40 Jahre Privat-TV – Wirtschaft (Teil 2)

Gute Zeiten, schlechte Zeiten - so resümiert unsere Autorin Erika Butzek die wirtschaftliche Situation nach 40 Jahren Privatfernsehen.

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Helmut Thoma
Helmut Thoma ©Helmut Thoma

Als das Bundeskartellamt 2003 überprüfte, wie hoch der Anteil von ProSiebenSat.1 und RTL Deutschland im deutschen TV-Werbemarkt ist, stellte es fest, dass beide zusammen einen dominanten Anteil von 80 Prozent des Werbekuchens kassieren. Mittlerweile ist der Markt des Privatfernsehens wirtschaftlich intransparent geworden. Die Sendergruppen haben zwischenzeitlich etliche neue Business-Modelle und Tochterunternehmen für zusätzliche Einnahmen neben der reinen Werbefinanzierung kreiert. Angefangen von ungezählten Online-Aktivitäten bis hin zur Aufstellung von neuen Geschäftsfeldern, die bei ProsiebenSat.1 „Commerce & Ventures“ und „Dating & Video“ heißen. Obwohl die Medienanstalten Wächter des Privatfernsehens sind, wird von ihnen die wirtschaftliche Lage des Privat-TV seit rund 15 Jahren nicht mehr erhoben, sagt Karsten Meyer, Bereichsleiter Gremien und Öffentlichkeitsarbeit von „die medienanstalten“. Einerseits fehlten transparente Kriterien dafür. Andererseits wollen sich die privaten Sender nicht mehr in die Karten schauen lassen.

Unstrittig ist erstens: Nach wie vor dominieren ProSieben.Sat.1 und RTL Deutschland den kommerziellen TV-Markt. Doch ihre Werbeeinnahmen sind in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken, auch wenn es manchmal, wie in diesem Jahr, wieder etwas aufwärts geht. Hauptgrund für den Schwund ist, dass die Werbewirtschaft viel mehr Geld von ihrem Kuchen in die Kassen der internationalen Internet-Giganten spült, die gezielte, KI-automatisierte Werbung ohne Streuverlust versprechen. Das hat zu einer Digitalen Disruption im TV-Markt geführt. Dabei hat sich die Videonutzung der Konsumenten bekanntlich im Internetzeitalter stark verändert und es sind etliche neue internationale Streaming-Plattformen auf dem Markt, von YouTube bis Netflix. Zweitens ist klar, dass die wirtschaftliche Entwicklung von werbefinanziertem TV im Gegensatz zu den gesicherten Beitragseinnahmen von ARD/ZDF in Höhe von rund 8,5 Milliarden jährlich, mit der Konjunktur und allgemeinen Wirtschaftslage variiert und in den vergangenen Jahren mehrfach von Krisen betroffen war. Aber es gab auch gute Zeiten.

Privat-TV als Wirtschaftslokomotive

Die Anfangsjahre des Privat-TV wurden von ihren Pionieren Dr. Helmut Thoma (RTL) und dem medienscheuen Dr. Leo Kirch (Kirch-Gruppe, ProSiebenSat.1) geprägt, der den Medienpolitiker Jürgen Doetz zu seinem Frontman machte. Thoma, Wiener und Jurist, hatte Fernsehen als Leiter der Rechtsabteilung beim ORF kennengelernt. Dann war er nach Luxemburg übergesiedelt, wo er 1982 Programmdirektor von Radio Luxemburg wurde, ein Radiosender, der auch unter deutschen Jugendlichen zum Lieblingssender avancierte.  Mit Start von RTLplus, als Tochter von Radio Luxemburg, hatte Thoma am 2. Januar 1984 die Direktion des privaten Fernsehsenders übernommen, an dem Bertelsmann damals nur 40 Prozent Anteil hatte. Er baute RTLplus Bottum-up auf, mit preiswerten Mitteln, und einem Näschen und Herz für Entertainment: TV, das anders sein sollte, ja sogar „erschreckend anders“, zum Beispiel mit der Show „Tutti Frutti“. Mit der täglichen Soap „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“, GZSZ,  etablierte Thoma 1992 ein Format, das noch vor der „Prime Time“ am Vorabend junge Menschen zu RTL lockte – und damit auch die Werbewirtschaft. Aber schon davor, 1990, sechs Jahre nach Start, war RTL der „erste und einzige deutschen Privatsender mit Gewinn“, wie Thoma betont, bei Brutto-Werbeeinnahmen von fast 1 Mrd. DM mit einem Gewinn von 40 Mio. DM. Es war der Nukleus für die RTL Group, die heute die größte private Sendergruppe in Europa ist. Privat-Fernsehen fing an zu boomen. Die Werbewirtschaft war zunehmend begeistert, nicht mehr von der „Blockwerbung“ bei ARD/ZDF abhängig zu sein und dort um Werbezeit betteln zu müssen.

Der Münchner Medienunternehmer Leo Kirch (Mitte) war einer der PKS- und Sat1-Gründungsgesellschafter. 1985 beteiligte er sich zunächst mit 10 Prozent am Axel Springer Verlag. Links im Bild Ex-Springer-Vorstand Jürgen Richter, rechts Verlegerin Friede Springer.
Der Münchner Medienunternehmer Leo Kirch (Mitte) war einer der PKS- und Sat1-Gründungsgesellschafter. 1985 beteiligte er sich zunächst mit 10 Prozent am Axel Springer Verlag. Links im Bild Ex-Springer-Vorstand Jürgen Richter, rechts Verlegerin Friede Springer. ©Hartwig Valdmanis / United Archives GmbH

Anders als Thoma baute Kirch Privat-TV eher im Top Down in Deutschland auf und hatte dabei mit allerlei Zwistigkeiten zu kämpfen, weil ihm die Politik für den Aufbau des ersten deutschen Privatsenders Sat.1 aufzwang, Zeitungsverleger mit ins Boot zu nehmen, die andere Geschäftsvorstellungen als er selber hatten. Schon bevor Kirch dann Sat.1 mit dem Ludwigshafener „Urknall“ vom Stapel ließ, hatte er mit der Kirch-Gruppe sein eigenes Imperium als internationaler Händler für Spielfilmlizenzen und TV-Programm-Rechte aufgebaut: Eine riesige Filmbibliothek, die er zusätzlich auch über seinen eigenen Sender Sat.1 und später Pro 7 und Premiere vermarkten wollte. Kirch hatte,  angefangen mit dem Erwerb der Rechte für Federico Fellinis wunderschönen Film „La Strada“,  beste Kontakte nach Hollywood geknüpft und insbesondere das ZDF von seinen TV-Serien und Spielfilmen abhängig gemacht. Aber auch bei der ARD wurden beispielsweise seine US-TV-Serien wie „Lassie“ und „Fury“ zum Hit. Vor der Etablierung von Privat-TV gab es auch in der damaligen BRD noch keine selbständige Film- und TV-Produzentenbranche, eher nur vereinzelte von ARD/ZDF abhängige Produzentenpersönlichkeiten. 

Boom und Insolvenz

Dank der Wiedervereinigung erwuchs Deutschland zum größten TV-Markt Europas und die Werbewirtschaft hatte allerlei zu tun, um die Konjunktur und das Konsumklima in der EX-DDR anzuheizen, wovon insbesondere Sat.1und RTL profitierten. Sie setzten im Wettbewerb zunehmend auf eigenproduzierte Programme mit Bezug zur deutschen Lebenswirklichkeit, vor allem Fiction. In Deutschland blühte nicht nur die Werbewirtschaft mit vielen neuen Arbeitsplätzen auf, sondern es entstand Ende der 80er und in den 90er Jahren endlich eine kreative Film- und TV-Produktionsbranche, die vorwiegend Privat-TV bediente, während die Programme von ARD/ZDF wegen ihrer Biederkeit und ihres erzieherischen Auftritts das Nachsehen hatten. 2002 geriet die ProSiebenSat.1-Gruppe dennoch in die Insolvenz und wurde von einer Investorengruppe rund um den US-Medienmanager Haim Saban gekauft. Sukzessive stellte er die teuren eigenproduzierten Programme wieder ein, um schneller für einen weiteren Verkauf der Gruppe Gewinn zu machen. Die schönen Zeiten für deutsche TV-Produzenten gingen wieder vorbei. Laut Produzentenallianz sind es mit Stand  2023 wie anno dazumal wieder ARD/ ZDF, die sie mit 64 Prozent als zentrale Auftraggeber bedienen. Gefolgt von der RTL-Gruppe, den internationalen Streamern (beide 8%) und ProSiebenSat.1 (6%). 

Trotz Werberückgang sind die Aussichten für das Privat-TV rosig. Zumindest für RTL. Bertelsmann Chef Thomas Raabe prognostizierte kürzlich, die RTL Group werde 2026 beim operativen Gewinn erstmals an der Milliardenmarke kratzen!


Der erste Teil der Serie “40 Jahre Privatfernsehen” zur Medienpolitik findet sich hier. Auf den dritten und abschließenden Teil, der die technischen Aspekte beleuchtet, müssen Sie sich noch eine Woche gedulden!

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