Wenn sich jedes Jahr im Juni die Eifel in ein Festivalgelände verwandelt, ist klar: Das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring steht an. Hunderttausende Fans campieren zwischen Wäldern und Leitplanken, die Strecke wird zur Bühne – und mittendrin: eine der aufwendigsten Fernsehproduktionen Europas. Was Zuschauer auf dem Bildschirm sehen, ist das Ergebnis monatelanger Planung, logistischer Präzision und technischer Finesse. Ein Blick hinter die Kulissen offenbart eine Live-Produktion im Grenzbereich.
Verantwortung für Bild und Boxengasse
Die TV-Produktion für das 24-Stunden-Rennen am Nürburgring liegt seit diesem Jahr vollständig in der Verantwortung von TV SKYLINE. Die Tochterfirma SKYLINE Management mit Geschäftsführer Matthias Wurm halten die Rechte am Event. TV SKYLINE Inhaber Wolfgang Reeh und sein Team steuern technisch eines der größten Live-Setups Europas – mit dutzenden Kameraperspektiven und einer Infrastruktur, die in dieser Form einzigartig ist.
Reeh kennt das Rennen aber nicht nur aus der Perspektive des Produzenten. Als Teamchef eines privaten Porsche-Rennteams, bei dem unter anderem sein Sohn Julian mitfährt, ist er auch emotional eng mit dem Event verbunden. Sein Team holte in der Klasse SP7 den Sieg – ein sportlicher Erfolg, der Reehs besondere Verbindung zum 24h-Rennen unterstreicht. „Diese Nähe hilft mir auch in der Produktion“, sagt er. „Ich weiß, was Fahrer, Teams und Zuschauer brauchen und was sie im Bild sehen wollen.“
Denn das 24h-Rennen ist mehr als Motorsport: Es ist eine Mischung aus Hochleistungssport, Camping-Ritual und Ausnahmezustand. Und das spiegelt sich auch in der Art der TV-Inszenierung wider.
Kameras, Kräne, Kabel: Das Setup
Mehr als 200 Crewmitglieder zählt das Team von TV SKYLINE vor Ort. Untergebracht in mehreren Ferienparks und Hotels rund um den Ring, arbeiten sie im Drei-Schicht-Betrieb. Im TV-Compound stehen vier Produktionsfahrzeuge: Der Ü11 als technisches Herzstück mit zentraler Kreuzschiene, Slomo-Regien und Bildtechnik; der G10 “The Gallery” mit der Regie für das Worldfeed; der G2 für Spezialkameras und Remote-Köpfe; sowie der Ü7, der komplett für das Programm von RTL Nitro reserviert ist. Nitro produziert dort sein gesamtes lineares Programm selbst – inklusive redaktioneller Inhalte und Live-Moderationen.
Für die Produktion laufen über 75 Kamerasignale im Setup zusammen: 18 Fahrzeuge mit Onboards in Top- und langsameren Fahrzeugen, zahlreiche Grass Valley Broadcast-Kameras, Chip-Kameras in Leitplankennähe, Remote-Köpfe auf Kränen, zwei QubeCams für Top-Shots über der Boxengasse, eine über der Ziellinie und eine 650 Meter lange Seilkamera von Airtime Unlimited. Letztere wurde kürzlich verlängert und überspannt nun den gesamten Boxenbereich bis zur Mercedes-Tribüne. Dabei kreuzt sie die Strecke gleich dreimal und erlaubt so mit nur einem Flug einen eindrucksvollen Blick auf Start, Ziel und Boxenausfahrt.
Zusätzlich kreist ein Flächenflugzeug permanent als Relaisstation für die Onboard-Kameras über die grüne Hölle. Es empfängt die Signale aus den Autos und leitet sie an einen eigenen Techniktruck des Dienstleisters AMP weiter, der das Routing ins Produktionssystem übernimmt. „Wir brauchen diesen Flieger – bei 25 Kilometern Strecke geht es nicht anders“, sagt Projektleiter Dennis Ebel.
Neue Perspektiven – von oben, von innen, von ganz nah
Die Bildregie liegt bei Sepp Friedl und Michi Kögler. Ihre Philosophie: Motorsport zeigen, aber nicht entkoppelt vom Erlebnis vor Ort. „Die Strecke liefert Spektakel, aber die Menschen drumherum sind genauso wichtig. Ohne die Grillplätze, Fahnen, Bierbänke und blinkenden Lichter fehlt dem 24h-Rennen die Seele“, sagt Kögler.
Mit Gimbal-Kameras im Cine-Look, neu und im Test befindliche Bodycams an Mechanikern und extrem tief platzierten Chip-Kameras an Stellen wie Flugplatz oder Fuchsröhre fangen sie genau diese Momente ein. Das neue ExtraMotion-System von EVS hilft zusätzlich: Mit KI-gestützter Frame Interpolation lassen sich auch aus regulären 50i-Signalen beeindruckende Zeitlupen generieren – denn auf Highspeed-Kameras wurde in diesem Jahr bewusst verzichtet. Alle Broadcast-Kameras laufen über das EVS-System. „Wir nutzen das ExtraMotion-System intensiv. Das Delay liegt bei unter zehn Sekunden pro Clip“, erklärt der Technische Leiter Alexander Wenke.
Neu ist das Expertenstudio mit Patrick Simon für den Livestream: Der ehemalige Profi-Rennfahrer analysiert kritische Szenen, spiegelt sein iPad auf den Screen und visualisiert Strategien oder Zwischenfälle. Zwei eigene Kameras, Bildmischer und eine kleine Redaktionseinheit machen das Format produktionstechnisch autark.
Glasfaser statt Generator
Erstmals ist die Nordschleife vollständig mit Glasfaser erschlossen. Lediglich rund 5,5 Kilometer Strecke sind noch nicht mit Streckenkameras ausgestattet – sie werden ausschließlich über Onboard-Kameras per Funk aus den Fahrzeugen oder vom Heli übertragen. Früher betrieb TV SKYLINE zusätzliche Ü-Wagen direkt an der Strecke, um Kamera-Signale per Glasfaser zum TV Compound zu schicken. Jetzt läuft alles zentral über Patchpanels, die sternförmig die Signale vom/zum TV Compound an die Strecke führen. Das spart Personal, reduziert Ausfallrisiken und schafft Übersicht.
Wenke beschreibt das so: „Früher mussten wir einzelne Kamerapositionen mit Generatoren versorgen. Jetzt reicht ein Patchfeld, ein Glasfaseranschluss, fertig.“ Im G2 laufen alle Remote-Kameras zusammen – inklusive Steuerung der Chip-Cams, Hotheads und Top Shots.
Drahtloskameras unter Kontrolle
Wer sich im Start-Ziel-Bereich über stabile Bilder der mobilen Kameras freute, verdankt das vor allem Patrick Nußbaum und seinem Team von HD Wireless. Sie installierten Antennen, kontrollierten Frequenzen und sorgten dafür, dass die Drahtlosverbindungen auch unter schwierigen Bedingungen reibungslos funktionierten, etwa bei Interviews in der Boxengasse oder Gimbal-Fahrten durch das Fahrerlager.
„Wir haben eine robuste Infrastruktur aufgebaut, die alle beweglichen Kameras sicher ins System bringt – trotz enormer HF-Dichte rund um den Nürburgring“, erklärt Nußbaum. Dass das System stabil lief, sei dem Zusammenspiel aus Erfahrung, Vorbereitung und einem guten Gespür für die Eigenheiten des Rings zu verdanken.
Logistik als eigene Disziplin
Neben der Technik ist vor allem eines entscheidend: Disposition. Wer wann wo sein muss, wird minutiös geplant. Ein Schlüsselbrett mit 100 Fahrzeugschlüsseln und über 150 Zugangscodes für Schrankenanlagen hilft dabei, die Mobilität im Wald zu steuern. „Wenn so ein Schlüssel verloren geht, kostet das bis zu 30.000 Euro“, sagt Robert Kis, Co-Geschäftsführer von TV SKYLINE.
Das Team von TV SKYLINE ist über viele Jahre hinweg gewachsen und eingespielt. Ein Großteil der Crew kennt den Nürburgring aus langjähriger Erfahrung – inklusive der logistischen Herausforderungen und infrastrukturellen Eigenheiten der Nordschleife. Diese Ortskenntnis ist ein nicht zu unterschätzender Faktor für eine reibungslose Produktion unter komplexen Bedingungen.
World Feed via SRT
Sobald alle Systeme scharf und die Teams auf Position sind, startet das 24h-Rennen im Format 1080i50. Der Signaldistibution erfolgt in diesem Jahr erstmals vollständig via dedizierte SRT-Leitungen über Globecast. Klassische SNGs kommen nicht mehr zum Einsatz.
Der World Feed für die internationale Distribution wird von TV Skyline produziert und steht in verschiedenen Varianten zur Verfügung – wahlweise mit deutschem Kommentar, ohne Kommentar oder als reine Bildversion für individuelle Weiterbearbeitung. Insgesamt nutzen 111 Broadcaster weltweit das Signal, darunter 42 Taker im Live-, Re-Live- oder Delayed-Modus. National greifen fünf Partner direkt auf das Feed zu. Damit ist das 24h-Rennen in über 200 Territorien empfangbar. Lediglich in Grönland, Nordkorea und Kuba wird das Rennen nicht gezeigt.
Planung ohne Pause
Wenn am Sonntag um 16 Uhr die Zielflagge fällt, endet auch für die Technikcrew ein Ausnahmemarathon. In wenigen Stunden wird zurückgebaut, dokumentiert und bilanziert – denn schon kurz darauf beginnt die Planung für das kommende Jahr.
TV SKYLINE und SKYLINE Management verstehen das 24h-Rennen nicht nur als festen Termin im Kalender, sondern als Projekt mit Entwicklungspotenzial. Ziel ist es, das Event Jahr für Jahr weiterzuentwickeln – inhaltlich, technisch und organisatorisch.
Denn so komplex und herausfordernd die Produktion auch ist: Sie bietet zugleich Raum für Innovation – und für Faszination. Für spektakuläre Bilder, packende Rennaction und eine Strecke, die selbst für Routiniers nie zur Routine wird.