Erst kommt die Praktikabilität, dann die Immersion

Was sind die Treiber für die Entwicklung von immersiven Audiotechnologien? Und wie sieht die Zukunft von 3D-Audio aus? In der kommenden Ausgabe mebulive wird genau diese Frage geklärt. Christian Struck von Lawo mit einer ersten Einschätzung vorab. Er sagt 'Erst kommt die Praktikabilität, dann die Immersion' – ein Kommentar.

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Christian Struck, Lawo

Das allseits bekannte Motto „schneller, höher, weiter” trifft uneingeschränkt auch auf das tägliche Leben zu: Fernsehen an sich war seinerzeit eine Sensation, aber als das Farbfernsehen kam, eröffnete sich dem Publikum eine völlig neue Dimension. Parallel dazu wurden die Kinoleinwände immer gewaltiger. Dann kam der Audio-Umstieg von Mono auf Stereo, gefolgt von weiteren Quantensprüngen in Bezug auf die Bildqualität. 4K wird aktuell größtenteils noch umgesetzt, aber das hält die ganz Unerschrockenen nicht davon ab, schon einmal die ersten Gehversuche in Richtung 8K zu machen.

Auf der Audioebene war die Entwicklung nicht weniger spektakulär und wurde zumal im Unterhaltungs- und Broadcast-Sektor herbeigesehnt, um dem Publikum ein immer packenderes Seh- und Hörerlebnis zu bieten – man denke nur an die Quadrofonie in den 1970ern oder an Sport-, Konzert- und Show-Ausstrahlungen in 5.1-Surround. Was in Kinos schnell Pflicht wurde, schaffte es letztendlich jedoch nur in einige wenige Heimkinos – das Wohnzimmer blieb aufgrund der diffizilen und teilweise unpraktischen Aufstellungsvorgaben für die allermeisten eine „Flugverbotszone”. Und damit schien das Schicksal von Surround Sound (5.1, 7.1, Dolby Surround usw.) für die breite Konsumentenmasse besiegelt.

Ironie des Schicksals

Getreu dem Spruch, dass die Hoffnung zuletzt stirbt, investierten zahlreiche öffentlich-rechtliche und private Rundfunk- und Fernsehanstalten dennoch in 5.1-Ton und trieben die Entwicklung dabei derart auf die Spitze, dass Zuschauer mit „nur” zwei HiFi- oder Fernsehlautsprechern nicht einmal mehr einen echten Stereoton, sondern nur noch eine Abwärtskonversion zur Verfügung gestellt bekamen. Führende Mischpultanbieter waren gerne behilflich und boten umgehend 5.1-Bus-Konsolen an. Lawo ging mit seinen mc²-Pulten ab 2003 einen Schritt weiter, indem man sich nicht auf eine vorgegebene Kanalanzahl festlegte.

Für die Olympischen Spiele in London 2012 hatte sich der japanische öffentlich-rechtliche Sender NHK mit seinem “Super Hi-Vision”-Projekt einen 22.2-Kanalansatz vorgenommen, um zusätzlich zur nicht weniger revolutionären 8K-Bildauflösung ein wahrhaft immersives Hörerlebnis zu bieten. Lawo war an diesem Projekt beteiligt und nutzte ihn als Ansporn für die Entwicklung seiner Immersive Mix Engine (LIME), die den Einsatz der ab 2003 gebauten mc²-Konsolen in einem wahlweise kanal- oder objektbasierten Immersive-Umfeld erlaubt.

Dem sich anbahnenden Siegeszug der immersiven Audiotechnologie stand vermeintlich nichts mehr im Weg – zumal es mittlerweile zahlreiche 3D-Ansätze gibt: Dolby Atmos, MPEG-H, AURO-3D, DTS:X, NHK 22.2, IMAX 6.0 und 12.0 sowie Sennheiser AMBEO 9.1 und neuer. Leider hält sich die breite Akzeptanz jedoch dermaßen in Grenzen, dass sich bestimmte Rundfunkanstalten aufgrund der Mehrkosten ernsthaft überlegen, den 5.1-Betrieb wieder einzustellen. Woran liegt das?

Erst kommt die Praktikabilität, dann die Immersion

Der Grund hierfür ist schlicht und ergreifend, dass das Publikum erst anno 2019 wirklich „mitgenommen” wird: Da mehr als zwei Lautsprecher –am liebsten gleich im Fernseher verbaut– in den meisten Haushalten einfach impraktikabel sind, haben sich mehrere Anbieter auf die Entwicklung von Soundbars und von Verfahren für die Aufbereitung binauraler Signale im Kopfhörer gestürzt. Beide Abhörlösungen bieten den Vorteil minimaler Platzanforderungen, während der immersive Eindruck derart überzeugt, dass man als Hörer nicht mehr in die zweidimensionale Stereowelt zurückkehren mag.

Die Bereitstellung einer heimfreundlichen Infrastruktur für die Konsumenten ist demnach maßgeblich für den Siegeszug der immersiven Audiotechnologie und die Etablierung eines „neuen” Wiedergabeformats. Erst jetzt lohnt es sich für Rundfunk- und Fernsehanstalten, wieder volle Kraft voraus zu planen und die bestechende Bildqualität mit einem gleichwertigen Audio-Wiedergabeverfahren zu ergänzen. Die gute Nachricht: Es tut sich etwas, das Anbieter und Konsumenten gleichermaßen erfreuen wird.

Hinzu kommt, dass der objektbasierte Ansatz den Zusatznutzen bietet, dass man die Pegelverhältnisse daheim demnächst nach eigenem Gutdünken ändern, d.h. personalisieren, kann, um z.B. die Dialoge besser zu verstehen, ohne die Wiedergabelautstärke auf ein umweltunverträgliches Niveau anzuheben. Umgekehrt werden Zuschauer den Kommentar einer Sportübertragung ausblenden können, wenn sie ein ungefiltertes Live-Erlebnis bevorzugen. Der Ton wird den Zuschauern nämlich als getrennte Spurgruppen zur Verfügung gestellt, deren Lautstärkewerte sich individuell festlegen lassen. Welche Möglichkeiten genau zur Verfügung stehen werden, darf jeder Anbieter selbst entscheiden. (2/19)

Die nächste Ausgabe mebulive mit dem Schwerpunktthema “immersives Audio” erscheint am 25.03.2019. Foto: Christian Struck


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