Internetaspekte wie „Urheberrecht“, das „Anti-Piraterie-Abkommen Akta“ oder „Kostenloskultur“ sind mittlerweile als wichtige politische Themen mitten in der gesellschaftlichen Diskussion angekommen, nicht zuletzt dank der aufgeblühten Piratenpartei. Deshalb wurde dem ersten Teil der Web Week Berlin (2. – 9. Mai 2012), der diesjährigen Internetkonferenz re:publica, besonders viel Aufmerksamkeit in der Medienberichterstattung gezollt. Allerdings stellte sich heraus, dass auch die „Netzrevolutionäre“, die sich schon zum sechsten Mal in Berlin trafen, heute keine eindeutigen Positionen mehr zu den vielen komplexen Fragen haben. Nach den Philosophen waren dann im zweiten Teil ab dem 8. Mai die Werbe- und Wirtschaftsfachleute aus der Internetbranche in der „Station“ am Kreuzberger Gleisdreieck dran: die „Anzugsvertreter“, wie eingefleischte re:publica-Fans höhnen.
Tatsächlich hat die NEXTBerlin einen hohen Anspruch. Sie versteht sich als „Europas führende Digitalkonferenz“, weshalb die Kongresssprache auch Englisch ist. Veranstaltet wird sie seit Jahren von der Hamburger Werbe- und Marketing-Digitalagentur SinnerSchrader, die nach eigenem Bekunden mittlerweile zu den führenden Agenturen in Europa gehört, im Ursprung aber aus der so genannten Startup-Szene stammt. Und das Publikum, das NextBerlin anzieht, ist auch heute noch die Startup-Szene: aus Berlin und wohl auch aus Europa.
Neu bei der NEXTBerlin in diesem Jahr war, dass man mit der Deutschen Telekom, einem der vielen Sponsoren, Gelegenheit gab, zumindest den ersten Kongresstag in der öffentlichen Wahrnehmung mehr oder weniger thematisch zu dominieren.
Da erklärte Telekom-Chef René Obermann in seiner Keynote zum Start der NEXTBerlin erst einmal die digitale Revolution für beendet, was auch dem diesjährigen Motto der Veranstaltung „NEXT12 Post Digital“ entsprach. Die digitale Vernetzung in der Kommunikation sei heute Normalzustand geworden wie der Strom aus der Steckdose.
Damit habe der IT-Visionär Nicholas Negroponte („Being digital“) mit seinen schon vor Jahren veröffentlichten Prognosen Recht behalten, referierte Obermann. Man nehme heute die digitale Kommunikation als solche nur noch dann wahr, wenn etwas nicht funktioniere. Als neuer Trend nach „Internet“ und „Cloud“ wurde auch vom CEO SinnerSchrader, Mathias Schrader, das mobile Internet ausgerufen, wobei man sich – neu! – strikt auf die Bedürfnisse der Konsumenten ausrichten müsse. Smartphones und Tablets lassen grüßen.
„Connectivity“, vernetzte Kommunikation, sei das wesentliche Merkmal der jetzigen Post-Digital-Ära, betonte Obermann. Das würden beispielsweise Apps wie „MyTaxi“ oder „Redlaser“ (mobile shopping) nachdrücklich beweisen. Obermann unterstrich bei der NEXTBerlin abermals, dass die Telekom „internationaler Marktführer für vernetztes Leben und Arbeiten“ werden wolle. Seine “Vision”, so Obermann, „the virtual Hyper-Connectivityservice Mall”.
Leider gibt es laut Obermann aber auch schlechte Nachrichten in der post-digitalen Ära. So nehme der Verkehr („traffic“) in den Netzen in rasanter Geschwindigkeit zu, wohingegen die Preise runter gingen. Hinsichtlich des letzteren Punkts prangerte er die „Regulierer“ an, die das Geld wegnehmen würden. Es kämen aber immer schneller immer mehr neue Inhalte ins Netz, weshalb die Frage beantwortet werden müsse, wer die Distribution bezahle. Die könne nicht umsonst sein.
Die gute Nachricht der post-digitalen Ära aber sei, dass es nun die leistungsfähige Netzinfrastruktur gebe, um Innovationen für neue Kommunikationsdienstleistungen und Produkte, nämlich „Connectivity Innovation“, zu ermöglichen. Weil aber große internationale Konzerne wie die Deutsche Telekom, so räumt Obermann selber ein, nicht so kreativ, so rührig und innovativ wie kleine, schlanke Gründerfirmen seien, habe man nun in Berlin mit hub:raum eine Partnering-Offensive für Startups gegründet. Will heißen: Die Deutsche Telekom hat in Berlin einen Inkubator, eine Art Brutkasten, für die boomende Startup-Szene eingerichtet.
Pro Jahr sollen etwa 10 bis 15 Startups ausgewählt werden, die von der Telekom mit einer so genannten „Seed-Finanzierung“ von bis zu 300.000 Euro gefördert werden und auch einen freien Zugang zum Netz der Telekom erhalten sollen. Oftmals, so sagte Obermann in seiner Keynote, sei zwar die erste Idee einer Internet-Gründerfirma relativ schnell entwickelt und programmiert, dann aber fehle es am notwendigen Kapital, um sie erfolgreich im Netz zu vermarkten. Da wolle man helfen. Die Deutsche Telekom will kreative Ideen junger Internet-Unternehmen schon in der Frühphase unterstützen und mit einem erfahrenen Team intensiv betreuen. Obermann weiß, dass gerade die Berliner Startups eine sehr kritische Haltung gegenüber seinem Konzern einnehmen. Er verspricht ihnen „volle unternehmerische Freiheit“.
Er hat auch ein Vorbild für eine Startup-Idee parat, die mittlerweile unter dem Dach der Deutschen Telekom international prima funktioniert. Die Software-Entwicklung „Lookout“ für den Schutz des Mobilgeräts vor Malware, Phishing, Verlust und Diebstahl. Eine von einem Startup entwickelte Idee, die weltweit bereits 20 Millionen Konsumenten benutzen. Überhaupt hat Obermann nicht nur Berliner Startups, sondern auch die in Silicon Valley und insbesondere die in Israel, wo es auch eine starke innovative Startup-Szene gibt, im Visier, wie aus offiziellen Telekom-Quellen im Internet zu erfahren ist. Obermann sagte übrigens auch, dass man mit Microsoft und Samsung feste Partnerschaften wie mit den Startups verfolgen wolle.
Was hat das nun alles mit der Broadcast-Branche, zumal mit der TV-Distribution und dem digitalen Fernsehen, zu tun? Erstens: Bekanntlich wird auch Fernsehen über das Internet transportiert, nämlich das neue mobile und zeitunabhängige Fernsehen, das man auf Abruf erhält. Wofür allerdings auch eine große Bandbreite notwendig ist, zumal in HD-Qualität. Video-Inhalte im Netz sind schon ziemlich erfolgreich. Auch Telekom ist bereits etliche Jahre im TV-Business-Geschäft mit IPTV aktiv.
Zweitens: Bei der rasanten digitalen Revolution in den letzten Jahren ist immer wieder in Frage gestellt worden, ob das Fernsehen gegenüber dem Internet seine Leitmedium-Position behalten kann. Es konkurrieren zwei Welten: die IT- und die TV-Welt, die moderne individualisierte und die klassische, nach gesellschaftspolitischen Kriterien regulierte Medienwelt der „Massenkommunikation“. Dabei geht es auch darum, wer in Zukunft die höchsten Geldeinnahmen generiert und mit welchen Geschäftsmodellen: Werbung oder direkte Einnahmen seitens der Medienkonsumenten, also Pay-TV.
TV-Wirkstoff-Initiative
Es geht allen Wettbewerbern um Rendite. An dieser Stelle ist höchstinteressant, wie Tele Columbus-Chef Dietmar Schickel in dieser MEDIEN BULLETIN-Ausgabe die aktuellen Wettbewerbs-Verhältnisse unter den Netzbetreibern beschreibt. Danach geht die Deutsche Telekom mit seinem TV-Engagement in einen Niedrigpreis-Sektor hinein, wohingegen klassische TV-Betreiber wie die Kabelnetzbranche versuchen, vom Niedrigpreisniveau des TV-Bereichs in die Hochpreisebene der IT- und Telekommunikations-Branche einzusteigen. Zum Vergleich: alle TV-Sender in Deutschland zusammen erwirtschaften rund vier Milliarden Euro an Werbegeldern jährlich, wohingegen die Deutsche Telekom allein in Deutschland einen Umsatz von knapp 30 Milliarden Euro hat.
Die Sender wollen natürlich an neuen digitalen Geschäften der Zukunft partizipieren und sich das Geschäft im Netz nicht von anderen weg schnappen lassen. Das ist der Hintergrund, warum die Werbezeitenvermarkter der großen Sendergruppen von ARD, RTL, ProSiebenSat.1 über Sky bis zu Discovery Networks Deutschland anlässlich ihres TV-Wirkungstages am 26. April in Düsseldorf eine neue Initiative gegründet haben. Auch sie gehen davon aus, dass die Digitalisierungsphase nun abgeschlossen ist. Um nachdrücklich zu kommunizieren, dass auch in der Post-Digital-Ära Fernsehen Leit- und Lieblingsmedium der Bevölkerung bleibt ist ein intensives Gattungsmarketing dazu in einer breiten Allianz geplant. Ohne Fernsehen, so soll die Botschaft lauten, sei auch in Zukunft keine effektive Werbung möglich. Dabei hat man aktuell ein Wahrnehmungsproblem für Fernsehen ausgemacht. Fernsehen werde von Meinungsführern zunehmend als ein „verstaubtes TV-Gerät in der Ecke des Wohnzimmers“ dargestellt, heißt es in dem Positionspapier der TV-Wirkstoff-Initiative: „old school, zu wenig Trendprodukt, zu wenig Sex-Appeal“. Dabei würde man längst das Fernsehen via Laptop, Tablet PC, Smartphone oder anderen mobilen Endgeräten an die Kunden bringen. Und nur Fernsehen repräsentiere ein Medium, das „direkt in der Seele“ des Konsumenten verankert sei.
Für die Ausgangslage der geplanten Kampagnen hat man eine Nullmessung dazu gemacht, auf welche Weise heute Fernsehen genutzt wird – auf klassische lineare Weise oder in den neuen zeitunabhängigen und mobilen Formen. Da haben alle großen Sender die Quote- und die Serverdaten auf den Tisch gelegt. Herausgekommen dabei ist, dass Fernsehen heute noch zu 98 Prozent der althergebrachten Art des Lean Backs genutzt wird. Das heißt: Man ist heute nur zu zwei Prozent am neuen Markt und an den neuen Geschäften beteiligt.
Das zeigt, wo der Wachstumsmarkt für TV in Zukunft liegt. Und auch Produzenten und Dienstleister der Broadcast-Branche werden sich im neuen Markt des mobilen Internets tummeln müssen, um neue Geschäfte machen zu können. Von sich aus werden die Sender den Kostendruck, den sie seit Jahren auf TV-Dienstleister ausüben nicht lockern.
Erika Butzek
(MB 06/12)