Alternatives Kulturangebot

Wer sich eine besondere Klassik- oder Opernaufführung leisten möchte, muss nicht mehr in die MET nach New York fliegen oder sich jahrelang um eine Karte in Bayreuth bemühen. Ausgewählte Aufführungen werden live in ein Kino in der Nähe übertragen. Seit drei Jahren ist auch eine ausgewählte Inszenierung der Bayreuther Richard Wagner-Festspiele darunter. In diesem Jahr war es „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ in der Inszenierung von Sebastian Baumgarten unter der musikalischen Leitung von Axel Kober.

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Alternatives Kulturangebot

›Die Übertragungen ins Kino sind längst Teil des Geschäftsmodells. Sowohl bei den Konzert- und Opernhäusern, als auch bei den Kinos. Noch kann man nicht von einem großen Geschäft sprechen, doch geht es auch darum ein Angebot im Markt zu etablieren, das neben dem Kinogeschäft neue Zielgruppen anspricht. Für die Multiplex-Kette CineStar, spielen die Live-Produktionen eine große Rolle, wie GF Oliver Fock erklärt: „Diese Veranstaltungen sind für CineStar sehr wichtig, da der alternative Content im Hinblick auf die immer stärkere Diversifizierung der Zielgruppen kontinuierlich an Bedeutung gewinnt und zur Vielseitigkeit des Kinoprogramms beiträgt.“ Seit 2008 werden bei CineStar Veranstaltungen im Bereich alternativer Content angeboten. Dabei haben sich im Laufe der Jahre Erfahrungswerte ergeben, welche Inhalte (Oper, Pop-/Rock-Konzerte, etc.) in welchem Kino potenziell gut angenommen werden. Für die Übertragung von „Tannhäuser“ wurden dementsprechend Häuser ausgewählt, in denen Opern bislang auf gute Resonanz gestoßen sind. Bei „Tannhäuser“ waren es circa 20 Kinos deutschlandweit.

Klassik- und Opernaufführungen beziehungsweise deren Übertragungen außerhalb ehrwürdiger Kulturtempel haben ihre festen Freunde gerade unter Jenen, denen Aufwand und Kosten für ein Konzert- oder Opernbesuch zu hoch sind und die dies als eine willkommene Gelegenheit sehen mal etwas Anderes zu machen. Bei den Kinoübertragungen bieten die Häuser spezielle Gastronomieangebote an und von Seiten des Programmanbieters gibt es in der Regel ein einführendes sowie ein Pausenprogramm mit Hintergrundinformationen zu Werk und Künstlern. Im Fall von „Tannhäuser“ wurde exklusiv für das Kinopublikum eine viertelstündige Einführung sowie zwei halbstündige Programme für die jeweils eine Stunde dauernden Pausen live produziert, in denen Festspielleiterin Katharina Wagner, Startenor Klaus Florian Vogt und Moderator Axel Brüggemann einen Blick hinter die Kulissen der Bayreuther Festspiele gaben.

Die erste Live-Übertragung einer Wagner-Oper in rund 100 Kinos im deutschsprachigen Raum fand 2012 mit „Parsifal“ statt. 2013 folgte dann „Der Fliegende Holländer“. Ihren Ursprung haben die Live-Übertragungen in dem Public Viewing, das die Bayreuther Festspiele von 2008 bis 2011 veranstalteten. Dabei wurde eine Aufführung aus dem Festspielhaus auf dem Grünen Hügel in Bayreuth auf den Festplatz sowie via Internet-Stream übertragen. In den vier Jahren kamen pro Jahr bis zu 40.000 Menschen, um die Aufführungen mitzuerleben. Letztendlich aber war die Veranstaltung auf Dauer nicht finanzierbar, so dass die Idee entstand das Public Viewing als Live-Übertragung weiterzuführen. Dies folgt dem Geist Richard Wagners, der sein Festspielhaus mit dem Willen eingerichtet hatte, dass Jedermann Zugang zu seinen Opern bekommt und nicht nur eine Kultur-Elite. Karten für die Bayreuther Festspiele zu bekommen, ist nicht so schwierig, weil sie so teuer sind, sondern weil so viele Menschen dabei sein wollen.

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Live-Produktion

Verantwortlich für die Produktion und Lizenzgeber ist die BF Medien GmbH. Ausführender Produzent ist Markus Spona mit seiner Spona Media während die technische Umsetzung von TV Skyline gemacht wird. Die Live-Produktion der Kinoübertragung ist zugleich Grundlage für Sendebänder für den Bayerischen Rundfunk (BR) als auch für den japanischen Sender NHK, der ein HDCam-SR-Band geliefert bekommt und die Oper circa vier Wochen nach Aufzeichnung ausstrahlt. Der BR ist mit seinem Portal „BR Klassik“ Partner der Festspiele und übertrug „Tannhäuser“ parallel zur Kinoausstrahlung live als Webstream. Zusätzlich wurden alle Kameras sowie Tonspuren bei der Generalprobe und am Live-Veranstaltungstag einzeln abgesteckt aufgezeichnet um daraus eine DVD zu produzieren. Die Kinoübertragung ist fester Bestandteil des Angebots der Ketten CinemaxX und CineStar, als auch mittelständisch geprägter Häuser des Kinozusammenschlusses Cineplex sowie verschiedener Programmkinos.

Kameratechnik

Aufgezeichnet wurde „Tannhäuser“ mit zehn stationären, ferngesteuerten HD-Kameras. Zum Einsatz kamen Geräte der neuesten Ikegami-Generation, aber mit der SPORTS:CAM 5 und der QUBE:CAM auch Eigenentwicklungen von TV Skyline. TV Skyline hat eine Reihe von eigen entwickelten Spezialkameras im Portfolio, die aufgrund ihrer kompakten Bauweise „unsichtbar“ montiert werden können. Die Sports:Cam wird in Bayreuth etwa auf der Innenseite der Orchestermuschel angebracht. Die Muschel wurde beim Bau des Hauses absichtlich so konzipiert, dass sie den Blick auf das Orchester verdeckt. Dadurch reicht ihr Rand über den Bühnenboden hinaus. Die Kamera hat so eine ungehinderte Sicht auf die Bühne ohne selbst wahrgenommen zu werden. Die Montage von Kameras ist ein sehr sensibles Thema auf dem Grünen Hügel, dessen komplette Anlage unter Denkmalschutz steht und der Orchestergraben in Bayreuth einem Heiligtum gleichkommt. Eine weitere Kamera, in diesem Fall eine Qube:Cam, befindet sich in einer Ecke des Souffleur-Kastens und liefert so spektakuläre Bilder hautnah am Geschehen als ob man mit auf der Bühne steht.

Die fünfte Generation der Sports:Cam-Reihe ist mit einem großen CMOS-Sensor ausgerüstet. Das kompakte System bietet alle Funktionen konventioneller Broadcast-Kameras und ist für die Stand- sowie Hängemontage konzipiert. Sie verfügt über HD/SD SDI-Ausgänge, serielle und TCP/IP-Datenschnittstellen, 360° Pan endlos, 270° Tilt und kann vom Tablet oder PC aus bedient werden. Eingebaut ist eine Zoomoptik mit einer Brennweite von 18 bis 200mm, die auch gegen andere Objektive ausgetauscht werden kann. Die Qube:Cam ist mit einem 1/3-Zoll-NMOS-Sensor (2,1 Megaapixel) bestückt und bietet einen optischen 20fach-Zoom. Das System kann mit HD-Auflösungen bis zu 1080p60 arbeiten und Composite/HD-DSI/3G-Signale ausgeben. Der Kamerakopf lässt sich um 360 Grad endlos drehen. Die Kameras sind je nach Position mit Brennweiten von 17, 86 und 40 mm ausgestattet, damit alle Winkel zur Bühne abgedeckt sind.

Kamerapositionen und -bedienung

Die Kamerapositionen wurden 2008 von TV Skyline mit dem Technischen Leiter des Hauses sowie der Festspielleitung Katharina Wagner für die Übertragung gemeinsam festgelegt und sind fester Bestandteil jeder Produktion. Maßgabe war es die Kameras so anzubringen, dass sie weder die Sänger, den Dirigenten oder die Zuschauer stören. Dafür wurden sogar die Kontrollleuchten überklebt. Zudem mussten die Maßgaben des Denkmalschutzes beachtet werden sowie die Tatsache, dass der komplett aus Holz gestaltete Zuschauerraum, in dem es weder Heizung noch Klimaanlage gibt, als Resonanzkörper dient. So gibt es weder Kräne noch Schienen noch Platz für Kameramänner. Diese sitzen alle in einem Zelt an der Seite des von Richard Wagner selbst konzipierten Festspielhauses und steuern die Kameras von dort. Um die Baumasse zu schonen, wurde die Verkabelung der Kameras mit Glasfaser, die an das TV Skyline Uni:Link-System angeschlossen werden, im vergangenen Jahr von TV Skyline fest verlegt. Das Uni:Link-System erlaubt die Verbindung aller Remote Heads über ein einziges SMPTE Kabel, über das das Programmbild, Tally und Intercom sowie die volle Kontrolle der Bildtechnik über die Kameraparameter läuft. „Für die Gegebenheiten und Einschränkungen vor Ort sind die Kamerapositionen sensationell“, sagt Markus Spona, denn immerhin gibt es sonst keine Opernbühne, wo Kameras die Künstler aus der Untersicht zeigen können.

Die drei am Rand der Orchestermuschel angebrachten Kameras sind an selbst entworfenen und in der Schlosserei von TV Skyline gefertigten Aufhängungen befestigt. Neben der Qube:Cam im Souffleur-Kasten ist eine weitere Qube:Cam auf den Dirigenten gerichtet. Damit wird ein langjähriges Tabu gebrochen da es bis 2013 keinerlei Bilder aus dem Orchestergraben in Bayreuth gegeben hat. Hier waren Dirigent und Orchester unter sich und konnten sich ganz auf die kräftezehrenden Mammutanforderungen des Wagnerwerks konzentrieren. Um so vorsichtiger muss man hier beim Aufbau, dem Test und dem Live Betrieb agieren um „lautlos“ und „unsichtbar“ zu bleiben. Zwei weitere Kameras befinden sich rechts und links am Bühnenportal und zwei – eine für Nahaufnahmen und eine für Totalen – im Parkett hinten zwischen der letzten Reihe und dem ersten Rang in einer Spezialkonstruktion. Als Besonderheit bei „Tannhäuser“ gab es noch eine Topshot-Kamera an der Lichtbrücke mittig über der Bühne. Die Bildregie für die Übertragung machte Michael Beyer. Die Kameraleute wurden mit einer tabellarischen Liste ausgestattet, aus der der Ablauf der Oper und somit der erforderliche Bildausschnitt ersichtlich ist. Zusätzlich gibt es einen lichtsetzenden Kameramann, der das Stück und seine Lichtsituationen gut kennt und die Kameraoperator sowie die Bildtechnik im Ü-Wagen entsprechend auf wechselnde Lichtstimmungen vorbereitet.

Übertragung ins Kino

Für die Übertragung war TV Skyline mit dem Ü5 HD und R5 HD vor Ort. Das Signal wird via zwei SNGs über Eutelsat- beziehungsweise Intelsat-Satelliten an die Kinos übertragen. Das ist kein idealer Übertragungsweg wie Robert Kis, Geschäftsführer von TV Skyline, festhält: „Da es keinen einheitlichen Standard für die Live-Übertragung und Anbindung an die Kinos gibt, ist dieser Weg leider fehleranfällig.“ Kis favorisiert daher eine Übertragung via Glasfaser.

Andererseits rückt der Satellit als Übertragungsweg immer mehr an die erste Stelle. „Der Satellit wird inzwischen auch immer mehr zum Überspielen von Filmen auf den Kinoserver genutzt, um von dem Verschicken von Festplatten weg zu kommen“, sagt Stefan Braunmiller vom Dienstleister dcinex, der auch Live-Übertragungen wie „Tannhäuser“ anbietet. dcinex ist ein Anbieter für hochwertige Komplettlösungen in der Kinobranche und seit Kurzem Teil der Ymagis-Gruppe. Für seine Kunden betreibt und wartet dcinex die D-Cinema-Installationen sowie die Zuspielung der Filme, Trailer, des Werbematerials und des Alternative Content. Geschieht dies über Satellit, ist das Kino mit einer Satellitenschüssel von dcinex ausgerüstet. Über eine Internetanbindung wird das System auf Fehler überwacht und diese gegebenenfalls behoben. Kann dies nicht über Fernwartung erfolgen, gibt es einen Mitarbeiter im Kino, der sich mit der digitalen Technik auskennt und falls nötig mit Unterstützung von außen eingreifen kann. Vor einer Live-Übertragung gibt es mindestens einen circa halbstündigen Test, bei dem alle Voreinstellungen festgelegt werden.

Dennoch gibt es einige Fehlerquellen bei Live-Übertragungen aller Art, sei es Oper, Konzert oder Fußballspiel. Da ist als erstes die Einhaltung der korrekten Eingabe der durch den Veranstalter übermittelten Satellitenparameter für die Übertragung sowie die Überwachung der Signalqualität und Empfangsleistung am Receiver. Weitere Fehlerquellen können aber auch sein: falsche Empfangsparameter im Sat-Receiver, Dekodierung des AC3-Streams (5.1 Ton), Dropouts in Bild und Ton aufgrund eines zu schwachen Satelliten-Signal/Qualität des Signals, zudem ist der Empfang wetterabhängig: Bei starkem Regen oder Schneefall kann es zu Bild-Tonaussetzern kommen und je kleiner der Durchmesser der Antenne, desto eher bricht der Empfang bei schlechten Wetterbedingungen ab. Die bei CineStar zum Einsatz kommenden Sat-Schüsseln haben im Regelfall einen Durchmesser von 120 cm und sind somit doppelt so groß wie eine konventionelle Schüssel für den Heimgebrauch. Damit hat CineStar die Anfälligkeit der Übertragung drastisch reduziert, wodurch die verschiedensten Live-Übertragungen in der Vergangenheit bis auf wenige wetterbedingte Ausfälle und Equipmentfehler störungsfrei abliefen. Bei der CineStar wird das Signal mit einer Parabolantenne mit LNB(s) aufgefangen. Neben einem Satellitenreceiver/Scaler (Imageprozessor) wird ggf. noch ein Media Adapter zur Decodierung des Dolby AC3-Streams verwendet sofern diese Aufgabe nicht vom Cinema Processor übernommen wird.

Bei der Übertragung von „Tannhäuser“ gab es 2014 bei allen 150 teilnehmenden Kinos nur zwei Ausfälle, die auf Fehler bei den Receivern im Kino zurückzuführen waren. 2013 beim „Der Fliegende Holländer“ gab es drei vor allem wetterbedingte Ausfälle.

Der Ton

Was in Bayreuth für die Kameras gilt, gilt auch für die Mikrofone: sie müssen unsichtbar sein. „Wenn es nur um den Klang geht, müssten die Mikrofone dort hängen, wo sie stören“, sagt der verantwortliche Tonmeister Peter Hecker. „Hier müssen wir uns nach der Inszenierung richten und das heißt, dass wir eine gute Mischung von Einzel- und Sammelmikrofonen brauchen, um daraus dann den besten Ton mischen zu können.“ Am Ende steht ein breiter, komplexer Setup, bei dem die Solisten Drahtlosmikrofone angepasst bekommen und ergänzend zu der fest im Festspielhaus installierten Tonregie – soweit es geht – weitere Mikrofone hinzu kommen. Gemischt wird dann mit einem Lawo-Pult in der Tonregie des Ü-Wagens.

„Letztendlich interessiert die Technik gar nicht so“, erklärt Hecker. „Wichtig ist, dass die Balance passt.“ Um das zu erreichen, greift Hecker auf seine Erfahrung und sein Gehör zurück. Bei der Generalprobe saß er zusammen mit der Festspielchefin Katharina Wagner und dem musikalischen Berater der Bayreuther Festspiele, Christian Thielemann, in der Tonregie. Das erschwert die Sache etwas, da man nicht alleine entscheidet wie Sänger, Orchester und Raumklang miteinander verwoben werden. Bei der Live-Produktion ist allerdings das Gesamtprodukt aus Musik und Bild ausschlaggebend. Beides muss im Kinosaal als Einheit in Surround oder Stereo funktionieren. Und da es live ist, kann auch nichts nachträglich korrigiert werden. Um einigermaßen zu garantieren, dass der, die volle dynamische Bandbreite nutzende Ton wie gewünscht im Kino ankommt, befand sich im Bayreuther Kino ein Mitarbeiter von TV Skyline, der per Telefon mit der Tonregie in Verbindung stand und sie von der Qualität des ankommenden Tons auf dem Laufenden hielt.

Ein Thema für sich sind die BluRay- und TV-Fassungen. Hier kann man nachträglich noch justieren. Und das wird auch gemacht. „Bei der Endabnahme hört Katharina Wagner Unstimmigkeiten, die man bei der Live-Atmosphäre im Festspielhaus nicht hört“, weiß Markus Spona. Produziert wird der Ton übrigens nach der EBU-Lautheitspegel-Empfehlung R128.

Thomas Steiger

MB 8/2014

© Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

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