Insight Out 2010 machte klar: In Sachen 3D-Produktion fokussiert sich das Interesse auf die damit verbundenen neuen Workflows, bei denen man noch immer alles falsch machen kann – und es auch tut. „Je mehr Erfahrungen man sammelt, umso intuitiver filmt man“, weiß Phil Streather, der 1998 Principal Large Format gründete, eine Firma, die unter anderem 3D-Filme für IMAX-Kinos herstellt. Ein gewisser Trost für alle, die sich jetzt an 3D versuchen und verzweifeln, sind nicht nur Streathers Erfahrungen, sondern auch die der Constantin Film beim Dreh von „Resident Evil: Afterlife“. Der Dreh des vierten Teils der Reihe, der dieses Mal in 3D die Zuschauer gruseln soll, wurde nach drei Tagen abgebrochen, weil vor Drehbeginn keine 3D-Tests gemacht wurden. Diese wurden dann nachgeholt. Der Dreh wurde sechs Monate später fortgesetzt.
Martin Hagemann, Produzent und Geschäftsführer von zero fiction film, berichtete bei Insight Out von seinen Erfahrungen mit 3D. „Obwohl wir uns auf alle technischen Eventualitäten vorbereitet hatte, wurde ein erhebliches Detail übersehen: die zutiefst andere Erzählweise einer Geschichte in 2D und in 3D“, sagt er.
Dies zeigt aber vor allem Eines: nur im Machen liegt der Schlüssel zum Erfolg in dieser Technik, die noch immer als brandneu einzustufen ist, obwohl sie mittlerweile ihren dritten Frühling feiert. Dieses Mal aber – und die enormen Umsätze und das noch nicht einmal annähernd ausprobierte kreative Potential von 3D deuten unmissverständlich darauf hin – wird 3D ein fester Bestandteil des Erlebens im Kino und auch zuhause am Fernseher werden.
Die Nachfrage an 3D-Filmen ist mittlerweile so hoch, dass sogar rasch noch 2D-Produktionen wie etwa der erste Teil von „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“, um nur den prominentesten Film zu nennen, in 3D umgerechnet werden. Viele Produzenten, die sich jetzt noch entscheiden können, denken ernsthaft über eine 3D-Version ihres Films nach, insbesondere wenn es sich um Kinderfilme wie den dritten Teil von „Hexe Lili“ handelt oder den zweiten Teil von „Wicki und die starken Männer“, bei dem die Entscheidung für 3D schon gefallen ist. Dass diese Überlegungen Hand und Fuß haben und einer realistischen Markteinschätzung zugrunde liegen, erläuterte Hagemann in seinem Vortrag über „Creeping Zero“, einem Science-Fiction-Film, den er gemeinsam mit Julie Baines und ihrer Firma Dan Films produzieren möchte.
Wirtschaftliche Überlegungen
Hagemann ist bestimmt über jeden Verdacht erhaben gleich dem nächsten kommerziellen Trend hinterher zu laufen – immerhin arbeitet er mit Aleksandr Sokurov oder Hal Hartley – aber gelegentlich geht es schlicht darum, Geld zu verdienen, um weiterhin das machen zu können, was einem am Herzen liegt. „Es geht darum, die Balance zu finden zwischen dem Überleben in einem wettbewerbsorientierten Markt und dem Produzieren von Arthaus-Filmen für ein erwachsenes Publikum“, stellt Hagemann klar. Daher produziere er gemeinsam mit Baines und ihrer Dan Films regelmäßig englischsprachige Genrefilme. Nach dem Horrorfilm „Creep“ (2004) soll es jetzt der Science-Fiction-Film „Creeping Zero“ sein, der auf einer Kurzgeschichte des britischen Autors Jeff Noon basiert und die Billy O’Brien als Autor und Regisseur umsetzen soll – sein zweiter Langfilm nach „Isolation“ von 2005. Die Umsetzung des gewählten Stoffs wurde mit über zehn Millionen Euro budgetiert. Ein Betrag, der kaum finanzierbar gewesen wäre – für einen traditionellen 2D-Film, eine zweite Regiearbeit und eine nicht leicht zugängliche Geschichte mit hohem inhaltlichem und visuellem Anspruch. „Als ‚Oben‘ in die Kinos kam und über ‚Avatar‘ geredet wurde, hatten wir das Gefühl, dass mit 3D ein neues Produkt und ein neuer Markt entsteht“, erzählt Hagemann über den Gedanken, der dem Projekt eine komplett andere Richtung geben sollte. „Die Frage war nun: was heißt es in 3D zu drehen und würden wir es können?“ Also begann man mit ersten Recherchen, die zeigten, dass es ein Interesse an 3D-Filmen gibt und dass in den USA sogar schon die ersten Entwicklungs-Fonds für 3D aufgelegt wurden. Dadurch angespornt, begann man mit weiteren Recherchen und Tests. Ziel war es nicht nur das Terrain kennen zu lernen, auf das man sich begeben wollte, sondern auch einen vierminütigen Teaser für potentielle Financiers zu drehen, um ihnen Konkretes zeigen zu können.
Der Production-Supervisor recherchierte sechs Monate lang auf der ganzen Welt und stieß dabei auf jedes Hindernis, das eine 3D-Produktion bereit hält. „Ich kann jedem, der 3D drehen will, nur empfehlen, genügend Zeit und Geld für gründliche und ausgedehnte Tests einzuplanen, denn es gibt keinen 3D-Workflow und es kommt darauf an, dass die Technik so aufeinander abgestimmt ist, dass es beim Dreh keine Probleme mehr gibt“, lautet ein dringender Rat von Hagemann. Ein Rat, den er selber beherzigen wird. Wenn der avisierte Dreh von „Creeping Zero“ im Herbst statt findet, wird die Technik auf einem neuen Stand sein, aber es wird dann noch immer keinen standardisierten Workflow geben. Das heißt, dass alles neu getestet, auf einander angepasst und neu zusammengestellt werden muss. Den einzigen Vorteil, den das Team um Baines und Hagemann dann hat, ist die Erfahrung, was alles schief gehen kann und auf was man deshalb besonders zu achten hat.
Keiner glaubte an 3D
Bei der Teamsuche machte Hagemann eine erstaunliche Beobachtung: „Wir fragten die Top-Production-Designer und -Kameraleute in Deutschland, aber alle Big Player lehnten ab. Keiner glaubte an 3D“, wundert sich Hagemann noch heute. In Großbritannien hingegen wären zahlreiche Top-Leute sogar bereit gewesen, umsonst mitzuarbeiten – allein um die Erfahrung machen zu dürfen, die einer bezahlten Fortbildung gleich kommt.
Bei dem Dreh kam es darauf an, die Atmosphäre des geplanten Films möglichst nah wiederzugeben und so entschloss man sich, eine kleine Geschichte zu erzählen. Damit man sich beim Dreh auf die Bildgestaltung konzentrieren konnte, gab es keine Dialoge sondern nur einen Off-Erzähler.
Gedreht wurde an vier Tagen mit zwei Sets und mit zwei in ein 3D-Rig integrierte Arri D21-Kameras. Jedes Set wurde von einem „Stereoskoper“ betreut. „Ein entscheidender Job, wie ich feststellen musste“, sagte Hagemann zur Bedeutung dieses neuen Berufsfeldes. Als Objektive wurde Cooke Primes genommen. Wenn der Langfilm finanziert wird, wird er höchstwahrscheinlich mit der neuen digitalen Arri-Kamera Alexa gedreht. Mit ihr können die Daten direkt auf Festplatte aufgezeichnet werden. Bei dem Testdreh wurden die Daten auf Band gespeichert, was Probleme in der Postproduktion aufwarf, unter anderem mit Bändern, die die Bilder nicht parallel aufzeichneten und Timecodes, die verschwanden. Auch ist die Avid-Technik laut Hagemann noch nicht wirklich auf 3D ausgelegt, so dass der Schnitt Zeit aufreibend sei und die Bilder für das rechte und das linke Auge immer wieder synchronisiert werden müssten. Zu allem Übel seien auch noch sämtliche Meta-Daten verloren gegangen, als die 3D-Visual Effects in den Avid geladen wurden. Dies habe dazu geführt, dass alles neu eingerichtet werden musste. Hauptproblem beim 3D-Dreh sei der Zeitaufwand beim Einrichten der Kamera und des Lichts gewesen. Darüber hinaus seien zu viele Einstellungen geplant gewesen.
Berechnung der Tiefenbudgets
„So verlor man den ersten Drehtag, da das Drehbuch nicht auf den 3D-Erzählrythmus ausgelegt war, aber auch weil keiner am Set 3D-Erfahrung mitbringen konnte. Man hatte schlicht unterschätzt, dass sich die 3D-Bildgestaltung erheblich von einer 2D-Bildgestaltung unterscheidet, so dass das Buch kurzfristig angepasst werden musste“, berichtet Hagemann.
Die technischen Aspekte einer 3D-Produktion erzwingen eine andere erzählerische Herangehensweise an den Stoff. So muss das sogenannte Tiefenbudget berücksichtigt werden, jene Größe, die die Größe des 3D-Effekts beschreibt. Ist es zu klein, ist 3D nicht zu erkennen, ist es zu groß, kann es zu ungewollten Verzerrungen des Bilds führen. Bestimmte Einstellungen, Quadrierungen oder Schwenks zerstören ebenfalls den Bildeffekt. Die beim Dreh des „Creeping Zero“-Teaser gemachten Erfahrungen führten zu erheblichen Änderungen für den Langfilm. Das Buch wurde neu geschrieben, wobei viele Actionszenen weg fielen und die Geschichte, so Hagemann, „anstatt in kleinteiligen Schnitten in großen Räumen erzählt wird, die durch Handlung ausgefüllt werden“. Bei der Planung der Szenen wurden alle Departments beteiligt, um alle Möglichkeiten und Fußangeln, die 3D bietet, erkennen und behandeln zu können. „3D braucht einen anderen Rhythmus, eine andere Erzählweise, einen langsameren Schnitt und mehr Raum“, erklärt Hagemann einige Punkte der 3D-Inszenierung. „So fokussierten wir uns letztendlich mehr auf die klassische Mise en scène. Unsere Theorie ist, dass die Bedeutung des klassischen Geschichtenerzählen innerhalb einer Szene in 3D wieder zu nimmt.“
Zurückblickend bleibe eine lange Liste von Erfahrungen und Wünschen an die 3D-Produktion, etwa die Möglichkeit, Metadaten aufzeichnen zu können, damit im Postproduktionsprozess jederzeit auf sie zurück gegriffen werden könne. Als einen großen Fehler empfand Hagemann im Nachhinein, dass aus finanziellen Gründen nicht jedes Bild in 3D auf großer Leinwand kontrolliert wurde.
Chance für unabhängige Produzenten
Der „Creeping Zero“-Kurzfilm wurde beim European Film Market (EFM) der Berlinale im Februar vorgestellt und fand großes Echo. Hagemann ist deshalb zuversichtlich, den Film rasch finanzieren zu können. Bei der EFM-Präsentation wurde zudem ein größeres Marktinteresse an einer 3D- als in einer 2D-Version von „Creeping Zero“ deutlich. Aus Sicht des Produzenten ist das interessant. Er schätzt den Mehraufwand für eine 3D-Produktion lediglich auf 15 Prozent eines 2D-Budgets.
Für Hagemann ist 3D einen neue, große Chance für das Kino – auch für das Arthaus-Kino. Dadurch, dass 3D eine Rückkehr zur klassischen Erzählweise des Dramas erzwingt, bietet sich 3D gerade auch für Arthaus-Filme an. Konsequenterweise sind in den USA und Großbritannien die ersten Projekte bereits in Entwicklung, berichtet Hagemann und verweist darauf, dass die fraglichen Filme, die zurzeit diskutiert werden, alle unter zwei Millionen Euro kosten sollen. „3D und D-Cinema werden das Kino gravierender ändern, als jede andere Technik zuvor“, ist sich Hagemann sicher. „Diese Technologien werden den unabhängigen Filmproduzenten neue Möglichkeiten geben, weil sie ihnen die Kontrolle über die Inhalte zurück gibt“. Und genauso sicher ist er sich, dass dies die Grundlage neuer Geschäftsmodelle zwischen Kinos und Produzenten unter Umgehung der Verleihe sein wird, was gerade den unabhängigen (Arthaus)-Produzenten helfen wird. Thomas Steiger (MB 05/10)













