Eine immer größere Zuschauergruppe klagt über Schwierigkeiten, bei der Mediennutzung die Inhalte akustisch verstehen zu können. Die zentrale Ursache des Problems stellt die mangelnde Sprachverständlichkeit dar. „Bereits jeder Vierte in der Altersgruppe der über 50-jährigen hat Probleme damit. Und mit zunehmendem Alter steigt der Anteil prozentual an. Bei den über 70-jährigen betrifft es laut Deutschen Schwerhörigenbundes bereits gut die Hälfte“, berichtet Ginetta Fassio. Um diesen Menschen eine möglichst barrierefreie Mediennutzung zu ermöglichen, hat sie mit ihrem Tonmeister-Kollegen Christian Simon die „Easy Listen“-Tonfassung entwickelt und die Easy Listen GmbH in Berlin gegründet. Ihr Verfahren ist gerade für den Innovationspreis Berlin-Brandenburg nominiert worden. Für die rund 80.000 Gehörlosen in Deutschland werden als Hilfsmittel Untertitel und die Einblendung von Gebärdensprache angeboten.
Best Ager, Senioren und leichtgradig Hörgeschädigte haben sicher kein Interesse, sich für ihre gewohnte Rezeption mit Hilfsmitteln wie Untertitel zu behelfen. Auch der Einsatz von Kopfhörern verbessert die Situation allenfalls nur begrenzt, wenn Musik und Sound Design die Sprache verdecken. Aus diesem Grund haben auch Hörgeräteträger Schwierigkeiten mit der Sprachverständlichkeit. Bei den Rundfunkanstalten häufen sich die Klagen, und manche Interessensgruppen wie der Deutschen Schwerhörigenbund fordern eine eigene Tonspur, die zu einer besseren Sprachverständlichkeit führt.
Verbesserte Sprachverständlichkeit
An diesem Punkt setzt das entwickelte Verfahren von Easy Listen an. Dieses System optimiere audiovisuelle Medien im Rahmen der Ton-Postproduktion. Durch Adaption relevanter Signalverarbeitungsprozesse der digitalen Hörgerätetechnik werde die Sprachverständlichkeit der Produktionen verbessert und das Klangbild an das bestehende Hörvermögen von Best Ager und Senioren angepasst. „Unsere Technologie ist eine Kombination aus einer Software gestützten Technologie und einem neuen Remastering-Verfahren. Wir haben dabei viel aus der Hörgerätetechnik in die Tonstudiotechnik integriert“, erklärt Fassio, die bei dem digitalen Eingriff in der Postproduktion die Dramaturgie der Tonspur mit Musik und vielleicht auch Sound Design-Elementen möglichst nicht antasten will, wie sie versichert: „Wir verändern diese Wirkung nicht, um gleichzeitig sehr viel in der Sprachverständlichkeit zu verbessern.“ Die Bearbeitung findet auf der Basis der IT Bänder oder Stems statt und kann direkt im Anschluss der gängigen Ton-Postproduktion erfolgen oder auch im nachhinein für archivierten Content durchgeführt werden.
„Wir nehmen die Audidaten auf der Basis der IT-Bänder oder Stems und erstellen noch mal eine neue Mischung, bei der sowohl die Sprache aber auch die Musik und Sounddesign neu bearbeitet werden unter der Prämisse, dass wir die Dramaturgie nicht ändern wollen.“ Zwar lasse sich mit bloßem Herunterpegeln der Musik schon viel für eine bessere Sprachverständlichkeit erreichen, aber es gehe auch viel von der intendierten Wirkung verloren. „Wichtige Eingriffsmöglichkeiten bei unserem System sind daher die Dynamikverhältnisse, die wir verändern und der Resthörfläche von Senioren anpassen können. Ältere Menschen empfinden leise Stellen oft als zu leise und laute als zu laut“, erklärt Fassio: „Hier greifen wir ein und passen es an, etwa dadurch, dass wir die Höhen verändern, weil tiefe Frequenzen die Höheren überlagern.“
Aus der audiologischen Forschung ist bekannt, dass die Problematik der Sprachverständlichkeit auch viel mit der veränderten Zeitauflösung zu tun hat. Die Signalverarbeitung verändert sich mit zunehmendem Alter, das heißt, dass die Schnelligkeit, die Signale wahr zu nehmen und zu Informationen zu verarbeiten, abnimmt. „Das hat sowohl kognitive Gründe bei der Verarbeitung der Signale, aber auch direkte Ursachen im Ohr selbst“, berichtet Simon. „Dies hängt unmittelbar mit dem Abbau der Haarzellen im Ohr zusammen, was bei höheren Frequenzen zuerst geschieht. Das führt dazu, dass bei einem älteren Gehör die Signalverarbeitung in der Zeit und in der Frequenz nachlässt“, sagt er.
Maskierungs-Effekte nehmen oft zu
Häufigster Kritikpunkt ist, dass die Musik zu laut ist und die Sprache überdeckt. Dies hängt auch mit der Signalverarbeitung zusammen, weil Maskierungs-Effekte im älteren Ohr oft zunehmen. „Es braucht dann bei einem lauten Signal schlicht länger, um ein leises wieder wahrnehmen zu können“, erläutert Simon. Hier ließen sich speziell die Frequenzbereiche filtern, welche die Sprache besonders stark verdecken. Prinzipiell gehe es auch darum, dass die Modulation der Sprache erhalten bleibt und nicht durch Kompression zu stark verändert werde.
Die inzwischen auch von mehreren Studien, unter anderem in Kooperation mit dem Fraunhofer Institut und der GEERS Hörakustik GmbH in seiner Wirkung getestete Tonfassung soll nun Anfang des nächsten Jahres auf den Markt kommen.
Barrierefreier Medienkonsum
Die Easy Listen-Tonfassung, die derzeit auch bei den Rundfunkanstalten eine Betatestphase durchläuft, kann als alternative Tonspur im Fernsehen, auf DVD, im digitalen Kino oder im Internet angeboten werden. Der Zuschauer kann Easy Listen einfach mit der Fernbedienung auswählen wie eine fremdsprachige Fassung. Easy Listens Anliegen ist der möglichst barrierefreie Medienkonsum für Senioren und Nutzer mit leichten bis mittleren Hörschwächen. Fassio: „Wichtig bei unserem Verfahren ist die Kompatibilität mit den gut Hörenden. Es hat sich in verschiedenen Untersuchungen gezeigt, dass Jüngere und normal Hörende oft gar nicht den Unterschied merken. Wenn dagegen derjenige, der nicht mehr so gut hört, feststellt, dass er mit dieser Tonfassung wieder alles versteht, haben wir viel erreicht.“
Ein Test unter Mitgliedern des Schwerhörigen-Vereins Berlin ist ebenfalls positiv verlaufen. Der Vorsitzende Hartwig Eisel: „Der Aha-Effekt bei uns – eine wesentliche bessere Sprachverständlichkeit. Das ist ein toller Beitrag zur Herstellung von Barrierefreiheit in audiovisuellen Medien.“
Bernd Jetschin
(MB 12/11_01/12)
Tonangebot für Hörschwache
In einem Forschungsprojekt an der Film- und Fernsehhochschule in Potsdam haben sich die beiden Diplom-Tonmeister und Startup-Unternehmer Ginetta Fassio und Christian Simon mit dem Thema Optimierung audiovisueller Medien für Hörgeschädigte befasst. Nach ihrer Diplomarbeit haben die beiden Tonmeister daraus dann ein eigenes Tonverfahren entwickelt, das Erkenntnisse aus der digitalen Hörgerätetechnik in die Studiotechnik integriert.