Nie zuvor in der Geschichte hat es ein derart großes mediales Angebot in Deutschland gegeben, das sich speziell an Jugendliche wendet. Dazu gehören ungezählte öffentlich-rechtliche und private Radiosender und ganze TV-Kanäle wie nur beispielsweise RTL 2, ProSieben, Sixx oder ZDFNeo. Hinzu kommt das riesige Internet-Angebot mit Bewegtbild-Plattformen wie YouTube mit seinen Tausenden von Kanälen oder unübersichtlich viele Games- und Musik-Portale. Besonders beliebt bei Jungen und Jüngeren sind die Social-Media-Plattformen, auf denen man scheinbar genau das tut, was für alle Menschen speziell in ihrer Jugend besonders wichtig ist: nach Freunden suchen und sich mit Freunden austauschen, was heute multimedial passiert. Tatsächlich aber ist Social Media primär ein Marketinggeschäft, das Daten der Nutzer absaugt, um mit gezielter Werbung Geschäfte zu machen. Dabei hat sich auch Social Media längst fragmentiert, so dass es neben Facebook, Whatsapp, Snapchat auch „We Heart It“, „Vice“, „Shots“, „le neos“ und vieles andere Interaktive gibt, das Erwachsene gar nicht kennen. Nie zuvor in der Geschichte hat es auch ein so stark kommerzialisiertes Medienangebot speziell für Jugendliche gegeben, das sie primär als „Konsumenten“ betrachtet. Bei aller dynamischen Entwicklung ist für Jugendliche Fernsehen – oder besser gesagt Bewegtbild – Lieblingsmedium geblieben. Selbstverständlich gucken sich Jugendliche auch RTL oder Sat.1 wie auch ARD und ZDF an, live oder zeitversetzt. Es kommt auf die Inhalte an und wie und von wem sie präsentiert werden, wobei reine Bildungs-, Informations- oder Hochkultur-Angebote bei der Mehrzahl der Jugendlichen nicht unbedingt im Prioritätsfeld ihrer Interessen stehen. Es war einerseits dem Wunsch von Politikern geschuldet, dass sich ARD und ZDF Ende 2012 erstmals auf ein gemeinsames Jugendangebot einigten. Andererseits aber auch der Tatsache, dass jüngere Menschen das private, kommerziell orientierte Fernsehen mit seiner Art der Unterhaltung vorziehen. Ziel des Jugendkanals war deshalb, dem drohenden Generationenabriss bei ARD und ZDF entgegen zu wirken und speziell der Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen ein öffentlich-rechtliches Angebot zu unterbreiten, zumal nur so der Auftrag zur so genannten „Grundversorgung“ erfüllt werden kann. ARD und ZDF entwickelten ein trimediales Konzept mit einem TV-Kanal im Mittelpunkt, was die für den Rundfunk zuständigen 16 Ministerpräsidenten in Deutschland genehmigen sollten – wofür von Anfang an rund 45 Millionen Euro jährlich vorgesehen waren.
Als dann die Ministerpräsidenten am 17. Oktober 2014 nach langwierigen öffentlichen Diskussionen beschlossen, es solle von ARD/ZDF anstatt eines trimedial ausgerichteten TV-Jugendkanals ein Online-Jugendangebot im gleichen Budget-Umfang geben, platzten zwar insbesondere bei der ARD und dem im Projekt federführenden SWR einige Träume. Weil gleichzeitig aber etliche Beschränkungen für Aktivtäten im Internet aufgehoben werden sollten, erschien es dann doch als erfreuliche Perspektive. Also strickten ARD und ZDF ein neues Konzept, das sich – wie von den Ministerpräsidenten gewünscht – auf ein reines Online-Angebot bezog. Das nahmen die Ministerpräsidenten auch am 17. Juni dieses Jahres zur Kenntnis. Mittlerweile ist das Projekt in die Bredouille geraten.
Hintergrund: Der Beschluss vom 17. Oktober 2014 sah zwar eine Beauftragung von ARD/ZDF für das Online-Jugendangebot vor. Weshalb es bereits seit März 2015 mit dem ehemaligen stellvertretenden Programmdirektor von ARTE, Florian Hager, einen Gründungsgeschäftsführer gibt. Die Beauftragung für das Online-Jugendangebot sah aber ebenso als einen Eckpunkt vor, dass für die Einführung des Jugendangebots vorab ein neu formulierter und von allen verabschiedeter § 11g im Rundfunkstaatsvertrag erforderlich sei. Ein zweiter Eckpunkt sah erfreulicherweise für ARD/ZDF vor, dass speziell für das Jugendangebot der aufwändige Drei-Stufen-Test für ARD/ZDF-Internetangebote, die Sieben-Tage-Regelung für den Verbleib von Programmen in den Mediatheken sowie die Beschränkung im Internet nur Inhalte anzubieten, die einen Senderbezug haben, aufzuheben. Das wiederum aber hat zu lautstarken Protesten der Zeitungsverleger und dem Verband Privater Rundfunk und Telemedien e.V. (VPRT) geführt, die sich dadurch im Internet-Markt und Wettbewerb benachteiligt fühlen. Insbesondere erinnerten sie die Ministerpräsidenten daran, dass es eine übergeordnet geltende „beihilferechtliche“ Entscheidung der EU-Kommission aus dem Jahr 2009 gebe, wonach die aktuell geltenden Internet-Beschränkungen für ARD und ZDF nicht ausgesetzt werden können. Dem mussten die Ministerpräsidenten entgegen kommen. Sie formulierten einen Entwurf § 11g für den Rundfunkstaatsvertrag, der sich zum einen auf das recht allgemeine ARD/ZDF-Konzept für das Online-Jugendangebot bezieht, zum anderen aber eine 17 Punkte lange „Negativliste“ enthält, die vorgibt, was ARD/ZDF alles nicht im Internet für Jugendliche machen dürfen, weil es bereits von kommerziellen Anbietern gemacht wird. Kein Musikdownload von kommerziellen Fremdproduktionen, kein Games-Angebot und kein Fotodownload ohne Jugendbezug, keine Foren und Chats ohne redaktionelle Begleitung, beispielsweise.
Der Beschluss der Ministerpräsidenten am 17. Juni 2015 sah zudem vor, dass ein offenes Konsultationsverfahren auf Basis des § 11g-Entwurfs und des ARD/ZDF-Konzepts bis zum 31. Juli 2015 durchgeführt wird. Daraufhin sind von verschiedenen Organisationen und Verbänden Stellungsnahmen erfolgt. 41 Stellungsnahmen von Befürwortern und Gegnern des Jugendangebots hat die Staatskanzlei Sachsen-Anhalt öffentlich gemacht. Sie wurde von den Ministerpräsidenten beauftragt, das Konsultationsverfahren federführend durchzuführen. Die Wünsche, Befürchtungen und Vorschläge sollen bis Mitte September sortiert werden und in einen Normenentwurf für die Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder am 7. – 9. Oktober einfließen. Rainer Robra, Chef der Staatskanzlei Sachsen-Anhalt, hält eine „politische Beschlussfassung im Dezember 2015 für möglich“. Wobei aber das Ergebnis „offen“ sei.
Die Befürworter hoffen, dass mit dem ARD/ZDF Online-Jugendangebot ein Gegengewicht zur Kommerzialisierung im Medienbereich und zur platten Unterhaltung ohne demokratischen Bildungsanspruch geschaffen wird. Aber wie könnte ein solches Online-Angebot gestaltet sein, das gleichwohl so attraktiv für Jugendliche in der riesigen Alterspanne von 14 – 29 Jahren und den entsprechend verschiedenen Lebensetappen ist, das sie es auch tatsächlich anklicken wollen? Eine konkrete Antwort darauf haben ARD/ZDF mit ihrem Konzept nicht gegeben, sie wollen es unter Federführung von Florian Hager, der nicht nur in Film und Publizistik, sondern auch in Medientechnik, Informatik und Multimedia versiert ist, in der Praxis herausfinden. Das vorgelegte Konzept, an dem Hager bereits nicht unwesentlich beteiligt war, basiert auf einer Ist-Analyse des Mediennutzungsverhalten von Jugendlichen, dem nach Comedy/Entertainment/Fun, Gaming, Musik, Lifestyle/Beauty, Reise/ Kultur, Sport/eSport sowie in wesentlich kleineren Portionen auch News/ Wissen und Film/Serien im Fokus stehen. Diese Bereiche will man dann irgendwie öffentlich-rechtlich auslegen und gestalten.
Neben der grundsätzlichen Kritik, dass sich der Entwurf §11g für den Staatsvertrag nicht an die geltenden Verfahrungsbestimmungen der EU-Kommission hält, kritisieren Zeitungsverleger und VPRT unisono die mangelnde Konkretheit des vorliegenden Online-Jugendkanal-Konzepts. Ebenso wird es als unzulässig angesehen, dass ARD/ZDF anstreben, Jugendliche über Drittplattformen wie YouTube einzufangen. Man möchte gerne, dass ARD/ZDF die Jugend ausschließlich mit solcher Information, Bildung und Kultur beglücken, die es noch nicht bei den kommerziellen Anbietern gibt. Der VPRT weist darauf hin, dass seine Mitglieder beispielsweise Musik und Comedy schon mannigfach anbieten. Hager, der solange die Ministerpräsidenten und ihre Parlamente noch keine Entscheidung gefällt haben, im Grunde mit dem Aufbau eines Online-Jugendangebots noch gar nicht loslegen darf, verriet der Süddeutschen Zeitung, dass er als Erstes plane, Köpfe aufzubauen, Typen, die im Web eine Marke sein könnten. So wie beispielsweise Florian Mundt alias LeFloid, der bei YouTube Star ist, weil er mit seiner Comedy locker auf über 700.000 Abrufe kommt und mit seinem Kanzlerin-Interview bis Ende August sogar auf rund 4 Millionen Abrufe kam. LeFloid wurde als Berater für das Jugendangebot angeheuert. Und im Auftrag des SWR hat er nicht nur auf YouTube, sondern auch auf EinsPlus ab August eine wöchentliche Sendung unter dem Titel „1080NerdScope“ zum Thema Gaming gestartet. Wetten, dass das Zeitungsverlegern und VPRT nicht gefällt? Aber immerhin hat LeFloid gute PR für die Bundeskanzlerin bei Jugendlichen gemacht.
Wie es nun mit dem Jugendangebot weiter geht? Es steht wohl noch in den Sternen, zumal auch noch die gesetzgeberischen Spielräume im EU-Rahmen ausgelotet werden müssen. Im Februar dieses Jahr war der ARD-Vorsitzende Lutz Marmor jedenfalls noch hoffnungsfroh und erwartete einen Start Mitte 2016 und inhaltlich: „mutige Thesen und provokante Haltungen, aber auch Ungewöhnliches bis hin zum Blödsinn“. Hatte ihn da schon LeFloid beraten?
Erika Butzek
MB 6/2015
© SWR