Um das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA, die sogenannte Transatlantic Trade and Investment Partnership, oder kurz TTIP wird aktuell heftig gestritten. Mit der Vereinbarung wollen EU und die USA eigentlich gegenseitig Zölle abbauen und Gesetze streichen, die den Handel über den Atlantik bislang bremsen. Auf beiden Seiten erwartet man dadurch mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätze. In Europa hofft man zudem darauf, dass das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP beim Bewältigen der Wirtschaftskrise behilflich ist.
Ähnliche Erwartungen richten sich auch an TiSA, dem Trade in Service Agreement. Dazu verhandelt die EU mit insgesamt 21 Staaten, darunter USA, Kanada, Mexiko, Japan und die Türkei ein Dienstleistungsabkommen, erstmals außerhalb der World Trade Organisation, WTO. Bei beiden Verhandlungen werden bestimmte Wirtschaftsbereiche dezidiert ausgeklammert.
Bei TiSA sind es etwa die audiovisuellen Dienstleistungen, bei TTIP ist es unter anderem die Kulturindustrie, zu der auch die audiovisuellen Dienstleistungen gehören. Ende März, auf der diesjährigen eur§reg in Zürich, gab Matteo Maggiore, Deputy Director Public Policy and Communications der OECD in Paris, eine aus seiner Sicht recht einleuchtende Erklärung: Im Dezember auf der letzten Doha-Runde machte eine Zahl die Runde, von jährlichen weltweiten Umsätzen und Kreditlinien von irgendetwas nahe 400 Billionen USD. Die meisten dieser Finanzströme gingen in die großen Volkswirtschaften. Von daher läge es nahe, dass schwächere Länder bestimmte Bereiche aus dem Freihandel ausschließen. Kultur sei sehr wichtig und beträfe viele Menschen! Von daher sei es naheliegend, dass man hier eine Grenze zieht. Inwieweit das aber sinnvoll oder auch nur möglich ist, ist eine ganz andere Frage! Denn die Kultur-Industrie, allen voran, die Film- und TV- oder gar Musik-Industrie ist längst eine globale Industrie, bestimmt von globalen Vertriebsnetzen und Koproduktionsallianzen. Das stellte auch Jean François Furnémont in seinem Beitrag in Zürich heraus. Seit diesem Sommer ist er Mitbegründer des Beratungsunternehmens Wagner-Hatfield in Brüssel, das sich auf Medienregulierung spezialisiert hat. Im März war er noch Direktor der CSA Belge, des belgischen Rundfunkregulierers für den französischen Landesteil und langjähriger Präsident der EPRA, einem europaweiten Zusammenschluss der Plattformregulierer. Er stellte die Spannung heraus zwischen dem Konzept der kulturellen Ausnahme, das von einigen europäischen Ländern (allen voran Frankreich) verfolgt wird und der Marktrealität. Die USA würden viermal mehr Kulturgüter nach Europa exportieren als Europa in die USA. Amerikanisches Kino füllt etwa zu zwei Drittel die europäischen Kinos. Quoten für europäische Inhalte auf non-linearen Plattformen (zum Beispiel maxdome oder Watchever) müssen nur dort erfüllt werden, wo es praktikabel und mit vertretbarem Aufwand zu realisieren ist. Das steht so in Artikel 16 der AVMS Richtlinie. In seinem Fazit stellt Furnémont fest, dass die kulturelle Vielfalt kaum von einer Inklusion im TTIP angegriffen würde. Das würde in einem viel größeren Maß durch das vielschichtige Regulierungssystem in Europa und durch die unterschiedlichen Besteuerungen geschehen, die es globalen Anbietern ermöglichen würden vom europäischen Binnenmarkt zu profitieren, während die europäischen Anbieter einem viel engeren Regelkorsett unterworfen seien. Hinzu kommt, dass die nationalen Kultur-Märkte im hohen Maße Subventionserhalten sind.
Ohne Filmförderung kein Film
In Deutschland etwa kann man von einer Filmindustrie überhaupt nicht mehr reden. „Ohne die Filmförderung würde hier in Deutschland überhaupt kein Film mehr entstehen“, hört man oft die Behauptung. Es kann aber genauso sein, dass die Subventionsdichte einfach nur den Fortbestand einer Industrie verhindert hat. Wir sehen immerhin, dass die zunehmende Audiovisualisierung des Internets und die explosionsartige Vermehrung von digitalen TV Plattformen, die einen ungeahnten Hunger nach Inhalten entfacht hat, den selbst die USA für sich selbst nicht mehr alleine stillen kann. Das ist eine Erklärung, neben deren ausgewöhnlichen Qualität, warum plötzlich skandinavische Produktionen international einen bislang für unmöglich gehaltenen Absatz finden.
Noch etwas war vor wenigen Jahren noch überhaupt nicht denkbar und wird jetzt, zumindest vereinzelt auf besonders innovativen TV-Kabelplattformen in den USA, tatsächlich gemacht: die Ausstrahlung von fremdsprachigen Filmen, die auf Englisch synchronisiert wurden. Digitalisierung und Globalisierung verändern die Märkte im nie geahnten Ausmaß – und, so stellen kritische Branchenbeobachter immer wieder fest, wir sind nicht dabei, schlicht und einfach, weil das Filmfördersystem in Deutschland international wettbewerbsfähige Budgets nur in Ausnahmen zulässt.
Hinzu kommt die starke Position des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der letztendlich, über die Gebühren (sprich Haushaltspauschale), auch ein Subventionsmodell ist. In Zeiten in denen analoge Übertragungsfrequenzen noch knapp waren hat ein solches Modell der Grundversorgung vielleicht noch Sinn gemacht. Die Angebotsexplosion in Folge der Digitalisierung stellt das nun immer stärker in Frage, zumal, um beim Beispiel Deutschland zu bleiben, das öffentlich-rechtliche Gebührenaufkommen von heute circa acht Milliarden Euro, das System zum mit Abstand teuersten der Welt macht und auf einen hohen Grad an Ineffizienz hinweist, auch oder gerade wenn der Löwenanteil der Einnahmen heute bereits in die Altersversorgung fließen muss.
Noch ein langer Weg
Doch bevor irgendwelche indirekten Auswirkungen auf die Medienindustrie spürbar werden kann, müssen die beide Freihandelsabkommen erst einmal unterschrieben werden und bis dahin ist es noch ein langer Weg. Aktivisten schießen auf allen Social Media Plattformen gegen TiSA um die Öffentlichkeit dagegen aufzubringen. Gleiches gilt für das ungleich bekanntere TTIP, dass, sofern der Zeitplan eingehalten wird, in spätestens zwei Jahren in Kraft treten soll. Doch die Verhandlungen sind komplex, und die Interessen höchst unterschiedlich. Jetzt schon zum wiederholten Male stehe das TTIP auf der Kippe, berichteten zumindest einmal mehr die Medien. Die Süddeutsche Zeitung berichtete im Juli, dass Deutschland, das sich gegen die Unterzeichnung einer ganz ähnlichen Vereinbarung stelle, die in der EU als Test für das größere Vertragswerk gelte. Man werde TTIP nicht weiterverfolgen, wenn das EU/kanadische Freihandelsabkommen Ceta scheitern sollte. Die Vereinbarung wurde gerade von der Europäischen Kommission an die Mitgliedsstaaten verschickt. Was den deutschen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nun auf die Barrikaden rief, sind die Schiedsgerichte, die über Schadensersatz entscheiden sollen, wenn aufgrund von nationalen Gesetzen ein internationales Unternehmen in diesem Markt Umsatzeinbußen erleidet. Dieser „Investitionsschutz“ ist Teil beider Vereinbarungen. Vor allen Dingen sind diese anonymen Schiedsgerichte Kritikern ein Dorn im Auge. Auch Gabriel zürnte dem Vernehmen nach, das brauche niemand! Hintergrund hier ist, dass Deutschland aktuell in einem anderen Kontext selbst von einem solchen Schiedsgerichtsverfahren betroffen ist. Der schwedischer Energiekonzern Vattenfall klagt auf Schadensersatz wegen seiner Ausfälle bedingt durch den deutschen Atomausstieg.
Das zeigt aber auch: Im internationalen Handel sind solche Schiedsgerichte nichts ungewöhnliches, wie ein weiterer recht spektakulärer Fall zeigt. Russland wurde gerade erst vom ständigen Schiedsgericht in Den Haag wegen der Zerschlagung des Yukos-Konzerns zu 50 Milliarden Euro Schadensersatz an die Aktionäre verurteilt. Selbstverständlich wird Russland in Berufung gehen, was dann von einem ordentlichen Gericht in den Niederlanden verhandelt wird. Im Falle von Ceta und TTIP hängt sich die Kritik auch vor allen Dingen an dem intransparenten Verfahren auf, das in dieser Form nicht rechtsstaatlichen Kriterien entspräche, werden Diplomatenkreise zitiert. Das Beispiel zeigt aber wie komplex das internationale Parkett ist, wenn es um die Abschaffung von Handelsschranken geht. Die kleinteiligen Interessen einzelner Beteiligter stehen dem großen Ganzen im Wege.
Zahlreiche Kritiker
Das neuerlich angekündigte Scheitern freut vor allem die Unzahl Grundsatzkritiker, die das ganze TTIP-Konstrukt mit viel Energie und Halbwissen, oder zumindest stark ideologisch eingegrenzter Perspektive, verhindern wollen. Da geht es vor allem um Chlorhühnchen oder Gen-Mais, der nun angeblich durch die Hintertür auch in Europa eingeführt werde.
Mit ähnlichen Argumenten versuchen die gleichen Initiativen Druck gegen TiSA aufzubauen, das allerdings noch aus einem weiteren Grund ein bislang erfolgreiche globale Kooperation zumindest in Frage stellt. Bislang wurde der Service-Bereich innerhalb der WTO von dem GATS (General Agreement on Trade in Services) Abkommen geregelt, dessen Reform allerdings aktuell nicht vorankommen will. Von daher wollen die TiSA Initiatoren die Regeln so gestalten, dass die später in das WTO Regelwerk integriert werden können, sollten weitere WTO Mitglieder beitreten. Dass das rechtlich überhaupt möglich ist, wird von Kritikern allerdings bezweifelt. An TiSA bemängeln Kritiker vor allem die große Geheimhaltung der Gespräche, die sich auch noch auf die Ergebnisse erstrecken soll. Kritiker sehen gerade darin vor allem eine Gefahr für unsere Demokratie, aber auch für den Bestand an öffentlichen Dienstleistungen, da einmal liberalisierte Services in Zukunft von einer erneuten Regulierung ausgeschlossen sein sollen. Im Vergleich zu GATS wird TiSA den Handel mit Dienstleistungen weiter liberalisieren. Anstatt, dass sich Staaten zur Liberalisierung spezifischer Subsektoren mittels eine „Positivliste“ verpflichten, sollen Dienstleistungen gezielt ausgeschlossen werden. Alles, was nicht auf der Liste steht, wird liberalisiert. Mit der so genannten „Stillhalteklausel“ können Staaten den Status der Liberalisierung der genannten Sektoren beibehalten, aber nicht wieder stärker regulieren. Unter anderem wird das Abkommen die Liberalisierung finanzieller Dienstleistungen, digitalem Handel, staatlichen Unternehmen, Telekommunikation und Postdienstleistungen betreffen. Auch die Bereiche Energie und Umwelt sind wahrscheinlich eingeschlossen.
Wenn es zum Abschluss eines oder gar beider Freihandelsabkommen kommt, wird auf jeden Fall auch ein Einfluss auf die audiovisuelle Industrie spürbar sein und in einigen Fällen könnte sich der Ausschluss vielleicht sogar als Nachteil erweisen.
Dass das Freihandelsabkommen auch Vorteile für die Kreativindustrie, vor allen Dingen für deren Macher haben kann, darauf verwies Im Februar Senator Christopher J. Dodd, CEO der Motion Picture Alliance of America (MPA) in seiner Keynote auf einer Panelveranstaltung der Berliner Büros der globalen Law Firm Morrison & Foerster an Rande der letzten Berlinale. Durch das Freihandelsabkommen würde es erleichtert auch Urheberrechtbestimmungen anzugleichen und so es auch hiesigen Autoren und Filmemachern einfacher zu machen, ihre Ansprüche in Übersee einzufordern. Das ist etwas, was in der globalisierten Welt immer wichtiger wird. Entgegen einer verbreiteten Auffassung haben offenbar nicht nur die großen Konzerne etwas, sondern auch die „kleinen“ Freelancer und Mittelständler. Aber das ist ja eine Lehre, die wir in Deutschland eigentlich schon aus der europäischen Einigung ziehen konnten und was uns daher nicht überraschen sollte!
Dieter Brockmeyer
© Bakom
MB 5/2014