Video-Klempner im IPTV-Geschäft

Patrick Harshman zeichnet seit einem Jahr als Präsident und Geschäftsführer von Harmonic verantwortlich. MEDIEN BULLETIN sprach mit ihm auf der NAB 2007 über die Neuausrichtung des Unternehmens in Richtung IPTV.

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Harmonic hat das Thema IPTV für sich entdeckt. Ist das darauf zurückzuführen, dass Sie jetzt das Steuer bei Harmonic in die Hand genommen haben?
Die Neudefinition unserer Geschäftspolitik geht zurück auf die Zeit, bevor ich die Geschäftsführung übernommen habe. Wenn man Harmonic in den vergangenen zwei Jahren betrachtet, dann wird klar, dass wir uns sehr stark auf Video-Verteilung konzentriert haben. Diesen Prozess werden wir fortsetzen.

Letztes Jahr hat Harmonic die Firma Entone übernommen. Sind weitere Übernahmen geplant?
Historisch gesehen ist Harmonic kein Unternehmen für aggressive Übernahmen von anderen Technologie-Unternehmen. Das gehört nicht zu unserer Hauptstrategie. Aber Investoren sollten nicht überrascht sein, wenn wir gelegentlich doch weitere Akquisitionen machen. Es passieren einfach zu viele spannende Sachen auf dem Markt. Und selbst wenn wir davon ausgehen eines der besten Forschungs- und Entwicklungsteams in der Videoindustrie zu haben, können wir dennoch nicht alles abdecken, was für unser Geschäft relevant ist.

Warum wurde Entone gekauft?
Im Broadcastbereich kennt man Harmonic als Unternehmen, das hochwertige Produkte und Lösungen für die Echtzeit-Videoverteilung anbietet. Wir sehen heute jedoch eine starke On-Demand-Entwicklung auf dem Markt. On-Demand-Inhalte gewinnen gegenüber Echtzeit-Inhalten zunehmend an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund war die Entone-Übernahme für uns ein strategischer Schritt. Er entsprach auch unserer Überzeugung, dass sich IPTV stark entwickeln wird. Technologien, die den Anwendern neue, interaktive Möglichkeiten bieten, sind von zentraler Bedeutung für die IPTV-Wertschöpfung. Statt nur zwischen den Programmen der TV-Anbieter auszuwählen, werden die Nutzer künftig aktiv selbst danach suchen, was für sie relevant und interessant ist. Und sie werden auch den Zeitpunkt selbst bestimmen, wann sie die gefundenen Inhalte betrachten wollen. Das TV-Nutzer-Verhalten wird sich kaum mehr vom Internet-Nutzer-Verhalten unterscheiden.

Wie weit ist die Entone-Integration ins Unternehmen abgeschlossen?
Das läuft bisher ganz gut. Wir haben das Geschäft ja auch erst ihm August 2006 bekannt gegeben. Die ganze Übernahme hat dann noch bis Mitte Dezember gedauert. Mit der Integration wurde also erst vor gut einem halben Jahr begonnen. Hier auf der NAB 2007 zeigen wir bereits erste Ergebnisse hinsichtlich einer technischen Integration. Wir haben Entone-Entwicklungen genommen und in unsere Produkte eingebaut, um erweiterte Lösungen für Video-Verteilketten anzubieten.

Gibt es neue Harmonic-Projekte in Europa?
Wir haben in der Tat ein paar gute Geschäfte in Europa gemacht, die wir aber erst in den nächsten Wochen bekannt geben können. Zu unseren neuen Kunden gehört der mit über 700.000 Abonnenten größte IPTV-Anbieter der Welt, PCCW in Hongkong, ehemals Hongkong Telecom. In Hongkong leben sieben Millionen Menschen in 2,5 Millionen Haushalten. PCCW hat dort also fast 30 Prozent Marktpenetration im Pay-TV-Geschäft. Das ist schon sehr eindrucksvoll. Das IPTV-Projekt von PCCW in Hongkong dürfte ein interessantes Anschauungsmodell für Telekom-Anbieter in der ganzen Welt sein.

Will Harmonic bei IPTV künftig auch eine End-to-End-Lösung anbieten wie zum Beispiel Siemens?
Nein. Unser System besteht aus Komponenten, mit denen Service-Provider den Workflow der Video-Inhalte vom Ingest bis zur Übergabe zum Zugangs-Netz managen können, im Falle von IPTV also bis hin zum DSL-Netz. Signal-Transport und Set-Top-Box-Business gehört nicht zu unserem Geschäft. Das machen dann Unternehmen wie Alcatel/Lucent, Siemens/Nokia oder Nortel. Die nutzen natürlich auch unsere Produkte. Tatsächlich generieren wir rund 40 Prozent unseres Geschäfts über Telekom-Partnerunternehmen. Wir sind die Firma, die die Video-Bits organisiert. Überall dort, wo ein individuelles Bit bewegt werden muss, sind wir aktiv. Harmonic ist für alles, was mit Encoding, Speicherung, Streaming, Applikationen für Conditional Access oder Splicing von Werbung zu tun hat, zuständig. Unternehmen wie Siemens/Nokia engagieren sich darüber hinaus auch für Software-Workflows, bei denen es auf eine intelligente, gezielte Kundenansprache ankommt. Das werden wir nicht machen. Wir sind so etwas wie die Video-Klempner im IPTV-Geschäft. Wir verstehen viel von MPEG-2-/MPEG-4-Bits und von der Organisation entsprechender Streams. Hier sind wir vielleicht besser als jede andere Firma. Und deshalb sind wir auch in Europa recht erfolgreich im IPTV-Geschäft unterwegs. Beispiel: Wir zeigen hier am Stand HD-Video MPEG-4 mit 6 Mbit/s – und das schaut super aus. Die große Herausforderung von IPTV ist ja, dass man über Kupferleitungen den Service ausliefern muss. Dafür braucht man hohe Qualität und kleine Bitraten. Wir können das bieten.

Wichtigster Kunde: T-Online
Was sind Harmonics wichtigste IPTV-Aktivitäten in Europa?
Zu unseren wichtigsten Kunden zählt hier T-Online. Die Deutsche Telekom-Tochter setzt bei IPTV auf die Microsoft-Middleware. Die Integration der Plattform wurde von T-Systems realisiert. Ein anderer wichtiger Kunde in Deutschland ist HanseNet. Hier macht Alcatel den Integrations-Job. Wichtiger Kunde für uns ist auch Telekom Austria. Das Unternehmen arbeitet sehr innovativ. Es hat zum Beispiel einen sehr interessanten Versuch in Sachen „User-generated“-Video gestartet. T-Online France ist ein weiterer Harmonic-Kunde, der wie T-Online in Deutschland mit Middleware von Microsoft-TV arbeitet. Sie ist für uns in Europa der am weitesten verbreite Application-Layer. Microsoft-TVs IPTV-Edition wird meist mit unseren MPEG-4 AVC (H.264) Encodern DiviCom Electra 7000 (HD) and Electra 5400 (SD) kombiniert.

Was sind Harmonics Produkt-Highlights auf der NAB 2007?
Das Wichtigste hier am Stand ist die Erweiterung unserer On-Demand-Plattform, der StreamLiner 2000 Video-Server-Familie. Sie ist jetzt deutlich leistungsfähiger hinsichtlich Speicherplatz, Prozessor-Power und Streaming-Kapazitäten. Die StreamLiner 2000-Plattform bietet zudem On-Demand-Skalierbarkeit und ist sehr flexibel in Sachen Ausbau. Wir folgen damit dem allgemeinen Markttrend. Früher waren On-Demand-Angebote auf einige hundert Filme beschränkt. Heute gibt es Modelle, die darauf zielen, den gesamten Content eines Senders auf Servern abzulegen und über einen internetähnlichen Zugang on-Demand zur Verfügung zu stellen. Unsere Technologien zielen darauf ab, Tausende Stunden Inhalt intelligent zu verwalten und durch die Optimierung der Server-Infrastrukturen möglichst nahe an die Nutzer heranzubringen. Dann bieten wir hier auf der NAB einen Near-Video-on-Demand-Service via Internet für Broadcaster an, die keine eigene Streaming VoD-Infrastruktur besitzen. Hierbei wird der Content nicht in Echtzeit gestreamt, sondern wird das Speicher-System des Nutzers geladen. Auch hierbei kommt unser StreamLiner 2000 Video-Server zum Einsatz. Auf der Video-Processing-Seite ist in Sachen Integration von Funktionalitäten sicherlich unsere ProStream-2000-Plattform interessant. Das ist ein HD/SD-Splicer und StreamLiner-Ad-Server, der sehr flexibel konfiguriert werden kann. Ein Highlight ist sicherlich auch LiveCut. Hierbei handelt es sich um eine Software-Applikation, die Service-Provider in die Lage versetzt, die Ablage von Video-Inhalten für On-Demand-Angebote, zeitversetztem Fernsehen und PVR-Diensten (Personal-Video-Recording) zu automatisieren. Die Ingest-Vorgänge aus unterschiedlichsten Quellen lassen sich damit deutlich vereinfachen.

Ihre IPTV-Kunden wissen, welche Technologien sie brauchen?
Nein. Video ist neu für Telekom-Unternehmen. Unser großer Vorteil ist jedoch, dass wir ihnen hier unser geballtes Fachwissen anbieten können. Das wird auch gerne von großen Firmen wie Siemens und Lucent in Anspruch genommen. Video ist für die meisten Telekom- und IT-Unternehmen keine einfache Technologie. Deshalb werden wir auch unser technisches Service-Team in Europa weiter ausbauen.

Welche Rolle spielt IPTV auf der NAB 2007?
IPTV ist hier sicherlich ein dominierendes Thema. Die Industrie hat realisiert, dass sich hier ein sehr interessanter neuer Markt auftut. Allgemein kann man sagen, dass die Bedeutung von IP-Netzwerken wächst. Firmen wie wir versuchen deshalb, die IP-Netzwerkfähigkeit direkt in verschiedene Systeme zu integrieren. Früher waren viele Encoder, Switcher und besondere Schnittstellenprodukte nötig, um über Telekom-Netzwerken kommunizieren zu können. Nun aber spricht fast jedes einzelne Gerät von Haus aus IP.
Eckhard Eckstein (MB 06/07)



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