Im Axel-Springer-Neubau in Berlin hat BILD nicht nur räumlich, sondern auch technologisch einen Neuanfang gewagt. Die Redaktion hat sich vom linearen Fernsehen verabschiedet und eine moderne Videoinfrastruktur aufgebaut, die stärker auf Plattformlogik, Flexibilität und Automatisierung ausgerichtet ist. Vier neue Web-Sets, zentrale Regieeinheiten, eine IP-nahe Architektur und cloudbasierte Workflows bilden das Rückgrat dieser neuen Struktur.
Doch der Umbau ist mehr als nur ein technisches Projekt. Er spiegelt einen strategischen Wandel wider: Video ist bei BILD nicht länger ein Zusatzformat, sondern integraler Bestandteil der digitalen Ausspielung – organisiert, produziert und gedacht als Plattform, gebündelt unter BILDplay.
Der richtige Zeitpunkt für einen Neustart
„Wie kann es sein, dass unsere Redaktion längst im Neubau sitzt, unser Studio aber noch im Hochhaus steht?“ Diese Frage sei irgendwann unausweichlich gewesen, erinnert sich Madlen Schäfer, stellvertretende Leitung Video bei BILD. Die Einstellung von BILD TV hatte bereits den Übergang vom klassischen Fernsehsender zur digitalen Videoproduktion eingeläutet. Der räumliche Umzug wurde zum Anlass, auch strukturell und technisch neu zu denken.
„Wir brauchten eine Produktionsumgebung, die unseren neuen Anforderungen gerecht wird – flexibel, modern und mit Platz für redaktionelle Vielfalt“, sagt Schäfer. Ziel war es, eine Infrastruktur aufzubauen, die tagesaktuelle Livestreams, emotionale Hochkantinhalte und geplante Formatproduktionen gleichermaßen unterstützt.

Alle Videoformate laufen heute unter dem Dach von BILDPlay zusammen – einer Marke, die nicht nur für die gleichnamige App, sondern für die gesamte Bewegtbildstrategie steht. Vom täglichen Politik-Vodcast bis zum Livestreaming großer Newslagen entsteht der Content nicht mehr für einen festen Sendeplatz, sondern für eine Vielzahl von digitalen Kanälen – von der Website über Smart-TV-Apps bis hin zu FAST-Channels für die großen TV-Screens.
Vier Produktionsräume, ein System
Um diese Vielfalt zu ermöglichen, wurden vier Sets im neuen Gebäude realisiert: ein klassisches Webset für Nachrichten- und Politikformate, ein Vodcast-Studio mit wohnlicher Atmosphäre für persönliche Gespräche, ein vollständig virtualisiertes Set mit Greenscreen-Technologie sowie die sogenannte Arena, ein architektonisch prägnanter Bereich im Zentrum des Gebäudes für besondere Gesprächsformate mit prominenten Gästen.

Alle Web-Studios greifen auf eine gemeinsame technische Basis zurück. Die Videoaufnahme erfolgt überwiegend mit Blackmagic Studio Camera 6K Pro. Nur im Greenscreen-Studio kommen Panasonic PTZ-Kameras zum Einsatz. Die Steuerung erfolgt zentral über eine gemeinsame Regie, die ISO-Recording und parallele Produktionen ermöglicht.
„Mit dieser Struktur können wir flexibel auf das Tagesgeschehen reagieren und trotzdem parallel geplante Formate umsetzen“, sagt Ulrike Backhaus, Head of Editorial, Tech & Operations. „Das ist für uns zentral – vor allem im Hinblick auf die nächste Bundestagswahl und unsere Livestrecken.“

Infrastruktur im IT-Modus gedacht
Mitverantwortlich für die technische Konzeption war Felipe Iasi, Head of Editorial Product and Innovation. Ihm ging es darum, sich von schwerfälligen, hochspezialisierten Broadcast-Systemen zu lösen und stattdessen auf eine Infrastruktur zu setzen, die sich effizient betreiben und an gängige IT-Prozesse anlehnen lässt. „Unser Ziel war es, ein System zu schaffen, das wartungsarm, skalierbar und insgesamt nah an der IT gedacht ist“, sagt er.

Beim Signalrouting fiel die Wahl dennoch auf eine klassische Lösung: 12G-SDI, organisiert über eine 120×120-Port-Matrix und einen ATEM 4K Video Mixer. Alle Studios befinden sich auf derselben Etage, die Signalwege sind kurz, der Aufbau ist kompakt. In dieser Konstellation bietet SDI die gewünschte Stabilität, geringe Latenzen und eine verlässliche Bildqualität. Komplexere IP-Strukturen wären für dieses Szenario überdimensioniert gewesen.
Auch der verfügbare Raum spielte eine zentrale Rolle. Für die gesamte technische Infrastruktur standen nur 84 Rackeinheiten und maximal 20.000 BTU Kühlleistung zur Verfügung. Das Setup musste deshalb bewusst platzsparend und energieeffizient geplant werden. BILD entschied sich für integrierte Systeme von Blackmagic Design, die eine hohe Funktionsdichte auf kleinem Raum ermöglichen und sich unkompliziert in die bestehende Produktionsumgebung einfügen.
„Für unsere Rahmenbedingungen war diese Entscheidung genau richtig“, sagt Iasi. Klassische Großgeräte aus der Broadcast-Welt hätten in diesem Konzept keinen Platz gefunden, weder physisch noch betrieblich.
Für längere Strecken, etwa zur Arena im öffentlich zugänglichen Gebäudeteil, kommt ergänzend ST 2110 zum Einsatz. Die Umsetzung erfolgt über einfache Gateways. Auch die Infrastruktur von WELT TV, die sich im selben Gebäude befindet, ist angebunden. Da dort noch in 1080i produziert wird, lässt sich das Signal von BILD bei Bedarf durch Downconversion anpassen.
Diese Kombination aus SDI für die Studiosignale und gezieltem IP-Einsatz für die Anbindung und Verteilung bildet die Basis für eine Architektur, die sich eng mit cloudbasierten Tools verzahnt. Genau dort setzt auch das Automatisierungskonzept an, das den gesamten Produktionsablauf von Regie bis Playout beschleunigt und vereinfacht.

Durchgehende Automatisierung vom Web-Studio bis zum Screen
Im Zentrum stehen dabei vier Systeme: das cloudbasierte Rundown- und Automations-Tool Cuez, das Fonn Group-Asset-Management Mimir, das Recording- und Playout-System Softron und Singular Live als Cloud-Grafiksystem. Alle vier sind über offene API-Strukturen miteinander verbunden – auf klassische MOS-Protokolle wird bewusst verzichtet.
Die Redaktion nutzt zudem individuell konfigurierte Companion-Panels, um wiederkehrende Aufgaben zu automatisieren – von der Kamerasteuerung bis zu LED-Inhalten. Jedes Gerät kann als Trigger angesprochen werden, einschließlich Singular Live (Cloud-Grafiken) und Resolume (LED-Steuerung).

Gleichzeitig laufen alle Studioaufzeichnungen über Softron, das bis zu neun 4K-Signale in 50p sowie drei zusätzliche Full-HD-Signale parallel aufzeichnet. Die ISO-Recordings werden automatisch an Mimir übergeben – inklusive der Metadaten, die von Softron generiert und übergeben werden. Dort stehen sie direkt für den Schnitt zur Verfügung. „Wir müssen nicht mehr viel organisieren, bevor wir schneiden“, erklärt Iasi. „Es ist alles vorbereitet, sobald wir anfangen.“
Das Setup erlaubt es, unterschiedliche Inhaltsvarianten aus ein- und derselben Produktion zu generieren: vollständige Sendungen, Clip-Outs, Hochkantformate für Mobilgeräte oder automatisierte Replay-Fassungen. Dabei werden alle Varianten systematisch in 4K ausgespielt, unabhängig vom Quellformat. Auch komplexe Veröffentlichungslogiken – etwa gleichzeitige Ausspielung auf Website, App, Social Media und Smart-TV-Plattformen – sind damit abbildbar.
Virtualität und Interaktivität als Teil des Systems
Neben den klassischen Studioproduktionen spielt auch Virtualität eine zentrale Rolle. Das virtuelle Set basiert auf Aximmetry und erweitert die Unreal Engine um sendetaugliche Funktionen wie Tracking, Preset-Verwaltung und virtuelle Kamerabewegungen. Die physische Steuerung erfolgt über PTZ-Kameras, die Bewegungen werden über Unreal simuliert. „Wir arbeiten mit Nanite, Lumen, Blueprints – die ganze Toolbox“, sagt Iasi. Das Ergebnis sind flexible Kamerafahrten und realistische Umgebungen, ohne dass dafür aufwändige Tracking-Technik notwendig wäre.

Das System wird intern betreut und gemeinsam mit Entwickler:innen erweitert. Es kommt sowohl für vollständig virtuelle Studioproduktionen als auch für AR-Elemente in Live-Sendungen zum Einsatz. Eine feste Integration in den Gesamtworkflow sorgt dafür, dass auch hier alle Steuerbefehle zentral über Cuez ausgelöst werden können.
Darüber hinaus hat BILD ein interaktives Touchscreen-System entwickelt, das unter anderem im Format „Lagezentrum“ zum Einsatz kommt. Die Anwendung ist so angebunden, dass sie nicht als separates Tool betrieben werden muss, sondern tief in die Infrastruktur eingebunden ist – inklusive Steuerung aus der Regie und Schnittstelle zu Cuez. So lassen sich interaktive Inhalte live aufbereiten und direkt in die Sendung einbinden.
Ergänzende Systeme bei BILD:
- vMix Call – für Remoteschalten mit Interviewpartner:innen
- LiveU – für mobile Live-Übertragungen aus dem Feld
- Clear-Com – für Intercom-Kommunikation
- Haivision Makito X – Encoder für hochwertige Live-Signale bei Newsroom-Produktionen
- Kiloview – flexible Encoder/Decoder für spontane Remote-Schalten
- SSL Audio Mixer
- Cuba (Pace Media) – Streaming-Verarbeitung und Hinzufügen von Ad-Markern.
Sichtbarkeit, Effizienz und Mehrfachverwertung
Dass sich das neue Video-Webset von BILD auszahlt, zeigt sich nicht nur an der gestiegenen Produktionskapazität, sondern auch an der besseren Verwertbarkeit der Inhalte. Laut Schäfer hat sich die Anzahl an Videoproduktionen seit dem Umzug deutlich erhöht. Gleichzeitig lassen sich aus einer einzigen Produktion mehrere Inhalte generieren – etwa Vollversionen, Ausschnitte oder visuell angepasste Hochkantformate.

Formate wie „Mein Leben & Ich“, „Vertraulich!” oder die große Interviewreihe „Es gilt das gesprochene Wort” werden über verschiedene Kanäle distribuiert, erreichen unterschiedliche Zielgruppen und tragen zur Sichtbarkeit der Marke bei. „Wir haben heute mehr Output, kürzere Time-to-Screen-Zeiten und eine stärkere Plattformdurchdringung“, sagt Schäfer. „Das hilft uns nicht nur in der Monetarisierung, sondern auch in der redaktionellen Positionierung.“
Nächste Schritte: mobile Produktion und Cloud-Live
Für das kommende Jahr plant das Team weitere Erweiterungen. Eine überarbeitete mobile Regieeinheit soll für Außenproduktionen fit gemacht werden. Auch die vollständige Produktion von 4K-Streams in der Cloud wird derzeit geprüft. Einzelne Windows-Systeme, etwa im Bereich der Virtual Production, könnten künftig durch Mac-basierte Setups ersetzt werden, um die Systemlandschaft zu vereinheitlichen.
„Unsere Infrastruktur ist jetzt in der Lage, jede redaktionelle Idee technisch umzusetzen“, sagt Iasi. „Und genau das war das Ziel.“












