Entspannte Stimmung

Wenn es nach der Stimmung auf der diesjährigen miptv in Cannes geht, dann sollten die Aussichten für die TV Industrie in der nächsten Zeit glänzend sein. Ein Bericht über Cannes in Feierlaune…

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Entspannte Stimmung

In Cannes ist es immer so eine Sache mit den Zahlen, mit den Teilnehmerzahlen an den beiden großen internationalen TV Fachmessen, die im Frühjahr und im Herbst ihre Pforten öffnen. In diesem Frühjahr, auf der miptv, sollen es wieder rund 11.500 gewesen sein, also ungefähr die gleiche Anzahl, wie im vergangenen Jahr. Spricht man aber mit den Messeteilnehmern selbst, so heißt es durchgängig, es seien deutlich weniger da gewesen als sonst. Die Präsenz der großen US Studios fiel dieses Frühjahr noch geringer aus als schon in den vergangenen Jahren.

Warner Brothers und Disney haben ihre Hauptaktivitäten schon lange auf die mipcom im Herbst verlegt, in diesem Frühjahr fehlte aber auch die große von Sony besetzte Zeltlandschaft am Strand neben dem Palais des Festivales. Lediglich NBC Universal und das wiedererstarkende MGM waren wie gewohnt sichtbar. Messeseitig betont man aber, dass alle Studios Teilnehmer geschickt hätten, eben nur weniger und ohne großen Stand. Doch subjektiv fühlte es sich nach deutlich weniger Teilnehmern an. Was aber sonst als ein Beleg für ein Krisenszenario herhalten musste, hatte im Frühjahr 2011 genau den gegenteiligen Effekt: Die Stimmung war außergewöhnlich gut. Die Leute waren entspannt und aufgeschlossen und voller Erwartung. Und das lag wirklich nicht an der vielen Sonne, die diese Frühjahrs-MIP beschien, zumindest war sie nicht ausschlaggebend.

Schon im Vorfeld der Messe war das spürbar, wie Anne Hufnagel von dem Dokuvertrieb united docs in Köln feststellte: „Wir haben im Vorfeld der Messe zwar noch kein Mehr an Verkäufen interessiert. Da gibt es immer noch sehr viel Zurückhaltung, vor allem bei den großen Sendergruppen. Allerdings bleiben die Leute jetzt wieder länger auf der Messe.“ Im vergangenen Jahr seien ihre Einkäufer nur zu dem der eigentlichen miptv am Wochenende vorgelagerten Spezialscreening mipdoc angereist und gar nicht zur eigentlichen Messe geblieben. „Das hat sich wieder geändert und daran sieht man, dass zumindest da wieder Budgets da sind“, schließt sie. Und jeder erzählte in der Folge von den tollen Meetings, die alle mehr gebracht als sie zuvor erwartet hatten. Die wieder verfügbaren Budgets zeigten sich aus deutscher Sicht etwa an außergewöhnlichen Präsentationen.

Beta Film etwa lud neben dem traditionellen Beta Brunch am Dienstag, am Vorabend zum exklusiven Dinner um „Borgia“ zu feiern. Der enorme Aufwand der zwölfteilige Serie mit einem Budget von 30 Millionen Euro verlangt besondere Verkaufsanstrengungen. Gäste waren einer der Regisseure, Oliver Hirschbiegel, und die Hauptdarsteller, zusammen mit den Koproduktionspartnern, wie etwa das ZDF, vertreten durch dessen Programmdirektor Thomas Bellut, Käufern und vor allem aber Interessenten. Die Zusammenkunft war nicht ohne Pikanterie, denn am gleichen Abend hatte eine andere Borgia-Produktion, die mit Jeremy Irons, in den USA ihre TV-Premiere, mit sehr guten Quoten, wie deren Produzent CBS am kommenden Tag mit sichtlicher Freude kommunizierte. Es wird sicherlich ein spannendes Rennen, welche der beiden Produktionen gemessen an Märkten und Marktanteilen am Ende die Nase vorne haben wird.

Unabhängig von der für europäische Verhältnisse außergewöhnlichen Höhe des Budgets markiert die Serie möglicherweise – im kleineren – einen neuen Trend. „Die amerikanischen Neustarts haben in letzter Zeit alle nicht das gebracht, was man von ihnen erwartet hat. Die Frage ist, was wächst nach“, beschreibt Helge Köhnen von Bavaria Media Television die aktuelle Situation auf dem Markt der internationalen Lizenzserien die bislang ungeahnte Chancen für europäisches Produkt eröffnen könnte, wie die Verkaufsdirektorin Stefanie Fritz ergänzt: „Die BBC hat jetzt in der Prime Time eine dänische Serie ausgestrahlt und hat damit, womit keiner gerechnet hat, einen Zuschauermarktanteil erzielt, den man bislang nur von der US Serie kannte.“ Von daher liegt es im Trend, dass Bavaria jetzt eine Serie von sechs Kriminalfilmen des finnischen Fiktionproduzenten Solaris in den internationalen Vertrieb übernahm. Der erste Film, Vares, der ab Herbst erhältlich ist, ist im finnischen Kino seit Ende letzten Jahres die Nummer Eins.

Die gute Stimmung erinnerte teilweise sogar an die Hoch-Zeit des TV Programmmarktes während der „Bubble-Economy“ zur Jahrtausendwende. Ein Grund war sicher auch, dass der Messe Organisator, Reed Midem, in diesem Jahr wieder einmal den Glamour Faktor ausspielte. Der Anlass konnte besser nicht sein. Der globale Actionstar der 90er Jahre und spätere Gouverneur der achtgrößten Weltwirtschaft Kalifornien machte seine Aufwartung in Cannes, nicht nur um dort die Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion entgegen zu nehmen: Ja, der Terminator ist zurück in der Entertainment Industrie, mit einem Projekt, das so sicher niemand erwartet hätte. „The Governator“ ist eine Zeichentrickserie von 52 Folgen, die Zentrum eines ganzen Universums werden soll, mit Büchern, Internetwelten und einer umfassenden Merchandising Linie.

Er wollte die Menschen überraschen, sagte er bei der Pressekonferenz auf der das Projekt vorgestellt wurde: „Und das ist mir sicher irgendwo auch gelungen.“ Die Action-Serie, die sich vom Konzept her ziemlich eindeutig an Teenager wendet wurde zusammen mit Stan Lee, einer Animationslegende, der bereits Comic-Erfolge wie ‘Spider Man’ oder ‘The Incredible Green Hulk’ entwickelte, und Andy Heyward, dem CEO von A2 Entertainment. Da ist fast schon erstaunlich, welchen Partner sich dieses hochdekorierte Team für den weltweiten Vertrieb ins Boot holte: die deutsche your family entertainment AG, yfe, die nach einer radikalen Schrumpfungskur aus der RTV Family Entertainment, dem TV Arm des Spieleherstellers Ravensburger, hervorgegangen ist.

Der Trailer, der erstmals in Cannes präsentiert wurde mutet doch sehr 80er Jahre an, so dass sich etliche Beobachter fragten, ob man damit die Kids noch begeistern kann für die der Terminator kein Begriff mehr ist. Allerdings dürften die jetzt gezeigten Bilder nur sehr wenig mit der endgültigen Serie zu tun haben, die erst Ende dieses Jahres auf den Markt kommen soll. News für Schwarzenegger Fans gab es dann auch noch: „Ich werde auch wieder selbst vor die Kamera treten. Allerdings wollten wir erst mal alle Aufmerksamkeit für den ‘Governator’, so dass wir das erst einmal zurückgestellt haben“, erklärte er am Rande des Presseauftritts in Cannes.

Auch der Auftritt manches deutschen Protagonisten hat sich den veränderten Marktbedingungen angepasst. So lädt allmesslich zu den Mips im Frühjahr und im Herbst das Medienboard Berlin Brandenburg zu seiner Networking Party, einem zentralen Treff der deutschen Mip-Teilnehmer. In diesem Jahr geschah dies in Kooperation mit der Filmstiftung NRW und den Filmförderern aus Hamburg. Networking-on-the-Move, könnte man sagen, denn besagte Party war ursprünglich eine Idee der Filmstiftung, die es dann nach dem Platzen der Neuen Markt Blase aufgab. Das Konzept wurde übergangslos vom Medienboard übernommen. Nachdem Petra Müller nun von der Spitze des Medienboard wieder nach Düsseldorf wechselte kam es zu dieser durchaus sinnvollen Kooperation, offen für neue Partner, wie der Eintritt der Hamburger zeigt. Es wird spannend sein, wie sich der Messetreff in den nächsten Jahren entwickelt.

Wie immer versucht die miptv neue Trends aufzugreifen, im Frühjahr steht dabei traditionell die digitale Wirtschaft im Fokus. Connected Creativity war das Stichwort in diesem Jahr! In der Tat, das Internet verändert auch die Art, wie Inhalte produziert werden. Die Cloud, die Wolke, vernebelt nicht die Kreativität, sondern die Arbeit darin treibt sie zu neuen Blüten. So oder ähnlich könnte der Inhalt des Kongresses auf den Punkt gebracht werden. Eröffnet wurde das dreitägige Forum durch mit einem Gespräch zwischen dem Regisseur und Produzenten Jon. M. Chu, der den bei den Digital Emmy den „Pioneer Prize“ erhielt, mit Brian S. Hurst, der mit seinem Beratungsunternehmen The Oportunity Group schon seit langem selbst zu den Pionieren auf diesem Gebiet gehört. Der offenbar mit einfachen Mitteln ursprünglich für das Internet gedrehte Tanzfilm „StepUp2“ besticht durch selten gesehene Tanzbilder. Er habe ursprünglich mit seiner eigenen digitalen Handkamera die Bilder gemacht, bis er den Eindruck hatte, dass es so dem größer gewordenen Qualitätsanspruch nicht mehr gewachsen war. „Ich habe dann einen Freund aus dem College angerufen und ihm gesagt: Du musst mir helfen. Das ganze Team waren dann Freunde aus meiner Collegezeit“, sagte der Filmemacher.

Das Casting der Tänzer geschah über das Internet und eine immer größer werdende Comunity, deren Mitglieder die Tänzer beurteilten, aber auch Tipps gaben, wie der Film sich weiter aufbauen sollte. Für Justin Bieber sei das der Grund gewesen, ihn mit seinem Film „Justin Bieber – Never say Never“ zu betrauen. „Als er twitterte, dass ich sein Mann für den Film wäre, ist die Anzahl meiner Follower über Nacht explodiert von etwa 12.000 auf über 400.000“, erklärte er sichtlich stolz.

Wenn man freilich auch kritische Töne hören wollte abseits des scheinbar erfolgreichen Mainstreams dann musste man in die kleine Zelthallte vor dem Festivalpalais gehen. Hier gab es vor allen Dingen kleine Präsentationen von kleinen Ideen des Arbeitens in der kreativen Wolke. An einem der Präsentationsinseln ereiferte sich ein junger Kreativer: „Das Problem ist, dass die Businessmodelle vielfach nicht erkannt werden und damit wird der Markt kaputt gemacht. Über 80 Prozent der Apps im Androitstore sind heute kostenlos. Das heißt, die Macher haben aus der Geschichte des Internets noch immer nichts gelernt. Damit erzieht man seine User, die nun auch in Zukunft nichts mehr für die Apps bezahlen wollen.“ Digitalen Selbstmord nannte er dieses Verhalten, nicht ganz zu Unrecht, wie wir wissen sollen. Welche der Szenarien sich in der Zukunft durchsetzen, der positive Aufbruch oder die teils selbst beschworenen Probleme, das wird wieder auf den kommenden Mipmessen zu sehen oder zu spüren sein. Im Moment jedenfalls steht das Barometer ganz klar mal wieder auf „steigend“.
Dieter Brockmeyer
(MB 05/11)

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