Radio Bremen hat nach eingehenden Tests unterschiedlicher Rucksackübertragungssysteme ein TVU Pack-System erworben. Was und wie wurde da getestet?
Wir haben in den vergangenen Monaten Systeme von Triple IT (WMT), CodeOne, LiveU und TVU Networks – teilweise mehrfach in verschiedenen Versionen – getestet. Bei vielen Tests war außerdem das Institut für Rundfunktechnik (IRT) anwesend. Im Prinzip funktionieren alle Systeme gleich: Ein Video-Signal wird von einem Computer im Rucksack auf verschiedene Mobilfunk- und/oder (W)LAN-Strecken verteilt und via Internet ins Funkhaus geschickt. Dort setzt ein Server das Daten-Puzzle wieder zusammen und gibt es über einen SDI-Ausgang auf die zentrale Kreuzschiene.
Die Systeme zeigten aber trotz dieser prinzipiellen Ähnlichkeit deutliche Unterschiede in Performance, Bedienphilosophie, Erweiterbarkeit und Preis.
Um zu einer transparenten, nachvollziehbaren Entscheidung zu kommen, haben wir eine Matrix aufgestellt, in der wir die einzelnen Punkte bewertet haben, einige kritische Punkte, wie Bild-Ton-Asynchronitäten, führten dabei zum direkten k.o.
Was war dann für die TVU Pack-Wahl ausschlaggebend?
Das TVU Pack hat sich in unserem Test durchgesetzt, weil es in den für uns besonders wichtigen Punkten – unter anderem Bildqualität, Streckenstabilität, extrem einfache Bedienung am Drehort, Benutzung von Standard-Kamera-Akkus – die beste Figur gemacht hat. Als verbesserungsfähig sehen wir noch die Rucksackhülle an: in diesem Punkt kommen einige der Konkurrenten, insbesondere LiveU, deutlich besser weg.
Triple IT (WMT) besaß als einziges Gerät in unserem Test ab Werk einen abgesetzten, ausziehbaren Antennen-Dome. Ob diese abgesetzten Antennen in einigen Situationen einen Vorteil bringen, blieb in unseren Tests ungeklärt.
Ein weiterer wichtiger Punkt war für uns die einfache LTE-Auf- und Abrüstbarkeit ohne Eingriff des Herstellers. Hier überzeugte TVU Pack mit einer simplen aber funktionalen
USB-Stick-Lösung.Unsere Technik-Kollegen konnten sich außerdem schnell mit der Bedienoberfläche des TVU-Backends anfreunden.
Bei der Rucksack-Bedienung gab es deutliche Unterschiede zwischen den Herstellern. Die Ein-Klick-Lösung haben wir nur bei TVU gefunden.Schwierig wird es bei einigen Rucksack-Herstellern auch, wenn man ein gesichertes WLAN einbinden möchte: Wir haben fummelige Bildschirmtastaturen ohne Umlaute im Test gesehen und Rucksäcke, bei denen man USB-Tastaturen mitschleppen musste. Bei TVU Pack teilt man dem Rucksack das WLAN-Passwort einfach per Smartphone mit – oder über den
mitgelieferten iPod.
Was hat Radio Bremen vor? Welche Einsatzbereiche sieht man für den angeschafften Rucksack-Sender TVU Pack?
Wir stehen bei Radio Bremen vor einer besonderen Herausforderung: Im Gegensatz zu vielen anderen Sendern verfügen wir derzeit über keine hauseigene SNG, sondern wir mieten SNGs im Bedarfsfall an. Dies hatte für uns mehrere entscheidende Nachteile: Die SNG muss aus einer anderen Stadt anfahren, das kostet Zeit und Geld. Insbesondere Letzteres ist bei Radio Bremen knapp bemessen. Außerdem haben wir es bei jedem Einsatz mit einem anderen Dienstleister zu tun. In der Summe ist die Hemmschwelle zum Einsatz einer SNG daher bei uns recht hoch.
Andererseits haben wir mit unserem Regionalmagazin „buten un binnen“ den Anspruch, täglich um 19.30 Uhr ein hochaktuelles, politisches, unterhaltendes halbstündiges Magazin im linearen Fernsehen zu senden. Aber schon vorher sind Clips von den Tages-Drehs auf unserer Webseite zu sehen, die Nachrichten um 18 Uhr fordern Bilder, das Social-Web muss bedient werden und der Hörfunk hat feste Teaser-Rubriken für uns eingerichtet, die wir bedienen wollen und müssen.
Was bedeutet das konkret?
Für uns stellte sich also die Frage: Wie bekommen wir auch späte Drehs, entscheidende O-Töne von späten Sitzungen noch rechtzeitig ins Funkhaus, ohne dafür große Summen ausgeben zu müssen?
Damit ist auch schon der künftige Einsatz-Bereich der Schaltenrucksäcke umrissen: Zu allererst ist das der mobile Filetransfer inklusive „live on tape“. Mögliche Funknetz-
Störungen spielen im Filetransfer-Modus („Store [&] Forward“) auch dann kaum eine Rolle, falls die Probleme viele Sekunden andauern sollten.
Können Sie Beispiele für Anwendungen nennen?
Wir hatten beispielsweise die Anforderung, eine große Schiffsübergabe und Jungfernfahrt in Bremerhaven abzubilden. Die Bilder haben wir mit einem Standard-EB-
Team aufgenommen. Während das EB-Team seinen Standort wechseln musste, haben wir das gerade aufgenommene Material aus dem quer durch die Stadt fahrenden(!) EB-Teamwagen problemlos ins Funkhaus überspielt – ein enormer Zeitvorteil. Selbst bei Einsatz einer SNG wäre das mit nur einem Team nicht machbar gewesen.
Die zweite Anwendung ist die Live-Übertragung. Hier sind wir allerdings noch sehr vorsichtig. Bei unseren Versuchen haben wir zwar mit dem Testsieger auch in schwierigen Situationen gute Ergebnisse erzielt, aber wir sind noch dabei, einen Kriterien-Katalog aufzustellen, wann wir das Risiko als „akzeptabel“ für live-Schalten einschätzen – und wann nicht.
Völlig neu ist für uns außerdem LTE. Das Netz befindet sich in Bremen und Bremerhaven gerade im Aufbau. Die ersten Daten stimmen uns zwar sehr optimistisch, aber es fehlt uns einfach noch an praktischer Erfahrung mit der Netz-Stabilität und –
Verfügbarkeit.
Welche technischen Features sollte ein Rucksacksystem bieten?
Das ideale System sieht so aus: Bild- und Ton-Qualität wie von der P2-Karte, keine Verzögerung auf der Strecke, Quality of Service, auch in Bewegung einsetzbar (zum Beispiel auf Schiffen, im Teamwagen), nach Kurz-Einweisung zu bedienen, Benutzung von Standard-Broadcast-Equipment (Akkus), leicht, günstig in Anschaffung und Betrieb, erweiterbar im Hinblick auf LTE. Wenig überraschend: das ideale System gibt es nicht.
Wir haben aber eine Wunschliste entwickelt, um unserem Ideal so nah wie möglich zu kommen: Redaktion und Technik haben zunächst alle möglichen Punkte aufgelistet – vom rein mechanischen Rucksack-Handling bis zu Server-Anschlüssen. Diese haben wir dann mit einem „Wichtigkeitsfaktor“ versehen. Dadurch wurde schnell klar, worauf es uns ankommt: Bei uns war es neben der Bildqualität unter anderem die Anforderung „das System muss ‚künstlersicher‘ sein“.
Und das heißt?
Da wir bei Rucksack-Drehs unsere normalen EB-Teams ohne zusätzliches technisches Personal einsetzen, muss der Rucksack am Drehort extrem einfach zu bedienen sein. Alle technischen Einstellungen sollen aus der Ferne von den Kollegen im Schaltraum/Ingest vorgenommen werden können. Dieses System glauben wir in TVU gefunden zu haben. EB-Team und Reporter müssen lediglich die Kamera und Rucksack per Kabel verbinden und den einzigen am Gerät befindlichen Schalter drücken. Vor Ort muss sich niemand durch Menüs am Touch-screen tippen – das macht bei Bedarf der Schaltraum, denn der Rucksack überträgt alle seine Betriebsparameter an den Server im Funkhaus. Und wir verhindern so, dass Journalisten oder Kameraleute zu Aushilfs-Schalten-Technikern werden müssen, die dann womöglich im Stress Fehler machen, die auf den Sender gehen.
Eckhard Eckstein
(MB 06/12)
Künstlersicher
Radio Bremen hat für die aktuelle TV-Berichterstattung das Rucksack-Übertragungssystem TVU Pack von TVU Networks angeschafft. MEDIEN BULLETIN sprach über die Hintergründe mit Roland Warmbein. Der Dipl.-Journalist und Dipl.-Ingenieur ist Redakteur und Moderator Fernsehen Aktuell „buten un binnen“ bei Radio Bremen. Außerdem ist er zuständig für digitale Dienste an der Schnittstelle von Redaktion und Technik und Mitglied des News-Technology-Komitees der European Broadcasting Union (EBU).