Die Forschungsarbeit erfolgte im Auftrag der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg, der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien sowie der Filmförderung Baden-Württemberg. So viel vorab: Eindeutige Nutzungsszenarien sind so ohne weiteres nicht abzusehen und offenbar kann das Fernsehen seinen Status als Leitmedium zumindest über diese mittelfristige Periode heraus erhalten. Die Übergänge zwischen Fernsehen, Internet und dem Mobile-Markt sind fließend. Für Sender und Produzenten eröffnet das Netz neue Distributionswege sowie die Chance zum effektiven Zielgruppenmarketing für die eigenen Programme.
Bei allen befragten Gruppen besteht eine feste Erwartung, dass vor allem Faktoren wie die technologische Entwicklung, aber auch User Generated Content in den Blogs und Webforen signifikanten Einfluss auf die Programmstrategien nehmen werden. Als weitere Indikatoren für die Veränderung des Programmmarktes werden am häufigsten die demographische Entwicklung (90 %) sowie nachfolgend der zunehmende ökonomische Einfluss auf den kreativen Spielraum sowie die Fragmentierung der Medienangebote genannt. Gerade bei den jüngeren Produzenten und Autoren wächst die Überzeugung, dass immer mehr Formate und Inhalte in Zukunft von vornherein crossmedial für mehrere Medien entwickelt werden. Autoren und Produzenten sind überzeugt: „Der Contententwickler der Zukunft muss mehr sein als ein klassischer Drehbuchautor.“ Im Zuge der Entlinearisierung des Programms und zunehmender individueller Nutzungs-Möglichkeiten wird auch prognostiziert, dass die Markenbildung von Sendern und Portalen in ihrer Bedeutung abnehmen wird, da der Content zunehmend über Speichermedien aufgerufen werden kann.
Hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung des Marktes herrscht eher eine skeptische Einschätzung. Allgemein wird erwartet, dass der Rückgang bei den unabhängigen Produktionsunternehmen sich bis 2015 signifikant fortsetzt, während die Zahl der freischaffenden Autoren deutlich wachsen wird. Mit dem Rückgang mittelständischer senderunabhängiger Produktionsfirmen geht den Stoffentwicklern ein wichtiges Arbeitsmarktsegment verloren. Flankierend dazu rechnen Programmentwickler und -entscheider auf der Senderseite mit einer angespannten wirtschaftlichen Situation. Der Kostendruck zwinge dazu, billiger zu produzieren. Gerade freiberufliche Kreative sehen hierbei deutlich die Gefahr, dass mit geringeren Budgets auch Qualitätseinbußen einhergehen. Allgemein wird ein stärkerer Zwang zu Vermarktungsstrategien gesehen, gerade weil der internationale Markt und zunehmend auch die neuen Medien einen Weg aus dem Kostendilemma weisen können.
Das Internet werde zukünftig noch weit stärker dazu genutzt werden, um Zielgruppen an Fernsehprogramme heran zu führen und zu binden. Insbesondere beim Start neuer Formate könne das Feedback von Internet Communities und Blogforen wichtiger sein als die Quoten; die virale Kommunikation im Netz werde als begleitendes Marketingtool die Verbreitung voran treiben. Programm-Innovationen ließen sich zudem gezielt über zusätzliche „Testbeds“ im Internet aufbauen, über die eine Zielgruppe für ein Format erst generiert wird. Schließlich erweitern neue Distributionswege über IPTV und Web-TV die Wertschöpfungskette von Bewegtbildinhalten durch Direktvertrieb von Sendungen und Programmen.
Generell wird erwartet, dass die Internationalisierung der Programmproduktion und -vermarktung zukünftig eine größere Rolle spielen wird. Die Chancen des internationalen Bewegtbildmarktes eröffnen sich zuerst durch zunehmende Koproduktionen, da sich in der Kooperation mit internationalen Partnern neue Finanzierungsmöglichkeiten ergeben. Über Koproduktionen lassen sich höhere Budgets finanzieren, kreative Potenziale durch die Partnerfirmen einbringen und nicht zuletzt die Vermarktungschancen auf den jeweiligen territorialen Märkten der Koproduktionspartner optimieren.
Bessere Refinanzierungschancen
Generell verspricht sich die befragte Branche über den internationalen Markt und einer Verwertung in den Online-Medien bessere Refinanzierungs- und sogar Erlöschancen, allerdings müsste sich die Rechtesituation am Produktionsmarkt wandeln. Autoren wie auch Produzenten sehen kaum Veränderungen in den nächsten Jahren, „Buy out“ bleibe das dominierende Modell, lautet der Tenor.
In Deutschland liegt das Gros der Verwertungsrechte immer noch bei den Sendern, das heißt, dass bei Vollfinanzierung einer Produktion die Rechte dauerhaft an den Fernsehveranstalter fallen. „Wir Produzenten können auf die Rechte der Auslandsverwertung und von Online, DVD nicht verzichten. „Wie wollen Sie ein Archiv aufbauen oder auf Messen auftreten, wenn Sie die Rechte abtreten müssen“, bringt es einer der Befragten auf den Punkt. Der Produzentenverband ist mit den Sendern diesbezüglich in Verhandlung. Viele der Befragten befürchten aber, dass die Verhandlungen um mehr Rechte für die Weitervermarktung von Inhalten entweder keinen Durchbruch erzielen oder letztlich zum Nullsummenspiel geraten. Denn der Kuchen vergrößere sich nicht. Sollten die Sender mehr Rechte an die Produzenten abtreten, dann werden diese auch weniger Geld für ihre Produktionen erhalten.
Während Autoren und Stoffentwickler nicht mehr so recht an die Dominanz linearer Programm-Angebote glauben wollen, sind die Verantwortlichen auf der Senderseite eher überzeugt davon, dass sich an den linearen Strukturen in der Bewegtbildnutzung nicht so schnell etwas ändern werde.
Erosion des mittleren Segments
Im fiktionalen Bereich wird die Serie eine wichtige Rolle spielen, hier insbesondere Importe aus den angelsächsischen Ländern. Parallel sind qualitativ hochstehende TV-Produktionen gesucht, die als Event vermarktet werden können. Insgesamt lasse die angespannte ökonomische Situation die Erosion des Mittelsegments erwarten.
Aufgrund finanzieller Probleme werde sich der Markt stärker aufteilen in ein Segment für billigere Produktionen und eines für teuere Highlight-Produktionen (Event Movies, Mehrteiler, Übertragungen von Live Events). Der Sparkurs der Sender hat bereits zu einem abnehmenden Anteil an Eigenproduktionen geführt. Als Folge der europaweit sinkenden Programminvestitionen werden künftig weniger kostspielige TV-Filme und Serien produziert und dafür mehr auf günstig herzustellende Quiz- und Dokuformate gesetzt, die überwiegend auf Adaptionen bereits vorhandener Programme basieren oder importiert werden. Gefragt sein werden Telenovelas, Miniserien sowie im nonfiktionalen Bereich vor allem Shows und Hybridformate aus Information und Unterhaltung.
Starke TV-Marke auf neuen Distributionswegen
Die neuen Distributionswege in den Online-Medien werden von den Programmverantwortlichen auf der Senderseite in erster Line als Chance zur Markenerweiterung betrachtet. Das Kerngeschäft bleibt eine starke TV-Marke, die kaskadenartig je nach Bedarf ins Internet oder in andere Medien erweitert wird. Zu den wichtigen Strategien der Fernsehveranstalter zählt das Erschließen neuer Geschäftsfelder, mit dem Ziel neue Distributionskanäle und Zielgruppen zu erreichen.
Über IPTV oder Web-TV eröffnen sich neue Distributions- und Erlöswege in Form von Bezahlangeboten (Video on Demand oder Pay per View). Schon längst kooperieren die Sender im Netz mit Plattformen wie Facebook oder Youtube, auf denen sie einen Kanal mit eigenen Programmen bereithalten. Es gibt vertikale Netzwerke, bei denen sich verschiedene Portale unter einer Dachmarke zusammenschließen wie Fem.com (ProSieben-Sat1) oder auch Video-Plattformen wie Zattoo (Free TV im Internet) oder der On Demand-Service maxdome (ProSieben-Sat1).
Aus der Sicht von heute ist die Internetverbreitung eine Chance die Programm-Reichweiten zu stabilisieren und Zielgruppen gerecht auszubauen sowie für ergänzende Erlöschancen durch On Demand-Angebote, auch wenn die Senderverantwortlichen darin noch kein florierendes Geschäftmodell sehen. Neue Medien werden die alten nicht verdrängen. In der Forschung wird allerdings deutlich eine Zeitbudget-Verschiebung zugunsten des Internets postuliert. Aufgrund der Parallelnutzung von Fernsehen und Online Medien werde daher insbesondere bei den Jüngeren der Konsum von Fernsehinhalten über verschiedene Empfangsplattformen zunehmen. Das Medienverhalten bilde sich zunehmend in den Dualismen oder auch alternativ zwischen „lean back“ und „lean forward“, „linear und zeitversetzt“ sowie „Broadcast und Personal Cast“ aus.
Die Mehrheit der Befragten geht davon aus, dass das Fernsehen von 2015 weitgehend so aussehen wird wie das von 2010. Lineare Programme und Rezeptionsmuster bestimmen weiterhin das Medienverhalten, werden aber auch auf Rechnern und mobilen Endgeräten zu empfangen sein. Das Kerngeschäft bleibt eine starke TV-Marke, die in andere Medien erweitert werden kann. 39 Prozent der Befragten erwarten eher eine Verschmelzung der beiden Medien. 18 Prozent prognostizieren eine Entwicklung hin zu Hybridgeräten mit einfacher Bedienung (Google TV oder Apple TV) und schließlich 26 Prozent denken, dass Fernsehen eher partiell im Internet aufgehen werde, weil doch einige der Genres im TV deutlich besser als im Internet funktionieren. Und viele der Befragten sind der Meinung, dass „lean back“ in breiten Schichten des Publikums die dominierende Rezeptionshaltung bleiben wird. Für die passive Medienhaltung spricht sicher auch, dass die klassische Fernsehnutzung generell weiterhin im Steigen begriffen ist.
Hochwertige Programme als Qualitätsmarken
Generell sehen alle Gruppen in der Befragung 2015 nur als eine Etappe in der weiteren Entwicklung an. In einem längeren Zeitraum werden TV und Internet in jedem Fall in einander übergehen. Welche Inhalte und Medienformate in Zukunft durchsetzen, hänge in erster Linie von ihrer „Massenattraktivität“ ab.
15 Prozent der Befragten wollen aber auch hochwertige Programme, die nicht auf den breiten Geschmack ausgerichtet sind, ins Programm nehmen – schon aus Prestigegründen. Und auch weil Qualität wichtiger werden wird, insbesondere angesichts der wachsenden Konkurrenz durch das Internet.
Bernd Jetschin
(MB 02/12)