Zweigeteilte Medienwelt

Wird die Kreativität in der deutschen Film- und TV-Produktion durch neue digitale Technologien befeuert – oder doch nur in eine IT-Effizienz-Zwangsjacke gesteckt, um immer mehr und immer weiter Kosten ein zu sparen?

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Zweigeteilte Medienwelt

Diese Frage zog sich imaginär wie ein roter Faden durch die Diskussion der jüngsten Veranstaltungsrunde „Film meets IT“, die am 25. April in Potsdam-Babelsberg den Untertitel „Neue Technologien in der Produktion – Alles im Dienste der Kreativität?“ trug und von transfer media zusammen mit media.connect brandenburg im Rahmen des „Sehsüchte-Filmfestivals“ der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) Konrad Wolf verantwortet wurde. Gegen Ende der Diskussion gab es plötzlich eine Antwort auf die oben angeführte pikante Frage – ohne, dass sie gestellt worden war.

Hintergrund: Mittlerweile sind die Auswirkungen der Digitalisierung auf TV- und Film-Produktionstechnik einerseits und andererseits Mediennutzung seitens der Konsumenten im Großen und Ganzen in der Branche bekannt. Beispielsweise kann man anstatt mit einem Ü-Wagen mit kleinen Tablet-PCs, die sogar auf Full HD basieren können, durch die Gegend fahren. Klein und kompakt sind ebenso die Empfangsgeräte für die Konsumenten geworden. Mit Smartphone oder Tablet-PC hat man mobil und jederzeit ein Abspielgerät auch für Film und TV dabei, oder man kann die kleinen Geräte als Fernbedienung nutzen, um Film-Streams aus dem Internet auf einen großen stationären Bildschirm zu holen. So fasste Janosch Orlowsky, Regisseur und Produzent, den Stand der Dinge in seiner Keynote „Technologie als Treiber für kreative Innovationen – Das Beispiel WebTV bei ProSiebenSat.1“ zusammen. Orlowsky bezog sich dabei auf das Gamer-Magazin „Hard-Reset“, das er für die VoD-Plattform MyVideo realisiert hat. Die Herausforderung, vor der er in seinem WebTV-Projekt für ProSiebenSat.1 gestanden habe, sei gewesen, mehrere Kameras – mit 4K-Auflösung oder kompakte digitale 35-Camcorder unter 2.500 Euro, – „rattenschachtelgroße Encoder“, verschiedenste Laptops und Spielkonsolen sowie parallel dazu die ganze Welt der Internet-Kommunikation via Facebook und Twitter in einem interaktiven Projekt zu integrieren, „so effektiv wie möglich“. Er sei sowohl „künstlerisch wie rechnerisch“ für die Planung der Plattform verantwortlich gewesen. Dabei seien ganz neue Erzählformen in Interaktion mit den Nutzern entstanden.

Allerdings, so räumte Orlowsky auch ein, handele es sich bei solcher Art Projekte „nur um einen ganz speziellen Bereich, der vor allem von den Jungen genutzt wird“. Es sei ein „experimenteller Bereich“ der Livestream-Entwicklung, mit dem man sich insbesondere an YouTuber wende. Die großen Vordenker in diesem Bereich seien Google, Facebook oder Amazon, von denen man lernen müsse, eigene Visionen zu entwickeln. Zwar werde diese Art des individualisierten Entertainments ein wichtiger Bestandteil in der Zukunft sein, zumal man dank der Interaktivität bei jüngeren Menschen „eine Verbundenheit erzeugen“ könne. Doch, so stellte Orlowsky gleichzeitig fest, ebenso werde das klassische Entertainment mit seinen klassischen Erzählweisen weiterhin „seine Gültigkeit behalten“. Er rät zudem „nicht jedem technischen Trend hinterher zu rennen“. Zwar verändere sich „Technik als Hilfsmittel“ stetig, aber „menschliche Grundbedürfnisse bleiben immer dieselben“. Gleichzeitig prangerte Orlowsky aber auch die Giganten des Internetmarktes an, die für neue IT-Geräte, Distributionswege und Geschäftsmodelle stehen. Seiner Beobachtung nach teilen sich nämlich Telekommunikationsunternehmen und Apple „den Markt unter sich auf“. Alle anderen, sogar die Fernsehsender, seien zunehmend „fast nur noch Gäste“. Was hat das nun alles mit der Veranstaltungszielfrage zu tun, inwieweit neue Produktionstechnologien im Dienste der Kreativität stehen? Interessanterweise, das war der Keynote von Orlowsky wie der späteren Diskussion zu entnehmen,  sind es heute vielfach dieselben Geräte, Rechner, die sowohl von Produzenten wie von Konsumenten genutzt werden. Entscheidend ist bekanntlich weniger die Hardware, sondern die Software, die man aufgeladen hat, und auf welche Weise man telekommunikativ mit dem Netz verbunden ist. Was bedeutet das? Orlowsky folgerte unter anderem, dass es „keinen technologischen Feudalismus“ mehr gebe, weder für Fernsehsender, noch für Technikhersteller. Er sieht vor allem eine neue „große Freiheit“, einen Kreativitätsraum für die Macher. Auch wenn der große Kuchen im Geschäft schon aufgeteilt sei, so Orlowsky, sei jetzt die Zeit für Pioniere, womit er sich vor allem wohl auch selber meint. Dumm läuft es allerdings für klassische Gerätehersteller, seiner Meinung nach. Letztendlich setze sich die Technik zunehmend über den Preis durch und verdränge bisherige Platzhirsche vom Markt.

Demokratisierung bei Machern und Nutzern

Dass es sich in Folge gleichzeitig aber auch um eine „Demokratisierung sowohl bei Machern wie bei Nutzern handele“, wie Moderator Peter Effenberg (freier Produktions- und Herstellungsleiter) später in der Diskussion mutmaßte, sieht Orlowsky allerdings nicht. So beobachtet Orlowsky eher eine zweigeteilte Medienwelt: Der eine Teil ist mehr auf die Jüngeren ausgerichtet, die viel und gerne interaktiv über den Second Screen kommunizieren, der andere Teil ist auf alle Verbraucher ausgerichtet, die klassische Erzählweisen für die eher passive Mediennutzung schätzen. Aber auch hier bahnt sich mit der zeitversetzten Mediennutzung, die die neuen Distributionswege des Internets offerieren, eine Veränderung an. Insbesondere setzt sich Telekoms IPTV-Angebot „Entertain“ in diesem Zusammenhang immer besser im Markt durch, zumal es mit der Festplatten-Speicherung eine einfache Möglichkeit bietet, zeitversetztes Fernsehen bequem über den großen Flat-Screen im Wohnzimmer zu realisieren. In der Ankündigung von Telekom, in Zukunft die Flatrate für stationäre Breitbandübertragung für alle diejenigen zu drosseln, die nicht Entertain-Kunde sind, sah Orlowsky „nur ein einziges Ziel“: Telekom wolle „den Markt mit eigenem Entertainment-Angebot aufrollen“, wogegen er ausgiebig in seiner Keynote wetterte.

Nun war es dem jüngsten Diskussionsteilnehmer, Jakob Lass (Regiestudent an der HFF), vorbehalten, zu erklären, wie sich der Produktionsprozess aufgrund der neuen digitalen Technologien verändert hat. Lass hatte Moderator Effenberg im Vorfeld der Veranstaltung verraten, dass, wenn es diese neuen Technologien nicht gäbe, er gar nicht Regie hätte studieren wollen. Das sollte er erklären, und Lass tat es. Ihm mache es Spaß Filme „ohne Drehbuch“ mit „nur geringen dramaturgischen Vorbereitungen“ zu realisieren. Er sei von der Freiheit fasziniert im Schnitt – also in der Postproduktion – mit all dem vielen Drehmaterial „spielerisch experimentieren“ zu können. Bei seinem aktuellen Filmprojekt „Love Steaks“ kamen dabei satte 48 Stunden Drehmaterial zusammen. Das sei „nur digital machbar“ und früher „schon rein finanziell nicht möglich gewesen“, sagte er. Das digitale Arbeiten erlaube es, das Risiko einzugehen, im Vorfeld der Produktion nicht detailliert planen zu müssen. Einerseits. Andererseits stellte sich bei der viel später gestellten Frage, danach, was sich Lass an Verbesserung der Technologie wünsche, um die Arbeit noch ein Stückchen voran zu bringen, heraus, dass es zumindest vom Zeitaufwand her gesehen nicht unbedingt optimal ist, ohne ein Drehbuch zu filmen. Lass räumte ein, Probleme mit den „großen hochaufgelösten Datenmengen“ gehabt zu haben. Das riesige Material im Nachhinein zu sichten, sei nicht sehr handhabbar gewesen. Man habe alle Szenen und die beteiligten Protagonisten einzeln aufschreiben müssen, um eine Basis zu haben, „den Schnitt schneller hinzukriegen“. Es sei unmöglich 48 Stunden Drehmaterial im Gedächtnis zu behalten. Also wäre es „großartig, wenn es eine Software gibt, die erkennt, was das Material beinhaltet“, sagte Lass. Auch würde er sich für den Schnitt wünschen, „dass man wieder auf etwas haptisches zurück kommt, das eine intuitivere Handhabung“ erlaube. Zudem habe man Probleme mit dem großen Zeitaufwand gehabt, der dadurch entstand, dass die großen Datenmengen, die sich angesammelt hatten, nicht zentral gespeichert vorgelegen haben, sondern sie in die verschiedenen Rechner habe hin und her schieben müssen. Insofern regte er eine neue Lösung mit einem zentralen Speicher an, so dass man beim Dreh nicht mehr die Rechner, sondern nur die Displays vorhalten müsse.

Technik dient Immer nur der Kostenreduktion

Das war nun der Moment, als sich Diskussionsteilnehmer Michael Westhofen ungefragt zu Wort meldete. Er ist Art Director bei Grundy UFA, der Firma, die in Deutschland die Industrielle Filmproduktionsweise erfand und sie auch dank neuer digitaler Techniken immer schneller machte. Westhofen merkte an: „Kreativität und neue Technologie muss man sich ziemlich hart erkämpfen“. Im Grunde genommen, so betonte er, sei die digitale Technologie so angelegt, dass „ihr Potential immer zum Sparen genutzt wird“. Die Workflows dienten „nicht dazu mehr Freiraum zu bekommen“.

Weil Technik immer nur zur Kosteneinsparung eingesetzt werde, könne man aus ihr auch keine Zeit für Kreativität gewinnen. Im Gegenteil: Die Technik führe dazu, dass man immer weniger Zeit habe: für die kreative Geschichtenentwicklung, meint Westhofen vermutlich. Und wie geht die technische Entwicklung nun weiter? Der Veranstalter von „Film meets IT“, die Potsdamer Firma transfer media, hat dafür mit D-Werft (siehe Seite 51) ein Forschungsprojekt angeschoben. Das würde, so ist beim Get-together von ihrem Geschäftsführer Andreas Vogel zu erfahren, sich auch der Lösung der von Lass angesprochenen Probleme widmen.
Erika Butzek
(MB 06/13)