Ute Biernat, Chefin von GRUNDY Light Entertainment, die zu den führenden Entertainment-Experten in Deutschland zählt, beschreibt im Gespräch mit MEDIEN BULLETIN die aktuelle Lage der non-fiktionalen TV-Unterhaltung sehr differenziert und ist überzeugt, dass neben „schlichten Produktionen“ in Zukunft die große Live-Show wichtiger denn je für das klassische Fernsehen wird.
Träumt jeder Entertainment-Produzent davon, einmal ein Format wie „Wer wird Millionär?“ zu entwickeln, das über Jahre prima läuft und sich außerdem rund um den Globus bestens verkaufen lässt, so dass auch der Rubel rollt und rollt…?
Sicher hofft jeder Entertainment-Produzent auf einen Quotengaranten. Ich freue mich allerdings sehr darüber, mehrere erfolgreiche Pferde im Rennen zu haben. Aufgrund der Zugehörigkeit zu FremantleMedia sind wir auch gut mit erfolgreichen internationalen Formaten versorgt, zum Beispiel „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Sag die Wahrheit“.
Das Wichtigste bei der Ideenentwicklung für neue Entertainment-Formate ist die Fokussierung auf den verfügbaren Sendeplatz, wie Sie kürzlich bei einem Gespräch anlässlich der Jubiläumsfeier ihres Mutterunternehmens UFA beiläufig erwähnten, richtig?
Ja. Wir entwickeln generell maßgeschneidert für Sender und deren verfügbaren Sendeplätze. Wird beispielsweise etwas Neues für einen täglichen oder wöchentlichen Sendeplatz oder als Event gebraucht, dann ist es wichtig, genau zu prüfen, was an welcher Stelle funktionieren kann. Das macht jeder schlaue Produzent, um passende Ideen liefern zu können. Manchmal kann sich die Situation bereits wieder verändert haben, wenn die Entwicklung abgeschlossen ist. Denn die Unterhaltungswelt ist sehr schnell. Und die Sender programmieren zum Teil viel schneller um als früher. Auch das muss man in die Überlegungen mit einbeziehen. Zwar wird der aktuelle Trend – „Service“, „Coaching“, „Life-Style“ – noch eine Weile andauern, aber nicht ewig. Auch da muss was Neues passieren…
Was heißt das genau? Sie müssen neue Formatentwicklungen in der Hinterhand haben?
Auf jeden Fall. Das gehört zum Geschäft. Wir können nicht sagen, wir haben drei Formate entwickelt und warten jetzt erst einmal ab, bis wir die verkauft haben. Wir entwickeln hier permanent mit einem Team von vier Leuten. Wir sind angebunden an die UFA in Berlin. Da sitzen auch Entwickler in unseren fiktionalen Schwesterfirmen, mit denen wir regelmäßig im Cross-Over neue Formate kreieren. Noch entscheidender ist: Wir arbeiten auch mit London zusammen, weil wir zu FremantleMedia gehören, die in 39 weiteren Ländern ansässig sind, in denen ebenso neue Formate entwickelt werden. Dadurch sind wir auch auf dem Laufenden, was weltweit anläuft, und wir können unsere Ideen wiederum auch weltweit anbieten.
Und: Was ist der aktuelle Trend im internationalen Markt?
Spiel! Es wird relativ viel gespielt, viel gecastet, und Comedy ist ein großes Standardthema, in vielen verschiedenen Variationen. Was wir auch machen: Kombinationen von Quiz mit Comedy, Dating mit Comedy. Außerdem ist alles das im Trend, was nicht im Studio stattfindet.
Wie sieht denn zurzeit die Sendeplatz-Situation für Entertainment-Formate aus?
Grundsätzlich ist es so, dass sich Fiction- und Non-Fiction-Formate immer ein bisschen die Waage halten. Mal hat der eine, mal der andere Bereich ein bisschen mehr Gewicht. Der Vorteil unserer Entertainment-Formate ist allerdings, dass sie schneller On-Air gebracht werden können als die Formate unserer fiktionalen Kollegen, weil es eine andere Produktionsweise ist.
Neben Ihrer Firma GRUNDY Light Entertainment fallen einem spontan für den Entertainment-Bereich Firmen wie Endemol oder Brainpool ein. Bei RTL zum Beispiel werden aber viele Shows auch von kleineren, relativ unbekannten Firmen produziert, die sich zum Teil um Stars wie Günther Jauch firmieren. Wie würden Sie die Wettbewerbs-Situation auch gegenüber kleineren Produktionsunternehmen charakterisieren?
Die Situation ist entspannt und konstruktiv. Unser Ziel ist nicht, alles allein zu machen. Das Konkurrenzumfeld garantiert uns auch die Unabhängigkeit von der RTL-Gruppe. Wir produzieren außer für RTL auch viel für andere Sender, das finde ich großartig. Die kleinen Firmen haben es schwerer so variabel zu sein, wie wir es sein können. Sie haben oft nur eine Sendung oder ein prominentes Gesicht, über das sie funktionieren.
Sie konnten einen sehr guten Quotenerfolg für Sat.1 mit der neuen Show „Schiffe versenken“ feiern, die mit einer tollen neuen Optik aus einem Berliner Schwimmbad besticht. Hat man mittlerweile genau analysiert, worauf der Erfolg basierte?
Das waren drei Stunden Spaß, eine Art Kindergeburtstag! Wichtig ist ein einfaches Spielsystem.
Könnte daraus zum Beispiel für Sat.1 eine Show vergleichbar mit „Wetten, dass…“ erwachsen, die es ja auch nur maximal monatlich gibt? Oder ist es auch dafür nicht geeignet, da ja viele Sat.1-Prominente in der Show baden gegangen sind, wozu sie andauernd wohl keine Lust haben werden…?
So ist es. „Schiffe versenken“ gehört für uns zu einem großen Paket, unserem „Spielekoffer“, zusammen mit der Show „Promi ärgere Dich nicht“ für Sat.1, deren dritte Ausgabe wir gerade produziert haben. In diesem Bereich haben wir auch noch viele andere Ideen. Man muss aber vorsichtig sein mit den Event-Geschichten. Wenn man große Shows zu oft wiederholt, verlieren sie ihren Spaßfaktor. Man darf damit nicht inflationär werden. „Schiffe versenken“ würde in einem kurzen Zeit-Rhythmus nicht funktionieren. Dafür ist diese Show – mit Verlaub – sicherlich zu albern…
Einfache Formate
Wie müssen Shows gestrickt sein, so dass sie täglich oder wöchentlich funktionieren?
Das müssen einfachere Formate sein. Sie müssen übersichtlich sein und dem Zuschauer heute einen Mehrwert vermitteln, daher kommt ja auch der Erfolg der Quiz- und Coaching-Shows. „Schiffe versenken“ vermittelt nicht unbedingt einen Mehrwert, außer eben Spaß…
Was heißt „Mehrwert“?
Von den Coaching-Formaten kann man ein bisschen was lernen: „Aha, so gehe ich mit Geld um“ oder mit der Wohnung. Da bekommt man Tipps wie auch bei den Kochsendungen. Und bei „Quizzes“ kann der Zuschauer noch etwas dazulernen.
Vermischen sich auch im Entertainment-Bereich früher strikt voneinander getrennte Formate? Teilweise könnte man ja die Coaching-Formate auch als Doku-Soaps bezeichnen…
Ich glaube, das nähert sich an. Ich bin mir auch sicher, dass die Trennlinie zwischen fiktionaler und non-fiktionaler Unterhaltung dünner wird. Denn was ist heute im Fernsehen Realität, und was nicht?
Sie produzieren mittlerweile auch kleinere Shows für die Dritten der ARD.
Werden die anders als für private Sender formatiert?
Da gibt es keinen großen Unterschied. Für den SWR produzieren wir „Sag die Wahrheit“. Das ist eine Panel-Show für die Prime-Time. Die Sendung könnte aber auch bei einem anderen Sender laufen. „Die Besten im Südwesten“ läuft auch beim SWR. Das ist eine Quizsendung, bei der es um Fragen aus der Region geht. Das ist für regionale Sender wichtig, weil ihre Zielgruppen auch lokales Interesse haben.
Welche Rolle spielen die Faktoren „Heimat“ und „Lokalkolorit“ für Entertainment-Formate – und sind Formate, die diese Ingredienzien haben, dann auch noch international vermarktbar?
„Heimat“ und „Lokalkolorit“ spielen eine große Rolle. Auf das Stichwort „Globalität“ folgt jetzt das Stichwort „Lokalität“, als Pendent. Menschen identifizieren sich gerne mit ihrem eigenen Umfeld. Das kann man dann auch verkaufen. Es kommt auf das Format, auf die Struktur der Geschichte an. Man kann ein Spiel kreieren wie Nord gegen Ost oder Süd gegen West, gefüllt mit lokalem Bezug. Das kann man dann auch in Amerika spielen. Das sind durchaus Wege und Trends für zukünftige Formate.
Die ProSiebenSat.1-Gruppe beispielsweise hat es als paneuropäisches Unternehmen darauf abgesehen, Formate zu besitzen, die sich synergetisch in vielen Ländern einsetzen lassen. Spielt das auch in Aufträgen an GRUNDY Light Entertainment eine Rolle?
Zunächst einmal geht es um das Produkt. Die Idee muss funktionieren. Die Dramaturgie der Sendung muss stimmig sein. Sicherlich ist ein möglicher internationaler Vertrieb interessant, aber wenn wir anfangen zu entwickeln, denken wir nicht, „funktioniert das auch in Moskau?“. Der Fokus liegt zunächst auf dem deutschen Markt. „Promi ärgere Dich nicht“ beispielsweise lief nach der zweiten deutschen Ausgabe auch erfolgreich in der Slowakei, da spielte Tschechien gegen die Slowakei. Aber man kann es eben nicht planen, dass es funktioniert. Wenn die Idee stimmig ist, so zeigt die Erfahrung, lässt es sich auch weltweit vermarkten. Unser Problem ist eher: Wer hat die Rechte daran?
Um die Rechte-Frage endlich einmal grundsätzlich mit gemeinsamer Power unter den Produzenten zu klären, ist ja eine Fusion verschiedener Produzentenverbände vorgesehen. Sind Sie da als Entertainment-Firma mit dabei, oder sind daran nur Fiction-Produzenten beteiligt?
Ja, gerade als Unterhaltungsproduzent und Teil der Interessengemeinschaft der Entertainmentproduzenten AGEP sind wir dabei. Aber die Arbeit an einem Gesamtverband wird noch eine Zeit lang dauern. Interessant ist: Obwohl wir Entertainment-Firmen traditionell rund ein Drittel des Gesamtvolumens am Umsatz in der hiesigen Branche stemmen, rücken wir erst jetzt mit den fiktionalen Produzenten ein bisschen zusammen.
Sie haben sich kürzlich von der Studio-Anbindung auf dem MCC-Gelände in Hürth getrennt und sind in die Mitte von Köln gezogen. Warum?
Es war für unsere Mitarbeiter immer ein bisschen umständlich, mit öffentlichen Verkehrsmitteln vor die Tore der Stadt zu fahren, und nach 18 Uhr kam man da auch nur noch stündlich weg. Natürlich ist es schön, wenn man ein Studio in der Nähe hat. Dann haben wir aber mal nachgerechnet, wie oft wir es tatsächlich nutzen. Aufgrund der Produktionen in Hamburg, Baden-Baden, Berlin, der Schweiz oder eben vermehrt On-Location, stellte es inzwischen keinen zwingenden Standortvorteil mehr für uns dar. Wir haben uns dann entschieden, lieber näher am Leben dran zu sein und mitzukriegen, „wie die Leute ticken“, was für die Arbeit an Innovationsthemen nicht uninteressant ist. Jetzt sitzen wir zentral, zehn Minuten in die Innenstadt, zehn Minuten zum Flughafen und alle zehn Minuten fährt die Straßenbahn. Die Mitarbeiter sind begeistert.
Passende Locations
Vermutlich werden die Studios außerdem deshalb unwichtiger für Sie, weil – wie Sie gerade sagten – alles im Trend ist, was nicht im Studio stattfindet, wie zum Beispiel die Produktion „Schiffe versenken“, die sich die schöne Optik eines Hallenbades zu Nutze macht.
Wir werden die Studios nach wie vor brauchen. DSDS ist nach den Castings, die On-Location stattfinden, eine reine Studioproduktion. Sie haben insofern Recht, dass man schon guckt, welche Location zum Thema passt und wie man es am effizientesten hinkriegt. Man kann ja auch Shows aus Theatern heraus machen. Es gibt welche, die leer stehen. Das Schillertheater in Berlin ist beispielsweise relativ beliebt, weil da wenige Veranstaltungen stattfinden. Das ist eine zusätzliche Möglichkeit. Grundsätzlich ist das Studio praktischer, weil dort schon das technische Equipment bereitsteht. Letztendlich hängt es eben auch davon ab, wie oft eine Show an ein und demselben Ort produziert wird, damit es sich rechnet.
Sie sagten gerade, dass der Vorteil von Entertainment gegenüber Fiction sei, dass man schneller an den Start komme. Wie lange dauert es denn, bis zum Beispiel eine Show wie „Schiffe versenken“ auf die Beine gestellt worden ist?
Das ist unterschiedlich. Unseren Spielekoffer mit vier Spielen, wozu „Schiffe versenken“ gehört, haben wir parallel entwickelt. Mit „Promi ärgere Dich nicht“ waren wir in der Entwicklung am schnellsten, weil das Set klarer war: „Mensch ärgere Dich nicht“, wo Prominente als Spielfiguren ein übergroßes Spielfeld umrunden müssen, kennt jeder. Bei „Schiffe versenken“ hingegen war die Suche nach einer technischen Lösung für das Versinken lassen von Booten, in denen die prominenten Mitspieler sitzen, um einiges vielseitiger und aufwändiger. Da haben wir mehrere Varianten durchgespielt und ausprobiert.
So viel schneller als bei einer fiktionalen Produktion geht die Entwicklung dann wohl doch nicht?
Es kommt immer auf das jeweilige Genre und den Umfang der Produktion an. Die Entwicklung dauert genauso lang wie bei allen anderen TV-Formaten, zum Schluss kann man es aber viel schneller produzieren. Denn szenische Aufzeichnungen haben einen höheren Zeitaufwand als Non-Scripted-Formate. Wenn ein Sender genau weiß, welches non-fiktionale Format er will – zum Beispiel eine regionale Quiz-Show, für die und die Zielgruppe, Sendeplatz X, mit so- und soviel Folgen -, dann kann er das von uns innerhalb von zwei oder drei Monaten realisiert haben, inklusive Casting.
Wie sieht es mit den Kosten aus? Man nimmt ja gerne platt an, dass Entertainment-Formate grundsätzlich preiswerter als Fiction sind. Stimmt das?
Auch das hängt vom Genre ab. Eine tägliche gescriptete fiktionale Serie ist hinsichtlich der Kosten nicht mehr weit entfernt von einer täglichen Show. Eine Prime-Time-Show ist im Schnitt preiswerter als ein 90-minütiger Film.
Wie viel Prozent Ihrer Formate entwickeln Sie selber und wie viel übernehmen Sie aus dem Fremantle-Verbund?
Unabhängig von der UFA entwickeln wir als GRUNDY Light Entertainment seit 2004 etwa ein Drittel unserer Formate, die wir produzieren, selber. Rund zwei Drittel der Formate übernehmen wir. Das hängt damit zusammen, dass diese sich leichter verkaufen lassen. Denn ein internationales Format bringt eine so genannte „Broadcast-History“ mit, die belegt, wie das Format bereits in welchen Ländern gelaufen ist. Das kann man dann natürlich einfacher verkaufen, als wenn man im ersten Schritt nur eine schöne Idee präsentiert, die zunächst nur auf dem Papier, in Form eines Piloten oder Mood-Tapes existiert.
Welche Rolle spielen für Sie IP-TV und Spartenprogramme, für die sich die UFA ja stark engagiert?
Das ist ein wichtiges Thema. Da liefern wir der UFA – allen voran UFA interactive – zu, die an mehreren Themen arbeitet. Wir selber haben uns zwei IP-TV-Auftritte ausgedacht, die aber noch in der Endphase der Entwicklung sind. Auch IP-TV ist mit Kosten verbunden, und deshalb brauchen wir zuallererst einen Business-Plan, so dass es Sinn macht.
Zusammengefasst: Auf welchen Trend setzt GRUNDY Light Entertainment zurzeit?
Es geht sowohl um schlichtere kleinere Produktionen als auch um die große Live-Show. Die Live-Show setzt die TV-Sender auch heute noch von allen anderen Medienangeboten ab. Der Zuschauer möchte live dabei sein können, im anderen Fall hat er es verpasst. Das ist zwar teuer, aber der Live-Charakter hat von Anfang an etwas ganz Besonderes aus dem Fernsehen gemacht. Das gilt heute mehr denn je.
Erika Butzek (MB 11/07)