Weltweite Vernetzung

Bei den 62. Internationalen Filmfestspielen Berlin, die mit der historischen Romanverfilmung „Les Adieux à la reine“ über die ersten Tage der Französischen Revolution eröffnet werden, stehen internationale Koproduktionen hoch im Kurs. Allein im Wettbewerb um die Goldenen und Silbernen Bären präsentiert der Festival-Direktor Dieter Kosslick ein Dutzend Filme, an denen Produzenten aus verschiedenen Ländern beteiligt sind.

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Weltweite Vernetzung

Die achtköpfige Jury unter Vorsitz des britischen Regisseurs Mike Leigh hat die Qual der Wahl zwischen internationalen Produktionen wie beispielsweise dem in Norwegen in großen Kinobildern gedrehten Melodram „Gnade“ von Matthias Glasner, der zarten Liebesgeschichte „Metéora“ zwischen einem griechischen Mönch und einer Nonne, dem Familiendrama „Jayne Manfield’s Car“ von dem amerikanischen Oscarpreisträger Billy Bob Thornton oder der ungarisch-deutsch-französischen Koproduktion „Just the Wind“, in der Benedek Fliegauf die zunehmende Angst seiner von rassistischem Terror bedrohten Protagonisten physisch erfahrbar macht.

Für heftigen Hype hat die Berlinale bereits im Vorfeld mit der Ankündigung gesorgt, dass der indische Superstar Shah Rukh Khan zur Premiere seines neuen Films „Don – The King is Back“ auf dem roten Teppich erscheint. Um schon Wochen vor dem Festival die zahlreichen Fans mit ihren Anfragen zu bedienen, wurde sogar eine Website mit den Frequently Asked Questions zu „Don – The King is Back“ eingerichtet. Nach der emphatischen Begrüßung bei seinem ersten Berlinale-Auftritt 2010 mit „My Name is Khan“ kehrte der Bollywood-Actionstar ein halbes Jahr später in die deutsche Hauptstadt zurück, um dort das Sequel seines Blockbusters „Don – Das Spiel beginnt“ in deutsch-indischer Koproduktion zu drehen. Als deutscher Koproduzent an diesem Action-Thriller, der mit Unterstützung des Medienboard Berlin-Brandenburg und des DeutschenFilmförderFonds (DFFF) realisiert wurde, ist Film Base Berlin beteiligt. Nach dem Dreh hat die Tourismusgesellschaft visitBerlin sogar den Stadtplan „Don in Berlin“ herausgegeben, mit dem die Fans auf seinen Spuren durch Berlin wandeln können.

Damit derartige Projekte angeschoben werden, nutzt die Branche die Berlinale als Plattform, um wertvolle Kontakte zu knüpfen und sich international mit Partnern zu vernetzen. Die Voraussetzung dafür hat Dieter Kosslick mit dem sukzessiven Ausbau der Berlinale zu einem Mega-Event für die internationale Filmindustrie geschaffen. Initiativen wie der Berlinale Co-Production Market, der Produzenten und Finanziers neue Möglichkeiten für Kooperationen eröffnet, zeigen zunehmend Wirkung. Weiterhin im Aufwind befindet sich der European Film Market (EFM), welcher der internationalen Filmbranche die erste Handelsplattform im Jahr bietet.
Bereits im Dezember waren sämtliche Ausstellungsflächen im Martin-Gropius-Bau und im Marriott Hotel am Potsdamer Platz ausgebucht. „Die Nachfrage ist sehr groß“, berichtet die EFM-Leiterin Beki Probst. „Das ist ein gutes Zeichen.“ Schon einen Monat vor der Markteröffnung lagen Anmeldungen von 400 Ausstellerfirmen sowie rund 1.000 Filmeinkäufern vor.

Erstmals nach acht Jahren wieder nach Berlin zurück kehren die US-amerikanischen Independents, die sich zusammen mit der Initiative „Sundance at EFM 2012“ eine Lounge im Obergeschoss des Martin-Gropius-Bau teilen, um den internationalen Einkäufern ihre Filme vorzustellen. Membership-Programme im amerikanischen Stil wie in Cannes, wo für den Besuch im Pavilion der Indies dreistellige Summen verlangt werden, lässt die EFM-Direktorin nicht zu. „Jeder Marktbesucher mit einem Badge hat dort freien Zugang.“ Eine weitere Lounge steht für Treffen und Präsentationen der Einkäufer und Weltvertriebe zur Verfügung sowie für die Initiative „Meet the Docs“.
„Unsere größte Herausforderung ist der Ausbau der digitalen Technologie, denn es werden erstmals 40 bis 50 Prozent sämtlicher EFM-Filme in Form von DCPs geliefert“, berichtet Probst. „Wir haben sehr viel in die Umrüstung der Kinos investiert, weil die Digitalisierung eine große Veränderung für den Markt mit sich bringt.“
Über die Vor- und Nachteile, Kosten und Tücken der Digitalisierung wird nach wie vor hitzig in der Branche diskutiert. Die grundlegenden Strukturveränderungen und aktuellen Entwicklungen in der Film- und Unterhaltungsindustrie sind auch ein Thema bei den EFM Industry Debates. Als offizieller Partner daran beteiligt ist mit der IFA die weltweit größte Messe für Consumer Electronics und Elektrohausgeräte. „Content- und Geräteindustrie waren noch nie so eng miteinander verknüpft wie heute. Neue Technologien und Anwendungsbereiche wie Smart TV, 3D und vernetzte Heimlösungen fördern die Märkte“, betont der IFA-Direktor Jens Heithecker. „Vor diesem Hintergrund freut es uns ganz besonders, dass die IFA Partner der EFM Industry Debates ist.“

Durch die Einführung neuer technischer Plattformen und Auswertungskanäle ändern sich allerdings auch die klassischen Geschäftsmodelle und Vertriebsstrukturen in der Filmindustrie. „Es reicht heutzutage als Weltvertrieb nicht mehr aus, den Einkäufern Spitzentitel für das Kino anzubieten, sondern es ist nötig, bereits in die Produktion zu investieren“, weiß die US-Vertriebsexpertin Lisa Wilson, die zusammen mit ihrem Geschäftspartner Myles Nestel mit dem neu gegründeten Unternehmen The Solution Entertainment Group nach Berlin kommt. Der Ansatz dieser Vertriebs- und Finanzierungsfirmen sieht vor, Filmemacher und Produzenten von der Drehbuchentwicklung bis zur Auswertung zu begleiten, um den gesamten Verwertungsprozess kontrollieren und steuern zu können. Zu ihren ersten Projekten gehört die Bestsellerverfilmung „Hector and the Search for Happiness“ von Peter Chelsom, welche die deutsche Produktionsfirma Egoli Tossel Film dieses Frühjahr als deutsch-südafrikanische Koproduktion realisieren will. Als weiterer deutscher Koproduzent ist der Münchener Verleih Wild Bunch Germany daran beteiligt. Ein wichtiger Filmfinanzierungspartner in Deutschland ist und bleibt das Fernsehen. Das ZDF ist als Koproduzent an über einem halben Dutzend Berlinale-Filme wie den Wettbewerbsbeiträgen „Gnade“, „Metéora“, „Tabu“ und „Barbara“ von Christian Petzold oder an „Man for a Day“, dem Eröffnungsfilm der Perspektive Deutsches Kino, beteiligt. Zudem zeichnet der Sender als Hauptpartner der Filmfestspiele für die Inszenierung sämtlicher Bühnenshows im Berlinale Palast verantwortlich, die von der Berlinale Eröffnung über die Shooting Stars Awards bis zur Preisverleihung reichen.

Als Poolführer gibt das ZDF die TV-Bilder an nationale und internationale Sender weiter. Präsenz zeigt der Sender auf der Berlinale zudem mit der ZDF-Lounge im Hyatt, die von der Branche gerne als Treffpunkt genutzt wird. „Die Internationalen Filmfestspiele Berlin sind nicht nur für Berlin ein herausragendes kulturelles Ereignis, sondern auch ein Aushängeschild für Deutschland in der Welt“, erklärt der ZDF-Intendant Markus Schächter. „Aus diesem Grund freue ich mich sehr, dass das ZDF und die Berlinale ihre gemeinsame Medienpartnerschaft um weitere zwei Jahre verlängert haben.“
Darüber hinaus hat die Berlinale noch eine weitere Kooperation besiegelt. Als Partner für die Retrospektive, die als filmhistorisches Thema in diesem Jahr „Die rote Traumfabrik. Meschrabpom-Film und Prometheus 1921 – 1936“ gewählt hat, wurde das Museum of Modern Art (MoMA) in New York gewonnen. Das MoMA wird im April 2010 große Teile dieser Werkschau mit frühen russischen Filmen zeigen. „Durch die Kooperation mit dem MoMA erweitern wir die weltweite Vernetzung der Berlinale“, resümiert der Berlinale-Direktor Dieter Kosslick, „und schaffen mehr Nachhaltigkeit im Engagement für filmhistorische Auseinandersetzungen.“
Birgit Heidsiek
(MB 02/12)