Bertram Bittel kann zufrieden sein. Die Produktion der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 ist gut gelaufen und die Fans zu Hause haben für ordentliche TV-Quoten bei ARD und ZDF gesorgt. Dabei hatte der ARD-Teamchef FIFA WM 2010 und Direktor für Produktion und Technik des Südwestrundfunks (SWR) zu Beginn der WM mit einigen Problemen zu kämpfen. Wegen des Hafenarbeiterstreiks in Südafrika konnten einige Technik-Lieferungen nicht rechtzeitig im International Broadcast Center (IBC) in Johannesburg angeliefert werden. Und dann hagelte es auch noch Zuschauerproteste in der Heimat wegen des nervigen Vuvuzela-Lärms in den Stadien. Bereits eine Woche nach WM-Start waren diese Probleme vergessen und Bittel zeigte sich vom Erfolg der ARD/ZDF-Mission in Südafrika überzeugt. Bei der öffentlich-rechtlichen Großoffensive in Sachen Technik und Personal konnte er das auch.
Während der WM-Produktion war im über 2.000 qm großen ARD/ZDF-Produktionsbereich im IBC meist entspanntes Arbeiten angesagt. Gut besucht war immer die dortige Kaffee-Bar, wo man sich gerne auch mit Kollegen anderer Sender zum Meinungsaustausch traf. Da kamen zum Beispiel auch mal Vertreter der italienischen RAI vorbei, um sich zu erkundigen, wie man bei ARD und ZDF denn den Vuvuzela-Lärm aus dem Stadion-Ton herauszufiltern gedenkt.
ARD und ZDF lieferten zur Fußball-Weltmeisterschaft zweifelsohne eine sehr umfassende Berichterstattung. Sie nutzten dabei nicht nur alle von HBS angebotenen Bildquellen (multilaterale Signale) sondern auch auf sehr viel selbst produziertes Material (unilaterale Signale). Dazu hatte man fünf HD-Ü-Wagen des belgischen Produktionsdienstleisters Alfacam angemietet. Je nach Spiel brachten diese fünf bis zwölf Kameras (Grass Valley LDK 8000) zum Einsatz. Aufgezeichnet wurden unter anderem die mit eigenen Moderatoren realisierten Sendungen aus den Presenterstudios in den Stadien und Interviews mit DFB-Sportlern und -Trainern in der Mixed-Zone. Zudem gab es bei Spielen der Deutschen Nationalmannschaft auch eigene Kameras auf der Tribüne. Ihre Aufgabe war es, für den deutschen Zuschauer interessante, vom Weltbild abweichende Aufnahmen zu generieren. Mit jeweils rund 40 Personen wurden die unilateralen Produktionen von ARD/ZDF an den sogenannten Venues (Stadien) gestemmt. Aufgezeichnet wurde dort alles auf EVS-Maschinen. Bei deutschen Spielen kam vor Ort zudem ein Avid MediaComposer als Schnittplatz mit zentralem Speicher zum Einsatz.
ARD und ZDF nutzten in Südafrika gerne den zentralen Mediaserver FIFA MAX, wenn auch lange nicht so intensiv wie Rundfunksender ohne eigenen Produktions- und ENG-Teams vor Ort. Auch die Öffentlich-rechtlichen aus Deutschland hätten an dieser Stelle natürlich mehr sparen können. Auf Eigenproduktionen wollte man jedoch ganz bewusst nicht verzichten. „Wenn wir nur das Material der FIFA nutzen würden, dann könnten wir es auch gleich als FIFA-TV unseren Zuschauern anbieten“, brachte es Vitino Zoiro, technischer Leiter, ZDF-Team Sonderprojekte, auf den Punkt. FIFA-MAX-Inhalte seien deshalb nur dann genutzt worden, wenn man selbst nicht in der Lage gewesen sei, das gewünschte Material mit den eigenen Teams zu beschaffen.
Um kostengünstiger produzierten zu können, hatten ARD und ZDF Synergien im Bereich Technik und Produktion gesucht. Gemeinsam nutzte man die technischen Einrichtungen im IBC und in den Venues. Im FIFA-WM-Sendezentrum der Öffentlich-rechtlichen im IBC waren unter anderem ein gemeinsames Studio, Senderegie (mit Sony MVS 8000-Mischer), Tonregie (mit Lawo mc²90-Audiokonsole), Hauptschaltraum, Zentraler Geräteraum, Redaktionen, Schnitt- und Sprecherstudios, Audiomischung sowie weitere Produktionseinrichtungen untergebracht.
Auch der Sonderformate-Raum (SOFO) für den zentralen Ingest und die Bereitstellung von Mitschnitten war hier zu finden. Via Avid AirSpeeds wurden im SOFO alle EBIF- und Live-Signale von den Spielen entgegen genommen und auf EVS-Serversystemen abgespeichert. Sie konnten mit einer Verzögerung von 20 Sekunden auf jedem Schnittplatz abrufen und editiert werden. Das passierte dann auf 15 Avid MediaComposer Schnittplätzen (7 ARD und 8 ZDF). Insgesamt hatten ARD und ZDF 25 MediaComposer im IBC zur Verfügung (unter anderem für Playout, SOFO, Audiomix, Zuspielung in der Regie, Ingestplätze).
Im SOFO-Bereich konnte zudem jegliches ENG-Material entgegen genommen werden, egal es ob auf P2-Karten, XDCAM-Scheiben oder auf Bändern angeliefert wurde. Das Material wurde hauptsächlich über drei MediaComposer Adrenalin-Maschinen von Avid eingelesen. MediaComposer-Software-Workstations dienten zudem dem schnellen Ingest von XDCAM- und P2-Material. Alle Inhalte wurden via Avid Interplay Transfer Engines zur weiteren Verarbeitung bereitgestellt. Die Avid-Systeme waren mit den EVS-Servern so gekoppelt, so dass ein schneller einfacher Austausch stattfinden konnte. Einen Teil der in Johannesburg eingesetzten EVS-Maschinen hatte das ZDF zur Erweiterung der Mobilen Produktionseinheit (MPE) über Sono Studiotechnik in München angemietet. Auch das Kölner Systemhaus Wellen+Nöthen hatte, wie schon bei den Olympischen Winterspielen in Vancouver, ARD und ZDF auch bei der Produktion der FIFA WM 2010 in Südafrika mit umfangreicher Technik unterstützt. Darunter waren insgesamt 16 Avid Media Composer Nitris DX-Systeme, drei Media Composer Software Workstations und Storage-Erweiterung für das Avid Unity ISIS-System der MPE auf 192 TB.
Dadurch konnte der Produktionsbereich rund 1.300 Stunden Material in HD-Qualität speichern und weiterverarbeiten. Insgesamt 14 Avid AirSpeed-Plattformen inklusive DNxchange Boxen (für HD-SDI) sorgen dabei für die Ein- und Ausspielung. Zur Crosskonvertierung und Formatwandlung hatte Wellen+Nöthen zudem drei Alchimist Ph.C HD und sieben Mach HD-Systeme von Snell bereit gestellt.
Im Gegensatz zur Produktion der Olympischen Winterspiele fand die Konvertierung auf das öffentlich-rechtliche HD-Sendeformat 720p/50 nicht vor Ort statt, sondern erst beim ZDF in Mainz beziehungsweise beim SWR in Baden-Baden vor der Weiterleitung zum ARD-Sternpunkt Frankfurt. „Dazu haben wir uns erst kurzfristig vor der WM entschlossen, weil die Umgebungsbedingungen für die Produktion mit 1080i einfach besser sind. Auch das HD-Studio, das in Baden-Baden mit der Produktion hier verbunden ist, läuft auf 1080i“, meinte Bittel. Deshalb sei man froh, dass innerhalb der ARD und mit dem ZDF ein 1080i-Konsenz bei der Produktion der Fußball-WM gefunden wurde. Bittel räumt jedoch auch ein, dass die Frage 1080i oder 720p innerhalb der ARD nach wie vor „ein sehr sensibles Thema“ sei. Die ARD hat alle 64 Spiele der FIFA WM 2010 auch im Hörfunk übertragen.
Bei der Hörfunk-Produktion kamen unter anderem das DigaSystem von D.A.V.I.D. zum Einsatz sowie zwei Lawo mc²56. Bedient werden konnten über die Audiokonsolen bis zu sechs verschiedene Leitungen für 56 ARD-Radiostationen. Während eines Spiels können sich die einzelnen ARD-Radiosender direkt mit dem Reporter im Stadion verbinden lassen. Je Spiel musste der zwischen 20 bis 30 Aufrufe entgegen nehmen. „Das war sehr beliebt“, betonte Bittel. Die umfangreiche Online-Berichterstattung von der FIFA WM wurde vom SWR in Baden-Baden mit Unterstützung anderer ARD-Sender realisiert. In Johannesburg war nur ein Vertreter der öffentlich-rechtlichen Web-Aktivisten im Einsatz.
Sky Deutschland
Sky Deutschland übertrug alle 64 Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft in HD. Der Pay-TV-Sender nutzt dabei ein Studio in Ismaning bei PLAZAMEDIA und ein Outdoor Presentation Studio in Johannesburg. Für die Übertragung der Signale nutzte der Pay-TV-Sender drei HD-Sendeleitungen (Glasfaser) aus dem IBC in Johannesburg nach Ismaning und eine HD-Rückleitung (Glasfaser) aus Ismaning nach Johannesburg.
Sky Deutschland produzierte in den Stadien mit eigenen HD-Ü-Wagen auch unilaterale Signale mit bis zu sechs Kameras (bei deutscher Beteiligung). Im Deutschen Lager war zudem eine HD-Regie mit zwei Kameras installiert. Im International Broadcast Center von Johannesburg verfügte Sky Deutschland über Schaltraumtechnik für die Übernahme der unilateralen Signale aus den Venues bei Spielen mit eigenem Ü-Wagen beziehungsweise für die Übernahme der multilateralen HBS-Signale sowie über eine kleine TV-Regie. Zudem fand sich dort eine EVS-Server-Installation mit Avid-Vernetzung und einer Anbindung an den FIFA MAX Server.
Auf dem IBC-Gelände hatte Sky sein Outdoor Presentation Studio auf einer Plattform mit Blick auf das Soccer City Stadium und Johannesburg angemietet. Zwei Kameras (besetzt mit Kameraleuten) wurden hier über die Regie in Ismaning geführt. Sky setzte erstmals verstärkt auf Remote Production. Dadurch konnte auch die Zahl der Mitarbeiter vor Ort in Südafrika auf rund 70 (inklusive Redaktion, Produktion und Technik) reduziert werden. Für Produktionsleitung und Planung der FIFA WM 2010 war für Sky Deutschland Produktionsleiter Alessandro Reitano verantwortlich. Die vor Ort eingesetzte Technik stammte vom Rental-Unternehmen Presteigne Charter Deutschland, das Bedienpersonal im IBC überwiegend von Plazamedia. Technik und Personal für das Deutsche Lager und für die Venues stellte Ü-Wagen-Dienstleister HD SIGNS. Die Leitungsführung zwischen IBC, Deutschem Lager und Sendezentrum Ismaning realisiert die MTI Teleport München.
RTL Television
RTL Television trieb in Johannesburg, ebenfalls mit Presteigne Charter Equipment ausgerüstet, noch weniger Aufwand. Im IBC hatte man zwei kleine Räume zur Verfügung. „Wir machen hier eine relativ einfache Sache“, erklärte Mark Wittich, Projektingenieur von Presteigne Charter Deutschland. „Wir sammeln lediglich alle Signale aus Südafrika ein und geben die dann auf zwei Sendeleitungen, die wir dauerhaft nach Köln haben. Wir haben nur das Nötigste an Technik hier, um das möglich zu machen.“ Vor Ort verfüge man noch über eine EVS-Maschiene zum Editieren und Erstellen der Spielzusammenfassungen und von News für die Nachrichten von RTL und n-tv. „FIFA MAX nutzen wir hier nicht. Bei den neun Spielen, die wir übertragen, lohnt sich das für RTL wohl nicht“, mutmaßt er. RTL habe jedoch mehrere Außenteams im Einsatz gehabt. Auch deren Material wurde vom IBC aus direkt zu RTL nach Köln geschickt. Zudem gab es eine Dauerleitung zum DFB-Mannschaftshotel und drei über HBS schaltbare Leitungen zu den Spielorten aus denen RTL berichtete. Einen Ü-Wagen hatte RTL ebenfalls im Einsatz.
MEDIA BROADCAST
Auch bei MEDIA BROADCAST im IBC war mit Beginn der Fußball WM die Welt wieder in Ordnung und voran gegangene Probleme vergessen. Bei Inbetriebnahme der Glasfaser-Leitungsverbindung nach Europa hatte es bei einigen Schaltungen über Aussetzer gegeben. „Es war schwieriger das Ganze zum Laufen zu bringen, als wir uns das vorgestellt hatten. Manches bei der Inbetriebnahme hat auf Grund auftretender Fehler etwas länger gedauert. Wir können da nur um das Verständnis der Kunden bitten“, sagte Christian Olschewski, Geschäftsführer MEDIA BROADCAST SA. Zum Glück seien nicht beide Glasfaserstrecken zur gleichen Zeit betroffen gewesen. „Insofern ist das letztlich gut gegangen und hat keine Auswirkung auf TV-Ausstrahlungen in Deutschland gehabt“, sagte Olschewski. Und noch vor der offiziellen FIFA-WM-Eröffnung habe wieder alles reibungslos funktioniert.
„Das Problem ist, dass es halt nur begrenzte Kapazitäten auf den West- und Ostafrikanischen Seekabeltrassen gibt. Man hat nicht viele Möglichkeiten zu rangieren, in dem man zum Beispiel auf ein anderes Kabel wechselt, wenn Fehler passieren“, erklärte Projektleiter Technik Jürgen Schwingen. Völlig reibungslos hätten indes die ebenfalls von MEDIA BROADCAST bereit gestellten Verbindung zwischen den Stadien und dem IBC funktioniert ebenso wie die fünf in Südafrika eingesetzten MEDIA BROADCAST SNGs. Drei davon waren auch mit Produktionstechnik und Schnittplätzen ausgestattet, zwei nur mit Uplinktechnik. Eines dieser Fahrzeuge stand auf der IBC-Satfarm und wurde von ARD/ZDF als Backup für Glasfaserverbindung nach Deutschland genutzt. Laut Olschewski hatte es seine Bewährungsprobe als die Seekabel-Probleme auftraten.
Außerdem sei der SNG für erste Ausspielungen genutzt worden als die Mastercontroll-Technik von ARD und ZDF im IBC noch nicht betriebsbereit war. Während der kompletten Weltmeisterschaft wurden alle Live-Übertragungen von ARD/ZDF parallel zu den Seekabel-Übertragungen mit Hilfe des MEDIA BROADCAST SNGs auch via Satellit nach Deutschland geschickt. „Im Bedarfsfall hätte also jederzeit von Glasfaserstrecke auf Satellit umgeschaltet werden können“, sagte Schwingen.
Die Öffentlich-rechtlichen waren so auf der sicheren Seite. Sicherheit war auch bei Transport und Unterbringung der Sender- und Produktionstechnik-Vertreter in Südafrika gefragt. ARD, ZDF aber auch MEDIA BROADCAST hatten eigene Fahrer und Security-Leute angeheuert, damit sie unbehelligt von ihrer Unterkunft zur Arbeitsstelle und zurück gelangen konnten. „Wir hatten keine Sicherheitsprobleme“, berichtete Olschewski. Wie viele andere auch zeigte er sich begeistert von Südafrika. „Die Stimmung im Land und die Freundlichkeit der Menschen ist überwältigend“, erklärte er.
Eckhard Eckstein
(MB 07/10)