Streaming wird erwachsen: Werbung, Partnerschaften, Anreize

Werbung statt Abo-Wachstum, Partnerschaften statt Abschottung: Auf den Medientagen München skizzierten führende Streaming-Vertreter eine Branche, die auf Profitabilität, Reichweite und politische Planungssicherheit setzt.

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MTM-Panel: „Wohin sich der Streaming-Markt entwickelt“
Panel „Wohin sich der Streaming-Markt entwickelt“ auf den Medientagen München: Vertreter:innen der großen Streaming-Anbieter diskutierten über Geschäftsmodelle, Partnerschaften und Standortpolitik. Moderator: Thomas Lückerath, DWDL

Beim Panel „Wohin sich der Streaming-Markt entwickelt“ auf den Medientagen München wurde deutlich, wie stark sich die Branche derzeit neu sortiert. An die Stelle des Abo-Wettrennens treten zunehmend werbefinanzierte Modelle, strategische Partnerschaften und Standortfragen. Reichweite entsteht nicht mehr nur über eigene Plattformen, sondern über die Präsenz in fremden Ökosystemen. Für die Streaming-Anbieter ist klar: Damit der Markt nachhaltig wachsen kann, braucht es verlässliche Rahmenbedingungen – und keine zusätzlichen bürokratischen Hürden. Eine Analyse von Niklas Eckstein.

1) Profit statt Prestige: Werbung wird zum Standardmodus

Die zentrale Verschiebung ist wirtschaftlich: Ad-Tiers sind nicht mehr Beiwerk, sondern der kalkulatorische Ausgangspunkt. Warner Bros. Discovery formuliert es zum Start von HBO Max offen: „Der Plan ist, einen werbefinanzierten Tarif als Einstiegspreis zu machen“, sagte Matthias Heinze. Sky sieht eine halbierte Kundschaft zwischen werbefrei und werbefinanziert – „50 % der Kunden, die werbefinanziert WOW schauen“, so Evelyn Rothblum – und hält parallel an längeren Vertragslaufzeiten als Preissignal fest.

Auch im deutschen Free-TV-geprägten Markt ist das kein Widerspruch, sondern Logik. Disney-Managerin Eun-Kyung Park bringt die Sozialisation auf den Punkt: „Wir sind im Free-TV-Markt. Und das heißt, die Leute sind bereit, mit Werbung zu zahlen.“ Zugleich bleibt Zahlungsbereitschaft für klar abgegrenzten Mehrwert – Premium-Sport, ikonische Serien – bestehen. Die Konsequenz: Plattformen bauen die Preistreppe bewusst um Werbung herum und staffeln „werbefinanziert“ als Eintritt, „werbearm/werbefrei“ als Upgrades.

2) Reichweite schlägt (häufig) Exklusivität: Wachstum über Ökosysteme statt Abschottung

Henning Nieslony (RTL Deutschland)

Werbung rechnet sich nur mit Masse. Deshalb verlagert sich der Wettbewerb von „App gegen App“ zu „Ökosystem gegen Ökosystem“. RTL öffnet einen Prime Video Channel – „wir haben gestern Abend einen Amazon Prime Video Channel gelauncht“, berichtet Henning Nieslony – und verfolgt Reichweiten-Cluster dort, wo Publikum und Zahlungsbereitschaft bereits gebündelt sind. Sky setzt mit „Stream“ auf Aggregation als Kundenerlebnis und als Stabilitätsangebot für Partner.

Nicole Agudo Berbel (ProSiebenSat.1)

ProSiebenSat.1 und Disney testen simultanes Windowing („Cooking Academy“), ProSiebenSat.1 und Amazon ko-produzieren („Der letzte Bulle“). Exklusivität bleibt für knappe Güter – Live-Sport, Franchises – strategisch, doch in der Fläche skaliert Kooperation messbar besser. Nicole Agudo Berbel ordnet Joyn als digitales Wachstumsvehikel ein: „Joyn ist unser totales Growth-Asset im Digitalen.“ Der Subtext des Panels: Partnerschaften sind keine Ausnahme mehr, sondern Infrastruktur.

3) Angebotsseite sichern: Planbare Anreize statt Investitionspflicht

Damit Werbe- und Abo-modelle getragen werden, braucht es verlässlichen Content-Nachschub. Genau hier verläuft die politische Bruchlinie. Eine pauschale Investitionsverpflichtung wird von den internationalen Anbietern als kontraproduktiv gesehen. Heinze nennt sie „Einführung neuer Bürokratie“. Park argumentiert standortökonomisch: Investitionen wandern dorthin, „wo die Förderung besser ist“. Gefordert sind planbare, wettbewerbsfähige Anreizmodelle, die reale Produktion nach Deutschland ziehen – nicht bloß formale Quoten erfüllen. Für die Plattformen ist das kein Nebenschauplatz, sondern Teil derselben Gleichung: Ohne verlässliche Förderlogik schrumpft die Pipeline, ohne Pipeline kippt die Werbe- und Abo-Logik.

Eun-Kyung Park (The Walt Disney Company) und Thomas Lückerath (DWDL.de)

Streaming ordnet sich neu

Die Branche verabschiedet sich vom Mythos grenzenlosen Wachstums. Stattdessen dominiert Handwerk: Ad-Tiers als Baseline, differenzierte Preismodelle für verschiedene Zahlungsbereitschaften, Reichweite über Partner-Ökosysteme, Exklusivität nur dort, wo sie Wert stiftet – und Standortpolitik, die Produktion wirklich ermöglicht. Deutschlands Besonderheiten – Werbe-Sozialisation und starke Öffentlich-Rechtliche – prägen den Weg, nicht das Ziel. Streaming wird erwachsen, weil es seine Ökonomie zuerst löst. Alles andere ordnet sich darum.