Herr Arndt, Sie sagten „Cloud Atlas“ sei ein „klassischer Studiofilm“. Was heißt das genau?
Klassischer Studiofilm heißt, dass es erst einmal für das Publikum im Kino genauso aussieht wie eine große amerikanische Studioproduktion. Aber Tom Tykwer und die Wachowskis wollen nicht nur Bilder kreieren, die den State of the Art von gut gemachten Hollywood-Produktionen repräsentieren, sondern darüber hinaus noch etwas besseres machen, etwas, was noch nie da gewesen ist.
Obwohl „Cloud Atlas“ ein riesiges Zeitfenster von 1820 bis in die ferne Zukunft 2500 öffnet, und Sie damit etwas Futuristisches wagen, haben Sie sich für den uralten analogen 35mm-Film als Basisdrehmaterial entschieden. Warum?
Bei „Cloud Atlas“ ist die Verbindung zwischen alter und neuer Welt extrem, auch zwischen digital animierter Welt und der real gefilmten Welt. Die Frage war, mit welchem Basisdrehmaterial wir diese Extreme in einer Geschichte aus einem Guss ohne optische Brüche vereinen können, und insbesondere dabei den gesamten Prozess von Dreh bis zur digitalen Nachbearbeitung hundertprozentig planbar machen können. Wir haben umfangreiche Tests durchgeführt und uns dann für den 35mm-Film als Basismaterial entschieden. Heute wird ja das Negativ nur ein einziges Mal angefasst, nämlich beim Dreh. Dann wird es gescannt und auf unzähligen, teils unfassbar komplizierten Wegen bearbeitet, bevor ganz zum Schluss ein DCP, Digital Cinema Package, entsteht, das im digitalen Kino über einen Beamer vorgeführt werden kann. Man geht heute nur noch in den seltensten Fällen wieder auf die 35mm-Kopie zurück.
Warum genau bietet der analoge Film eine bessere Planbarkeit in der digitalen Nachbearbeitung als eine digitale Aufnahme?
Um vorweg ein Missverständnis auszuschließen: Es ist nicht so, dass das digitale Aufnahmematerial Nachteile in der Schärfe oder in der Konkretisierung bei der späteren Bildmischung hätte. Unsere umfangreichen Tests haben aber gezeigt, dass es für uns beim digitalen Aufnahmeverfahren problematisch geworden wäre, weil wir damit nicht genau vorhersehen können, welcher Aufwand damit verbunden ist, um ein real aufgenommenes Bild digital zu bearbeiten, so dass es beispielsweise hinterher aussieht wie ein Raumschiff oder ein Alien.
Bei „Cloud Atlas“ ist es so, dass etwa zwei Drittel des Bildes, das man auf der Leinwand sehen wird, real ist, also etwas aufgenommen worden ist, das beim Dreh wirklich existierte. Bei etwa einem Drittel des Bildes wird in der digitalen Nachbearbeitung noch etwas hinzugefügt, etwa ein Raumschiff, der Himmel oder auch eine Stadt im Jahr 2500, die dann aus dem Computer stammt.
Natürlich wird auch der Bildanteil, der real Existierendes zeigt, zusätzlich noch bearbeitet, farblich oder auch inhaltlich, indem zum Beispiel Gesichter verändert werden. Digital ist alles möglich, man kann alles machen.
Die Bilder werden bei der digitalen Bearbeitung ganz neu komponiert. Aber um es verantwortlich machen zu können, muss man vorher wissen, wie umfangreich die Bearbeitung sein wird. Diese von uns angestrebte Sicherheit und Zuverlässigkeit haben unsere Tests nur für den analogen 35mm-Film als Basismaterial ausgewiesen.
Wichtig ist dann wohl ebenso, dass all das, was an Realem gefilmt wird, hundertprozentig stimmig ist, auch wenn es sich „nur“ um Kulissen und Ausstattung im Studio handelt?
Genau! Und das ist das Schöne, was wir im Studio Babelsberg gefunden haben: Profis, die an eine hundertjährige Erfahrung im Filmkulissenbau und Ausstattung anknüpfen können. Sie haben die Erfahrung, wie etwas wirkt, wenn es gefilmt wird. (lacht:) Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang gerade an eine meiner schrecklichsten Erfahrungen, die ich bei einem ganz anderen Filmprojekt bei der Kostümauswahl hatte. Es ging um ein Hochzeitskleid, das ein berühmter Modedesigner seinem transsexuellen Freund schneidern ließ.
Das sollte gefilmt werden. Ich war ganz verzweifelt, weil wir dafür wochenlang Tests machen mussten. Denn es hatte sich gezeigt, dass die schönsten Hochzeitskleider, die tollsten Stoffe, die irrsinnigsten und teuersten Roben auf 35mm-Film vollkommen anders aussehen als real. Ein 21.000 Euro-Kleid sah auf einmal aus, als stamme es von C[&]A von der Stange oder sei aus Plastik …
Das spricht dann ja eher gegen den 35mm-Film!
Nein! Es spricht nicht gegen den 35mm-Film, sondern es spricht dafür, dass man es testen muss. Es sähe bei einem digitalen Ausgangsmaterial ja noch viel schlimmer aus. Man muss immer vorher ganz genau wissen, wie etwas im Film wirkt. Ein Know-how, das die Profis von Studio Babelsberg bieten, so dass wir auch in Sachen Kulissen oder Kostüme sicher sein können, dass wir bei der digitalen Bearbeitung nicht plötzlich noch ein zusätzliches Kostenrisiko von zig Millionen Euro bekommen, weil die im Studio gedrehten realen Bildern nicht der Qualität entsprechen, die wir angestrebt haben.
Sowohl der 35mm-Film wie handwerklich präzise Kulissen und Ausstattung sind gerade bei einer so ambitionierten und teuren Studioproduktion wie Cloud Atlas enorm wichtig, um in der Kalkulation bleiben zu können. Wobei es dabei überhaupt nicht darum geht, sparen zu wollen. Es geht vielmehr darum, bereits bei der Planung ganz genau zu wissen, wann man welches Geld wofür ausgeben muss.
Sie verstehen sich doch aber nicht nur als Finanzverwalter, sondern auch als ein künstlerisch kreativer Produzent?
Bei einem Produzenten gehören immer beide Seiten zusammen: Die Übersetzung von kreativen Inhalten in Geld – und wieder zurück.
Sie hatten im Vorgespräch verraten, dass neben der 35mm-Filmkamera viel weiteres hochmodernes Kamera-Equipment bei „Cloud Atlas“ zum Einsatz kommt. Welches?
Da, wo es sinnvoll ist, und da wo wir sie brauchen, haben wir auch digitale Aufnahmetechniken im Einsatz. Die Entscheidung, welches Kamera-Equipment wo und wie eingesetzt wird, überlasse ich mehr oder weniger den Kameraleuten selber, ihrem Sachverstand und kreativem Know-how.
Das Schöne an diesem Film ist ja auch, dass wir fast 500 Spezialisten haben, jeder für seinen Bereich. Und deshalb möchte ich hier nicht das Wort für die Kameraleute führen, warum sie sich für welche Lösung entschieden haben. Das können die Kameraleute viel besser selber erklären. Und sie werden vor dem Start von „Cloud Atlas“ mit Sicherheit viele interessante Interviews geben.
So viel kann ich aber sagen: Auch die Kameraleute haben für „Cloud Atlas“ eine Reihe neuer Lösungen erfunden und entwickelt, um mit ganz neuen Bildern Kino zu erzählen.
Gerade vor dem Hintergrund des aktuellen Abgesangs auf den 35mm-Film und der analogen Technik insgesamt, war es für mich als Produzent wichtig und auch überraschend, dass wir nach unzähligen Tests zu dem Ergebnis gekommen waren, dass der analoge 35mm-Film zumindest für das Projekt
„Cloud Atlas“ immer noch die sinnvollste Technik ist, weil sie uns nicht nur die sicherste, sondern auch die modernste Bildbearbeitung erlaubt.
Sie haben angekündigt, dass die Postproduktion bei „Cloud Atlas“ sehr schnell realisiert werden kann. Warum genau?
Ich habe das gesagt, weil die Postproduktion sehr schnell realisiert werden muss. Bei so teueren Projekten wie „Cloud Atlas“ entsteht ein viel größerer Druck als bei kleineren Projekten, den Film auch schnell ins Kino zu bringen. Es geht um sehr viel Geld, das vorfinanziert worden ist, und das muss schnellst möglich eingespielt werden. Und damit die Postproduktion auch wirklich schnell gehen kann, war es von zentraler Bedeutung, dass unser Plan zur Produktion auch auf der Entscheidung basiert, die berechenbare analoge Aufnahmetechnik zu verwenden. Denn bei einem engen Zeitplan darf man sich keine bösen Überraschungen leisten.
Regisseur Tom Tykwer wird bei „Cloud Atlas“ die Vergangenheit und Gegenwart der Erzählung verantworten, die speziell wegen ihrer Animationen berühmten Wachowkis die Zukunft. Richtig?
Nein, Tom Tyckwer und die Wachowskis drehen den Film gemeinsam, und man wird auch nicht sehen, wer was gedreht hat. Der Film wurde von ihnen gemeinsam entwickelt und dann haben sie die Dreharbeiten unter sich aufgeteilt. Es ist so, dass wir eine große Geschichte in einem homogenen optischen Stil erzählen, von Anfang bis zum Ende.
Als Referenzfilm für „Cloud Atlas“ haben Sie Stanley Kubricks Erfolgsopus „2001 – Odyssee im Weltraum“ genannt.
Dank digitaler Technik werden wir ähnliches ganz neu erleben?
Wir wollen keinen Film machen wie „2001“. Er war damals inhaltlich und optisch eine Sensation. Nur insofern kann man „Cloud Atlas“ damit vergleichen. Und ehrlich gesagt habe ich den Vergleich mit „2001“ nur von einem unserer Hauptdarsteller als Zitat geklaut: von Tom Hanks.
Sie sind Vollblut-Produzent und haben eine genaue Vorstellung entwickelt, was einen persönlich ambitionierten „Produzentenfilm“ ausmacht – Einzelstücke, Unikate…
Genau. Das ist, was die Zukunft des Kinos ausmacht. In der digitalen Welt, in der wir jetzt alle leben: auf dem Handy, auf dem iPad, auf dem Rechner, im Fernsehen, in jeder Art von DVD und sonstiger anderer digitalen Formen, wie man sich Filme angucken kann. Und dann stellt sich die Frage, was in dieser digitalen Gemengelage noch die Existenzberechtigung des Kinos ausmacht. Kino ist für mich immer noch die Königsdisziplin.
Fakt ist aber, dass sich die Besucherzahlen in bestimmten Feldern des Kinos schwierig entwickeln.
Man muss sich fragen, warum gehen Menschen in bestimmte Filme weniger rein als früher? Was motiviert sie überhaupt ins Kino zu gehen? Nach welchen Kriterien entscheiden sie sich heute, Geld für einen Kinobesuch auszugeben? Ich bin bei solchen Überlegungen zum Schluss gekommen, dass das, was im Kino gezeigt wird, einzigartig sein muss: was man sieht, was man erfährt, was man erlebt. Und ich hoffe sehr, dass die Leute für „Cloud Atlas“ nicht nur einmal ein Ticket kaufen, sondern dass sie den Film für so reich und als ein so irres Erlebnis erfahren, dass sie ihn zweimal gucken – und dann auch noch mal auf DVD. Man wird sehen.
Für das Fernsehen würden Sie nie produzieren?
Das stimmt so nicht. Es gibt auch im Fernsehen interessante Formen wie beispielsweise die von HBO produzierten amerikanischen Serien „Sopranos“, „Mad Men“, „Six Feet Under“. Aber mein großes Herz hängt am Kino.
Viel PR-Geheimniskrämerei um „Cloud Atlas“. Aber Sie haben ja schon erste Bilder gesehen. Zufrieden?
Es ist irre, es ist richtig, richtig toll. Noch besser, als ich es mir vorgestellt habe.
Dann können Sie mittlerweile wieder besser schlafen, trotz des risikoreichen super teueren Mammut-Projektes?
Es ist aufregend, so ein großes Projekt machen zu dürfen, und es ist sowohl mit sehr viel positiver wie mit negativer Energie aufgeladen. Nicht gut durchschlafen zu können, heißt ja auch, darüber nachzudenken, was man da gerade Tolles macht und dann auch Lösungen für aktuelle Probleme zu finden. Es ist kein pures Glück, aber überwiegend Glück.
Erika Butzek
(MB 02/12)
Kino muss einzigartig sein
„Cloud Atlas“ („Der Wolkenatlas“) soll nach seinem Kinostart im kommenden Oktober der erste deutsche Blockbuster werden und ist mit Produktions-kosten von rund 100 Millionen Euro der bislang teuerste deutsche Film. Gleich drei Erfolgsregisseure sind beteiligt: Tom Tykwer („Lola rennt“, „Das Parfüm“, „Drei“) sowie Andy und Lana Wachowski („Matrix“-Trilogie). Umgesetzt wird das bislang geheimnisumwitterte Projekt von Produzent Grant Hill („Titanic“) und dem Chef der Berliner Produktionsfirma X-Filme Stefan Arndt („Das weiße Band“). In einem exklusiven Interview mit MEDIEN BULLETIN erläutert Arndt erstmals Details zur Produktionsweise und erklärt, warum der analoge Film auch in der digitalen Welt seinen Wert behalten wird.