Regulierung oder Deregulierung?

Ende 2012 wurden in Berlin gleich zwei Symposien veranstaltet, in denen es um den Zusammenprall der Internet- und TV-Welt ging. Als Themen dafür wurden Smart-TV, HbbTV, EPG, Second Screen und Filter-Bubble aufgerufen. Während es bei der Medienimpuls-Veranstaltung der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen und Multimedia (FSF und FSM) darum ging, was die neuen Entwicklungen für den Jugendschutz bedeuten, wollte man auf dem Navigationstag der Medienanstalten herausfinden, was für die Sicherung der Meinungsvielfalt getan werden muss: Regulieren oder deregulieren? Ein Report.

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Regulierung oder Deregulierung?

„Fernsehen einschalten – und genießen!“ Was für eine schöne nostalgische Verlockung. Früher hatte Grundig mit diesem Versprechen Werbung für TV-Geräte gemacht. Daran erinnerte Robert Strzebkowski (Beuth Hochschule für Technik) in seinem Vortrag „Hybrid, interaktiv, vernetzt – das TV der vierten Generation“, den er auf der Medienimpuls-Veranstaltung am 20. November in der Bertelsmann Repräsentanz hielt. Titel des Symposiums: „Hybridfernsehen – die mediale Synthese“. Heute, so Strzebkowski, sei TV aber viel „komplizierter und unentspannter“. Das fange schon bei der Frage an, auf welchem Endgerät man Fernsehen sehen wolle, bevor man sich dann für ein einzelnes Programm oder eine Plattform entscheide. Er listete ein paar Stichwörter zum Kuddelmuddel auf: VoD, SmartTV, Tablet PC, Smartphones, HbbTV mit Red Button und so weiter. Dabei ist die technische Entwicklung des Fernsehens noch ziemlich jung. Die Idee sei 1935 entstanden, ab 1952 kam das Schwarz-Weiß-Fernsehen auf dem Markt, ab 1967 gab es Farbe. 1996 ging Digital TV an den Start. Dann kam 2005 das interaktive TV als Multimedia-Home-Plattform (MHP), woraus sich das heutige Hybrid Broadcast Broadband TV, HbbTV, entwickelt habe. 2010 kam SmartTV.

Interessanterweise definiert Strzebkowski SmartTV über das Angebot der App-Portale, die mittlerweile alle TV-Gerätehersteller offerieren. So kann der TV-Konsument unter Umgehung des herkömmlichen TV-Programms direkt – beziehungsweise „over the Top“ – zu den Bewegtbildern und Inhalten der Internet-Veranstalter gelangen. Dabei bieten die App-Portale den Zugriff auf von den Geräteherstellern selbst ausgewählte Inhalte an, etwa YouTube, die VoD-Plattform Maxdome, spezielle für die App-Portale kreierte Spartensender rund um Musik, Sport, Film oder Games oder auch Angebote von Zeitungsverlegern wie Bild.de und die Tagesschau-App der ARD.

Zur Erinnerung an dieser Stelle: Während diese Apps als Internet-Angebote regulatorisch unter die Gesetzgebung für Telemedien in den Rundfunkstaatsverträgen fallen, müssen die echten Broadcastangebote die viel rigideren Vorschriften für die Sonderstellung des Rundfunks als die Meinung beeinflussende Massenmedien erfüllen. Das gilt vor allem für Werbung, die immer noch Hauptgeldeinnahmequelle des  privaten Rundfunks ist. Darauf ging Strzebkowski allerdings nicht ein. Er erklärte den Unterschied aus technischer Sicht: Während die App-Portale „asynchron zum TV-Programm“ laufen, werden mit HbbTV „beide Welten synchronisiert“, also TV und Internet, erklärte er. Um dann auch noch „Connected TV“ zu erwähnen: die „Verbindung von TV-Gerät und Netzwerk“.

Seitdem man nicht mehr im Java-Bereich, sondern im CE-HTML-Bereich programmiere, „explodieren neue Navigationsmöglichkeiten“. Es gebe auch schon die Sprachsteuerung, „die aber noch nicht klappt“, sagte Strzebkowski. Und die Entwicklung neuer Navigationsinstrumente, die die Fernbedienung, mit der man früher zappte, ablösen, geht weiter. So wird beispielsweise HbbTV zurzeit umgestellt auf den „Second Screen“ und somit handhabbarer gemacht. Samsung habe die HbbTV 2.0.-Version bereits realisiert. Zum Schluss seines Vortrags präsentierte Strzebkowski noch, wie man mit Hilfe vom Smartphone als Second Screen spielen kann, so dass man die Bilder auf dem großen ersten Schirm selber gestalten und verändern kann. Allerdings gelang ihm das erst im zweiten Versuch. Bekanntlich funktioniert vieles nicht so richtig, was mal schnell von den Technologie-Entwicklern auf den Markt gebracht wird.

Second Screen

Doch Strzebkowski war der Beweis gelungen: Fernsehen der neuen Generation hat wahrlich nichts mehr mit „einschalten und genießen“ zu tun. Der alte Grundig-Werbespruch hatte sich ja auch nicht auf die Navigationstechnik des Fernsehens, sondern auf das lineare Programm bezogen: auf Unterhaltung in Lean-back-Position. Doch im Wettbewerb der Unterhaltungselektronik- mit der IT- und Computerindustrie ist die alte Glotze interaktiv geworden, zum Computer avanciert, egal ob es die Konsumenten wirklich so haben wollen. Im unübersichtlichen Wettbewerb der IT-Industrie wurden die TV-Geräte mit immer neuen Mikrochips mit Internetanschluss bestückt. Und beim rasanten Entwicklungstempo wurden unüberlegt hinsichtlich der Konsumenten-Akzeptanz neue TV-Features auf den Markt gebracht, die sich schon bei Markteinführung als überholt erweisen. Beispiel: Die Sache mit dem propagierten „Red Button“. Mit diesem roten Knopf war ursprünglich vorgesehen, dass die TV-Sender ihr Publikum im HbbTV-System zu weiterführenden Inhalten auf ihre eigenen Server locken können. Damit wäre die Bestückung des TV-Bildschirms mit Programmen und Inhalten wie gehabt Sache der Rundfunk-Veranstalter geblieben. TV wäre aber dennoch interaktiv geworden. So wären die Inhalte-Anbieter aus dem Internet zumindest auf dem Big Screen ausgeschlossen geblieben. Doch der rote Knopf ist bei den TV-Zuschauern nicht so richtig angekommen. Das hatte Klaus Goldhammer (Goldmedia) bereits auf dem Navigationstag der Medienanstalten am 14. November in der Landesvertretung Schleswig Holstein referiert, der unter dem Motto „Suchen, Finden, Navigieren“ stand. Vielfach, so Goldhammer, ist bei den in Sachen Interaktion strapazierten TV-Usern ein großes Missverständnis bei der Aufforderung entstanden, den roten Knopf zu drücken. Sie haben ihn schlicht – und ohne Witz – mit der TV-Ausschalttaste auf der Fernbedienung verwechselt. Black out! Deshalb hat denn auch Samsung als Vorreiter flugs die HbbTV 2.0.-Version auf dem Smartphone ausgelagert. Ebenso hat das Institut für Rundfunktechnik (IRT) mittlerweile eine Applikation entwickelt, die HbbTV vom Großbildschirm auf den Second Screen synchronisiert. Und alles läuft darauf hinaus, dass in Zukunft das Fernsehen nicht über eine spezielle Fernbedienung, sondern über Smartphones als Navigatoren gesteuert wird. Denn der „Second Screen“ hat sich beim TV prima durchgesetzt. Laut Goldhammer benutzen 65 Prozent der Smartphone-Besitzer und 71 Prozent der Tablet-Besitzer diese Geräte als „Second Screen“. Bereits im letzten Jahr haben laut Bitkom-Statistik mehr als 20 Millionen Bundesbürger ein Smartphone besessen und rund neun Millionen Tablet PCs. So dürfte sich die Nutzung des Second Screen noch breiter in der Bevölkerung durchgesetzt haben.

Was passiert mit und auf dem „Second Screen“ beim TV-gucken? Zum Beispiel wird getwittert. Sein persönliches Erlebnis damit hatte der FSM-Geschäftsführer Otto Vollmers bei seiner Begrüßung zur Medienimpuls-Veranstaltung erzählt. Er hat bei der ZDF-Show „Wetten dass, …?“ mitgemacht, nachdem das ZDF den dafür belegten Hashtag eingeblendet hatte. Damit sei in Deutschland die bislang höchste „Time-Line“ beim Twittern erreicht worden. Sogar das Twittern zum „Tatort“ der ARD sei überflügelt worden, berichtete Vollmers. Allerdings bezweifelte er, dass dies zum Vorteil des ZDF gewesen sei. Die Twitter-Kommentare zur Show seien im Großen und Ganzen eher negativ gewesen. Beispiel: „Mein Mann ist gerade ins Bett gegangen“. Eine junge Medienimpuls-Besucherin bestätigte das Erlebnis am Rande der Veranstaltung. Eigentlich würde sie sich vom Fernsehen lieber so etwas wie „einschalten und genießen“ wünschen. Doch das Twittern über „Wetten dass,…?“ sei auch sehr lustig und viele spannender als die Sendung gewesen. Das habe ihr gemeinsam mit ihrem Freund viel Freude bereitet.

Kritik an Internet-Inhalten

Seltsam. Da steckt also ein öffentlich-rechtlicher Sender eine Menge Geld in eine aufwendige Show, nur um dann die Zuschauer auf die parallele Twitter-Unterhaltung hin zu lenken. Hingegen macht es RTL II genau umgekehrt. Der Sender hat mit „Berlin – Tag & Nacht“ eine billig produzierte fiktionale Serie für junge Zuschauer kreiert, die hohe Einschaltquoten generierte, weil die Aufmerksamkeit dafür vor allem durch Social Media-Kommunikation insbesondere via Facebook eingesammelt werden konnte. Was genau alles mit dem Second Screen auf dem Schoß oder in der Hand beim TV-Gucken passiert, ist bislang offensichtlich noch nicht erforscht worden. Sicher ist aber: Es wird auch gegoogelt, es werden Emails oder SMS gelesen und geschrieben und anstatt nebenbei in einer Zeitung zu blättern, werden heute online Inhalte aus dem Internet abgerufen. Die Aufmerksamkeit wird vom Big Screen auf den Second Screen gelenkt, zumal wenn das TV-Programm langweilt. Tratschen und Quatschen ist sowieso eine Lieblingsbeschäftigung von Menschen. So könnte es künftig eine Vielfalt von neuartigen interaktiven Talk-Shows geben, mit denen man über das TV-Programm lästern kann. Keine schlechte Idee, oder?

Auf beiden Veranstaltungen waren auch Referenten der jüngeren Internet-Generation geladen. Überraschenderweise waren allein sie es, die sich kritisch mit den neuen Internet-Möglichkeiten und Inhalten auseinander setzten. So wies Eva Flecken, Referentin für Plattformregulierung und Digitalen Zugang bei den Medienanstalten, darauf hin, wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg die Relevanz von Informationen definiere. Sie zitierte einen Satz von ihm, mit dem er einmal die Filter-Algorithmen erklärt hatte, die letztlich dazu führen, welche Informationen als relevant (Funktion „Like“) für den Freundeskreis der Facebook-Nutzer eingestuft werden. Danach kann „ein Eichhörnchen, das vor deinem Haus stirbt, für dich in diesen Augenblick wichtiger sein als Menschen, die in Afrika sterben.” Das müsse man sich einmal vorstellen, sagte Flecken sichtbar emotionalisiert. Das subjektive Erlebnis wird zum Nachrichten-Wert für alle. Genau diese Filter-Bubble, die als intransparente Algorithmen im Hintergrund bei Facebook wirken, um Nachrichten für die „Freundeskreise“ zu selektieren, wurden denn auch von Referent Michael Praetorius (Noeo GmbH) aufs Schärfste kritisiert. Er forderte: „Durchbrechen Sie diese Filter-Bubble!“ Der Appell war an Journalisten gerichtet, die sich bitteschön in den Social Media engagieren sollten, mit wirklich wichtigen und spannend aufbereiteten Informationen! Auch wendete sich Praetorius an die Medienanstalten, die nach geltenden Rundfunkstaatsverträgen übrigens nicht nur TV, sondern auch Telemedien kontrollieren sollen: Man möge das Thema Filter-Bubble und Wirkweise von Social Media doch in Bezug auf Daten- und Jugendschutz einmal genauer unter die Lupe nehmen.

Das interessierte allerdings auf dem Navigationstag kaum jemanden. Vielmehr wurde Praetorius die Frage gestellt, ob denn Facebook überhaupt Geld verdiene. Aber sicher doch, antwortete er, das Werbeeinkommen wachse und gedeihe bei Facebook über die Freundeskreis-Zielgruppenaussteuerung. Bertram Gugel (gugelproductions) trat sowohl bei der Jugendschutzveranstaltung wie beim Navigationstag der Medienanstalten als Referent auf. Den Jugendschützern berichtete er über neues Mediennutzungsverhalten und über neue Inhalte und Formate, die Googles Tocher YouTube und die VoD-Plattform Netflix bereits in den USA durchsetzen. Fernsehen werde „nur noch nebenbei geguckt“, und „alle gucken wie sie wollen“, sagte er: Schlafzimmer-TV beispielsweise mit dem Tablet PC. Dabei werden seiner Prognose nach die neuen Handy-TVs den TV-Konsum eher verdoppeln oder gar verdreifachen. Während YouTube allerdings täglich weltweit 24 Milliarden Sehminuten erreiche, seien es beim Fernsehen nur 16 Milliarden. Gugel weiß auch: „SmartTV wird interaktives TV zum Erfolg bringen“. In den USA, so betonte er, „ist auf der TV-Bedienung der Netflix-Button riesen groß“. Was heißt: Man kommt einfach und blitzschnell in das VoD-Angebot rein, das, so jedenfalls wird kolportiert, ähnlich wie der Pay-TV-Sender HBO sehr gute Inhalte offeriere.

Sowieso: Was das TV-Angebot betrifft, prophezeit Gugel, es werde „neue Inhalte“ geben. Die bessere Unterhaltung werde das klassische lineare TV „kaputt machen“. Und dann fiel ihm noch ein. Wer „einschalten und genießen“ kann, „der gewinnt“. Offensichtlich hat der alte Grundig-Werbespruch selbst in der heutigen Internet-Generation seine Zündkraft erhalten. Er weckt Sehnsucht nach guten Programmen und Inhalten.

Auf dem Navigationstag hatte sich Gugel indessen zunächst mit einer anderen Frage beschäftigt: Mit welchen Mitteln schaffen es die Navigatoren wie Googel, YouTube und Facebook größtmögliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, um damit die erforderlichen Reichweiten für ihre Geschäfte als Werbeträger zu gewinnen? Gugel schilderte, dass die Methoden nicht auf individuelle Inhalte-Angebote ausgelegt seien, sondern auf eine größtmögliche Publikums-Aggregierung (Audience Development), um mit diesen hohen Reichweiten Voraussetzung für lukrative Werbeeinnahmen zu schaffen. In Resonanz darauf meldete sich aus dem Publikum ein Vertreter der Medienanstalten, der sagte, der Vortrag sei ja ganz gut gewesen, aber das habe alles nichts damit zu tun, „was wir regulieren wollen“. Da rempelte Gugel empört zurück: „Ich werde einen Teufel tun, Ihnen die Regulierung abzunehmen. Ich frage mich, ob das im Sinne des geltenden Jugendschutzrechts ist, was im Internet auf tausenden Kanälen geäußert wird. Wenn ich darauf gucke, dann wünsche ich mir eine Regulierung“.

Egal, was Gugel, der übrigens vor seiner Selbstständigkeit zuerst bei der Deutschen Telekom und dann bei Axel Springer Digital TV beschäftigt war, mit seiner Replik genau sagen wollte: Laut Rundfunkstaatsverträgen obliegen den Landesmedienanstalten eine Menge Regulierungsaufgaben. Zum Beispiel haben sie auch das Recht, Internet-Dienste, die massenkommunikativen Charakter aufweisen, unter das Rundfunkrecht und damit einer stärkeren Kontrolle zu unterstellen. Das könnten beispielsweise die Suchmaschine Google oder der Social-Media-Dienst Facebook sein. Beide operieren mit Empfehlungsalgorithmen, die die Nutzer durchaus in ihrer Meinung beeinflussen können: Welche Information sie für besonders wichtig halten, oder welche Freunde und Themen sie besonders „liken“. Mit Algorithmen wird bei Google ausgesiebt, welche Suchergebnisse auf den ersten Plätzen im Ergebnis landen und bei Facebook, welche Freundeskreise, welche Informationen erhalten. Beide finanzieren sich über Werbung. Es geht um Geld. Während Google in den USA und auf EU-Ebene bereits Verfahren am Hals hat, die in Sachen kartellrechtlicher Beeinflussung durch die Algorithmen ermitteln, wird das Thema von den deutschen Landesmedienanstalten als Kontrollorgane in Deutschland nur theoretisch auf Diskussionsforen behandelt.

Medienkollision und EPGs

Karl-Heinz Ladeur (Universität Hamburg), der als Referent auf dem Navigationstag anwesend war, war im Gegensatz zu dem Einspruch erhebenden Medienanstalten-Vertreter von Gugels Vortrag ziemlich angetan und offensichtlich inspiriert worden. Der Rechtswissenschaftler hat eine wichtige Aufgabe übernommen. Er wurde gemeinsam von den Medienanstalten und ARD/ZDF auserwählt, um ein Transparenzverpflichtungs-Gutachten zu erstellen. Dabei geht es um die Frage, ob man die Medienkollision von TV und Internet, wie sie sich beispielsweise in Form des hybriden Fernsehens ergibt, in Zukunft regulieren kann. Und wie? Womöglich handele es sich um „Konflikte, die sich nicht lösen lassen, medienpolitisch und juristisch“, philosophierte Ladeur ein wenig abstrakt. „Man sieht das Internet als Medium der Zukunft und den Rundfunk als ein Medium, das sich allmählich den Gesetzen des Internets unterwerfen muss“, so Ladeur. Dann wurde er mit Bezug auf Gugels Vortrag konkret: Die Relevanz habe mit „der Umleitung der Werbeaktivitäten“, sprich: der „Werbegelder“, zu tun. In der Regel werde so getan, als ob es sich bei den Internet-Medien um eine individualisierte Zielgruppenansprache handele. „Uns wird Individualisierung als Trend vorgesetzt“, sagte Ladeur wörtlich. Doch Individualisierung werde die Medienlandschaft auch in Zukunft keinesfalls prägen. Denn weil sich die Navigatoren und Aggregatoren im Internet auch über Werbung finanzieren, werde „Audience Development – wie Herr Gugel gesagt hat – eine immer größere Rolle spielen“. Neue Logik des Internets sei, „Konten der Aufmerksamkeit zu erzeugen“, um an die Werbegelder heran zu kommen. Damit erhalten dann die relevanten Akteure im Internet einen ähnlichen Charakter wie die privaten Sender. So müssten sie dann, was allerdings Ladeur nicht sagte, wie die Broadcaster eine Sonderstellung bei der Regulierung einnehmen und sich entsprechend speziellen Vorschriften unterstellen. Ladeur schwebt allerdings ein „Medienkollisionsrecht“ vor, das er dann vermutlich in seinem Gutachten ausführlich als neuen Begriff und Rechtsauslegung darlegen wird. Aber nicht nur der Wettbewerb mit Internet-Navigatoren und Aggregatoren macht den Sendern perspektivisch Sorgen. Die Vielfalt der Sender macht es seit langem erforderlich, dass in den neuen TV-Geräten oder angeschlossenen Receivern die sogenannten EPGs, die elektronischen Programmführer, eingebunden sind. Und auch hier gibt es eine unübersichtliche Vielfalt im Markt. Es existieren EPGs, die die einzelnen Sender einfach nur listen. Aber keiner der Sender will beispielsweise auf Platz 200 oder gar 500 landen. Andere EPGs operieren auf Basis von Empfehlungsalgorithmen, deren Logik für die Konsumenten nicht transparent sind. Dazu gehören Social Media-Entwicklungen im Netz wie auch eine Reihe von Eigenentwicklungen, wie sie beispielsweise Springer mit „Watchmi“ aus dem Redaktions-Know-how für Programmzeitschriften heraus entwickelt hat. Plattformbetreiber wie Kabel Deutschland bieten EPGs an ebenso wie Hersteller von Smart-TV- und anderen Unterhaltungselektronik-Geräten via App-Portale. Auch hier besteht eine Intransparenz im Markt, wie Dirk Martens (House of Research) referierte. Eine Antwort, auf die von ihm selber aufgestellte Frage danach, wie „ein fairer Interessensausgleich zwischen den Marktteilnehmer erreicht werden“ kann, hatte er selbstredend nicht parat. Vielmehr stellte er neue Fragen auf: Soll der lineare Rundfunk dereguliert werden oder soll im Gegenteil die Regulierung von anderen Anbietern auf dem TV-Schirm angehoben werden? Und inwieweit spielen EPGs für die Meinungsvielfalt eine Rolle?

Medienordnung in Sicht?

Lässt sich all das überhaupt definieren? Die von Martens moderierte Schlussdiskussion auf dem Navigationstag mit der Zielfrage „Was muss zur Sicherung der Meinungsvielfalt im digitalen Zeitalter getan werden?“ blieb jedenfalls im Unbestimmten stecken. So forderte Hans Hege, der als Beauftragter für Plattformregulierung und digitalen Zugang der Medienanstalten den Navigationstag verantwortet hatte, „neben einer Plattformregulierung auch eine Navigationsregulierung“ mit „Mediationsverfahren und Transparenzverpflichtung“. Er hofft darauf, dass das in Auftrag gegebene Gutachten schlauer machen wird. Außerdem regte Hege eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine als Alternative zu Google an. Hintergrund ist, dass die Medienanstalten, die sich auch aus dem Topf der Gebühreneinnahmen der Öffentlich-Rechtlichen finanzieren, mit Mehreinnahmen durch die Umstellung der Gebühren auf die Beitragsabgabe versprechen. Allerdings wies Felix Mai (ZDF) darauf hin, dass vorgesehen sei, das potentielle Mehr an Geld, dann in Form einer Beitragsminimierung an die Bundesbürger zurück zu leiten. Um eine Lösung in der Medienkollision anzustreben, kann sich Mai „ein Moment der Selbstregulierung“ vorstellen, wie es auch von den privaten Sendern angestrebt wird. Aber Mai fügte hinzu: „Wenn man sich am Runden Tisch nicht einigen kann, muss die Medienpolizei auch bewaffnet sein“. Jens-Ole Schröder (MDR) wünscht sich indessen eine „Legitimation durch den Gesetzgeber anstatt durch wirtschaftliche Macht“. Stepan Zech, der bei der Axel Springer AG unter anderem verantwortlich für den EPG „Watchmi“ ist, sieht keinen Bedarf an weiterer Regulierung. Vielmehr wünscht er sich die Zugangsfreiheit über alle verfügbaren Plattformen, eine Art offenes Kiosk-System für die Navigation. Carine Chardon, die den ZVEI und damit die Gerätehersteller vertrat, meinte, eine Lösung könne nur auf EU-Ebene gefunden werden.

Selbstkontrolle und Missbrauchsaufsicht

VPRT-Geschäftsführer Claus Grewenig betonte auf dem Navigationstag wie auf der Medienimpuls-Veranstaltung die Chancen, die die privaten Rundfunkveranstalter im konvergenten Medienmarkt für sich sehen. Zum einen sind sie ja auf allen neuen Plattformen selber auch mit neuen Werbeeinnahme-Akquisitionen wie mit Paid-Content erfolgreich präsent. Um nun aber Gleichberechtigung für alle Akteure im Medienmarkt zu schaffen, müsse eine Deregulierung insbesondere in Bezug auf die Sonderstellung der privaten Sender in Sachen Werbung erfolgen. Der VPRT, so Grewenig, strebt eine kontrollierte Selbstkontrolle an. Genau das hatte der VPRT vor Jahrzehnten auch schon in Sachen Jugendschutz imitiert und mit der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen, FSF, dann auch etabliert. Ein Grund wohl mit, warum die Jugendschützer bei der Medienimpuls-Veranstaltung eher für eine weitere Deregulierung plädierten. Malte Probst (Sky Deutschland) wies darauf hin, dass bei Sky pro Jahr rund eine halbe Million Euro Kosten allein für Postgebühren entstehen, weil man die Pincode für den Porno-Bereich laut Jugendmedienschutz-Staatsvertrag so versenden müsse, um das Alter der Antragsteller zu verifizieren. Bei einem Angebot im Internet hingegen, könne jeder Jugendliche, die Antwort, ob er schon 18 Jahre alt sei, via Click geben. Rechtsanwalt Marc Liesching beklagte die Ungleichberechtigung, wonach die fiktionale US-Serie „Sex in the City“ während des Tages nicht im Fernsehen gezeigt werden darf, wohingegen die Sendezeitenbeschränkung für 12-jährige im Internet umgangen werde. Christiane von Wahlert von der Freiwilligen Selbstkontrolle Kino, FSK, die das Prinzip der kontrollierten Selbstkontrolle im letzten Jahrhundert eingeführt hatte, berichtete, man habe einst „viel Gehirnschmalz“ in das Problem hinein gesteckt, wie man definieren kann, welche Filme für die 12er, 14er und 16er Altersgruppen geeignet seien. Das habe dann aber schon bei der DVD nicht mehr funktioniert, geschweige denn im Internet. Ob daraus aber auch die Folgerung zu ziehen ist, man könne auch den Jugendschutz eher deregulieren und durch automatisierte Filtersysteme ersetzen? Vielleicht sollte man auch einmal die Frage stellen, ob nicht all die vielen Regelungen in den etlichen Rundfunkstaatsverträgen, einschließlich Jugendmedienschutzgesetz, eine prima Regelung im Nebeneinander von Telemedien und Rundfunk bieten würden, würden sie nur tatsächlich durchgesetzt, zum Beispiel von den Medienanstalten. Die wollen sich neuerdings, wie ihr Vorsitzender Thomas Fuchs auf dem Navigationstag im Grußwort formulierte, nachdem ihre Aufgabe als Lizensierungsbehörde für den privaten Rundfunk und Telemedien seit langem ausgelaufen ist, sich als „Missbrauchsaufsicht“ neu positionieren. Wer aber kontrolliert die Medienanstalten?
Erika Butzek
(MB 02/13)

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