The Show must go on

Umbruchstimmung prägte Das Medienjahr 2012. Die Digitalisierung verändert Produktions- und Geschäftsprozesse. Immer mehr Dienste und Programme buhlen um die Gunst der Zuschauer. Die Rahmenbedingungen der Medienordnung müssen neu justiert werden. Nichts bleibt wie es war. Klare Trends im konvergenten MedienDschungel sind nicht immer auszumachen. Im neuen Jahr bleibt es deshalb weiter spannend. Ein Rück- und Ausblick mit Extra-Schlaglicht auf Programm, Technik und Medienwirtschaft.

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The Show must go on

Millionen, Milliarden, Billionen. Auch 2012 wurde viel über Geld geredet, weil Europa und die Welt in einer Wirtschaftskrise steckt. Doch die Giganten unter den deutschen Medienunternehmen wie beispielsweise RTL, ProSieben.Sat.1 oder Springer wurden davon genauso wie andere große deutsche Wirtschaftsunternehmen offensichtlich kaum berührt. Deutschlands Medienwirtschaft brummte weiter. Aber anstatt die satten Gewinne in neue Programme zu investieren, wurde eine andere Art von „Zukunftssicherung“ betrieben. So hat beispielsweise Friede Springer wie aus heiterem Himmel plötzlich dem Vorstandsvorsitzenden ihres Verlags, Mathias Döpfner, ein Aktienpaket im Wert von 70 Millionen Euro geschenkt, zur weiteren Motivation. Schließlich hat Döpfner es geschafft, das Wachstum des Konzerns weiter nach vorne zu treiben: mit einer beispiellosen Digitalstrategie. Solch schöne Motivation war dem Normalbürger nicht vergönnt, denn es liegt eher Mehltau über Europa, in Form der Eurokrise. Wo bloß blieb eine so schöne Medienbotschaft wie sie uns Barack Obama mit seinem erfrischenden „Yes We Can!“ einst einmal schenkte? Aber der hat schon lange selber große Probleme im eigenen Land, dem er aber versprochen hat: „Das Beste kommt noch“. Zwar wollte der rhetorisch begabte Peer Steinbrück Deutschland auch endlich einen Ruck versetzen. Doch die bösen Journalisten haben flugs aufgedeckt, dass Steinbrück mit seinen Reden auch nur Geld verdienen wollte. Zumindest bevor er zum SPD-Kanzlerkandidaten avancierte. Ob er dennoch Chancen hat Bundeskanzlerin Merkel im nächsten Jahr abzulösen, wird das große vorhersehbarer Medien-Event für 2013 zeigen: die Bundestagswahl. In Vorbereitung dazu hat sich Stefan Raab für ProSieben eine ganz neue Polit-Talk-Show ausgedacht. Die Politiker werden bei „Absolute Mehrheit“ in einen Ring mit drei Wettbewerbsrunden geschickt. So wollte Raab die Politiker offensichtlich schon einmal in Sachen Entertainment trainieren, was er wohl für das Wichtigste hält. „Absoluter Mist“ urteilte die Fachpresse.

Sportjahr 2012

Hingegen waren alle von den raffiniert in Szene gesetzten Wettbewerben von Olympia und Fußball-EM begeistert. Überhaupt ist das Fernsehjahr 2012 vom Sport beherrscht worden, was ARD/ZDF dann auch genüsslich zum Leid der Privat-TV-Sender auskosteten. Dabei ist mittlerweile HDTV Alltag in den TV-Wohnzimmern geworden. So wurde es eine besonders schöne Olympiade, weil die Emotionen und die Ästhetik der Wettbewerbe im brillanten Großformat noch aufregender sind. Auch die Eröffnungs- und Abschlussfeier der Olympiade in London führte zu höchsten Einschaltquoten, weil die BBC ein sehr guter Showmacher ist. Es war für viele ein neuartiger Sehgenuss. Nicht nur in der Prime-Time, sondern auch gerne tagsüber wurde das Olympia-Angebot gerne genutzt, wo immer man einen Arbeitsplatzcomputer angeschlossen war. Erstmals hatten ARD/ZDF so gut wie fast alle Olympia-Wettbewerbe pausenlos auch im Internet übertragen. Der große Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien, Bitkom, jubelte zum Schluss: Jetzt habe sich Internet-TV im Massenmarkt durchgesetzt. Man hatte nachgezählt, dass jeder Vierte in Deutschland Olympia auch via PC oder Handy geguckt habe.

Aber auch die Bilder von der Fußball-EM 2012 in Polen und der Ukraine, die vorher stattgefunden hatte, hat mit ihrer Bildästhetik für Furore gesorgt. Wir haben uns einen Feuilleton-Beitrag der FAZ aufgehoben. Headline: „Leinwand im Abseits – Sportereignisse werden jetzt wie Filme gemacht“. Es ging im Beitrag um die Träne einer Zuschauerin, die im Großformat aus dem „Stock Footage“ eingeblendet wurde, was laut dem Autor der Kinofilmdramaturgie nachempfunden war. Er sah es natürlich einerseits kritisch, wie es Pflicht der klassischen Feuilletonisten ist. Doch zwischen den Zeilen war seine Begeisterung dafür zu spüren, wie man heute in der Live-Sportberichterstattung technische Tricks anwenden kann, die zu ähnlichen Emotionen wie in gut gemachten Kinofilmen führen. Postproduktion live!

Damit kann man allerdings auch Bildmanipulationen betreiben. Da regte sich insbesondere das ZDF sehr über ein emotionales Bild von unserem Bundestrainer Jürgen Löw auf, das es während der Liveübertragung gar nicht gegeben hatte, sondern einfach von der Regie reingeschnitten worden war. Wenig später wandte dann das ZDF den gleichen Trick bei den Nachrichten an, um sie spannender zu machen.

RTL-Chefin Schäferkordt atmete auf, als der Sportzauber bei ARD/ZDF vorüber war. Endlich ist der Sommer zu Ende, seufzte sie hoffnungsfroh. Alle privaten TV-Sender hatten in der Zeit erheblich an Quoten verloren. Aber nicht nur sie, sondern auch ARD/ZDF haben 2012, auch wenn die finale Statistik noch aussteht, viel Publikum verloren. Schuld ist angeblich das veränderte Mediennutzungsverhalten in der digitalen Welt. Und natürlich nicht die schlechteren, quick and dirty produzierten Programme, die sich am Mainstream ausrichten. Der Kostendruck jedenfalls auf Produzenten und technische Dienstleister ist horrende weiter angestiegen. Die Sender haben auch in der digitalen Welt die Macht behalten, die Preise zu diktieren. Doch geht ihnen dabei zunehmend die Faszinationskraft und die einstige Glamour-Aura flöten. Das ist auch zwei bisherigen Säulen der TV-Unterhaltung in Deutschland passiert.

Thomas Gottschalk hatte das ZDF und „Wetten dass…?“ verlassen, um mutig in die „Todeszone“ einzutauchen, nämlich in das Vorabendprogramm von Das Erste. Tja, bei diesem Wettbewerb ist der große Mann mit dem blonden Kinderlocken-Schopf dann auch fast ertrunken. Doch wie ein Phönix aus der Asche tauchte er plötzlich wieder neben Dieter Bohlen als Supertalent-Sucher im RTL-Programm auf. Und Wow: Irgendwelche Autoren haben dem schnell verglühten Format „Gottschalk Live“ in Wikipedia ein ewiges elektronisches Denkmal gesetzt. Dagegen wurde Harald Schmidt diesmal von Sat.1 abgeknipst und nicht umgekehrt, wie es einmal war. Dennoch ist Schmidt in den Himmel gekommen, da wo er nicht mehr um Quoten kämpfen muss. Die waren ihm sowohl bei Das Erste wie bei Sat.1 verloren gegangen – oder hat er die schon jemals gehabt? Jedenfalls entschloss er sich dafür zu sorgen, dass jeder der ihn weiter sehen will, dafür auch extra zahlen muss. Und Sky hat ihn aufgefangen. Immerhin hat es Sky Deutschland 2012 zum ersten Mal geschafft, so viele neue Abonnenten zu akquirieren, dass es mittlerweile möglich scheint, Pay-TV in Zukunft auch in Deutschland rentabel zu machen. Ein Paradigmenwechsel in der deutschen Medienlandschaft. Es war in vieler Hinsicht ein Medienjahr der Rekorde. Und deshalb hatte auch Sky eine Rekordsumme für die Bundesliga-Fußballrechte auf den Tisch gelegt. Was nun aus der „Liga Total“ der Deutschen Telekom wird, steht zurzeit noch in den Sternen.

Überhaupt hat die Show, die man manchmal auch Casting oder Comedy nennt, 2012 einen neuen Aufwind erlebt. Dabei haben sich Joko und Klaas als Shooting-Stars einen Namen gemacht und sind unter vielen anderem bei ProSieben in einem einfallsreichen Wettbewerb gegeneinander angetreten. Überhaupt hat ProSiebenSat.1 mit „The Voice of Germany“ einen guten Riecher gehabt, was vor allem wohl RTL nicht gefällt. Dagegen ist Sat.1 2012 in Sachen fiktionaler Eigenproduktion leider gescheitert. Dass es bei dem Sender schon wieder einen Geschäftsführerwechsel gab, gehört zur Routine.

Um noch kurz bei wichtigen Personalien zu bleiben. Prof. Markus Schächter sagte dem ZDF Adieu, er wollte nicht länger Intendant bleiben und ließ, wenn wohl auch ungewollt, ein Chaos auf dem Lerchenberg für seinen Nachfolger Thomas Bellut zurück. Denn die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) hat dem ZDF rigide Sparmaßnahmen vorgeschrieben, die mit Personalentlassungen verbunden sind, etwas, was Öffentlich-Rechtliche bislang nicht am eigenen Leibe, sondern nur aus ihren wirtschaftspolitischen Berichten kannten. Was natürlich für Unruhe sorgte. Dennoch wollte man sich weiterhin – wie schon mit der Mediathek – als Schrittmacher für die Digitalisierung des Fernsehens behaupten. So hat das ZDF mit „heute journal plus“ dann auch eine hochkomplexe neue HbbTV-Anwendung auf die Beine gestellt, zu einem Zeitpunkt als es die Technik noch so gut wie in keinem TV-Haushalt gab. Eine Pionierleistung, die ja noch ungeahnte Früchte tragen kann.

HbbTV, Connected TV, SmartTV und Apps, all das sind Kürzel und Begriffe, die für die neue Verbindung zwischen Internet und Broadcast stehen. 2012 war das Startjahr dafür und es hat rundherum viel Verwirrung und Diskussionen gegeben. Es wird mit Sicherheit auch 2013 ein Dauerlutschthema bleiben. Auch Gerhard Zeiler hat Anfang 2012 „Adieu“ gesagt und seinen Chefposten bei der RTL Group aufgegeben, um dann im April zum US-Konzern Turner Broadcasting System International zu wechseln. Dafür ist Guillaume de Posch, der sich in Deutschland als Rechenfuchs der ProSiebenSat.1 AG einen Namen gemacht hatte, zusammen mit Anke Schäferkordt, die ja auch ziemlich gut rechnen kann, in die Chefetage der RTL Group eingestiegen. Wetten, dass es für RTL nicht schädlich ist, jemanden an der Spitze zu haben, der das Innenleben des größten Konkurrenten ziemlich gut kennt?

Schon so gut wie vergessen: Am 30. April fand der analoge Satelliten-Switch Off statt. Seitdem wird Fernsehen in Deutschland nur noch digital übertragen. Wer will kann es via Kabel dennoch analog empfangen, weil die Kabelnetzbetreiber die digitalen Signale re-analogisieren. Dabei bahnt sich im Kabelnetz eine Konsolidierung an. Obwohl John Malones Liberty Global bereits zwei große deutsche Kabelnetzbetreiber unter seinem Dach vereint, will er noch weiter wachsen, was der Deutschen Telekom überhaupt nicht gefällt.

Internet als Wachstumsmotor

Viel wurde 2012 über Social Media (Facebook) und über die Vormachtstellung von Google diskutiert. Sony hat Google TV erstmals auf der Funkausstellung für Deutschland präsentiert. Das Internet boomt weiter und mittlerweile wird dort auch mit Medieninhalten, vor allem Entertainment, immer besseres Geschäft gemacht. Springer plant auf Paid Content über zu gehen. Es blühen eine Menge neuer Geschäftsideen, die vielfach von Startups ins Netz gebracht werden.

Überall geht das Wachstum weiter: Bei ProSiebensat.1, bei RTL, bei Springer und im Verkauf von Unterhaltungselektronik, obwohl die Hersteller über zu geringe Rendite klagen, weil ihrer Geräte immer billiger werden. Und auch Radio wird vor allem von Jüngeren immer mehr gehört, gerne auch via Web. Das Internet ist der Motor des Medienwachstums geworden.

Da alle Medienunternehmen neue Geschäfte im Online-Bereich wittern, hat sich die Konkurrenz in der Medienbranche enorm verschärft. Der Streit zwischen ARD und Verlegern um die Tagesschau-App ist immer noch nicht beendet. TV-Sender und Verleger haben sich auf Google als Hauptfeind im deutschen Mediengeschäft kapriziert. Die Suchmaschine macht in Deutschland nicht nur ein prima Geschäft mit Werbung, sondern bestimmt, welcher Content von wem auf der Liste der Suchergebnisse ganz oben steht. Auch ist Googles Tochter YouTube mit ihren zunehmend professionellen Videokanälen Konkurrent für TV-Anbieter geworden. Das alles führt zu Problemen, die aber nicht isoliert in Deutschland, sondern zumindest auf europäischer Ebene gelöst werden müssen. Doch Politiker in Deutschland wie in Europa haben viel gewichtigere Probleme als die leidigen Medien. Schließlich gibt es eine Euro-Krise. Aber gerade in Krisenzeiten ist, auch wenn es zynisch klingt, viel Entertainment gefragt. Wie von TV-Managern angekündigt, plant man nun, sich zusammen mit Politik, Verlagen, Telekommunikationsunternehmen und globalen Online-Anbietern an runden Tischen zu setzen, um über faire Bedingungen in der digitalen Welt für alle zu sprechen. Man strebt eine Selbstregulierung an. Zwar würde man gerne die vielen Probleme, die es in der digitalen Welt gibt zur Lösung an die Politiker delegieren. Aber erstens kommt von denen keine Resonanz. Und zweitens möchte man auch keine neuen Regularien vorgesetzt bekommen. So versucht man still und leise hinter den Kulissen zu Kompromissen im Wettbewerb auf Basis der geltenden Rechtsprechung zu gelangen. Mal sehen, ob das gelingt.

Am 1. Januar 2013 kommt der neue Rundfunkbeitrag. Dann gilt die Regel: „Eine Wohnung – ein Beitrag“. Ob dabei mehr Geld in die Gebührenkasse für öffentlich-rechtliches Fernsehen und die Organisation der Landesmedienanstalten fließt, wird sich dann herausstellen. In froher Erwartung wird das Mehr an Geld auch schon mal als Bärenfell verteilt. Es wird beispielsweise über eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine spekuliert, mit der man wohl das Google-Monopol zu brechen gedenkt. Das ist eine Idee der Landesmedienanstalten.

Second-Screen-Trend

Ganz klar hat sich 2012 herausgestellt, dass TV mit den mobilen und flinken Smartphones eine nicht zu unterschätzende Konkurrenz bekommen hat. Der Verkauf von Smartphones und SmartTV hat 2012 neue Rekorde aufgestellt. Es wurde der Trend zum „Second Screen“ ausgerufen. Nun ja, mindestens genau so viel und so gerne wurde normal passiv TV geguckt, und es wurde wie eh und je viel Zeitung und Bücher gelesen. Die schönen Inhalte, die Menschen- und die Wissensgeschichten, stammen nach wie vor zuvorderst aus den klassischen Medien. Sie werden von Menschen für Menschen und nicht von Suchmaschinen und anderen Aggregationsautomaten erzählt. Auch 2012 war das Urheberecht ein großes Thema und das wird wohl auch im nächsten Jahr so bleiben.

Ob es viel Neues im TV-Programmbereich geben wird? RTL hat viele Ideen für preiswerte, die so genannten Real Live-Formate in Petto und wird auch die wieder aufgewärmte US-Serie „Dallas“ bringen. Die ARD hat schon seit geraumer Zeit wieder ihr Herz für echte Dokumentationen entdeckt. Ihre fiktionale Schmiede Degeto muss ja zurzeit noch sparen, weil sie den Etat vorzeitig aufgebraucht hatte. Allerdings hat die ARD 2012 in Sachen fiktionaler deutscher Serie dennoch die Nase vorne gehabt. So hat die zweite Staffel von „Mord mit Aussicht“ sowohl beim jungen wie beim älteren Publikum großen Erfolg gehabt. Mehr als auf Unterhaltung, so hat die ARD angekündigt, plane man, sich auf Information zu konzentrieren, zumal 2013 ja die Bundestagswahl stattfindet. Indessen will sich das ZDF 2013 als Fiction-Sender Nummer 1 positionieren. In Sachen Dokumentation ist das ZDF nicht zuletzt mit Terra X stark. Man will „Wetten dass….?“ nun ohne Gottschalk zum Erfolg hin boxen und wird wohl auch nicht die Bundestagswahl verschlafen. Hoffentlich werden sich alle Medien anlässlich der Bundestagswahl nicht wieder auf eine Schlammschlacht einschießen, wie man sie Anfang 2012 rund um den Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff erlebte. Ein Medienereignis, das zum Schluss nur noch nervte.

Und das Beste kommt noch, das Fest der Liebe, nämlich Weihnachten. Dafür wollen wir noch einen Programmtipp geben. Das Erste wird in einem Zweiteiler „Baron Münchhausen“ mit Jan Josef Liefers in der Hauptrolle als Neuverfilmung bringen. Was schöne Lügengeschichten mit dem Ritt auf einer Kanonenkugel und der Landung auf dem Mond verspricht. Da es dort noch keine Medien gibt, kann man prima verschnaufen. Im neuen Jahr geht es dann weiter im digitalen Wettbewerb – auf der Jagd nach dem „Next Big Thing“: The Show must go on!
Erika Butzek
(MB 12/12_01/13)

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