Von München aus in die ganze Welt

Jens Richter, früher Geschäftsführer der Beta Film, die mal zum Leo Kirch-Imperium gehörte, wurde bereits 2005 von der ProSiebenSat.1 Media AG zum Geschäftsführer der damals neu gegründeten TV-Programmvertriebsfirma SevenOne International berufen. Seit 2010 ist Richter zusätzlich auch Mit-Geschäftsführer der Red Arrow Entertainment Group, zu der 18 TV-Produktionsfirmen in neun Ländern rund um den Globus gehören. Weil das Distributions- und Produktionsgeschäft mittlerweile international stark miteinander verzahnt ist, wie Richter im Gespräch mit MEDIEN BULLETIN erläutert, wurde SevenOne International im Juli dieses Jahres in „Red Arrow International“ unbenannt. Richter nennt Highlights seines Distributions-Portfolios, die er auch anlässlich der diesjährigen MIPCOM in Cannes präsentiert und analysiert, sowie Haupttrends im internationalen Fernsehmarkt in Zeiten der Digitalisierung und Fragmentierung.

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Von München aus in die ganze Welt

Herr Richter, wie hat das alles einmal mit den beiden Unternehmen Red Arrow International und Red Arrow Entertainment Group angefangen?

Wir sind zunächst mit SevenOne International, heute Red Arrow International, zur MIP 2005 gestartet. Das Distributionsgeschäft lief von Anfang an sehr gut. Wir haben TV-Movies und fiktionale Serien aus den Programmen von ProSiebenSat.1 verkauft und uns – anders als andere deutsche Vertriebsfirmen – auch von Beginn an im Formathandel stark engagiert. Hier haben wir echte Pionierarbeit geleistet, denn bis dahin hatte dies niemand zuvor aus Deutschland heraus ausprobiert. Wir mussten den Markt quasi selbst neu erschließen. Und das hat gut funktioniert: Beispielsweise konnten wir das ehemalige SAT.1-Comedy-Format „Schillerstraße“ bislang in rund 20 Länder verkaufen, unter anderem nach Italien, wo es sogar einen Fernsehpreis gewann, nach Russland oder nach Südafrika. Auch das Comedy-Format „Clever“ konnten wir über die letzten Jahre in mehr als 20 Länder verkaufen, von Frankreich über Kanada bis nach Australien. Ebenso haben wir einen schönen Distributionserfolg mit dem ProSieben-Format „Schlag den Raab“ erzielt. Hervorragend liefen überdies die Dienstags-Movies von SAT.1. „Die Wanderhure“ ging beispielsweise nach Frankreich, Spanien, Italien, nach ganz Mitteleuropa und Lateinamerika. Von der SAT.1-Montagsserie „Der letzte Bulle“ gibt es bereits Remakes in Russland und in Frankreich.

Und wie hat sich die TV-Produktionsgruppe entwickelt?

Parallel zur Distribution haben wir 2010 angefangen, eine Produktionsgruppe aufzubauen: die Red Arrow Entertainment Group. Anfänglich lag unser Fokus auf dem deutschen Markt. Die Zusammenarbeit mit den beiden Firmen „Producers at Work“ und „Redseven“ hat hier den Grundstein für unsere Aktivitäten gelegt. „Producers at Work“ macht beispielsweise Telenovelas für SAT.1 und hat zuletzt die Serie „Es kommt noch dicker“ an den Start gebracht. Die zweite deutsche Beteiligung war „Redseven“ mit Unterhaltungsformaten wie „Mein Mann kann“ in SAT.1. Dieses „Eigengewächs“ hat sich übrigens bis dato international sehr gut verkauft und wird mittlerweile in rund 20 Ländern in jeweils lokalen Adaptionen ausgestrahlt. Kürzlich ist uns sogar der Verkauf nach Großbritannien an den Sender ITV gelungen. Wenn man bedenkt, dass der englische Markt eher selten Formate adaptiert, sondern vielmehr als Exporteur agiert, ist dies ein großer Erfolg für uns. „Mein Mann kann“ ist nach „Schlag den Raab” erst die zweite deutsche Show, die es nach England geschafft hat. Die Akquisition der Produktionsfirma „Sultan Sushi“ in Belgien war der Kick-Off unserer internationalen Produktionstätigkeiten. Mittlerweile hat sich „Sultan Sushi“ auch im niederländischen Markt zu einer festen Größe entwickelt.

Dann ging es weiter nach Skandinavien und USA?

Ja, darauf aufbauend haben wir Produktionsunternehmen in Dänemark, Norwegen und Schweden gegründet. Ein strategisch extrem wichtiger Schritt folgte im September 2010: die Mehrheitsbeteiligung an „Kinetic Content“ in einem unserer Kernmärkte, den USA. „Kinetic Content“ ist auf die Produktion von Unterhaltungsformaten spezialisiert. Von ihr stammt unter anderem die erfolgreiche Comedy-Serie „Betty White’s Off Their Rockers”, die für NBC produziert wurde und aktuell in die zweite Staffel geht. Diese Serie haben wir bereits weltweit nach England, Australien, Deutschland und nach Frankreich verkauft. Mit der Akquisition der US-Firma „Fuse Entertainment“ haben wir 2011 unsere Präsenz in den USA ausgebaut. Das Unternehmen gehört mit Produktionen wie „The Killing“ oder „Burn Notice“ zu den führenden amerikanischen Fiction-Produzenten. Die US-Krimiserie „The Killing“ – ein Remake der dänischen Serie „Kommissarin Lund – Das Verbrechen“ geht aktuell bei ABC in die dritte Staffel. Und aktuell arbeiten wir gerade an einem neuen Projekt mit „Fuse“. Dafür haben wir die Verfilmungsrechte für Michael Connellys Hieronymus (Harry) Bosch erworben. Connelly ist ein Bestseller-Autor, der weltweit bereits 55 Millionen Bücher verkauft hat. Die meisten Bücher schreibt er über seinen Charakter „Harry Bosch“, Detektiv in Los Angeles. Wir haben einen sehr guten Showrunner gefunden und erstellen gerade eine Serien-Format-Bibel. Unser Plan ist, die Dramaserie in Amerika zu platzieren und in einigen europäischen Ländern zu verkaufen.

Unsere dritte Produktionsfirma in den USA ist „Left/Right“. Im August 2012 haben wir die Mehrheit an dem Unternehmen übernommen. „Left/Right“ gehört zu den erfolgreichsten US-Produktionsfirmen der Ostküste und stellt die bisher größte Akquisition von Red Arrow dar. Das Unternehmen ist auf Doku-Soaps, Dokumentationen, Gameshows sowie Celebrity-Reality-Formate spezialisiert und produzierte in den vergangenen Jahren zahlreiche Hit-Shows wie “Mob Wives” für VH1 oder das dreifach mit einem Emmy-Award ausgezeichnete TV-Format “This American Life” bei Showtime. Auch im zweiten Kernmarkt Großbritannien sind wir sehr gut aufgestellt. Eine unserer Produktionstöchter ist „Endor Productions“, gegründet von Hilary Bevan Jones, eine der erfolgreichsten Produzentinnen Großbritanniens. „Endor“ verfügt über ein umfangreiches Portfolio an TV- und Filmprojekten – wie die BBC-Produktion „Restless“. „Restless“ basiert auf dem internationalen Bestseller von William Boyd. Gedreht wird momentan in Südafrika und in Großbritannien. Die Ausstrahlung ist für Ende des Jahres auf BBC One sowie auf dem Sundance Channel USA geplant. Bei „Restless“ gab es zunächst eine große Finanzierungslücke von rund 50 Prozent. Hier haben wir uns sofort engagiert und sind mit unserem Vertriebsarm Red Arrow International eingesprungen, um einen Vorverkauf in Amerika sicher zu stellen. Darüber hinaus sind uns auch Pre-Sells in Deutschland und in Frankreich gelungen. Die noch ausstehenden Produktionskosten haben wir eigenfinanziert, so dass die Finanzierungslücke schlussendlich erfolgreich geschlossen wurde.

Warum fokussieren Sie die Produktion so stark auf die USA und England?

Die USA und England sind sehr große, etablierte und umsatzstarke Märkte, die gleichzeitig bestens als Launch-Plattformen für den gesamten internationalen Handel fungieren. Allein der US-Markt bietet aufgrund seiner Größe gute Umsatzperspektiven. Hinzu kommt: Man dreht auf Englisch, der Cast ist zudem international bekannt. Dies ist natürlich gerade beim Vorverkauf extrem hilfreich, ebenso wie der englischsprachige Content für den Vertrieb. Ein internationaler Kunde versteht eine englische Produktion grundsätzlich viel besser als zum Beispiel eine deutsche, da er sich den Inhalt oft nur durch den Untertitel erschließen kann.

Wie viele Mitarbeiter beschäftigt Red Arrow und wo hat die Distribution ihre Büros?

Wir beschäftigten weltweit rund 150 fest angestellte Mitarbeiter. Die Distributionstochter Red Arrow International hat Büros in München, Los Angeles und Hongkong.

Verkaufen Sie nun im Weltvertrieb ausschließlich Programme und Formate, die von Red Arrow Entertainment stammen?

Nein. Um das dritte Standbein von Red Arrow zu erklären: Wir arbeiten sehr stark mit internationalen Produzenten zusammen. Wir haben in den letzten zwei Jahren sehr viel Energie darauf verwandt, ein eigenes Netzwerk aufzubauen. Wenn man sich unser Line-up anschaut, stammt die Hälfte des Portfolios, das wir im Vertrieb anbieten, von international unabhängigen Produzenten. Die andere Hälfte kommt von unseren eigenen Produzenten – wobei unser Portfolio rund zwei Drittel Fiktion und rund ein Drittel Formathandel beinhaltet. Obwohl wir uns auf Amerika und England fokussieren, ist eine unserer erfolgreichsten Zusammenarbeiten in der jüngsten Zeit die mit der norwegischen Firma „Rubicon“ gewesen. Sie gehört zu „Shine“, und „Shine“ wiederum ist die Produktionsbeteiligung für Unterhaltungsformate von Rupert Murdoch. Mit „Rubicon“ haben wir vor eineinhalb Jahren angefangen, ein Projekt zu entwickeln und zu finanzieren, das „Lilyhammer“ heißt. Die Produktion wurde originär vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Norwegen, NAK, angestrebt. Es gab aber eine Finanzierungslücke. Wir sind dann in das Projekt mit eingestiegen. So haben wir zusammen mit dem norwegischen Produzenten das größte und teuerste Drama finanziert, das jemals in Norwegen gemacht worden ist.

Die Idee: Ein New Yorker Mobster geht in ein Zeugenschutzprogramm und die Polizei fragt ihn: Wo willst du hin mit deiner neuen Identität? Er antwortet Lilyhammer. Warum Lilyhammer? Na ja, Olympische Spiele 1994, frische Luft, nette Mädchen. Da will ich jetzt hin. Der Mobster wird gespielt von Steven van Zandt, der bei der Dramaserie „The Sopranos“ eine tragende Rolle hatte – und nebenbei Gitarrist in Bruce Springsteens Band ist. Die Serie „Lilyhammer“ haben wir an Netflix verkauft, die größte VoD-Plattform in den USA. Es war das erste exklusive Programm, das Netflix jemals veröffentlicht hat. Vorher hatten auch die amerikanischen VoD-Plattformen nur Wiederholungen als Wiederverwertungen im Angebot. Jetzt gibt es in den USA den großen Trend, selber in die Produktion zu gehen. So haben wir in Amerika durchaus Geschichte geschrieben. Deshalb sind wir dort sehr gut gestartet. Wir gehen jetzt mit „Lilyhammer“ in die Produktion der zweiten Staffel. Wir sind außerdem zuversichtlich, dass die vorher genannte Produktion „Restless“ auf Sundance Channel eine erfolgreiche US-Premiere haben wird. Auch im Kabelsender-Bereich hat sich einiges getan. Vor zehn Jahren war „original programming“ einzig und allein Sache der Networks. Die Kabelsender waren reine Wiederverwerter. Das hat sich stark geändert, weil jetzt auch die kleinsten Sender mittlerweile in Fiction einsteigen. Zum Beispiel hat gerade der History Channel seine erste eigene fiktionale Western-Serie mit „Hatfields & McCoys“ gelauncht – und sie lief extrem erfolgreich in Amerika.

RTL bringt bald mit „Transporter“ eine internationale Ko-Produktion nach einem Franchise-Modell auf den Schirm.Ist das auch für Sie ein Trend?

Ganz klar ist die große internationale Ko-Produktion ein großer Trend, weil sich einzelne, auch marktführende Sender besonders aufwändige und teure fiktionale Produktionen alleine nicht mehr leisten können. Wir haben gerade mit dem Produzenten von „Transporter“, „Atlantique Productions“, ein gemeinsames Projekt vereinbart. Wir bringen den international renommierten Schauspieler Jean Reno, bekannt aus „Léon – Der Profi“, „Die purpurnen Flüsse“ oder „The Da Vinci Code“, der in den letzten zwanzig Jahren ausschließlich im Kino unterwegs war, jetzt ins Fernsehen. Er ist der Cop in der Drama-Serie mit dem Titel „Jo“. Wir produzieren in Paris on location, aber mit einem englischsprachigen Cast. Die Fälle sind ähnlich wie in „The Da Vinci Code“: Die Mordopfer liegen vor Notre Dame, fallen den Eifelturm herunter, oder man findet sie in den Katakomben von Paris. Das Besondere ist: Wir haben einen amerikanischen Showrunner in der Produktion, René Balcer. Er hat zehn Jahre lang „Law & Order“ gemacht und auch „Criminal Intent“ entwickelt und produziert. Er ist einer der bekanntesten amerikanischen Showrunner, wenn es um Crime geht. Produktionsbudgets für fiktionale Projekte dieser Art können bei über zwei Millionen Euro pro Stunde liegen. Deshalb geht es in der Regel nur, indem mehrere Sender an das gleiche Konzept glauben und mitmachen. Wir sind bei dieser Produktion sehr früh mit dem René Balcer und Jean Reno in den Markt gegangen, lange bevor die heiße Phase startete. Wir haben Kunden in aller Welt besucht, überzeugt und haben vorverkauft. So haben wir die Vorfinanzierung geschlossen und die Produktion stand auf sicheren Beinen. Davor haben wir bereits „Restless“ und „Lilyhammer“ als internationale Ko-Produktionen realisiert.

SAT.1 hat vor Jahren angefangen mit „Der Tunnel“ und „Das Wunder von Lengede“ das große zweiteilige Event-Movie als Innovation für den deutschen TV-Markt eingeführt. Ist diese Event-Form jetzt aus der Mode gekommen?

Event-Produktionen, die aus Deutschland kommen, können international sehr gut funktionieren. Ein hervorragendes Beispiel ist die „Wanderhure“, die wir auf Primetime-Sendeplätzen vieler Sender platzieren konnten. Wir arbeiten weiterhin intensiv mit deutschen Produzenten zusammen – und launchen jährlich um die 30 deutsche TV-Movies im internationalen Markt, die für SAT.1 und ProSieben oder ARD und ZDF produziert wurden. Es gibt allerdings auch eine neue Form der fiktionalen Event-Produktion, die man aber nicht mehr mit dem Fokus auf Deutschland oder Europa, sondern mit Blick auf ein Weltpublikum macht. Und diese neuen großen Event-Movies laufen nach anderen Maßstäben ab: Man dreht in englischer Sprache, man dreht mit Regisseuren oder Showrunner, die entweder aus den USA kommen oder zumindest schon mal für Amerika produziert haben. Und man dreht mit Schauspielern aus England und Amerika. Die Qualitätsansprüche sind sehr, sehr hoch – und es wird international produziert. Es ist das Gegenbeispiel aus den 90ern, das man damals „Euro-Pudding“ nannte. Zu dieser Zeit wurde eine europäische Geschichte erzählt und ein deutscher, französischer und italienischer Schauspieler eingesetzt. Die haben damals auf dem Dreh ihre eigene Sprache gesprochen. Man sagte: „babylonisch“ produziert. Und in den einzelnen Ländern wurde das letztendlich platt synchronisiert. Manchmal hat es funktioniert, oft aber nicht. Heute achtet man darauf, dass man Schauspieler am Set hat, die miteinander sprechen können, die sich im wahrsten Sinne des Wortes auch verstehen. Die ganze Produktion ist darauf ausgerichtet, dass sie aus einem Guss ist.

Da müssen sich die deutschen Produzenten wohl umstellen? Oder umgekehrt: Verkaufen Sie denn von den schönen Produktionen, die Sie im Portfolio haben, auch etwas an deutsche Sender? Wird man davon etwas bei den Sendern von ProSiebenSat.1 in Deutschland sehen?

„Lilyhammer“ beispielsweise geht an einen Pay-TV-Sender in Deutschland, der nichts mit unserer Gruppe zu tun hat. Im Free-TV ist es noch unentschieden. Da haben wir mehrere Interessenten und verhandeln gerade. Auch wenn wir Tochter von ProSiebenSat.1 sind, betrachten wir Deutschland als freien Markt. Manchmal ergeben sich gute Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Sendern unserer Muttergesellschaft ProSiebenSat.1. Manchmal sagen wir aber auch: Das Programm, das wir haben, passt ehrlich gesagt besser zu einem anderen Sender in Deutschland. Wir richten unsere Produktionen immer auf bestimmte Zielgruppen aus, und die gilt es auch im deutschen Markt mit den richtigen Sendern anzusprechen.

Im deutschen TV-Produktionsmarkt herrschen zurzeit Scripted-Reality-Formate oder auch sogenannte „Real Life“-Formate mit Doku-Charakter vor. Ist das auch ein internationaler Trend?

Scripted Reality ist zurzeit noch ein vornehmlich deutsches Phänomen. Man nennt es international auch „Constructed Reality“. Dabei geht es unter vielen anderen um Formate wie „Berlin – Tag und Nacht“ oder „K11 – Kommissare im Einsatz“. Solche Formate kann man in allen Zielgruppen- und Programm-Genres ansiedeln, wie etwa Teenager- oder Familienprogramm oder auch Krimi. In diesem Segment gibt es in Deutschland auf fast allen Sendern sehr starke Programme. Es handelt sich bislang aber, um es zu betonen, um ein besonders in Deutschland ausgeprägtes Phänomen. Die Franzosen, Engländer und Polen fangen langsam an, sich mehr dafür zu interessieren. Wir reden auch mit ihnen darüber. Ein solches Programmkonzept hat sich bisher aber nicht auf dem internationalen Markt etabliert. Das fängt erst langsam an.

Grundsätzlich könnten Sie aber auch mit solchen Formaten international Geschäft machen?

Selbstverständlich. Wir sind ja deshalb nicht nur im Fiktion-, sondern auch im Formatbereich unterwegs. Unser USP ist, dass wir diese wunderbaren High-End-Produktionen machen. Wir sind aber auch im Formatbereich auf allen Ebenen unterwegs. Wir produzieren gerade für ABC eine Talent-Show im Kochbereich, die am absolut oberen Budgetbereich angesiedelt ist. Für NBC produzieren wir eine Versteckte-Kamera-Show, die nicht so teuer ist. Und wir produzieren in Amerika auch für kleinere Kabelsender Reality-Shows zu nochmals anderen Budgetgrößen. Was ich damit sagen will: Unser Portfolio im Produktions- wie im Vertriebsbereich enthält Angebote, die sich mal an eine kleine, mal an eine große Zielgruppe wenden. Fiktionale Mainstream-Produktionen für große Zielgruppen sind am teuersten, weil sie den höchsten Aufwand nach sich ziehen. Zum Beispiel wenden wir uns mit unserer Jean Reno-Produktion ganz bewusst an große Free-TV-Sender in den einzelnen Ländern. Mit Kosten von mehr als zwei Millionen Euro pro Sendestunde muss es Mainstream sein, sonst können es die Sender nicht über ihre lokalen Werbeeinnahmen, die von den Reichweiten abhängig sind, refinanzieren.

Deshalb produzieren wir die einzelnen Episoden der Serie auch als geschlossene Geschichten. Wir haben in unserem Portfolio aber ebenso sehr günstige Comedy-Formate, die auch in Ländern mit sehr übersichtlichem Budget realisiert werden können. Wir sind mittlerweile beispielsweise auch in über zehn Ländern mit lokalen Versionen des ProSieben-Formats „Galileo“ erfolgreich unterwegs. Die Wissenssendung läuft auch seit vier Jahren auf CTC, einem russischen Sender, der eine Art ProSieben für junge Leute in Russland ist. Da sind wir in einer Hochvolumen-Produktion, denn es gibt für die russische „Galileo“-Version jährlich 250 Episoden, dabei zu niedrigeren Budgets als bei ProSieben.

Der Fernsehmarkt fragmentiert sich im Zuge der Digitalisierung immer stärker. Bedeutet das für die Produktion, dass man stärker auf einzelne Zielgruppen fokussieren muss?

Wir überlegen uns mit jeder Produktion, die wir an den Start bringen, für welche Zielgruppe sie geeignet ist: für junge oder ältere Zuschauer, eher für Frauen oder Männer. Und wir überlegen uns auch, welche Art von Sender oder Kundenplattform am besten geeignet ist. Es gibt einige Produktionen von uns, die sich auch immer noch wunderbar für DVD eignen. Wir produzieren auch ganz bewusst für VoD-Plattformen in Amerika. Da wissen wir dann schon vorher, dass die Produktionen nicht für Mainstream-Sender, also für die großen werbefinanzierten Free-TV-Sender in Europa, geeignet sind, sondern eher für europäische Pay-TV-Sender. Mit diesen Überlegungen fangen wir bereits in der Minute Eins des Entwicklungsprozesses an. Denn es nützt nichts, wenn man eine tolle Geschichte erzählt, die auch perfekt produziert ist, aber man dann hinterher erkennen muss, dass es eine Produktion ist, die sich nur an ein Nischenpublikum wendet, so dass man sein Investment nicht zurück bekommen kann.

Welche Relevanz haben VoD-Plattformen für den Vertrieb von TV-Programmen? In Deutschland sind sie ja noch nicht so stark…

Auch in Europa verändert sich der Markt dahingehend, dass es neue Player im Markt gibt, eben auch VoD-Plattformen. Es gibt in Skandinavien bereits HBO- und Netflix-Plattformen. In England gibt es starke VoD-Plattformen und auch in Russland. Land für Land gibt es neue Angebote – auch in Deutschland, wie das Beispiel maxdome zeigt. Die Verbreitung und auch die Akzeptanz durch die Konsumenten schreiten voran. Deshalb sind, wie gesagt, auch neue und exklusive Produktionen gefragt.

Was sind die wichtigsten Trends im sich zunehmend fragmentierenden internationalen Fernsehmarkt?

Wenn man sich den Free-TV-Markt genau anschaut, gibt es immer mehr lokale Produktionen. Die kommerziellen, werbefinanzierten Sender können über die lokale Produktion ihr Investment über Werbeverkäufe besonders gut monetarisieren, weil es ihre Aufgabe ist, genau diese lokalen Zielgruppen möglichst reichweitenstark anzusprechen. Sie müssen sich dann aber immer überlegen, was sie sich an Investment leisten können – und was sie ganz spezifisch für ihre Sendeplätze brauchen. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern in der ganzen Welt. In der Primetime setzen dann die meisten Sender auf große Studio- und Talent-Shows. Die sind aufwändig und teuer, sie erreichen aber gleichzeitig auch ein Massenpublikum. Und im Day-time-Bereich muss es zwangsläufig eine ganze Ecke billiger sein. Dann kommt Reality oder Comedy ins Spiel. Oder Factual-Formate, die nur ein Bruchteil der Primetime-Produktionen kosten. Ein schwieriges Thema in vielen Märkten ist Fiktion. Lokale Fiktion ist mit das teuerste, was man im jeweiligen Land produzieren kann. Und man steht mit lokaler Fiktion auch immer im Wettbewerb mit der internationalen Konkurrenz. In den USA kostet eine Stunde fiktionales Programm ab 2 bis 2,5 Millionen Euro aufwärts. Manchmal auch noch mehr. In Amerika gibt es ein weit fortgeschrittenes Produktionssystem und internationale Stars, die wiedererkennbare Gesichter haben. Deshalb ist es schwierig mit lokaler Fiktion dagegen zu halten. Aber obwohl es schwierig ist, ist lokale Fiktion trotzdem in einigen Märkten im Trend. Das haben wir auf SAT.1 mit „Danni Lowinski“ und „Der letzte Bulle“ gesehen und vorher bei RTL mit „Doctor‘s Diary“, auch eine sehr gut durchdachte Serie.

Auch die lokale Fiktion in Skandinavien hat sich in den letzten Jahren sehr stark entwickelt. Sie haben eine starke Handschrift, ein starkes „Look and Feel“ entwickelt. Damit haben sich die Skandinavier mittlerweile auch international im Markt etablieren können. Auch die TV-Fiktion in England hat sich im Vergleich zu früheren Jahren stark weiter entwickelt, insbesondere hinsichtlich ihrer Attraktivität für den internationalen Fernsehmarkt. Beispiele sind Serien wie „Luther“ oder „Sherlock Holmes“. Obwohl es immer die Herausforderung gibt, lokale Fiktion zu finanzieren, ist sie trotzdem im Trend. Und mittelfristig wird es sicher auch ein Trend werden, originäre Produktionen für den VoD-Markt zu machen. Da sind jetzt schon unsere Kunden in Amerika. Es werden schnell weitere in Europa hinzukommen. Mit der Digitalisierung und einer zunehmenden Fragmentierung des Marktes muss man als Produktions- und Vertriebsgesellschaft genau überlegen, an wen man sich richtet. Man kann sich nicht nur auf eine Kundengruppe konzentrieren, denn man weiß nicht, was in den nächsten Jahren im Markt passiert. Unkenrufe Ende des vergangen Jahrtausends, Fernsehen sei innerhalb der nächsten Jahre tot, haben sich nicht bewahrheitet. Gerade wegen der Finanzkrise sind die Leute wieder mehr zu Hause geblieben. Seitdem wird immer mehr Fernsehen in allen Ländern geschaut. Die TV-Nutzungsdaten sind extrem hoch. Und trotzdem: Wir dürfen nicht die Augen in der Annahme schließen, das bliebe so für alle Zeiten. Denn auch die digitale Nutzung ist nach oben gegangen.

Wir haben das Gespräch telefonisch geführt. In welcher Stadt auf der Welt habe ich Sie eigentlich erwischt?

Ich bin heute in München. Die nächsten Stationen ab morgen sind in meinem Terminkalender London, Hamburg, Los Angeles und New York …

… und dann die MIPCOM in Cannes!

Genau.

Erika Butzek
(MB 10/12)

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