Keine abgefahrenen Sachen

Deutsche Filmemacher sind sich darüber einig, dass Kinder unter acht Jahren stereoskopische Filme nicht wirklich wahrnehmen können. Hinzu kommen Bedenken besorgter Eltern S3D könnte nicht gesund sein, immerhin ist mit S3D eine enorme Leistung der Augen und des Gehirns verbunden, um aus zwei eigenständigen Bildern ein einheitliches mit Tiefenwirkung herzustellen. Alex Colls von Anera Films macht trotzdem 3D-Filme für Kinder, allerdings mit einigen Einschränkungen.

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Keine abgefahrenen Sachen

„Nicht alle Menschen können S3D sehen“, sagte Martin Moszkowicz beim Panel film lectures berlin 2011. „Auch Kinder unter 8 Jahren nicht. Daher ist S3D nur für ein erwachsenes Publikum.” Dennoch produziert seine Firma den Kinderfilm „Wicki auf großer Fahrt“ in S3D, allerdings mit einer eigens geschnittenen Fassung in 2D für das U8-Publikum. Michael Coldewey betrachtet den Punkt zwar nicht so radikal wie Moszkowicz aber dennoch mit großer Vorsicht: „Für Kinder unter 10 ist S3D nicht notwendig, weil sie darüber keine emotionale Bindung zu der Geschichte aufbauen, denn in S3D zu sehen, müssen wir erst lernen.“ Weshalb es für das von ihm koproduzierte Franchise „Hexe Lily“ auch aus diesen Gründen bisher keine S3D-Pläne gibt.

Von diesen Bedenken gänzlich unberührt, ist Alex Colls mit seiner in Barcelona angesiedelten Firma Anera Films. Die Kinoversion seiner Vorschulserie „The Happets“ entstand in S3D und hatte in Spanien 50.000 Zuschauer. Auch die Fortsetzung „The Happets in the Rainbow Forest“ wird in stereoskopischen 3D entstehen. Warum, erklärte er während des Finanzierungsmarkts Cartoon Movie in Lyon, wo er die Fortsetzung vorstellte. „Die Kinos fragen S3D-Filme nach. Wir haben uns zwar zuerst dagegen entschieden den Film in S3D zu machen, haben unsere Meinung dann aber geändert, weil das Verkaufspotential des Films durch S3D erheblich steigt. Natürlich habe wir uns Gedanken darüber gemacht, wie ein S3D-Film von unserer Zielgruppe, die zwischen drei und sieben Jahren liegt, aufgenommen wird. Uns war von Anfang an klar, dass wir keine abgefahrenen Sachen in S3D machen können. Die S3D-Szenen mussten extrem ruhig sein. Gleichzeitig waren die Einstellungen länger, als sie ohnehin wären“, erklärt er.

Bewegungen in S3D-Szenen würden zwangsläufig zu Irritationen der Augen führen, die Erwachsene automatisch kompensieren könnten. Bei Kindern hingegen würde das nicht so leicht funktionieren. Man habe sich deshalb entschieden, alle Szenen mit Bewegung in 2D zu zeigen. Auch der unterschiedliche Augenabstand bei Kindern und Erwachsenen sei berücksichtigt worden.
Erwachsene haben einen Augenabstand von etwa 6,2 Zentimetern. Bei Kindern sind es zwischen 4,1 und 4,5 Zentimeter. Dadurch, dass der Abstand geringer ist, nehmen sie die Tiefenwirkung von 3D stärker wahr, als Erwachsene. „Das kann sehr schnell sehr verstörend werden. Also achten wir darauf dass die Tiefenwirkung in ihrer Wirkung nicht stärker ist als bei uns. Für Erwachsene sieht es dann allerdings nicht so beeindruckend aus. Außerdem geht die Tiefenwirkung ausschließlich nach hinten. Es kommt nichts aus der Leinwand heraus. Wir haben auch nur vier Szenen, in denen Gegenstände vorne im Bild entlang schweben und dies auch nur, um die Reaktion der Kinder darauf testen zu können“, berichtet Colls.

Kinder, die den 75 Minuten langen S3D-Film „The Happets“ angeschaut haben, hätten durchwegs positiv auf die dreidimensionale Darstellungsform reagiert.
Colls räumt aber auch ein: „Ich glaube, dass kleine Kinder nicht wirklich verstehen, was da passiert. Es ist aber eine gute Erfahrung für sie, weil der Film so interaktiver wird. Die Kinder sprechen die Charaktere direkt an und sie reagieren anders auf sie. Ihr Verhalten ist allgemein anders, als sonst.“
Der Filmemacher möchte deshalb den interaktiven Teil zwischen Leinwand und Kindern stärker ausbauen. „Vor kurzem sah ich einen Film, in dem die Kinder pusten oder klatschen mussten, damit Dinge auf der Leinwand passieren. Soweit will ich zwar nicht gehen, aber das ist die Richtung. Für mich ist auch klar, dass ich bei Filmen für diese Altersstufe immer dann 2D verwende, wenn es eine Kamerabewegung gibt. Das macht hier keinen Sinn, auch deshalb weil diese Szenen zu schnell sind. Um ein S3D-Bild zu erfassen, braucht man doppelt soviel Zeit wie für ein 2D-Bild“, meint er.
Thomas Steiger
(MB 04/11)

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