Innovationen einer überhitzten Branche

Auch die diesjährige IFA in Berlin (6. bis 11. September) stellt im Bereich Consumer Electronics wieder das intelligente, smarte Fernsehen in den Mittelpunkt. Dabei geht es nicht nur um die Verknüpfung von Internet und Broadcast über ein noch größeres TV-App-Angebot, sondern auch um neue Bedienkonzepte und um die nächste TV-Generation mit Ultra HD. Trotz oder wegen der viel zu schnellen Innovationen ist die TV-Geräteindustrie aktuell in einer Krise.

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Innovationen einer überhitzten Branche

Abgesehen davon, dass der stationäre Fernsehbildschirm mit Diagonalmaßen über 80 Zoll (203 Zentimeter) noch viel größer und noch faszinierender speziell auch für den Abruf von Kinofilmen oder von selbstgemachten Videos und Fotos wird, sieht die TV-Zukunft etwa folgendermaßen aus: Man muss nicht viel mehr tun, als im Wohnzimmer vor seinem Big Screen mit dem Controller in der Hand zu stehen oder sich an einem beliebigen Ort vor seinem mobilen Empfangsgerät mit integriertem Controller zu beugen. Sodann rechnet der Controller-Chip blitzschnell aus, was man gerne persönlich sehen möchte. Er wertet die Daten der Kamera aus, die Gesichtsausdruck und Bewegungen der Augen, alle Körpergesten scannt. Müde/wach? fröhlich/traurig?, wissbegierig/unterhaltungshungrig? – ja, oder nein?, Null oder Eins? Im Rechenergebnis soll genau das jeweils persönliche Qualitätsfernsehen auf dem großen oder kleinen (zweiten) Schirm kommen.

Keine Utopie! Nicht nur Samsung, sondern auch beispielsweise Microsoft mit der Xbox oder EPG-Anbieter, die schlaue Algorithmen einbinden, haben längst Produkte auf den Markt gebracht, die so oder so etwas ähnliches versprechen. Und: „Es genügt schon der über Hirnströme ermittelte Gedanke, um elektronische Funktionen zu steuern“, heißt es in einer offiziellen IFA-Pressemitteilung zu den neuen Bedienfunktionen für SmartTV.

Im Rahmen der Doppelveranstaltung „gfu Insights [&] Trends“ und „IFA Innovations Media Briefing“ (10. und 11 Juli im Berliner bcc) des IFA-Veranstalters Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik (gfu) konnte man sich von einem Samsung-Präsentator vorführen lassen, wie man TV-Apps allein mit Gesten in der Luft auf den Bildschirm steuern und abrufen kann: Keine Fingerübungen auf der aussterbenden guten alten Fernbedienung mehr, stattdessen ein wenig Gymnastik für die Arme und Hände! Obwohl der dazugehörige Samsung-Bildschirm, über den man mit einem Handdruck in der Luft ein TV-App abrufen kann, natürlich auch schon Ultra HD fähig ist, gab es aber noch kein entsprechendes Programm zu sehen. Es werde ein langer Weg sein, für entsprechenden Content zu sorgen, war auf dem gfu-Expertenforum zu erfahren. Dazu später mehr.

Dass neue Bedien- und Suchtechnologien erforderlich sind, liegt auf der Hand. Je mehr das Angebot an TV- und Filmangeboten im Satellitenhimmel und im World Wide Web explodiert, umso komplizierter wird es für den User, das zu finden, was er sehen will. Zumal es nicht nur Hunderte von Programmen seitens TV-Sender, sondern nicht minder viele audiovisuelle Angebote an TV-Apps gibt, die ins Internet führen. Allerdings ist all das, was die großen Hersteller an neuen Bedienkonzepten anbieten, wenig übersichtlich und offensichtlich nicht standardisiert. Die einen bleiben bei Fernbedienungen, die beispielsweise auf ihrer Rückseite eine Tastatur für die Texteingabe haben. Oder auf ihrer Frontseite ein Touchpad für Finger-Wischbewegungen.

Manche Infrarotsender funktionieren auch wie ein Zeigegerät: Werden sie entsprechend bewegt, steuern sie einen Cursor auf dem Bildschirm. Andere setzen auf Spracherkennung zur Gerätesteuerung, wobei sogar frei gesprochene Sätze erkannt werden sollen. Gleichzeitig sollen Tablet-PCs und Smartphones immer mehr auch als Navigatoren durch die Medienangebote des SmartTV funktionieren. Laut gfu wird „das Zusammenspiel von großem Bildschirm vor dem Fernsehsessel und drahtlos vernetzten Mini-Schirm auf dem Schoß zu den besonders spannenden Trends der IFA zählen“. Auch kommt eben die Messung der Hirnströme ins Spiel wie die Bedienung mittels Gesten. Auf der IFA werden beispielsweise TV-Prototypen gezeigt, „die erkennen können, wenn ihr Nutzer mit dem Zeigefinger Ziffern in die Luft schreibt“. Aber ob das alles nicht vielleicht doch in Luftnummern ausarten wird?

Nutzungsergebnisse für SmartTV

Immerhin ist die erste Generation neuer SmartTV-Geräte, die Internet und Broadcast verbinden, in Deutschland und Europa schon weit verbreitet. So stirbt das Röhrenfernsehen in Deutschland langsam aus. In 80 Prozent der deutschen TV-Haushalte wird mittlerweile ein flacher Fernseher als Hauptgerät genutzt. Und in 34 Prozent der deutschen TV-Haushalte, also knapp14 Millionen, steht schon das SmartTV, das potentiell den Zugang zum Internet bietet. Obwohl im europäischen Vergleich die Deutschen diesen neuen Zugang viel weniger nutzen, haben sich immerhin acht Millionen deutscher SmartTV-Haushalte (58 Prozent) tatsächlich ans Netz angeschlossen. Dies ist Ergebnis der jüngsten repräsentativen Studie, die von der gfu in Auftrag gegeben – und beim Expertenforum von Hans-Joachim Kamp, Vorsitzender des Aufsichtsrates der gfu vorgestellt wurde.

Erstmalig wurde auch bekannt gegeben, was diejenigen, die mit dem TV-Gerät am Netz angeschlossen sind, von den Internetangeboten tatsächlich nutzen. Es sind weiterhin eher TV-typische Angebote. So rangiert die elektronische Programmzeitschrift, der sogenannte EPG, mit rund 30 Prozent an erster Stelle, gefolgt von den Mediatheken der Sender mit 28 Prozent. (Da die Mediatheken der Sender weitgehend noch nicht als TV-Apps zur Verfügung stehen, sondern nur über die rote Taste der HbbTV-Funktion ansteuerbar sind, haben danach offensichtlich mindestens zwei Millionen TV-Haushalte diese Funktion aktiviert. Wobei ZDF-Produktionsdirektor Dr. Andreas Bereczky im MEDIEN BULLETIN-Interview im April darauf hingewiesen hatte, dass viele Hersteller, die HbbTV-fähige Geräte anbieten, die Red-Button-Funktion zum Abruf von HbbTV-Inhalten im Auslieferungszustand deaktiviert haben.) Auf Platz drei und vier der Internetnutzung via TV rangieren Facebook (27 %) und YouTube (23 %). Immerhin 15 Prozent rufen über ihren SmartTV kostenpflichtige Video-on-Demand-Angebote aus Online-Videotheken ab.

Wenig überraschend ist, dass sich bei der Nutzung alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen: Während ältere Nutzer überproportional häufig auf Mediatheken zugreifen, nutzen Frauen häufiger als Männer Dienste wie Skype und E-Mail, bei denen die Kommunikation im Vordergrund steht. Zwei Drittel der 16- bis 39-jährigen in Deutschland schließen ihren Smart TV an das Internet an, bei den über 60-jährigen ist es lediglich die Hälfte. Auch der Einfluss der Smart-Funktion auf die Kaufentscheidung ist bei den jüngeren deutlich höher, als bei der Generation über 60 Jahre. So ist die im Europa-Vergleich eher geringe Smart-Begeisterung der Deutschen zum Teil auch demoskopisch zu begründen, denn die Deutschen haben die durchschnittlich älteste Gesellschaft in Europa, so das Resümee der Studie.

Um dennoch auch mehr kaufkräftige ältere deutsche SmartTV-Nutzer ans Netz zu bringen, setzt Kamp auf die bereits im Juli gemeinsam von Industrie und Handel gestartete Initiative „Smarter Fernsehen“. Sie soll den Mehrwert von SmartTV kommunizieren und gleichzeitig auch ganz pragmatisch den Service bieten, den Netzanschluss samt Anleitung zur Bedienung zwecks „Mehrwertnutzung“ zu realisieren.

Hitziger Verdrängungswettbewerb

Sicher ist: Nach HDTV etabliert sich auch der Zugang zum Internet via SmartTV als neuer Fernsehstandard. Wermutstropfen für die Geräteindustrie hierzulande: Obwohl 2012 Fußball-EM, Olympische Sommerspiele und die Abschaltung des analogen Satellitenfernsehen mit rund fünf Millionen verkauften Fernsehgeräten in Deutschland für ein Boom-Jahr in der TV-Herstellerbranche sorgten, konnte sie davon bislang nicht finanziell profitieren. Hintergrund ist ihr gnadenloser Verdrängungswettbewerb, den vor allem die großen asiatischen TV-Hersteller wie Samsung, Panasonic oder LG entzündet haben, indem sie immer schneller den Markt mit immer billigeren Geräten überhitzen. Zu billig, um vor dem Hintergrund der nicht unerheblichen Entwicklungskosten, die die digitale Wandlung vom TV zum Telecomputer mit sich brachte, nennenswerte Gewinne zu erzielen. Die Fernsehgeräteindustrie ist dabei, wie die SZ kürzlich urteilte, „völlig aus den Fugen geraten, eine Branche im hitzigen Wahnsinn“. So steckt beispielsweise Sony schon seit Jahren in den roten Zahlen. Und die zuletzt übrig gebliebenen deutschen Traditionsunternehmen Loewe und Metz kämpfen aktuell um ihr Überleben. Erschwerend kommt hinzu: Da der Abverkauf im Marketing so stark auf 2012 fokussiert war, hat es für die TV-Hersteller im ersten Halbjahr dieses Jahres einen Einbruch von 25 Prozent im Markt gegeben. Die IFA soll neue Impulse geben.

Rückgängig lässt sich der unheilvolle Verdrängungswettbewerb nicht mehr machen. Aus diesem Grunde hatte die gfu bereits im letzten Jahr bei ihrer erstmaligen Veranstaltung gfu Insights [&] Trends in Berlin eine neue Parole ausgegeben. Man wolle „weg vom Boxen verkaufen“. Vielmehr sah und sieht man neue Geschäfte am Horizont mit Inhalten, nämlich den speziellen TV-Apps, die die Gerätehersteller via SmartTV anbieten. So werden auf der diesjährigen IFA viele neue TV-Apps präsentiert werden, die sich auf der nächsten Generation der SmartTVs tummeln. Die Anzahl der TV-Apps „wächst dramatisch“, gab die gfu bekannt. Auf welche neuen Inhalte die Hersteller neben den klassischen Internetdiensten wie VoD oder YouTube und Skype in Zukunft konkret setzen, wurde indessen im Vorfeld der IFA nicht verraten. Mit neuen verbesserten Bedienoberflächen für die TV-Apps wolle man aber den Zugang zu ihnen verbessern. Dabei haben sich immer mehr Hersteller in einer „SmartTV Alliance“ zusammengeschlossen, um die Spezifikation für den Internet-Zugang mit dem offenen Standard HTML5 zu unterstützen. Die jüngste SmartTV-Generation werde mit noch stärkerer Rechnerleistung „für schnellen Aufbau von Internet-Seiten, flüssige Bedienung und ruckfreie Videos aus dem Web sorgen“. Was genau sich die Geräteindustrie vom Inhaltegeschäft mit TV-Apps konkret erhofft, bleibt immer noch im Dunkeln.

Ultra HD ohne TV-Sender

Auffällig ist, dass die frühere sehr enge Zusammenarbeit der TV-Geräteindustrie mit den TV-Sendern – die zur erfolgreichen HDTV-Einführung geführt hatte – klammheimlich mehr oder weniger eingestellt ist. Beim Expertenforum der gfu waren im Gegensatz zum Vorjahr keine TV-Sendervertreter mehr zugegen. Auch auf dem Ausstellungsgelände hält allein der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) für die ARD die Fahne hoch, sicher aus Standort-politischen Gründen. Der rbb will den Messestandort Berlin stützen. Schwerpunkte der rbb/ARD-Präsentation werden HbbTV und der damit mögliche Zugang zu den Mediatheken sein, sowie das digitale Radio. Das ZDF hat sich hingegen – wie schon die privaten Sender vor Jahren – von der IFA verabschiedet und wird sich nur sporadisch am IFA TecWatch Forum beteiligen, wo es um Zukunftslösungen für 3D und Super-HD geht, die Kombination von virtueller und realer Welt („Augmented Reality“) und die „Cloud“ als Ort vielfältiger neuer Anwendungen von der Unterhaltung bis zur Dienstleistung. Ebenso wird es in diesem Zukunftsforum wie auf dem Ausstellungsgelände in den Hallen für Unterhaltungselektronik auch um das große IFA-Thema Ultra HD gehen. Das wird insbesondere von Marktführer Samsung gepuscht.

Zwar hängt das unprofitable TV-Geräte-Geschäft bei Samsung heute noch am Tropf der gut florierenden Smartphone-Sparte. Doch will man das wohl in Zukunft ändern. So stellt sich der koreanische Unterhaltungselektronik-Anbieter beispielsweise mit dem Produkt UHD TV S9 „als Pionier einer Erlebnistechnologie“ dar, die im Zusammenspiel von Raum, Bild und Klang eine neue Qualität des Erlebens digitaler Unterhaltung biete. Im feinsten Design, einer Bildschirmdiagonale von 85 Zoll (2,15 Meter), einer Auflösung in 4K samt einer „prägnanten Rahmenkonstruktion, die das Audiosystem be-herbergt“. Vor der IFA waren die Kosten dafür noch unbekannt. Vergleichsweise dürfte ein solches Gerät mindestens 15.000 Euro kosten.

Nun wird das fantastische Bild, das eine 4K-Auflösung bietet und im Gegensatz zum aktuellen HDTV-Standard in der Lage ist, ein „digitales Bild zu schaffen, das der Realität der Wahrnehmung des Auges entspricht“, nicht das Ende der Fahnenstange sein, referierte Marcel Gonska von der WLC GmbH im Rahmen der „gfu Insights [&] Trends“-Veranstaltung. Es handele sich vielmehr nur um das UHD 1-System, in Japan sei eine Bildauflösung mit 8K als UHD 2-System bereits für 2020 geplant. Und erst mit 8K werde erreicht, dass man „das Gefühl beim Gucken hat, wirklich dabei zu sein“. Damit man mit UHD aber „nicht dasselbe Desaster wie mit 3D“ erleben werde, müsse man „einiges beachten“. Man habe 25 Jahre gebraucht, um HD zum TV-Standard zu machen, und man werde für UHD sicher mindestens zwanzig Jahre brauchen, räumte Gonska ein. So gebe es beispielsweise „bei HDMI-Schnittstellen, Farbraum, hardwareseitiger Dekodierung und Sampling-Rate derzeit keine einheitlichen Normen unter den Herstellern.“

TV-Hersteller, so empfahl Gonska, müssen auch mit den Broadcastern enger zusammenarbeiten, einerseits. Andererseits ist er überzeugt, dass die Umstellung der Produktion auf den neuen Standard UHD „schneller über das Internet als über Broadcast realisiert“ werden könnte. Deshalb sei „auch für UHD SmartTV sehr wichtig“. Als Content-Lieferant stellt er sich insbesondere die innovative Kinofilmindustrie vor. Tatsächlich wünschen sich ja Broadcaster wie ZDF-Produktionsdirektor Bereczky weniger UHD, sondern die Verbesserung des aktuellen HDTV-Standards in Richtung Full HD (1080p/50) herbei, wofür aber auch noch keine durchgängige technische Infrastruktur vorhanden sei.

Was sollen dann aber diejenigen gucken, die es sich schon heute leisten können, sich in einem großen Wohnzimmer ein schickes UHD-System zu stellen? Bestimmt werden Anbieter wie Samsung neue Smartphones mit leistungsstarken Kameras anbieten. Dann kann man nach dem früheren YouTube-Motto „Broadcast yourself“ sein eigenes Programm schaffen – und muss nicht mehr lange nach dem optimalen TV-Programm suchen. Oder frei nach Shakespeare: „As you like it“.

Erika Butzek (MB 09/13)

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