einen Over-All-Sound hin optimiert und positioniert, wird der Sound schnell zu diffus und nicht als nah genug am Geschehen empfunden. Bei Fixed-Arrays wird daher oft der Einsatz von zusätzlichen Spot-Mikrofonen nötig, um eine entsprechende Klangpräsenz zu vermitteln. An dieser Stelle scheint es das Beste zu sein, über den Einsatz von hochwertigen Mono oder Stereomikrofonen nachzudenken, die im Gesamtgeschehen entsprechend positioniert werden. Es ist sicherlich eine Menge mehr Arbeit und Aufwand, aber meiner Meinung nach ist das Resultat deutlich befriedigender. Zusammenfassend kam man noch sagen, der aktuelle Trend in der Broadcast-Landschaft ist der Einsatz von Surround-Aufnahmetechniken mit einem festen [ein Mahrkanalmikrofon an einer Position, Anm. d. Red.] oder variablen Mikrofon-Array [Einsatz von mehreren räumlich verteilten Spot-Mikrofonen, Anm. d. Red.].

Wie sieht es denn mit dem Mischen von Stereo- und Surround-Sound aus?
Welche Vorgehensweise sollte man einschlagen, wenn beide Formate gefragt sind?
Es ist sicherlich in der Regel unwahrscheinlich, dass ein Toningenieur ausschließlich für eine Surround-Mischung sorgen muss, wenn 95 Prozent der Zuschauer noch den TV-Ton in Stereo konsumieren. Durch eine parallele Mischung für Stereo- und Mehrkanalton auf einem Mischpult lassen sich Probleme vermeiden, zudem ja viele der eingesetzten Mikrofone sowohl für den Stereo-, als auch für den Mehrkanalton eingesetzt werden. Wenn man zum Beispiel den Pegel eines Mikrofons ändert, so wird der Stereo- als auch der Surround-Ton beeinflusst, wenn man den Mikrofonkanal entsprechend auf eine Surround-Gruppe und auch auf einen Stereobus legt. Die meisten Toningenieure sind sich einig darüber, dass, wenn man auf die Integrität der Stereomischung achtet, die Surround-Mischung ebenfalls gelingt. Was den automatischen Downmix mit Prozessoren angeht, so gibt es hier Argumente dafür und dagegen.

Wie sieht es denn mit der Bedeutung des Monitorings aus, speziell unter den Abhörbedingungen wie im Ü-Wagen und unter dem Aspekt des Mehrkanaltons?
Die Abhörsituation in einer Ü-Wagen-Umgebung ist ein sehr wichtiges Thema wegen des beschränkten Platzangebots und auch wegen der vielen Störgeräusche. In einem Ü-Wagen braucht man Platz für die verschiedensten Gerätschaften, und dabei ist der Platz, der dem TV-Ton zur Verfügung steht, in der Regel leider nicht ausreichend. Generell ist in Ü-Wagen der verfügbare Platz zu klein, und der Toningenieur sitzt zu nah an den Monitorlautsprechern. Das trifft besonders auf den Center-Lautsprecher zu, was den Effekt hat, dass es schwierig ist, eine optimale Balance zwischen dem Kommentar und dem Sport-Sound zu erreichen. Der Center-Monitor ist meistens deutlich näher zum Toningenieur aufgestellt und dies führt häufig dazu, dass im Ergebnis der Kommentatordialog zu laut gemischt wird. Besonders schwierig im Ü-Wagen ist die Aufstellung der beiden Surround-Lautsprecher. Häufig sitzt der Tonmann ja mit dem Rücken fast an der Wand, oder hinter ihm ist der Eingangsbereich zum Ü-Wagen.

Daher ist ein gutes Surround-Metering absolut wichtig, mit deren visueller Referenz die Balance der Surround-Mischung, speziell unter den Bedingungen eines Ü-Wagens, verbessert werden kann. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass der Produzent beziehungsweise Regisseur häufig gar nicht den Mehrkanalton zu Gehör bekommt und diesen dramaturgisch gar nicht einsetzen kann. Ein Problem, das ich häufig feststellen konnte, ist die Geräuschkulisse in einem Ü-Wagen, was das Arbeiten für den Toningenieur nicht einfacher macht.

Ja, da müsste man unter dem Aspekt des Mehrkanaltons ja eigentlich über ganz andere Konzepte von Ü-Wagen nachdenken, aber das ist ja wieder ein anderes Thema. Was würdest Du sonst noch als Probleme für den TV-Ton sehen?
Speziell bei Sport-Übertragungen ist die Synchronisation zwischen dem Bild und dem Ton ein großes Problem. Die digitale Konvertierung von analogen Signalen, Video-Stabilisierung, Frame-Synchronizer Virtual-Video-Overlay, Laufzeiten bei den Kameras und mehr führen zu einer Verzögerung der Videosignale und den damit verbundenen Synchronisationsproblemen. Das bedeutet für den Toningenieur am Pult, dass er die Audiosignale entsprechend anpassen muss und dass hierfür aber auch genaue Kenntnis des Videosignalwegs mit all seinen Durchlaufzeiten erforderlich ist, um das Problem adäquat zu lösen.

Wie sieht es denn im Ausbildungsbereich aus? Werden dort die doch zum Teil sehr spezifischen Anforderungen beim TV-Ton vermittelt?
Das Hauptproblem ist beim Live-Sport, dass der kreative Prozess nicht unbedingt im Vordergrund steht. Es ist immer der Druck da, ein beständiges und vorhersagbares Resultat abzuliefern. In der Ausbildung hingegen wird der Schwerpunkt Fokus auf die Arbeit unter Studiobedingungen gelegt und auch einige falsche Vorstellungen von der Arbeit eines Toningenieurs vermittelt. Du gehst zwei Jahre zur Schule und bist dann Toningenieur, machst CDs und hast ständig mit Popstars zu tun. Dabei geht man vielen Ausbildungen nicht mit Nachdruck auf das Segment-Broadcast ein, aber die Tatsache ist, dass genau hier potenzielle Arbeitsplätze existieren.

Was möchtest Du noch als Fazit loswerden?
Die Zukunft des Mehrkanaltons ist sehr viel versprechend, aber man muss auch auf die einzelnen Details achten: Monitoring, Synchronisation, Downmix, Surround-Balance und nicht zuletzt die Erwartungshaltung des Zuschauers sind von großer Bedeutung.
Peter Kaminski (MB 12/07)