Daniel Martini, Systems Architect bei Cisco, präsentierte am 13. November 2024 auf dem RoadtrIP-Event in München eine Analyse der IT-Megatrends und ihrer Auswirkungen auf die Broadcast-Industrie. Sein Vortrag bot fundierte technische Einblicke, beleuchtete wirtschaftliche Zusammenhänge und zeigte auf, wie sich Medienhäuser strategisch aufstellen sollten, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.
Megatrends: Globale Entwicklungen mit lokalen Auswirkungen
Um Entwicklungen in der IT- und im Broadcast-Umfeld zu verstehen, sei es wichtig, einen Blick auf Megatrends zu werfen – langfristige, globale Entwicklungen, die tief in alle Lebensbereiche eingreifen. Für die Broadcast-Industrie seien sechs dieser Trends besonders relevant.
Der erste Trend, Individualisierung, beschreibt die wachsende Vielfalt an Interessen und Bedürfnissen in der Bevölkerung. Während früher Inhalte für eine homogene Masse produziert wurden, erwartet das Publikum heute maßgeschneiderte Angebote, die sich an persönlichen Präferenzen orientieren. Dies stelle insbesondere öffentlich-rechtliche Sender vor die Herausforderung, Inhalte zu entwickeln, die sowohl spezifischen Interessen entsprechen als auch ihren allgemeinen Programmauftrag erfüllen.
Die Technologisierung, ein Überbegriff der Digitalisierung, sei ein weiterer Schlüsselfaktor. „Während bei der Digitalisierung digitalisiert wird, wird bei der Technologisierung technologisiert. Das bedeutet, für einen Prozess, in dem in der Vergangenheit noch keine Technologie zur Verfügung stand, wird eine neue Technologie gefunden oder erfunden und anschließend eingesetzt“, erklärte Martini.
Zudem führe der demografische Wandel zu einem Fachkräftemangel, der vor allem in der spezialisierten Broadcast-Technologie spürbar sei. Kombiniert mit den Ansprüchen einer jüngeren Generation an flexible Arbeitsmodelle – oft als New Work bezeichnet – entstehe ein enormer Druck auf traditionelle Strukturen.
Abgerundet werde das Bild durch die Trends Neo-Ökologie und energetischer Wandel, die ein wachsendes Bewusstsein für Nachhaltigkeit reflektieren. Medienhäuser stünden vor der Aufgabe, ihre Produktionsinfrastrukturen energieeffizienter zu gestalten, ohne Kompromisse bei der Qualität einzugehen.
IT-Trends: Der Wandel durch Standardisierung
Ein zentraler Punkt in Martinis Vortrag war die Rolle von IT-Trends. Die Standard-IT, wie sie von Unternehmen wie Cisco bereitgestellt wird, habe in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht und sei inzwischen in der Lage, viele spezifische Anforderungen, auch aus der Broadcast-Welt, zu erfüllen oder sogar zu übertreffen.
Martini hob die Bedeutung der sogenannten Common Infrastructure hervor. Diese ermöglicht es, Broadcast-Workloads auf Standard-IT zu betreiben, mit dem Ziel, Kosten zu senken und eine größere Flexibilität bei der Ressourcennutzung zu erreichen. Während in der Vergangenheit dedizierte Hardware benötigt wurde, können heute virtualisierte Anwendungen auf Cloud- oder On-Premises-Systemen laufen. Dies ermögliche eine dynamische Anpassung an Produktionsspitzen, etwa während Live-Übertragungen.
Die Virtualisierung und der Einsatz cloud-nativer Anwendungen seien ebenfalls entscheidend. Monolithische Systeme, die auf spezifische Aufgaben zugeschnitten waren, weichen flexibleren, containerisierten Lösungen. Dadurch könnten Medienhäuser beispielsweise temporär Kapazitäten in die Cloud auslagern und Kosten sparen, meinte Martini.
Ein weiterer unverzichtbarer Trend sei die Nutzung von generativer KI. Martini betonte, dass KI nicht dazu da sei, kreative Prozesse zu ersetzen, sondern repetitive Aufgaben zu automatisieren. Beispiele dafür seien die automatische Generierung von Untertiteln oder die Analyse von Zuschauergewohnheiten, um personalisierte Inhalte bereitzustellen.
Die Parallelen zwischen IT- und Broadcast-Trends
In einer interessanten Gegenüberstellung zeigte Martini auf, dass viele der führenden Trends im Broadcast-Bereich – etwa IP-basierte Netzwerke oder die automatisierte Produktion – direkte Adaptionen aus der IT sind. Dies sei kein Zufall, sondern eine Folge der massiven Investitionen in die IT-Industrie. „Die beiden Top-Trends, nämlich IP-Networking und generative KI, sind nichts anderes als IT-Trends, die umgemodelt werden, um auf den Broadcast-Sektor zu passen“, so Martini.
Warum IT-Technologien dominieren: Ein wirtschaftlicher Exkurs
Ein Teil des Vortrags war Martinis Analyse der wirtschaftlichen Hintergründe, die die Dominanz der IT-Technologien erklären. Der Broadcast-Markt habe 2024 ein geschätztes Volumen von 61,5 Milliarden US-Dollar, während der IT-Sektor mit 4,7 Billionen US-Dollar um ein Vielfaches größer sei. Diese Diskrepanz schlage sich in den Budgets für Forschung und Entwicklung nieder. Gehe man von einem jährlichen R&D-Budget von 5 % aus, könne die Broadcast-Industrie 3,075 Milliarden US-Dollar investieren, die IT hingegen 235 Milliarden. „Es geht nicht darum, dass Ethernet eine bessere Technologie ist als SDI, sondern es liegt schlicht daran, wie viel Geldmengen eigentlich zur Verfügung steht, die Technologie weiterzuentwickeln“, erklärt Martini.
Der wirtschaftliche Vorteil der IT werde auch bei der Hardware deutlich. Martini verglich einen typischen SDI-Router mit einem modernen Ethernet-Switch. Der SDI-Router benötigt 56 Höheneinheiten, verbraucht 24 Kilowatt und hat eine vergleichsweise begrenzte Bandbreite. Ein Ethernet-Switch von Cisco hingegen, etwa das Modell 9332D-GX2B, kommt mit einer Höheneinheit aus, verbraucht nur 3 Kilowatt und bietet mit 400 Gbit/s pro Port eine wesentlich höhere Leistung. „Der Ethernet-Switch verbraucht 56-mal weniger Platz als unser SDI-Router, verbraucht dabei achtmal weniger Energie und ist, was den Throughput angeht, oder das Äquivalent zur SDI-Matrix, wesentlich besser.“
Der Blick in die Zukunft: Warauf sich Broadcast-Unternehmen einstellen müssen
Zum Abschluss seines Vortrags richtete Martini den Blick auf die Medienunternehmen und ihre Infrastruktur. Er stellte fest, dass viele Rundfunkanstalten sowohl Standard-IT als auch proprietäre Broadcast-Technologien parallel betreiben. Historisch bedingt sei dies darauf zurückzuführen, dass die IT früher nicht in der Lage war, unkomprimiertes Video zu übertragen, weshalb spezielle Broadcast-Lösungen notwendig waren. Sobald die Standard-IT jedoch in der Lage gewesen sei, die broadcast-spezifischen Anforderungen zu erfüllen, seien Storage-Systeme integriert worden und Workloads auf Standard-IT umgezogen.
Die Megatrends, insbesondere Individualisierung und demografischer Wandel, würden die Branche zudem vor erhebliche Herausforderungen stellen. Die zunehmende Heterogenität der Zuschauer führe zu höheren Erwartungen an individuelle Inhalte, während gleichzeitig weniger qualifiziertes Personal zur Verfügung stehe. Martini warnte davor, dass „ein gewisses Ungleichgewicht“ entstehe, da immer weniger Personen auf Seiten der Produktion zur Verfügung stünden, um die steigenden Erwartungen der Konsumenten zu erfüllen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, empfahl er den Umstieg von SDI-basierten auf IT-basierte Produktionen. Dies ermögliche eine verschlankte und effizientere Infrastruktur. Durch die Bildung interdisziplinärer Teams aus eigenen IT- und Broadcast-IT-Mitarbeitern könnten Ressourcen besser genutzt werden.
Automatisierung und der Einsatz von KI könnten den Fachkräftemangel zudem abfedern, meinte Martini. Er hoffe, dass „sobald künstliche Intelligenz kein Buzzword mehr für Aktionäre ist, sondern auch bei uns gewinnbringend eingesetzt werden kann“, die Branche besser auf die Herausforderungen reagieren könne.
Unter dem Strich sei es zwingend notwendig, auf die Megatrends zu reagieren, „denen wir uns nicht entziehen können“, um weniger Strom und Platz zu verbrauchen und die Kosten insgesamt zu senken. Standard-IT sei dennoch nicht die Lösung aller Probleme. „Es wird niemals so sein, dass eine Cisco aus Standard-IT alles abbilden kann, was die Broadcast-Industrie an Erwartungshaltungen hat“, sagte er. Es werde immer spezifische Funktionen und Anforderungen geben, die nur durch spezialisierte Broadcast-Lösungen erfüllt werden könnten. Jedes Produkt habe seine Daseinsberechtigung, und die Zusammenarbeit beider Branchen sei entscheidend, den Trends dieser Welt zu begegnen.