Für einen Konzern wie Amazon wäre etwa der Kauf der TV-Rechte an der Fußball-Bundesliga bei der nächsten Ausschreibung finanziell ein Kinderspiel, für den bisherigen Rechteinhaber Sky Deutschland wäre dies eine Katastrophe. Und genau das erwarteten Experten auf der diesjährigen Euroreg. „Die nächste Ausschreibung der Bundesliga-Rechte in Deutschland könnte für eine Überraschung sorgen“, meint Robert Niemann, zur Zeit der Euroreg-Professor für Sportmanagement an der Hochschule für angewandtes Management und Experte für Fußball [&] Medien am Institut für Fußballmanagement. Er rechnet damit, dass einer der großen digitalen Player wie Amazon mitbieten wird. Der Vorteil: Im Gegensatz zu TV-Sendern müssten die neuen Anbieter die Rechtekosten nicht aus ihrem Kerngeschäft finanzieren, sondern könnten sie über Einnahmen aus anderen Geschäftsbereichen querfinanzieren, gibt der ehemalige Geschäftsführer von DFL Sports Enterprises zu bedenken. Auch, wenn sie nicht zum Zug kommen, eines ist sicher: „Die neuen Mitspieler werden die Preise für die Bundesliga-Rechte weiter nach oben treiben.“
Doch diese Entwicklung kommt nicht von ungefähr und zeichnet sich bereits seit längerem ab. Die technische Konvergenz der Plattformen und deren Akzeptanz im Massenmarkt bereiten den Boden: Der Ausbau der Breitbandnetze sowie die steigenden Verkaufszahlen von Smartphones, Tablet-PCs und Smart-TV-Fernsehern mit Internetzugang legten den Grundstein für den Markteintritt der neuen Mitspieler. Statt über die klassischen Verbreitungswege Kabel, Satellit und Antenne gelangen sie über das Internet zum Publikum, das jedes beliebige Endgerät mit Internetzugang für den Empfang einsetzen kann. Der Media Group Leader des internationalen auf TMT spezialisierten Beratungsunternehmens Analysis Mason, Lluís Borrell, erwartet, dass sich das via Internet übertragene Fernsehen, auch Over-the-Top-TV, oder kurz OTT genannt, bis 2020 im Massenmarkt etabliert haben wird. „Nach dem Umstieg vom analogen zum digitalen Fernsehen ist OTT die nächste logische Entwicklungsstufe.“ Borrell geht davon aus, dass OTT-Anbieter wie Netflix zunehmend attraktive TV-Rechte, etwa Spielfilme, Serien und Sport, einkaufen und damit traditionelle Fernsehsender bedrohen werden. Das Ungleichgewicht bei der Regulierung kommt den neuen Anbietern zugute, denn das Internet bietet mehr Freiheiten als das klassische Fernsehen, etwa bei Werbung, Jugend- und Datenschutz. Hinzu kommt, dass sie sich als quasi virtuelle Unternehmen das Land mit der geringsten Steuerlast und Regulierung als Sitz heraus suchen, in der EU wären das Luxemburg und Irland. Das ist nicht allein ein Problem für die TV-Industrie und langsam wächst in der europäischen Politik das Bewußtsein für dieses Problem. Eine Lösung freilich ist nicht in Sicht. Das stellt die nationalen Medienbehörden vor ganz neue Herausforderungen. Nach Ansicht Borrells ist hier die EU-Kommission gefragt, eine übergreifende Mediengesetzgebung für ganz Europa und damit einheitliche Spielregeln für alle Anbieter zu schaffen.
Noch nie habe es in der Medienbranche so viel Wandel in so kurzer Zeit gegeben, konstatierte SRG-Generaldirektor Roger de Weck. Das Internet sei das erste Medium, das Bild, Ton und Text auf einer Plattform ermögliche, bislang seien diese Bereiche getrennt gewesen (TV, Radio, Print). Die Konsequenz: Alle Anbieter treten in Konkurrenz zueinander. Dieses Zusammenspiel biete aber gleichzeitig die Chance für Innovationen, sagte de Weck. Davon profitieren bislang allerdings vor allem US-Unternehmen: Die beiden meistgenutzten Internet-Angebote in der Schweiz seien Google und Facebook, gab de Weck zu bedenken. Die Konsequenzen des zunehmenden Einflusses der neuen Anbieter bekommt auch die SRG zu spüren: Die jungen Zuschauer sehen sich neue US-Serien vor der TV-Ausstrahlung auf den SRG-Sendern im Internet in der Originalfassung bei Netflix [&] Co. an. Die SRG merke dies an den deutlich geringeren TV-Zuschauerzahlen in dieser Zielgruppe, wenn die Serien im Fernsehen ausgestrahlt werden. Da geht es dem SRG nicht anders als anderen TV-Veranstaltern nicht nur in Europa. Seine Schlussfolgerung: Mehr in Eigenproduktionen investieren! So lässt sich das Publikum halten. Auch der Sportbereich bekommt die neuen Marktteilnehmer zu spüren. Der ebenfalls, wenn auch aus anderem Grund, finanzkräftige arabische TV-Veranstalter Al Jazeera gründet nach Nachrichten- und Kinderkanälen jetzt Sportsender im Ausland, jüngst geschehen in Frankreich, die die jeweils attraktivsten Sportrechte aufkaufen. De Weck rät den öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern jedes Landes zu stärkerer Zusammenarbeit, etwa im Werbemarkt, um dem neuen Gegenwind standhalten zu können. “Wir müssen die alten Grabenkämpfe beiseite legen.”
Das Internet als neuer Verbreitungsweg für TV-Angebote stellt nicht nur die Medienbranche, sondern auch die Medienaufsicht vor neue Herausforderungen. Den Landesmedienanstalten sei die Problematik der unterschiedlichen Regulierung von TV und Internet bewusst, sagte Thomas Langheinrich, Präsident der Landesanstalt für Kommunikation und Europabeauftragter der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten. Es gehe nun darum, Antworten auf die Herausforderungen der Konvergenz zu finden. „Notwendig ist die Schaffung einer einheitlichen Rechtssituation in Europa, damit sich die europäischen Anbieter gegen die amerikanischen und internationalen Konzerne behaupten können.“ Die Gesetzgeber stehen dabei vor einer grundlegenden Frage, sagte der auf Medien spezialisierte Rechtsanwalt Winston Maxwell von Hogan Lovells in Paris: „Sollen sie die TV-Regulierung lockern oder den TV-Rechtsrahmen auf das Internet ausweiten?“ Man habe keine Angst vor Wettbewerb, betonte Eva-Maria Sommer von der Mediengruppe RTL Deutschland, fordere aber, das alte Mantra wiederholend, eine faire Regulierung mit gleichen Spielregeln für TV- und Internet-Anbieter. „Den Zuschauern ist es schließlich egal, ob die Programme auf ihrem TV-Bildschirm über Rundfunk- oder Breitbandnetze ins Wohnzimmer gelangen.“ John Ranelagh, Programmchef von TV2 Norway und im Aufsichtsrat von Nordic World, glaubt allerdings nicht, dass es zu einer einheitlichen Medienordnung in Europa kommen wird. „Dafür sind die kulturellen Unterschiede und Sprachbarrieren zu groß.“
Der Umbruch, den die Digitalisierung, das Internet und die so genannten „new entrands“, die neuen Mitspieler in der Medienbranche anstellen, stellt auch die Finanzierungsmöglichkeiten der Sender in Frage. Roger de Weck sagt sogar voraus, dass die bisherigen Geschäftsmodelle der privaten TV-Anbieter vor dem Ende stehen, da die Zuschauer auf andere Plattformen abwandern. Besonders drastisch sei dies bei der Information, die nicht mehr über Werbung zu refinanzieren sei. „Das ist wie die Scheidung eines alten Ehepaars.” Die Privatsender in Europa seien dadurch gezwungen, ihre Nachrichten- und Informationssendungen über weite Strecken immer boulevardartiger zu gestalten. Es gehe darum, ein Maximum an Publikum zu einem Minimum an Kosten zu erreichen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der dank seiner Gebührenfinanzierung nicht auf Werbeeinnahmen angewiesen sei, werde in der digitalen Medienwelt daher wichtiger denn je als Garant eines ausgewogenen, für die politische Meinungsbildung in der Demokratie wichtigen Informationsangebots, zum Beispiel über sein Netz an Auslandskorrespondenten.
Interessant, dass diese in deutschen Ohren archaisch anmutende Diskussion plötzlich in Zürich wieder aufflackerte. Die RTL-Medienpolitikerin Eva-Maria Sommer pflichtete ihm daher auch nur sehr bedingt und fast schon reflexartig bei: „Es ist schließlich die Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Sender, in Programme zu investieren, die kommerziell nicht refinanzierbar sind.“ Sie verspürte offenbar keine Lust, die alte Debatte wieder aufflammen zu lassen. Am Rande der Euroreg, unter den Teilnehmern sah man das auch differenzierter: In vielen Fällen, stünde die kommerzielle Qualität nicht so schlecht da, etwa wenn man sich das Programm des zur RTL-Gruppe gehörenden Nachrichtensender n-tv anschaue; auch was dort mit dem bestehenden Korrespondenten gemacht würde, könne sich durchaus sehen lassen, hörte man. Auch setzen RTL und ProSieben, nur um diese als Beispiel für die Strategie der kommerziellen Anbieter zu nennen, auf die so genannte Diversifikation – und treiben damit ihre Börsenkurse auf Höchststände.
Doch auch Marc Walder, Vorstandschef des Schweizer Medienkonzerns Ringier, machte auf ein weiteres Problem aufmerksam, dass sich redaktionelle Inhalte auf digitalen Plattformen schwer refinanzieren lassen. Ein Internet-User sei bei den Werbeeinnahmen sieben Mal weniger wert als ein Printleser – und der mobile Nutzer sei nochmals sieben Mal weniger wert. Das kommerzielle Lager steht also ganz klar unter nicht nachlassendem Druck, der durch die wahrscheinlich weiter anschwellende Konkurrenzwelle aus den USA eher noch weiter aufgebaut wird!
Dieter Brockmeyer
(MB 3/14)