Vor 15 Jahren haben Sie den Vorstand der Lawo AG übernommen. Seither ist viel passiert. Welche besonderen Aufgaben waren zu meistern?
Die Firma Lawo war bis 1999 nur im deutschsprachigen Raum bekannt. Es galt sie international präsent zu machen, Vertriebs- und Partnernetzwerke in den verschiedenen Ländern aufzubauen und auch eigene Niederlassungen zu gründen. Seit drei Jahren existiert kein weißer Fleck mehr auf der Landkarte was den Vertrieb von Lawo-Produkten in der Welt betrifft. Wir sehen nun aber die Chance, verstärkt mit neuen Produkten nachzulegen.
Auch produkttechnisch hat sich bei Lawo viel getan. Was waren da die wichtigsten Meilensteine?
Vor meiner Vorstandstätigkeit war ich in der Entwicklung tätig und habe Software geschrieben. Damit habe ich in einer Zeit angefangen, als es noch digital gesteuerte Analogsysteme gab. So war ich dann auch an der Entwicklung des ersten volldigitalen Systems beteiligt. Diese Zeit war erlebnisreich, aber auch sehr anstrengend, da hier die Technologie der Audiopulte grundlegend revolutioniert wurde. Seit 2000 hat es Vergleichbares nicht mehr gegeben. Heute ist es aber wieder so weit. Der Einstieg in die dritte technologische Epoche hat begonnen. Nach der analogen und der digitalen Zeit, in der sich die Broadcast-Industrie erlauben konnte, proprietäre Verfahren, Formate und Protokolle zu entwickeln, folgt jetzt die Zeit der Netzwerk-IP-Welt. Uns steht damit ein gravierender Wandel bevor.
Was bedeutet das für die Broadcast-Branche?
Die Broadcast-Dienste werden zu einem nicht unwesentlichen Teil Bestandteil der Netzwerk-IT-Infrastruktur werden. Die Broadcast-Industrie verliert dabei zwar nicht ihre Identität, aber wichtige Teile ihrer Eigenständigkeit. Proprietäre Definitionen sind passée. AES3 wird weiter bleiben, analoge Mikrofone auch, aber ein Großteil der Audiosignale wird in Netzwerken gestreamt. Das gleiche gilt für Videosignale. Außerdem werden wir viel von der konventionellen Digitaltechnik, die heute existiert, aufgeben und in die IT-Welt mit einbringen. Eine ähnliche Entwicklung verzeichnete übrigens auch die Telekommunikationsindustrie. Die digitale ISDN-Telefonie beispielsweise ist mittlerweile quasi abgeschafft worden. Es gibt nur noch IP-Netzwerk-Telefone.
Was wird bleiben?
Weniger verändern wird sich nur der Mensch, der kreativ schaffend im Hörfunk, im Fernsehen, im Theater, in den Medien insgesamt tätig ist. Er braucht weiterhin ordentliche Benutzerinterfaces, die ihm helfen, einen guten Job zu machen. Diese werden sich sicher nicht so schnell ändern wie die Technik dahinter. Hier sehen wir für unser Unternehmen eine besondere Aufgabe. Wir wollen dem Anwender die bestmöglichen Mensch-Maschine-Schnittstellen liefern – seien es entsprechende Oberflächen bei Mischpulten, seien es Softwaremodule in Form von Touchscreens oder ganz andere Lösungen. Wichtig für uns ist es, auf den Menschen als Anwender intensiv einzugehen. Auch manches der konventionellen Technik, so wie sie heute existiert, wird sicher bleiben. Kreuzschienensysteme etwa werden nicht vollständig verschwinden. Sie werden aber von der konventionellen Technik her kleiner werden und vieles wird durch flexible Infrastruktur innerhalb des Netzwerks ersetzt werden. Die Kompetenzen verlagern sich vom „Alles-selber-bauen“ und „komplett integrieren“ verstärkt zur Integration eigener Produkte ins Netzwerk. Dadurch werden mit Sicherheit softwaresteuerungstechnische Aspekte deutlich an Relevanz gewinnen. Das Beherrschen des Netzwerkes wird in Zukunft eine der ganz großen, wesentlichen Herausforderungen sein, denn darüber verfügen wir nicht mehr proprietär, so wie heute, über unsere konventionellen Mischpult- oder Kreuzschienensysteme, egal ob im Audio- oder Videobereich. Wir werden uns künftig viel mehr mit den Ciscos, Hewlett Packards und Aristas dieser Welt auseinandersetzen müssen.
Können Sie als mittelständischer Unternehmer Nutzen aus dem stattfindenden Wandel ziehen?
Als inhabergeführtes, mittelständisches Unternehmen haben wir auf jeden Fall einen maßgeblichen Vorteil, was Agilität und Geschwindigkeit betrifft, um sich anstehenden Veränderungen anzupassen. Ich habe nicht den Anspruch, alles zu wissen, glaube aber – weil ich einen guten Bezug zur Branche habe, Kundenbedürfnisse kenne und viele Projekte persönlich mit begleite – gut in der Lage zu sein, relativ frühzeitig die richtigen Weichen zu stellen. Das war unter anderem ein Grund dafür, warum wir bereits 2006 in die Entwicklung der offenen Netzwerktechnologie RAVENNA und das IP-Audiostreaming investiert haben, und warum wir bereits 2010 begonnen haben, uns im Videobereich zu engagieren.
Was war Ihre Zielsetzung bei RAVENNA?
Als wir im Oktober 2007 in München unsere Tochterfirma ALC NetworX gegründet haben, hatten wir nicht die Absicht, einen Netzwerk-Standard oder eine IP-Technologie komplett selbst zu erfinden. Vielmehr wollten wir prüfen, welche Partner und Technologien am Markt verfügbar sind. Da jedoch zu diesem Zeitpunkt keine Technologien offen zugänglich waren, war die logische Konsequenz, sich selbst darum zu kümmern. Allerdings nicht nach der Devise, alles neu zu erfinden, sondern möglichst viel aus den bestehenden Standards der Netzwerktechnik und der Telekommunikation zu übernehmen und daraus broadcastkompatible Gesamtlösungen zu kombinieren. De facto muss man sagen, ist bei dem ganzen Thema RAVENNA, respektive AES67 – und das meine ich absolut nicht despektierlich gegenüber den Entwicklern – fast nichts Neues erfunden worden. Für RAVENNA wurde nur bestehendes, frei zugängliches Know-how wie PTP- beziehungsweise IEEE-1588-Taktung für Synchronisation, Streaming-Protokolle und andere Dinge, sinnvoll so kombiniert, dass man damit echtzeittaugliche, redundante Broadcast-Applikationen adressieren kann. Das Ganze haben wir als Konzept 2010 auf der IBC mit dem RAVENNA-Standard veröffentlicht, und im September 2013 hat die Audio Engineering Society (AES) den AES67-
Standard verabschiedet, der in ganz wesentlichen Teilen dem RAVENNA-Konzept folgt. Das hat meiner Meinung nach die Konsequenz, dass für den Audioteil eine international akzeptierte und normierte, veröffentlichte Form von Technologie vorgegeben ist wie sich herstellerübergreifende Netzwerke realisieren lassen.
Im Netzwerkbereich gibt Video den Takt vor, haben Sie gegenüber MEDIEN BULLETIN einmal geäußert. Warum ist das so?
In der ersten und zweiten Technik-Generation, also bei den analogen und den konventionellen digitalen Lösungen, konnten es sich die Hersteller, die Produktionsfirmen und das Bedienpersonal noch leisten, Video und Audio getrennt zu betrachten. Es gab mit der Einführung von SDI zwar Embedded Audio im Video. In der Produktion wird das Audio jedoch stets de-embedded, in einer eigenen Infrastruktur verarbeitet und anschließend re-embedded. Im Netzwerkbereich ist das nicht mehr möglich. Es gibt dann nur noch einen Backbone, ein Netzwerk und eine Technologie, auf der sich alle Signale treffen werden. Aus Audio-Sicht muss man einfach akzeptieren und respektieren, dass Video hier den Takt vorgibt, respektive einfach die Infrastruktur bestimmt. Das ist aufgrund der Bandbreiten und der Produktionsabläufe auch nachvollziehbar und verständlich. Damit ist aber auch vollkommen klar, dass man das Verständnis für Video braucht, wenn man im Netzwerk-Bereich Konzepte mitbestimmen oder mitentwickeln möchte. Das war unsere Motivation dafür, auch Video-Kompetenz aufzubauen. Mit unserer Partnerfirma Arkona Technologies haben wir eine sehr gute Lösung gefunden, auch für das kombinierte IP-Streaming von Video und Audio. Und mit dem Virtual Studio Manager (VSM) unserer Partnerfirma L-S-B Broadcast Technologies verfügen wir auch über die Steuerungskompetenz. Wir können heute deshalb das Thema IP-Netzwerke gesamtheitlich adressieren.
Gemeinsam mit ihren Partnern verfügen Sie heute also über das Know-how, um in der neuen IP-Netzwerk-Welt durchzustarten?
Die Lawo-Gruppe hat mittlerweile für diese neue Infrastrukturlösung eine sehr kompetente Konstellation gefunden, von der Basistechnologie mit ALC NetworX und RAVENNA angefangen über die Audio- und Videokompetenz bis hin zur Steuerungsanforderung, so dass wir für Produktionsfirmen und Rundfunkanstalten wirklich integrierte Gesamtlösungen bieten können.
Ende 2012 haben Sie den Videoprozessor V_pro8 auf den Markt gebracht und 2014 die „All-in-one video-over-IP solution“ V_link4 mit integrierten Kamera-Hubs. Diese Technik von Lawo wurde bei den großen Sportevents dieses Jahr eingesetzt.
Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Das Verständnis über Möglichkeiten IP-basierte Netzwerke und wie sie zu nutzen sind, hat zwischenzeitlich bereits ausgereifte Produkte hervorgebracht. Dennoch werden wir auch künftig im Netzwerkbereich noch einiges dazu lernen müssen. Schließlich bewegen wir uns in einer ganz neuen Infrastruktur. Die Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz von IP-netzwerkbasierten Systemen ist, dass man nach den Wünschen und Anforderungen der Operatoren aus der konventionellen, bekannten Technik erst einmal das gleiche wieder in der neuen Welt erzeugen musste. Letztendlich ist Technik ja immer nur ein Mittel zum Zweck und der Bediener will sich nicht aufgrund einer neuen Technik komplett umstellen müssen. Für ihn ist neue Technik erst dann gut, wenn sie mindestens die gleiche Qualität oder die gleichen Eigenschaften hat wie eine bestehende. Und da sind wir jetzt heute, würde ich sagen, angelangt.
Und was kommt als Nächstes?
Die neue Technik wird uns natürlich auch neue Möglichkeiten eröffnen, zum Beispiel beim Thema Remote-Produktionen. Diese werden durch eine IP-basierte Technik und Infrastruktur relativ problemlos möglich, weil Weitverkehrs-Infrastruktur auf IP schon heute in größerem Stil verfügbar ist. Damit muss man sich aber nicht nur von der technischen Seite auseinander setzten, sondern auch von der produktiven, der kreativen. Die Fragen sind hier: Funktionieren die Workflows noch? Kommen die Operatoren mit dieser Konstellation zurecht? Ist der Produktionsablauf überhaupt noch konsistent?
Da sind wir an einem Punkt angelangt, wo man sagen kann, die Technik ist verfügbar und kann eingesetzt werden und man kann damit erste „Experimente“ oder Pilotprojekte durchführen. Damit können dann neue Erfahrungen gesammelt und den kreativ Schaffenden neue Möglichkeiten an die Hand gegeben werden. Wozu das dann am Ende führt, welche neuen Workflows und Ideen damit geschaffen werden, von Remote-Produktionen über Parallelproduktionen oder das parallele Verteilen von Signalen, welches wir aus Netzwerken gewohnt sind, bis hin zu einer kompletten Änderung der Philosophie bestimmter Abläufe, werden wir noch sehen.
Die klassische konventionelle Technik, egal ob analog oder digital, hat immer etwas mit einem Bringservice zu tun. Das heißt, man hat ein Signal an eine bestimmte Stelle bewusst geschaltet, also sozusagen zugeführt. Wir werden in der Netzwerktechnik-, beziehungsweise in der IP-Infrastruktur, aber ähnliches erleben, wie wir es heute in der E-Mail- oder Internet-Kommunikation erleben: Es gibt so viele Möglichkeiten, im Netzwerk Signale zu finden, dass sich der Bringservice zu einem Nimmservice mit Suchprozess umwandeln wird. Man wird also eher schauen, welche Signale man verfügbar hat und daraus welche auswählen, anstatt die Signale irgendwohin zu schalten. Das ist eine Erfahrung, die wir bei vielen anderen Systemen im technischen Wandel miterlebt haben. Ich glaube auch, da werden wir uns im Broadcast-Bereich erst noch mit neuen Erkenntnissen auseinander setzen müssen.
Wie sehen Sie den Einsatz Ihrer IP-Netzwerk-Technik im Ü-Wagen-Bereich? Erste Fahrzeuge wurden damit ausgestattet. Welche Trends sind hier zu erwarten?
Auf der einen Seite sehe ich eine langfristige und grundsätzliche Notwendigkeit für den Einsatz von Ü-Wagen im ganz klassischen Sinn, für alle Arten von Produktion, die kreativ vor Ort erschaffen wird. Die IP-Kontribution dient da der Flexibilisierung, die im einfachsten Fall nur eine Art von Verbindungstechnik durch eine andere ersetzt. Der Vorteil von IP-Netzwerken liegt indes in der Bandbreitenverfügbarkeit, die sich hier wahrscheinlich schneller entwickeln lässt als bei konventionellen Systemen, weil die Netzwerktechnik sich da per se einfach wesentlich schneller entwickeln wird als eine proprietäre, begrenzte Technologie. Das heißt, wir werden in kürzester Zeit in der Lage sein, Skalierungseffekte mitzunehmen, die von 10 Gbit auf 40 Gbit auf 100 Gbit et cetera zum Tragen kommen und einfach mehr Signale verfügbar machen.
Auf der anderen Seite wird im Ü-Wagen-Bereich wahrscheinlich eine sehr schnelle Nutzung von IP-Netzwerken einsetzen, weil sich dadurch wichtige Mehrwertfunktionen ergeben. Bei solchen Netzwerkinfrastrukturen ist es beispielsweise sehr einfach und schnell möglich, verschiedene Ü-Wagen zu vernetzen und Signale zu splitten oder unter verschiedenen Abnehmern zu teilen. Signale können auch, wie bei unserer V_link4 bereits vorgesehen, vorkomprimiert und parallel zum Produktionssignal über eine WAN-Verbindung zum Funkhaus geschickt, dort direkt im Archiv abgelegt, in einer zweiten Regie parallel mitproduziert oder an einen „Weiterverwerter“ direkt zugeführt werden, damit er das Signal etwa für seinen Schnitt direkt verwenden kann. Wir werden da Mehrwertfunktionen erleben, die das klassische Ü-Wagen-Geschäft nicht ersetzen sondern sinnvoll ergänzen und natürlich auch zur Effizienzsteigerung beitragen.
Der ein oder andere Dienstleister wird seine Autos dann wohl entsprechend umrüsten wollen?
Davon kann man mit Sicherheit ausgehen. Lawo hat schon immer gerne gemeinsam mit Kunden und Partnern neue Ideen entwickelt, die in Produkte und Lösungen Eingang finden. Mit Ü-Wagen-Betreibern und Produktionsleuten diskutieren wir täglich, was wir gemeinsam möglich machen können. Es geht dabei nicht allein um ein technisches Gerät als Eins-zu-eins-Ersatz zu einem bestehenden Konzept, sondern immer auch um den daraus abgeleiteten Mehrwertnutzen und um potentielle Skalierungseffekte.
Zum Thema Remote-Produktion bei der FIFA-WM 2014. Welche Erfahrung haben Sie hier gemacht?
Von der rein technischen Seite her hat alles ohne Probleme funktioniert. Das war aufgrund guter Vorbereitung und Planung zu erwarten. Spannender war aber die Tatsache, dass die in der Produktion befürchteten Umstellungsprobleme, die nichts mit der technischen Lösung, sondern vielmehr mit der Remote-Konstellation zu tun hatten, faktisch nach wenigen Tagen vergessen waren. Die ursprüngliche Skepsis wurde innerhalb kürzester Zeit nach der praktischen Erfahrung überwunden und endete in Begeisterung und Zufriedenheit über den erreichten Zustand und diese Konstellation. Es wäre auf der ARD/ZDF-Präsentationsplattform in Rio de Janeiro schlichtweg nicht möglich gewesen, eine komplette Regie einzubauen. Man hätte also im Prinzip die Location und die Möglichkeiten dieser Spielfläche in dieser Form niemals nutzen können, wenn die von uns bereit gestellten technischen Möglichkeiten nicht da gewesen wären. Und damit sind wir genau bei einem dieser Mehrwerte, die wir schon besprochen haben, dass nämlich solche neue Techniken nicht einfach nur Eins-zu-eins-Ersatz für so eine bestehende Lösung darstellen, sondern vielleicht auch wirklich Dinge ermöglichen, die man vorher gar nicht machen konnte, weil man beispielsweise den Strom oder die Klimaleistung oder den Platz schlichtweg an so einer Stelle nicht hätte schaffen können. In Rio war es so und unsere Remote-Lösung hat einfach eine Spielfläche ermöglicht und einen Kostenvorteil gebracht, den man sonst gar nicht hätte erschließen können.
Entfernungen spielen bei Remote-Produktionen über IP-basierte Netzwerke keine Rolle mehr. Die Studios vor Ort könnten bei Großevents wie Fußball-Weltmeisterschaften eingespart werden. Sehen Sie das auch so?
Nein. Gerade bei Großevents wie der FIFA WM ist der persönliche Austausch zwischen Redaktion und Technik vor Ort wichtig. Auch kann man die besondere Atmosphäre eines solchen Events nur einfangen und authentisch vermitteln wenn man mit eigenem Studio und eigenen Leuten direkt vor Ort ist. Technisch mag es vielleicht keinen Unterschied mehr machen, ob das Studio in Mainz oder in Rio ist, inhaltlich und redaktionell aber schon. Insofern würde ich hier etwas stärker differenzieren. Man muss meines Erachtens stets zwischen den technischen und den betrieblichen, kreativen Möglichkeiten abwägen. Man kann leicht Technik zum Selbstzweck erklären, frei nach dem Motto: Wenn sie es möglich macht, dann wird sie auch genutzt. Ich sehe das allerdings nicht so. Die Technik muss meiner Meinung nach den kreativen Wünschen folgen und die Umsetzung der Vorstellungen der Redaktionen ermöglichen: Sie kann nicht vorgeben, was zu machen ist. Technik funktioniert nur, wenn alle Beteiligten an einem Strang zu ziehen.
Die zeitliche Verzögerung des Tons im In-ear-Bereich wurde bei der ARD/ZDF-Produktion zur FIFA WM 2014 auf ein Minimum reduziert. Wie genau funktionierte das?
Dazu haben wir uns viele Gedanken gemacht und eine Art Parallellösung geschaffen, bei der an der Remote Location im Studiobereich eine lokale In-ear-Mischung erzeugt wurde. Dazu wurden zwei Lawo-Mischpulte miteinander verschaltet. Das kleinere davon verblieb für den In-ear-Zweck vor Ort beim Mikrofon und wurde vom Operator am Hauptpult im IBC fernbedient. Das ganze war letztendlich weniger eine technische Entwicklung als vielmehr ein betriebliches Konzept, technisch so umgesetzt, dass es sich nahtlos in den normalen Produktionsablauf einfügte. Das war wieder mal so eine Erfahrung, die man erst aus dem praktischen Betrieb gewinnen kann. Das Ergebnis war sehr gut. Auch die Kollegen vom SWR und vom ZDF waren damit sehr zufrieden.
Könnte man das auch mit anderen Nicht-Lawo-Pulten machen?
Das schließt unsere Lösung technisch zwar nicht unbedingt aus, aber ich sehe da einen gewissen Zusatzaufwand. Unsere Hauptmotivation liegt auch nicht darin, anderen unsere Lösung im großen Stil zugänglich zu machen. Als Hersteller integrierter Gesamtkonzepte können wir sicherlich einige Effizienzvorteile bieten, da man sich über das Schnittstellenzusammenspiel zwischen Teilsystemen weniger beziehungsweise keine Gedanken mehr machen muss. Und was die praktischen Erfahrungen betrifft, sind wir als Hersteller mit Sicherheit schon sehr viel weiter und engagierter als manch anderer, sodass ich durchaus sagen würde, dass im Moment miteinander vernetzte Lawo-Systeme mehr leisten können als fremde dritte, respektive unabhängige Systeme untereinander.
Welche weiteren Innovationen zu V_link4 sind zu erwarten?
Vergleichbar zu dem, was wir im Audiobereich machen, wird es im Videobereich noch weitere Ergänzungen geben. Mit dem V__link4 als professionelles Produktionsinfrastruktursystem decken wir schon einen zentralen Bereich ab. Es ist klar, dass im Bereich, wo Kosten gespart werden müssen, nicht mehr alles mit SDI passiert, sondern auch mit HDMI. Da werden wir kostengünstige und einfach bedienbare Lösungen liefern. Zudem werden wir Audio- und Videosteuerung enger miteinander verzahnen, sodass auch dies als hochflexible integrierte Infrastrukturlösung möglichst einfach handhabbar wird. Unsere nächsten Schritte im Audio- und Videobereich haben wir auf der IBC 2014 gezeigt.
Bei der FIFA WM 2014 setzte der Hostbroadcaster HBS auch eine neue Lawo-Kommentatoreneinheit ein. Was ist hier weiter geplant?
Die Zusammenarbeit und das fast partner-
schaftliche Verhältnis mit HBS ist sehr zu loben. Wir durften die Fußball-WM im Bereich Hostproduktion mit viel Material begleiten, was sicherlich auf unser langjähriges, extrem positives Vertrauensverhältnis basiert. Ein großes Dankeschön für dieses Vertrauen, das wir mit dem Einsatz des Systems auch zur Zufriedenheit erfüllen konnten. Die in unserer Kommentatoreneinheit eingesetzte RAVENNA-Technik konnte in Sachen Effizienz einen Riesenvorteil für die Infrastruktur ausspielen. Was die Applikationen und ihren Einsatz betrifft, werden wir uns bezüglich dieser Integration sicher weiter engagieren, respektive die Bedürfnisse in der Applikation weiter adressieren. Da kommen logischerweise die nächsten Schritte im Bereich Video mit dazu, auch die standortübergreifende Vernetzung usw. Wir sind also auch an dieser Stelle bemüht, die netzwerkbasierte Infrastruktur als Kernkompetenz von Lawo weiter auszubauen und mit entsprechenden Produkten zu ergänzen.
Welche Rolle spielt künftig Lawos Rental-Geschäft?
Dieses Geschäft betreiben wir ganz grundsätzlich nicht in Konkurrenz zu unseren Kunden, respektive Partnern. Wir sehen das eher als Ergänzung zu deren eigenem Gerätepool, bevorzugt mit Lawo-Technik, die wir auf die Art und Weise gerne aufstocken, sei es eine zusätzliche Stagebox für die Wochenendproduktion, sei es für irgendwelche zusätzlichen Gesamtsysteme bis hin zu größerer Menge Equipment für so einen Großeinsatz. Wenn beispielsweise im Bereich Kommentatorensysteme verstärkt Bedarf besteht und unsere Partner diese Anforderung nicht erfüllen, dann werden wir uns da sicherlich für den Einsatz von Lawo-Technik engagieren. Es ist aber nicht unser vorrangiger Ansatz, den Vermietbereich zu erweitern, sondern erst einmal die bestehenden Partner zu bedienen.
Anforderungen an Audio-Pulte ändern sich ständig. Was bedeutet das für die Lawo-Produktlinie? Sind neue Systeme geplant?
Wir wollen unsere Produkte auf jeden Fall anpassen. Die grundsätzlichen Produktlinien bleiben sicherlich erhalten. Da gibt es keinen Ansatz, die neu zu erfinden. Ich denke, dass die auch im Markt eingeführt sind. Einzelne Funktionalitäten werden wir sicherlich auch erweitern, nicht zuletzt auch die Produktlinie selbst. Die Produktbandbreite und das Portfolio an Applikationen werden ausgebaut, auch mit Blick auf neue Märkte.
Zur NAB 2014 wurde das neue Radiopult chrystal vorgestellt. Wie war die bisherige Resonanz darauf?
Die Resonanz ist sehr positiv. Die Nachfrage übersteigt die Kapazitäten deutlich. Es ist schön festzustellen, dass man da wohl die richtigen Ideen zum richtigen Zeitpunkt hatte.
Wie schaffen Sie es so viele neue Produkte zu entwickeln? Nur mit eigenen Entwicklerkapazitäten oder auch mit externen?
Wir haben Entwicklungskapazitäten an verschiedenen Standorten. Hier in Rastatt ist sicherlich die größte Entwicklungsabteilung, wir haben aber zwischenzeitlich in Köln und in München, in Paris und in Zürich zusätzliche Entwicklungslabors, wo Produkte entstehen, wo Teilbereiche zugefügt werden. Dort arbeiten ungefähr 50 Leute, rund ein Viertel der Belegschaft ist bei uns also für die Produktentwicklung zuständig.
Sie haben jetzt auch ein Vertriebsbüro in Nordamerika. Die Internationalisierung der Lawo-Vermarktung schreitet weiter voran. Gibt es besondere Zielmärkte?
Für uns ist jede Region interessant. Wir setzen auf gleichmäßige Präsenz in allen Märkten, um mit allen Kunden und Anwendern interagieren zu können. Die Produktionsphilosophie ist in allen Märkten ähnlich, im Rental- wie auch im Ü-Wagen-Bereich. Unsere Kunden sind zum Teil internationale Sendernetzwerke aus allen Ecken der Welt, besonders auch aus den USA oder dem Nahen Osten. Sie entwickeln Standorte und Präsenz über die ganze Welt verteilt.
Wie stellen Sie den Vertrieb darauf ein?
Es gibt keine Patentlösung. Das ist eine individuelle Frage nach Land, Region und Themenbereich. Egal, wo unsere Produkte zum Einsatz gebracht werden, wollen wir in der Lage sein, einen guten Support und eine gute Betreuung des Kunden über die Laufzeit zu liefern. Das kann aufgrund von kulturellen und sprachlichen Gegebenheiten am besten mit einem Vertriebspartner, einer Beratungsfirma oder einer eigenen Niederlassung in kleineren Märkten gewährleistet werden. Es geht immer darum, die schnellstmögliche Verbindung zum Kunden zu schaffen.
Lawo bleibt aber eine innovative Entwicklerfirma und wird nicht zum Vertrieb- und Marketingunternehmen?
Das eine geht mit dem anderen einher. Wir werden die Innovationen nicht zurückschrauben, aber man muss die Ideen schon auch an den Kunden bringen. Letzteres ist also auch notwendig. Wir verstehen uns nicht als Handelsunternehmen, sondern wollen auch künftig mit eigenen Innovationen auftrumpfen.
Welchen Stellenwert hat das Audio-Thema künftig bei Lawo?
Ich möchte weder den kleinen, noch den großen Mischpulten Priorität zu- oder absprechen. Die Stärke von Lawo liegt nicht nur in einem einzelnen, isolierten Produkt, sondern in der richtigen Mischung. Die Integration ist ein zentrales Thema in der neuen, dritten Technik-Epoche. Bei IP- und Infrastrukturnetzwerken sind zwar die Innovationsmöglichkeiten momentan deutlich größer als beim klassischen Audio-Mischpult. Gute Ergebnisse verspricht aber erst die Kombination der Innovationen in beiden Bereichen.
Beschreiben Sie bitte Lawos besonderen Stärken?
Alle Firmen kochen mit Wasser. Unsere Stärke und Motivation liegt darin, in entsprechender Geschwindigkeit und vor allem in engem Austausch mit Anwendern, Kunden und Betreibern der Produkte neue Ideen und Anforderungen zu ergründen und dafür die neuen Produkte mit den entsprechenden Technologien möglich zu machen. Ich denke es ist kein Geheimnis: Unser Erfolg basiert auf der Geschwindigkeit und Begeisterung mit der wir uns um die einzelnen Dinge kümmern.
Setzt die Firma bei den vielfältigen neuen Herausforderungen auf Expansion?
Die Geschwindigkeit bei der Produktentwicklung wird nicht durch die Größe des Unternehmens bestimmt, sondern durch die Begeisterung mit der die Mitarbeiter des Unternehmens bei der Sache sind. Durch die Einführung der Fließproduktion im vergangenen Jahr haben wir auch eine gewisse Effizienzsteigerung in der Herstellung erreichen können. Auch hier zeigt sich mittlerweile unsere Agilität. Überall im Unternehmen unterstützt sie die Leidenschaft, etwas Neues und Besseres zu entwickeln. Wir sind dabei nicht auf fremde Dritte angewiesen. Die Begeisterung an der Produktion und der Stolz an der eigenen Arbeit spornen an. Bei Lawo gibt es deshalb auch kaum Fluktuation bei den Mitarbeitern.
Eckhard Eckstein
MB 6/2014