Deutlich belebt

Vom 22. bis 25. November 2012 traf sich die Audio-Branche in der Rheinmetropole. Schwerpunkte der Tonmeistertagung 2012 waren unter anderem 3D-Audio, Digitalradio, Audionetzwerke und die Lautheitsmessung nach EBU R 128. Zahlreiche Workshops zu Beschallung, Aufnahme und Mischung sowie Exkursionen rundeten das vielfältige Programm ab.

9
Deutlich belebt

5.735 Audioprofis und -enthusiasten pilgerten auf die Tonmeistertagung 2012 nach Köln – rund 80 Prozent mehr, als auf den letzten Fachkongress 2010 nach Leipzig. Die gute Resonanz freute den Veranstalter, Verband Deutscher Tonmeister (VDT), natürlich ebenso, wie die 144 Aussteller, die an 92 Ständen über die Produkte von 225 Herstellern informierten. Darunter waren viele Neuheiten wie Monitore von Neumann, Mikrofone von Audio Technika und Sennheiser, Lautheitsmesssysteme von RTW, Audioproduktionssysteme von Yamaha, Konsolen wie das Lawo mc2 56 oder Feldrecorder von AETA und Sound Devices.

Die Verteilung von Audiosignalen via Netzwerk gewinnt zunehmend an Bedeutung – und war dementsprechend einer der Schwerpunkte der Messe. Audionetzwerke befördern Tonsignale in Studioqualität und mit wenigen Millisekunden Verzögerung. Seit Jahren hält die Netzwerktechnik Einzug in die professionelle Audiotechnik, etwa in den Beschallungsbereich. Im Broadcast wird Audio-over-IP vorwiegend für die Kommunikation, aber auch für Kommentatoren-Plätze eingesetzt. Womöglich könnten Audionetzwerke in den nächsten Jahren mit der klassischen Kreuzschienentechnik konkurrieren. Zwar reichen die Bandbreiten und damit die Anzahl der Kanäle, die Audionetzwerke übermitteln können, für große Installationen bei Weitem nicht. Doch die geringeren Kosten für Massenmarktprodukte wie Netzwerkkabel oder Switches bieten klare Vorteile. Ein einziges Netzwerkkabel in Cat-5-Qualität kann je nach Netzwerktechnik über 100 Audiokanäle übertragen. Lichtwellenleiter überbrücken größere Distanzen.

Bekannte Broadcast-Konsolen-Hersteller wie Lawo und Salzbrenner Stagetec zeigten Netzwerk-Einschubkarten für ihre digitalen Audiokreuzschienen. Der Rastätter Pulthersteller Lawo bringt zwei Einschubkarten mit der Ravenna-Audionetzwerktechnik. Die Karten verbinden das Herzstück der Studiokonsolen, die Nova-Audiokreuzschiene, per IP-Netzwerk mit der I/O-Einheit, dem sogenannten Dallis-System. Ravenna befördert 128 Audiokanäle über ein Cat-5-Kabel oder Glasfaserleitungen. Dabei sind Abtastraten bis zu 96 Kilohertz möglich, bei voller Kanalanzahl. Die Latenz lässt sich an die Netzwerkinfrastruktur anpassen.

Die ALC NetworX GmbH in München hat Ravenna entwickelt. Für das Audionetzwerk lassen sich handelsübliche Netzwerkkomponenten nutzen. Ravenna fußt auf Standard-Protokollen, ermöglicht eine phasengenaue Taktung und befördert die Signale vollständig transparent, also ohne jeden Qualitätsverlust. Ravenna soll ein herstellerübergreifender Standard werden. Dazu engagiert sich ALC NetworX in Arbeitsgruppen der AES (Audio Engineering Society) und der EBU (European Broadcast Union). Namhafte Audiohersteller wie Genelec, AETA, Schoeps, Neumann oder Sound4 unterstützen Ravenna.

Die Salzbrenner Stagetec Mediagroup setzt auf eine andere Netzwerktechnik: Das Dante-Audionetzwerk des australischen Spezialisten Audinate. Seit November 2012 produziert das Unternehmen die XDIP-Einschubkarte für die Nexus-Audiokreuzschiene in Serie (XDIP steht für Nexus Dante IP). Sie verbindet die Nexus-Kreuzschiene mit einem Netzwerk. Die XDIP-Karte bietet 64 Eingangs- und 64 Ausgangskanäle bei einer Abtastrate von 48 KHz. Bei höheren Sampleraten verringert sich die Anzahl der verfügbaren Kanäle entsprechend – bei 96 KHz sind es je 32 Ein- und Ausgänge, bei 192 KHz jeweils 16 Ein- und Ausgangskanäle. Nach Herstellerangaben beträgt die Latenz flotte 0,42 Millisekunden. Dies hängt allerdings vom Netzwerk ab. Dante wird etwa für das Intercom-System Delec eingesetzt.

Dante ist ein proprietäres Format. Doch Dante-Produkte unterstützen meist Audio Video Bridging (AVB), das von der IEEE als Audio-over-IP-Standard verabschiedet wurde. Die Details des jungen AVB-Standards stehen jedoch noch nicht vollständig fest. Die Nexus-XDIP-Karte lässt sich per Firmware-Update an zukünftige AVB-Neuerungen anpassen. Das Dante-Netzwerk soll auch Steuersignale übertragen. Dazu entwickelt die OCA-Alliance das Protokoll Open Control Architecture (OCA). In der OCA-Alliance sind Unternehmen wie Bosch, d[&]b Audiotechnik, Salzbrenner Stagetec Mediagroup, Yamaha und andere vertreten.

Das Dante-Netzwerk ist Teil einer weiteren Neuheit, das Yamaha auf der Tonmeistertagung vorstellte: Yamaha entwickelte das Nuage-Audioproduktionssystem gemeinsam mit dem DAW-Hersteller Steinberg. Sebastian Rodens, Product Manager Post Production, führte es am Stand vor. Es eignet sich sowohl für die Film- und Broadcast-Postproduktion wie auch die Musikproduktion. Das Nuage-System verbindet Yamaha-Steuereinheiten und -Audiointerfaces mit Nuendo 6, der neuesten Version von Steinbergs Audioworkstation (DAW). Das System lässt sich modular aufbauen – und so an den jeweiligen Bedarf anpassen. Bis zu drei Steuereinheiten mit je acht Kanalzügen und einem 24-Zoll-LCD-Monitor lassen sich mit der Master Kontrolleinheit zusammensetzen. Die Monitore werden nicht mitgeliefert, es lassen sich handelsübliche 24-Zoll-Displays anbringen. Sogenannte Workspace-Einheiten dienen als Arbeitsunterlage für eine PC-Tastatur und Maus und zugleich als Rahmen für einen weiteren Monitor.

Drei Ein- und Ausgangseinheiten liefern bis zu 128 Kanäle mit 24 Bit/192 kHz an den PC oder Mac, auf dem die Nuendo-Software läuft. Dante-Beschleunigungskarten im Computer sorgen dabei für eine flotte Verbindung zu den Audio-Interfaces via Netzwerkkabel. Die Steuerungsoberfläche arbeitet über das herstellerübergreifende HUI-Protokoll (Human User Interface) auch mit Audioworkstations anderer Hersteller zusammen. Das klappt per Tastendruck auch mit mehreren DAWs im flotten Wechsel – etwa, wenn für unterschiedliche Einsatzzwecke verschiedene Audioprogramme gefragt sind. Zum Verkaufsstart steuert das Nuage bis zu drei DAWs, nach einem Firmware-Update soll der rasche Wechsel zwischen vier DAWs gelingen.

Audio-over-IP ist auch für Audioverbindungen via Internet – also Wide Area Network (WAN) – interessant. Sprecheraufnahmen via ISDN sind seit Jahren gang und gäbe – doch ISDN stirbt aus, und für die Musikproduktionen reicht die Qualität der Codecs ohnehin nicht.

Audiosignale via Internet

Die Qomtec AG aus Düsseldorf bietet mit dem Qonnex One ein System, das Audiosignale in AES/EBU-Qualität via Internet sendet und empfängt. Das Produkt eignet sich für das Mastering, Instrumental- oder Sprecheraufnahmen. Während der Aufnahme kann die Regie dem Künstler live zuhören, zudem ist eine volle Kommunikation via Webcam, Talkback und Chat möglich. Das Mastering-Studio kann seinem Kunden das Signal in AES-Qualität zusenden und dabei zwischen der originalen und bearbeiteten Version hin- und herschalten.

Das Herzstück des Systems ist der Rack Server, in dem zwei Ein-Terrabyte-Festplatten als RAID verbaut sind. Der Server lässt sich über einen mitgelieferten Steuercomputer bedienen. Der Rack-Server wird über jeweils acht AES-Stereokanäle mit den Ein- und Ausgängen der Audioworkstation verbunden. Passende PC-Steckkarten sind Teil des Pakets. Auch ein vorkonfigurierter VDSL-Router gehört zum Lieferumfang. Eine flotte VDSL-Verbindung mit bis zu 10 MBit/s Upstream und bis zu 50 MBit/s Downstream ist Pflicht. Ist kein VDSL verfügbar, stellt Breitbandkabel eine gute Alternative dar. Qonnex One bietet verschiedene Aufnahmemodi: Einen Sync-Recording-Mode für eine synchrone Aufnahme zum Takt eines Musikstücks. Die Regie kann während der Aufnahme live Kontrollhören, die Aufnahme wird auf der Festplatte des Rack Servers gespeichert und von dort per Netzwerk an die zuvor festgelegte In-Position der Audiosoftware gezogen. Im Stream Recording Mode wird eine Aufnahme direkt auf der DAW im Studio aufgezeichnet. Allerdings nicht synchron zu einem Takt – der Modus eignet sich daher für Sprecheraufnahmen, die sich auf eine beliebige Position setzen lassen. Die Produktserie Qonnex One ist seit Angfang 2013 verfügbar.

Torsten Haack, Director System Group der Shure Distribution GmbH, und René Rodigast, Fraunhofer IDMT, kündigten eine spannende Neuheit für den Beschallungsbereich an: Das Shure Atmosphea-System biete eine reduzierte Form der Wellenfeldsynthese für den Beschallungsbereich. Atmosphea fußt ebenfalls auf einem Audionetzwerk – dem Q-LAN des Endstufenherstellers QSC. Shure führte das Atmosphea-System im Dezember erstmals am Firmensitz in Eppingen vor. Einen Bericht darüber lesen Sie auf ab Seite 36.

3D-Audio erweitert das zweidimensionale Schallfeld um die dritte Dimension der Höhe. Anders als bei 5.1- oder 7.1-Mehrkanalverfahren sollen Schallquellen nicht nur von vorn, den Seiten und hinten ertönen, sondern auch von oben. Zahlreiche Vorträge der Tonmeistertagung behandelten 3D-Audio-Verfahren und -Aufnahmetechniken und lieferten eindrucksvolle Hörbeispiele. Wie beispielsweise Malgorzata Albinska-Frank, Tonmeisterin des schweizerischen Arton-Studios, die in ihrem Workshop „Auro 3D – Entdeckung der Decke für Stereo und Surround“ unterschiedliche Mischungen eines Auro-3D-Mikrofonsetups vorführte. Sie reproduzierte eindrucksvoll die Akustik einer Kirche, in der die Aufnahmen entstanden. Albinska-Frank nahm auch an der anschließenden Diskussionsrunde teil, ebenso wie Wilfrid von Baelen, Chef der belgischen Galaxy-Studios. Baelen stellte bereits 2006 das Auro-3D-Verfahren vor, welches das 5.1-Surround-Set-up um vier Höhenlautsprecher erweitert. Die vier Höhenlautsprecher werden über den Lautsprechern links und rechts vorne sowie links und rechts hinten platziert. „Auro 3D 9.1“ lautet der Name der Basisversion, mit 11.1-Kanälen hat Auro 3D den Weg ins Kino gefunden. Passende Decoder liefert die Firma Barco, bekannt als Display- und Projektor-Hersteller. Baelen zeigte sich zuversichtlich, dass sich Auro 3D etablieren könnte. Über 50 Kinos seien bereits mit dem Verfahren ausgerüstet.

Ein weiterer Teilnehmer der Runde war Werner Dabringhaus, Geschäftsführer von MDG – Musikproduktion Dabringhaus und Grimm, ein Pionier von 3D-Audio. Sein 2+2+2-Verfahren fügt den beiden vorderen Lautsprechern im 5.1-Set-up zwei Höhenkanäle hinzu. Es nutzt das 5.1-Aufnahmeformat, funktioniert jedoch den Center- und den LFE-Kanal zu Höhenkanälen um. Dabringhaus bedauerte, dass sein 2+2+2-Verfahren nicht in AV-Receiver integriert werde. Er schätzte die Bereitschaft der Endkunden eher gering ein, weitere Lautsprecher für 3D-Audio aufzustellen.

Tonmeister und Produzent Tom Ammermann, der die 3D-Audio-Musikproduktion „forsenses“ mischte und das Verfahren „Headphone Surround“ entwickelte, lobte Sony für seine 3D-Kopfhörer, die Audiofans den hohen Verkabelungsaufwand ersparten. Helmut Wittek, Geschäftsführer der Schalltechnik Dr.-Ing. Schoeps GmbH, unterstrich die Schwierigkeiten bei der Aufnahme von vier zusätzlichen Höhenkanälen. Gregor Zielinsky, Tonmeister bei Sennheiser electronic, leitete die Podiumsdiskussion.

Die 27. tmt bot einen hervorragenden Überblick über aktuelle Pro-Audio-Produkte und Aufnahmetechniken. Der Wechsel nach Köln hat die Veranstaltung deutlich belebt.
Jan Fleischmann
(MB 02/13)

Relevante Unternehmen