Suche nach 3D-tauglicher Filmsprache

Unter der Überschrift „Next Stop S3D: Innovation für die Realfilmproduktion?“ suchte eine Podiumsveranstaltung der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein im Hamburger Passage Kino nach Perspektiven für 3D-Filmproduktionen. Der anfängliche 3D-Hype ist längst einer realistischen Betrachtung gewichen, wurde hier klar. Nicht jeder Film eignet sich für die 3D-Verfilmung. Das Technik-Know-how wächst, doch eine Dramaturgie für die Tiefeneffekte muss sich noch finden.

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Suche nach 3D-tauglicher Filmsprache

„Was ist 3D? – Lediglich ein schöner Effekt? Ein Stilmittel? Ein eigenes Genre?“ – fragte Moderator Patrick Palmer in die Runde. „Für mich ist es ein Stilmittel“, antwortete Kameramann Christian Rein (Wickie auf großer Fahrt). „3D ist eine gute Ausdrucksmöglichkeit, die Kinozuschauer noch intensiver in fremde Welten entfliehen zu lassen“, erklärte Wickie-Produzent Christian Becker (Rat Pack Filmproduktion). Jürgen Schaum, Geschäftsführer von Chroma Film [&] TV, ist sogar von einer „neuen Bildersprache“ überzeugt, „weil sich die Leinwand zwischen Projektion und Zuschauer auflöst. Gutes 3D geht direkt ins Belohnungszentrum des Gehirns“.

Produzent Erwin Schmidt (Neue Road Movies) sieht die Entwicklung noch am Anfang: „Der nächste Schritt ist, die Möglichkeiten der Tiefe weiter auszuloten und nicht nur auf schnelle 3D-Effekte zu setzen.“ Und Jan Fröhlich, technischer Leiter der CinePostproduktion, bekannte: „3D ist für mich eine Chance, dass noch mehr im Vorfeld zwischen Produktion und Dienstleister kommuniziert wird. Denn der alte Spruch ‚Fix it in the Post’ gilt bei 3D nicht mehr.“
Obschon auch die Postproduktions-Workflows für 3D hinsichtlich Schnelligkeit und Effizienz ernorm zugelegt haben, hält Fröhlich den Ball erst einmal flach: „In der Postproduktion stehen wir erst am Anfang der Entwicklung. Wir können zwar das Bild etwas nach vorne oder hinten schieben. Aber die Tiefe bearbeiten, das können wir noch nicht. Von einem wirklichen Tiefengrading sind wir noch zehn Jahre entfernt“.

Drehabläufe für 3D sind gewöhnungsbedürftig

Welches Abenteuer eine 3D-Realfilm-Produktion fürs Kino in Deutschland noch immer bedeutet, wird an der erfolgreichen Kinoproduktion „Wickie auf großer Fahrt“ deutlich, über deren Entstehung Becker und Rein in Hamburg berichteten. Insgesamt acht Monate hatte allein die Vorbereitung für diese Produktion in Anspruch genommen, die auch hinsichtlich des Kamera-Equipments, des technischen Stabes und des VFX-Einsatzes einen immensen Aufwand erforderte.

Mit über 14 Millionen Euro Produktionsbudget entpuppen sich die neuen Kinoabenteuer des Wickinger-Jungen zu einer der teuersten deutschen Produktionen der letzten Jahre. Beraten wurde die Produktion durch den Stereograph Florian Meyer, dessen Firma Stereotec die auf Karbonbasis gebauten Rigs geliefert hat, die nicht so schwer wie die Alu-Rigs sind, aber ebenso stabil. Am Set wurde zudem das eigens für 3D kreierte Stereoskopic Calculator Programm genutzt, mit dem sich alle entscheidenden 3D-Parameter wie Stereobasis, Konvergenzpunkt und auch Brennweiten bestimmen lassen.

Weil Regisseur Christian Ditter und Kameramann Rein sich entschieden hatten, möglichst viele Szenen in Plansequenzen zu drehen und auf Kamerabewegungen und –fahrten zu setzen, kamen die Steadycam-Ausrüstung und auch der Kran häufig zum Einsatz. „Trotz dieser intensiven Vorbereitung waren die Drehabläufe für die stereoskopische Produktion gewöhnungsbedürftig“, räumte Becker ein: „Am ersten Drehtag hatten wir nur insgesamt zwei Einstellungen geschafft. Erst ab dem vierten Drehtag erreichten wir das avisierte Pensum.“ Dass dieses zweite Wickie-Kinoabenteuer trotz Stereoproduktion kaum teurer geworden ist als der erste in 2D gedrehte Film verdankt sich letztlich der sehr konsequenten und langen Vorbereitungszeit, erklärte Becker: „Normalerweise sollten für 3D-Produktionen 20 bis 30 Prozent Mehrkosten veranschlagt werden. Bei unserer Produktion waren es aber nur zehn Prozent.“ Für Rein ist nach dieser Erfahrung auch eine 3D-Produktion zu einem „moderaten Budget“ denkbar, das bei fünf Millionen Euro anfange.

Das Know-how für Stereo 3D sei vorhanden in Deutschland, bestätigte Rein, dennoch müsse man für 3D nach wie vor Pioniergeist mitbringen. Zunächst gelte es, ein Gefühl für die Filmsprache zu entwickeln, bevor mit dem Drehen begonnen werde. „Wir haben uns bei der Auflösung gegen viele Schüsse und eher für längere Einstellungen entschieden und viele Fahrten in 3D gedreht, damit das Auge genügend Zeit erhält, die Tiefe wahrzunehmen.“ Rein verwehrte sich aber dagegen, aus dem langsameren Schnittrhythmus für 3D gleich eine Gesetzmäßigkeit abzuleiten. Schließlich bewiesen neueste amerikanische Filme, dass 3D durchaus schnell geschnitten werden könne, auch wenn dabei wieder auf 2D zurückgefahren werde.“ Der Tiefeneindruck entsteht hauptsächlich durch kurze Brennweiten (18 bis 40 mm) und der Einstellung des Kameraabstands auf der Stereoachse. Das Drehen in den kurzen Brennweiten und die geringere Schnittfrequenz verlange von den Schauspielern ein noch höheres Maß an Präzision, fügte Rein hinzu.

Schwierige Finanzierung

Für „Wickie“ sind seit Kinostart mehr als zwei Millionen Kinotickets verkauft worden, dennoch wird der Film auch die Auslandseinnahmen benötigen und seine Kosten erst über einen längeren Zeitraum wieder einspielen. Den Produzenten Becker hat es offenbar auf den 3D-Geschmack gebracht, denn er kündigte als nächste 3D-Produktion eine Kinokomödie an. „Mit Triple Wixx“ – Manche mögen’s heiß“ soll die im Kino sehr erfolgreiche Wixxer-Trilogie im Stereoformat abgeschlossen werden.

Während die erste Welle von Kinoproduktionen die Grundlage dafür legt, mit dem erzählerischen Mittel der Tiefe die Erlebniswelten zu intensivieren, hat Wim Wenders mit seiner Tanzfilm-Hommage „Pina“ bewiesen, dass 3D auch ein rein künstlerisches Gestaltungsmittel sein kann. 500.000 Kinobesucher für einen reinen Filmkunstfilm ist ein schöner Erfolg. Ob Wenders seinen nächsten Film, der im kommenden Jahr gedreht werden soll, erneut in 3D realisiert, ließ Produzent Erwin Schmidt (Neue Road Movies) allerdings offen. 3D müsse einen Mehrwert bieten. Für die Pina Bausch-Hommage sei 3D überhaupt die Voraussetzung gewesen, den Film zu drehen.

3D im Kino

3D im Kino ist sicher auch kein Selbstläufer. In der ersten Startwoche von „Wickie“ waren noch zwei Drittel der Besucher ins 3D-Kino geströmt, mittlerweile entschieden sich über die Hälfte der Kinobesucher für die 2D-Vorführung, insbesondere für Familien ist es schlicht eine Kostenfrage, berichtete Becker. Das Interesse orientiere sich zuerst an der Geschichte des Films. Für Produzenten ist es daher wichtig, dass auch immer eine Schnittfassung in 2D vorhanden ist. Obwohl gerade die teuren 3D-Produktionen auch die gesamte Wertschöpfungskette benötigen, um die Mehrkosten wieder einzuspielen, waren sich die Podiumsteilnehmer darin einig, dass 3D primär dem Kinoerlebnis zugute komme.

„3D ist ein Medium zum Eintauchen, das nur auf der großen Leinwand richtig wirkt und auf Fernsehschirmen nur bedingt funktioniert“, findet Jan Fröhlich. Chroma-Chef Jürgen Schaum rät allerdings dazu, das Mittel der Tiefengestaltung möglichst sparsam und nur dramaturgisch einzusetzen. „Eine ständige Tiefe“ sei viel zu anstrengend für das menschliche Auge, das sich ja schließlich auch beim realen Sehen ständig umstelle. „Wer die 3D-Effekte permanent hoch und runter fährt, reißt die Zuschauer aus seiner Erlebniswelt heraus.“

Mit dem wachsenden Interesse von Produzenten für 3D wird sich neben den technischen Erfahrungen auch eine eigene Dramaturgie heraus kristallisieren. Bleibt die Frage, in welcher Qualität die 3D-Produktionen im Kino vorgeführt werden. Durch die Projektion und die Brillen bedarf es wesentlich mehr Lichtleistung auf der Leinwand als im 2D-Kino. Längst nicht überall sei die Lichtleistung für die Größe der Leinwand ausreichend, so dass die 3D-Bilder sehr düster herüberkommen. Mehr Kolbenleistung ist für die Betreiber ein weiterer nicht unerheblicher Kostenfaktor. Eine Zertifizierung, wie sie sich für den Sound in den Kinos durchgesetzt hat, könnte ein Weg sein, so ein Vorschlag aus der Diskussion. Denn eines ist klar: Wenn 3D als nachhaltiges Modell im Kino Erfolg haben soll, dann muss es auch optimal vorgeführt werden.
Bernd Jetschin
(MB 12/11_01/2012)

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