Besser hätte das Timing für Alcatel -Lucent nicht sein können: Der weltweit aktive Netzwerkausrüster zeigte vom 20. bis 24. Mai mit einem Feldversuch in Langenargen am Bodensee die besondere Leistungsfähigkeit der neuesten Mobilfunktechnologie LTE (Long Term Evolution). Just am 21. Mai gab die Bundesnetzagentur auch die Ergebnisse der zweiten großen Versteigerung für Mobilfunklizenzen bekannt (siehe Meldung S. 7).
Sie sollen insbesondere der Einführung der 4. Mobilfunkgeneration (4G) und damit auch der LTE-Technologie dienen. Möglich ist damit Angebot und Nutzung von schnellem, mobilem Internet. Der Bund hat die Lizenznehmer der neuen Mobilfunkkapazitäten deshalb verpflichtet, zunächst einmal die mit Breitband-Internet unterversorgten ländlichen Gebiete an die digitale Welt anzuschließen. Dass mit LTE aber auch ganz andere Dienste realisiert werden können, zeigte Alcatel-Lucent über Pfingsten am Bodensee anläßlich des einzigen deutschen Stops der World Match Racing Tour (WMRT) 2010. Bei den zehn Events der Rennserie treten jeweils zwei baugleiche Yachten, gesteuert von der Elite des internationalen Segelsports, gegeneinander an. Veranstalter ist die International Sailing Federation (ISAF).
Als Weltpremiere wurden in Langenargen erstmals Videobilder von Onboard-Kameras auf den Segelyachten und von einem Begleitboot mit Hilfe von LTE zum Sendezentrum im Langenargener Schloß Montfort übertragen. Dort wurde das Material live geschnitten, kommentiert und mit Grafiken versehen. Über Richtfunkstrecke wurde es dann nach Friedrichshafen geschickt, wo es zur Livestream-Präsentation ins Internet eingespeist wurde.
Das Projekt realisierte Alcatel-Lucent mit einigen Partnerunternehmen, die zum Teil erst recht kurz-fristig gewonnen werden konnten. Als Netzbetreiber war Teledata an Bord, als Streaming-Dienstleister stream5 und die Encoder-/Decoder-Technik lieferten Teracue und HaiVision. Einen 40 Meter hohen Funkmasten stellten die im Autokran-Bereich tätigen Match-Race-Sponsoren Liebherr und Nagel-Gruppe bereit. Am Mast installiert waren die Senderverstärker und LTE-Antennen. Sie bedeckten insgesamt drei drei Sektoren (Funkzellen).
Darin lagen die beiden Regattabuchten und Schloss Montfort mit dem Studio. In einem kleinen Container am Funkmastfuß war die Basisstation untergebracht und das sogenannte Kernnetz, mit dem die Teilnehmerverwaltung geschieht und verfolgt wird, in welcher Zelle sich jeder Teilnehmer gerade befindet. Bei Wechsel eines Senders von einer Zelle zu einer anderen geschieht dies laut Alcatel-Lucent ohne jede Bildunterbrechung.
„Die mobile Internetnutzung wird zunehmend auch eine Videonutzung. Die dafür nötige anspruchsvolle Technologie konnte der Mobilfunk bis heute nicht liefern. Aber mit G4 bzw. LTE ändert sich das“, erklärte Alcatel Lucent-Marketingleiter Dr. Theo Wichers. „Mit dem Feldversuch hier können wir die technische Leistungsfähigkeit von LTE bezüglich Bandbreite, Zuverlässigkeit und Qualität unter Beweis stellen“, sagte er. Die Übertragung bedeute auch eine Revolution für die Live-Produktion von Sportereignissen. Mit LTE würden Produtionstechnik und –abläufe der Medien-Firmen und Fernsehmacher deutlich vereinfacht. Und für Mobilfunkanbieter würden sich neue Möglichkeiten bieten, ihre Netzkapazität bei Sportveranstaltungen auch „on demand“ an Broadcaster zuverkaufen.
Auch Dr. Erich Zielinski, Head of End-to-End LTE Solutions Alcatel-Lucent Deutschland, sprach im Rahmen der World Match Racing Pressekonferenz von einer Revolution. „Erstmals werden wir beim Match Race Germany in der Lage sein, während der Segelduelle Live-Bilder von den Booten zu übertragen. So sieht die Zukunft von Mobilfunk aus. LTE ist eine Revolution in der Kommunikationswelt und das Match Race Germany wird mit dieser Live-Übertragung zum Trendsetter.“
Bestätigt wurde diese Ansicht von einigen der am Match Race Germany beteiligten Akteure. Veranstalter Eberhard Magg betonte: „Wir sind froh, dass wir diese TV-Technik jetzt hier haben. Das ist der Mosaikstein, den wir unbedingt noch brauchten, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu gewinnen.“ Als Randsportart seien Segelregatten sehr stark auf Sponsoren-Unterstützung angewiesen. Die Übertragung eines Sport-Events in TV und Internet erleichtere sehr diese zu gewinnen.
“Mit Live-Bildern können wir den Zuschauern, Rennsituation und -taktik besser erklären. Und mit einem Kameramann an Bord lassen sich zusätzlich die Emotionen der Segler für die Zuschauer greifbar machen“, sagte Magg. Von der Mobilfunktechnik der neuesten Generation verspricht er sich vor allem günstigere Einstiegsbedingungen in die TV-Übertragung.
Das sieht auch Sam Usher, Managing Director Red Handed TV (RHTV), so. Sein Unternehmen ist weltweit in der Live-Sport-Produktion mit Schwerpunkt Segeln aktiv. In Langenargen sorgte das RHTV Team für die Videoproduktion.
„Wir sehen einen klaren Wandel von der klassischen Broadcast- hin zur Internet-Produktion“, sagte er. Dennoch sei es eine technische Herausforderung und teure Angelegenheit geblieben, Videobilder von den Booten auf dem Wasser zu einem Studio oder Ü-Wagen zu transportieren. Usher: „Deshalb sind alle Bemühen um eine günstigere, einfacher zu bedienende Lösung für Internet-Fernsehen bei uns sehr willkommen. Nur damit können sich Randsportarten wie Segeln am Ende eine TV-Berichterstattung überhaupt leisten.“
Usher rechnete vor, dass für Produktionen mit sieben Radio Frequency (RF)-Systemen zur Drahtlos-Übertragung von Bilder pro Woche allein rund 40.000 Euro Miet-, Fracht- und Techniker-Kosten anfallen würden. „Und das nur, um die Bilder auf das Mischpult zu kriegen. Dazu kommen weitere Kosten für die Kameras und die Kameraleute. Das ist also ein sehr teurer Prozess“, erklärte er und fügte sogleich an: „Wenn LTE eine kostengünstige Alternative zur RF-Übertragung bietet, dann bin ich sofort dabei.“
Von der Qualität der via LTE mit einer Datenrate von bis zu drei Mbit/s übertragenen SD-Bilder zeigte er sich überrascht. Usher räumte ein, dass er besonders mit Blick auf die Latenz der über Mobilfunktechnik übertragenen Bilder sehr skeptisch war. „Ich habe nicht geglaubt, dass die Bilder der kabelgebundenen SDI-Kamera auf dem Turm zusammen mit den IP-Bildern von den Booten problemlos auf unserem Mischer verarbeitet werden können. Ehrlich gesagt, eine Woche vor Start des Match Races war ich noch der Ansicht, dass wir mit dieser Technik nicht live gehen können“, berichtete er. Die Bedenken seien aber dann schnell zerstreut worden.
Als Live-Mischer im Einsatz hatte Usher in Langenargen eine Anycast-Station von Sony.
„Für unsere Zwecke hier ist die perfekt“, erklärte er. Etwas umständlich sei lediglich gewesen, die am Mac Book Pro mit Keynote erzeugten Grafiken mit den Live-Bildern zu mischen.
Insgesamt waren für RHTV immer vier Kameraleute gleichzeitig im Einsatz, einer auf einem Regatte-Begleitboot, einer auf dem Turm von Schloss Montfort und je einer auf den beiden Yachten des „Featured Matches“, also des Rennens über das gerade Live berichtet wurde. Auf den Yachten wurden die Bilder mit EX1-Camcordern von Sony vom Cockpit heraus eingefangen. Der Kameramann im Begleitboot arbeitete mit einem Sony XDCAM-Camcorder PDW 700 und auf dem Schlossturm kam eine EX3 von Sony mit Zoomobjektiv zum Einsatz.
„Zuerst sollten auf den Booten IP-basierte Überwachungskameras eingesetzt werden. Wir mußten jedoch schnell einsehen, dass sie für solche Aufgaben nicht geeignet sind“, berichtete Wolfgang Klenner, bei Alcatel-Lucent für IPTV und Broadcast zuständig. Deren Bildqualität habe nicht überzeugt. Klenner: „Bei den IP-Kameras gab es ein relativ großes Delay und Probleme beim Schwenk.“ Bei einem Test des IRT in München hätten sich semiprofessionelle Broadcast-Kameras klar gegenüber den Überwachungskameras durchgesetzt.
Kurzfristiger Partner-Wechsel
Der britische Produzent RHTV war relativ kurzfristig für die Produktion der Match Race Germany Bilder engagiert worden. Ursprünglich sollte Plazamedia den Job übernehmen. Wirtschaftlich war das für das Ismaninger Unternehmen jedoch nicht interessant.
„Wir sind anfangs davon ausgegangen, dass die Produktionsfirma auch die ganze Encoder/Decoder-Technologie bereitstellt. Der neue Produktionspartner RHTV kannte sich damit jedoch nicht aus. So mussten wir uns plötzlich auch mit dem Encoder/Decoder-Thema befassen“, berichtete Klenner. Die Zeit bis zum Event sei da schon extrem knapp gewesen. „Wir sind deshalb sehr froh, dass die Zusammenarbeit mit HaiVision und Teracue so reibungslos funktioniert hat“, sagte er. „Insbesondere Teracue war extrem flexibel. Wir haben auf der ANGA Cable am Vormittag das Thema besprochen, am Nachmittag hatten wir schon die Geräte in Stuttgart. Das war traumhaft.“ Getestet wurden die Encoder/Decoder in den Stuttgarter Bell Labs von Alcatel-Lucent. Beim Match Race Germany wurden am Ende vier H.264 Encoder/Decoder-Pärchen der Typen ENC-200 und DEC-200 von Teracue eingesetzt und weitere von HaiVision.
„Durch die Beistellungen der beiden Firmen waren genügend Geräte da, um alle Boote damit fest auszustatten. Der Kameramann brauchte seine Kamera mit einem SDI-Kabel nur mit den Systemen dort verbinden. Das Live-Signal der Kamera wurde dann in Echtzeit encodiert und als IP-Stream über LTE übertragen. Wenn ein Kameramann von einem Segelboot auf ein anderes wechselte musste im Studio nur noch die dann nötige IP Adresse per Hand umkonfiguriert werden. Das ging hier noch nicht automatisch“, berichtete Klenner.
Teracue-Encoder
„Was unsere Systeme hier interessant macht ist ihr geringer Stromverbrauch von nur 3,5 Watt bei 5 Volt Spannung, ihre Robustheit und die Tatsache, dass sie ganz ohne Lüfter auskommen. Für den mobilen Außeneinsatz sind sie damit ideal geeignet“, betonte Teracue-Vorstand und CTO Karl-Heinz Wenisch. Auch die harten Einsatzbedingungen beim Wassersport seien für die Teracue-Encoder kein Problem. Tests in der Klimakammer hätten gezeigt, dass sie auch einen Temperaturbereich von -35°C bis +60°C verkraften würden. Weiterer Vorteil die schnelle automatische Wiederaufnahme von IPTV Streaming nach Verlust von Strom- oder Kameraquelle.
Teracue-Marketing-Leiter Rainer Link wies daruf hin, dass Live-Sport-Produktionen auch vom Audio-Rückkanal an den Teracue-Encodern/Decodern profitieren könnten. Es sei möglich zwischen Decoder und Encoder eine Sprachverbindung aufzubauen und somit an dieser Stelle Interkom-Technik einzusparen. Sam Usher zeigt sich auch von dieser Möglichkeit sehr angetan: „Da wäre ich sofort dabei und könnte ein Heidengeld an dem nötigen Mietequipment sparen.“
Klenner von Alcatel-Lucent sieht indes viel Potential in der professionellen IP-basierten Video-Produktion insgesamt. „Es wird künftig integrierte mobile Produktionssysteme geben – mit Encodereinheit, Rechnereinheit, LTE-Modem und Batteriepack zusammen in einem kompakten Gehäuse, das der Kameramann dann im Rucksack dabei hat oder das man gleich an eine Kamera anbauen kann“, meinte er.
Workflows könnten in naher Zukunft auch durchgängig auf IP-Ebene funktionieren, sodass man nicht ständig von SDI auf IP und wieder zurück wandeln müsse. „Wir brauchen auch einen IP-Schnittplatz, aus dem heraus man direkt ins Internet gehen kann“, sagte er.
Bei dem diesjährigen Match Race Germany waren auf den Yachten kleine redundante LTE-Sende- und Empfangsantennen aufgebaut und im Cockpit die Stromversorgung, LTE-Sender und Encoder fest installiert untergebracht.
LTE-Technik von Alcatel
In Sachen LTE-Sende- und Empfanfgstechnik zählt Alcatel-Lucent weltweit zu den führenden Herstellern. Das Unternehmen hat bereits Ende 2009 eine kommerzielle 800 MHz Basisstation in den USA in Betrieb genommen hat. „Wir haben diese Dienste schon recht früh erprobt und sind jetzt auch dabei, im Stuttgarter Norden ein kleines Pilotsystem aufzubauen, das in die ländlichen Gebiete vor Stuttgart reinleuchtet und mit dem wir dort die nötigen Parameter austesten können. Mit Abschluß der Mobilfunk-Frequenzauktion in Deutschland sind wir bereit, die für 800 MHz nötigen Antennenanlagen zu liefern“, betonte Alcatel-Lucent Marketing-Chef Wichers.
Er wies auch darauf hin, dass zum Jahreswechsel mit dem nächsten Release von LTE ein Broadcast-Modus eingeführt wird. „Man hat dann auch die Möglichkeit, einen Dienst an mehrere Teilnehmer zu verbreiten. Im Moment sind ja nur Punkt-zu-Punkt-Verbindungen möglich. Da ist eine Funkzelle schnell überlastet“, erklärte er.
Laut Dr. Zielinski ist LTE leistungsfähig genug, um damit auch HDTV-Qualität zu transportieren. Ein typisches HD-Signal, erklärte er, benötige heute eine Bandbreite von 10 Mbit/s. UMTS biete maximal 15 Mbit/s und der UMTS-Beschleuniger HSDAPO+ 40 Mbit/s. Hier stoße man bei der Übertragung von hochauflösenden Videos schnell an die Grenze des Machbaren. Mit LTE hingegen seien bei 20 MHz Übertragungsraten 173 Mbit/s möglich und beim Einsatz von vier MIMO-Antennen sogar 326 Mit/s.
Die bei LTE eingesetzte Mehrfach-Antennen-Technik MIMO erlaubt in einem Frequenzspektrum die Übertragung von mehr Bits. So sind auch in dem von Alcatel-Lucent angebotenen 800 MHz-Antennensystemen tatsächlich zwei Antennen untergebracht.
Die besondere Leistungsfähigkeit von LTE wird zudem über das neue Modulationsverfahren OFDM (Orthogonal Frequency Division Multiplex) erreicht. „Es kann mehr Informationen in einem Spektrum übertragen und hat zudem Fähigkeit verschiedene Frequenzbänder zu nutzen. Bei UMTS sind die Blöcke in ein striktes 5 MHz breites Raster aufgeteilt. Bei LTE kann man diese Blöcke von 5 MHz zu 10 oder gar zu 20 MHz zusammensetzen. Man kann seine Kapazität damit also gewaltig bündeln“, erklärte Zielinski. Als weiteres zentrales Element, das die besondere Leistungsfähigkeit von LTE ausmache, sei „Flat IP“. Der Begriff steht für ein durchgängiges IP-System für Sprach- und Datenübertragung. „Vorteil ist, wir haben hier normale Ethernet-Schnittstellen und Standard-Technik an allen Systemen“, sagte Zielinski.
Besonders interessant für die Viedeoübertragung via LTE seien die guten Reaktionszeiten. Bei LTE beträgt die Latenz nur 10 ms, bei HSDAP+ im Vergleich dazu 65 ms. Der Alcatel-Lucent-Forscher sieht in den technischen Parametern von LTE, einen Beleg dafür, dass man sich auch bei der Übertragung der Tour de France mit Motorrad-Kameras künftig den teuren Hubschrauber als RF-Relaisstation darüber sparen kann. Bis das soweit ist, wird es aber wohl noch etwas dauern. Ende des Jahres stehen laut Zielinski zunächst zwei LTE-Rollouts in den USA an. Und in Deutschland wird man frühestens 2011 mit dem kommerziellen Angebot von 4G-Services rechnen können. Dann soll es auch erste LTE-Endgeräte geben. In Langenargen präsentierte Zielinski den Prototypen eines LTE-Empfangsstick mit USB-Anschluss. „Der künftige Formfaktor wird dem der heutigen UMTS-Sticks entsprechen“, erklärte er. Alcatel-Lucent ist mit seiner LTE End-to-end Strategie aktuell bei 45 internationalen 4G-Versuchen weltweit beteiligt. Das Unternehmen ist mit seiner Technologie auch auf der Shanghai Expo vertreten. Die erwarteten 70 Millionen Besucher sollen dort die Gelegenheit haben, LTE-Services ausgiebig zu testen. Zielinski: „Wir haben ganz klar eine Technologieführerschaft bei LTE. Und unsere Bell Labs helfen uns dabei, völlig neue Leistungsmerkmale in diese Technologie einzubauen.“ Vorteilhaft sei, dass LTE ein echter Weltstandard sei, bei dem alle Länder in eine Richtung marschieren würden. Das mache diese Technologie auch für Netzwerk-Hersteller wie Alcatel-Lucent besonders attraktiv.
Eckhard Eckstein
(MB 06/10)