Live dabei

Seitdem viele Zuschauer, zumal die Jüngeren, auch beim Fernsehen nicht auf ihren Second Screen verzichten wollen, haben ihn alle großen TV-Sender redaktionell in ihre Live-Programme eingebunden: bei Show, bei Talks oder bei Live-Sportberichterstattung, beispielsweise. Welche Geschäftsmodelle und welche neuen technischen Möglichkeiten stecken dahinter? Und wer profitiert davon?

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Live dabei

Es war eine prima Ausgangslage. Das Game „Quizduell“, entwickelt vom schwedischen Start up FEO Media, war nicht nur bereits weltweit bei 30 Millionen Spielern in elf verschiedenen Landesversionen beliebt, sondern auf propere 14 Millionen Smartphones in Deutschland installiert. Ein Spiel, das „süchtig macht“ jubelte beispielsweise „Bild“. Da war es eine schlaue Idee der TV-Produktionsfirma ITV Studios Germany der ARD-Programmdirektion vorzuschlagen, das Prinzip Quizduell für eine neue Show am Vorabend um 18.00 Uhr im Ersten zu adaptieren und dabei den jüngst wieder zurück vom ZDF zur ARD gewechselten Moderator Jörg Pilawa einzusetzen. Bekanntlich wird der Vorabend auf Das Erste auch „Todeszone“ genannt, weil es in vielen Jahren – auch nicht mit Thomas Gottschalk – gelungen war, Fernsehzuschauer für diesen Sendeplatz zu begeistern. Und nun hatte man schon mal eine potentielle Reichweite von 14 Millionen deutschen Smartphone-Besitzer an der Hand, die sich die App Quizduell auf ihren Second Screen herunter geladen hatten.

Die Sache wurde „großes Experiment“ genannt. Was es auch war, wie die Pannen beim Versuch, das Massenmedium Broadcast und das Individualmedium Internet zeitsynchron zu verbinden, am Anfang zeigten. Trotz oder gerade wegen der Pannen wurde ein großer PR-Effekt erzielt. Und zum guten Schluss – das Experiment war erst einmal auf drei Wochen begrenzt – konnte die ARD jubeln. Im Vergleich zu der auf dem Sendeplatz angestammten fiktionalen Serie „Verbotene Liebe“ habe man mit 9,5 Prozent Marktanteil „Rekordwerte“ eingefahren. „Das Team Deutschland“ wie man die Second Screen-User als Wettbewerbskandidat zum „Team Studio“ nannte, hatte sich rege beim Spiel beteiligt, es wurden rund 230.000 aktive Teilnehmer gezählt. In einer Sondersendung in der Prime-Time, die sogar zum Quoten-Tagessieger avancierte, wurden 700.000 registriert, obwohl es vielen nicht gelang, ihre App zu aktivieren. Ganz nebenbei hatte Das Erste dank „Quizduell“ seine Zuschauer im Mai verjüngt und dabei erstmals nach langer Zeit wieder das ZDF als Marktführer im Gesamtprogramm eingeholt. Nun soll das „Quizduell“ ab Anfang 2015 werktags um 18.00 Uhr in Serie gehen und „Verbotene Liebe“ ersetzen.

Für die Verbindung von Broadcast und Internet war als technischer Dienstleister nicht Studio Hamburg, wo die Show produziert wurde, verantwortlich, sondern die Kölner Firma grandcentrix, die sich als „Qualitätsführer für die Realisierung von nativen Apps für Retail, Connected Home und Media“ bezeichnet und zuvor beispielsweise auch die Mobile Mass Response Plattform für die App Adaption des Eurovision Song Contest (ESC) 2013 und 2014 entwickelt hatte – und übrigens „offizieller Google Cloud-Plattform-Partner für Mobile“ ist. Grandcentrix hatte sich die Lizenz für die App-Weiterentwicklung von FEO Media besorgt.

Im Gegensatz zum „Quizduell“ war es beispielsweise beim Finale des ESC am 10. Mai 2014 zu keinerlei technischen Störungen gekommen, obwohl es eine um den Faktor zehn höhere Anfangslast gegenüber dem „Quizduell“ im Ersten gegeben hatte, teilte grandcentrix mit. Was war denn die große technische Herausforderung beim „Quizduell“? Sie bestand darin, die „für das Funktionieren des Formats erforderliche TV Synchronität“ herzustellen. Anders ausgedrückt: Sämtliche Benutzer an ihren Smartphones müssen innerhalb gewisser Toleranzen parallel geschaltet werden. Das war insofern ein Problem, weil grandcentrix im Rahmen von Lasttests die mit Broadcast verbundene „Quizduell“-App zunächst nur für 85.000 Queries per Second (QPS) ausgelegt hatte und erst später Spitzenlasten bis zu 330.000 QPS berücksichtigte. Der Hauptgrund für den technischen Totalausfall bei der Premiere von „Quizduell„ sei aber ein anderer gewesen. Weil kurzfristig vor Sendungsbeginn neue Anforderungen an Statistik und Auswertung gestellt worden seien, die ebenso kurzfristig berücksichtigt worden sind, habe die Skalierung des Systems versagt, weil die Berechnung der zusätzlichen Merkmale in Echtzeit nicht gelang. Schließlich hatte der Rückbau der Plattform auf den ursprünglich angebotenen und abgenommenen Stand einige Tage gebraucht. Es sei kein Hackerangriff gewesen, wie zunächst angenommen gestand grandcentrix ein.

Grundsätzlich funktioniert es also, die Verbindung von App über den Second Screen mit dem Massenmedium Fernsehen, auch wenn Millionen wie beim ESC mitmachen. Ganz klar ist gerade mit dem „Quizduell“ ein neues hybrides Format entwickelt worden, das erstmals nicht von einer reinen Fernsehprogramm-Idee ausgegangen ist, sondern umgekehrt aus der IT-Welt und ihren vielen Games, mit denen man gute Geschäfte machen kann, stammt. Die ARD oder vielmehr der in Sachen „Quizduell“ federführende NDR kann sich durchaus rühmen ein Innovationsvorreiter bei der Verbindung des First und Second Screen zu sein.

Usus, auf einfachere technische Basis, ist diese Verbindung aber längst bei allen großen TV-Sendern. Was ist ihre Motivation dafür? Man setzt den Second Screen als Feedbackinstrument ein, um „das Involvement der Zuschauer in unsere Programme zu erhöhen“, ist beispielsweise von einem ProSiebenSat.1-Sprecher zu erfahren. Die Münchner Sendergruppe hat beim Start der mittlerweile wegen schlechter Einschaltquoten wieder eingestellten interaktiven Show „Keep Your Light Shining“ beispielsweise auf Anhieb 2,9 Millionen Votings erzielt. Eine Menge Zuschauer haben damit via Second Screen die LEDs auf dem Bühnenboden erleuchtet, auf denen diejenigen Sänger standen, die sie, die Zuschauer am besten fanden. Lichtfernsteuerung – Keep your Light Shining – per Second Screen. Und die App dazu war eine Weiterentwicklung der Inhouse-Entwicklung, der schon lange existierenden App „Connect“ von ProSiebenSat.1. Eine hübsche, innovative Idee. Man hätte es natürlich auch via Telefon steuern können, wie einst „Der goldene Schuss“ vom ZDF. Das war auch eine interaktive Idee. Interaktivität gibt es schon immer“, weiß dann auch ProSiebenSat.1: „Einst waren es Postkarten („Tor des Monats“), dann waren es jahrelang Anrufe als einziges Mittel, um als Zuschauer zu interagieren. Jetzt gibt es via Second Screen mehr und mehr neue Möglichkeiten“. Als nächstes will man etwas technisch Komplexeres bei ProSiebenSat.1 mit der Show „What Do I Know“ ausprobieren. Eine Formatentwicklung von John de Mols Firma Talpa Media. Dazu gibt es bereits eine erfolgreiche App in Holland, die für den deutschen Markt adaptiert werden soll.

Ob bei DSDS, Dschungelshow oder der Video-Plattform RTL now, seit Jahren arbeitet die RTL-Gruppe mit der niederländischen Firma digame mobile zusammen, um Zuschauer mit interaktiven Applikationen und Televotings zu involvieren. Wobei digame mobile auch Mobile Payment-Lösungen anbietet, mit denen Sender Cash machen können. RTL will demnächst mit der interaktiven Show „Rising Star“ neu auftrumpfen. Haben sich die Zuschauer die kostenlose App zu „Rising Star“ downgeloaded, können sie sich als Juror für das Voting registrieren lassen: Entweder mit einem Profilbild, per Facebook oder auch anonym ohne Foto. Während der Live-Show soll sich der Zuschauer zunächst für das Talent einchecken, das gleich singen wird. Mit diesem Check-In zählt er zu dem Voting-Panel der 100 Prozent, die abstimmen dürfen. Sobald das Talent zu singen beginnt, kann der User in der App abstimmen. Komplizierter Vorgang: Denn der User muss sich vor jedem Auftritt erneut einchecken, damit das Panel ausschließlich aus Usern besteht, die sich aktiv an dem nächsten Auftritt beteiligen möchten. Als Dank dafür, erscheint das Foto des Zuschauers, wenn er Glück hat, auf der riesigen Wand, die den Künstler vom Studiopublikum und der Jury trennt – und ist von allen RTL-Zuschauern zu sehen.

Was den einen gefällt, wird von anderen kritisiert: Was soll das mit dem interaktiven Gedöns im Fernsehen? Vor allem mit Social Media. Dramatisches Bild und Resonanz vom Zuschauer passten einfach nicht zusammen. So werden ja in Talk Shows oder anderen Live-Formaten meist nur einzelne Zuschauerreaktionen herausgefiltert und vorgelesen – wie langweilig. Aber auf Senderseite lässt man sich nicht irritieren: Wer weiß, was die Konkurrenz demnächst mit der Verbindung von Broadcast und Internet auf die Beine stellt. Alle Redaktionen sind aufgefordert, den Second Screen im Programm einzubinden.

Selbst der Pay-TV-Sender Sky Deutschland fordert schon seit langer Zeit seine Zuschauer auf, sich an Sendungen wie „Samstag LIVE!” und „08000 – du bist dr@uf!” interaktiv zu beteiligen. Sie sollen ihre Meinung ausdrücken oder Fragen an Moderatoren oder Gäste im Studio stellen. Bei Sky weiß man aber auch, dass es „natürlich wichtig“ ist, „Informationen zu selektieren und zu schauen, welche Aussagen auch tatsächlich von Wert sind“. Allerdings: Mittlerweile ist das Format „Samstag Live“ eingestellt worden, weil es mit seiner Länge von acht Stunden kaum auf Zuschauerinteresse stieß. Doch im Rahmen der Sky-Champions-League-Sendungen wird ein Querschnitt der Zuschauer-Meinungen via Twitter in die Vor- und Nachberichterstattung integriert. „Bei sämtlichen On-Air-Einbindungen – mit Ausnahme von Telefonanrufen – handele es sich immer um die Verlängerung der Social-Media-Kommunikation von Sky, die abseits der Live-Sendungen rund um die Uhr stattfindet“, betont ein Sky-Sprecher. Wobei die beiden Sport-Accounts von Sky auf Facebook zusammen fast 650.000 Anhänger haben und die Twitter-Accounts von Sky Sport, Sky Sport News HD und der Reporter von Sky Sport News HD in Summe über 300.000 Menschen folgen, betont er.

Was spricht eigentlich dafür, dass sich die Verbindung von TV und Internet durchsetzen könnte – und nicht etwa nur ein Hype ist? Und gilt dies nur für Live-Formate? ProSiebenSat.1 meint in einem Statement dazu: „Bei einer stetig wachsenden Zahl von Zuschauern ist der Second Screen beim TV schauen immer mit dabei. Live oder nicht live. Gesteuert oder nicht durch den Sender gesteuert. Mit Interaktion – oder auch ohne. „Circus HalliGalli“ ist ein Musterbeispiel dafür, wie sehr die Zuschauer auf allen Wegen die Interaktion mit ihrer Lieblingsshow und den Moderatoren leben. „Circus HalliGalli“ sendet einmal in der Woche, trotzdem ist die Show für ihre Zuschauer die ganze Woche präsent“. TV auf allen Kanälen interaktiv.

Für klassische Broadcast-Dienstleister ist das alles aber nur bedingt ein Zusatzgeschäft. Wenn beispielsweise bei Shows wie etwa „The Voice“ oder Quizduell der Second Screen als ein Zusatzfeature in Form von Bildern oder Texten eingebaut wird, handele es sich um eine redaktionelle Entscheidung bei dem jeweiligen Sender, ist von Studio Hamburg/Berlin zu erfahren. Für technische Produktionsdienstleister sei es kein Problem die Signale des zusätzlichen Features mit zu berücksichtigen. Und auf der anderen Seite: Einen Inhalt über Broadcast oder via Internet zu distribuieren, mache im technischen Aufwand keinen Unterschied, weil sich die produzierten Signale in einen beliebigen Codec wandeln lassen.

Erika Butzek

© ARD

MB 5/2014

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