Divergierende Logik in konvergenter Welt

Der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat zum Auftakt der MEDIENTAGE MÜNCHEN zugesagt, Bayern werde einen Runden Tisch zu Fragen der Medienregulierung initiieren. Damit sollen für den Bereich der Bewegtbilder Regeln geschaffen werden, die dem Fernsehen im Vergleich zum weniger stark regulierten Internet mehr Chancengleichheit gewähren. Ungleichheiten der Regulierung unterschiedlicher Medien standen im Mittelpunkt des Mediengipfels zum Kongressmotto „Weichen stellen. Die neue Gesetze der Medienwelt.“

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Divergierende Logik in konvergenter Welt

Das kennt man nur allzu gut aus der Politik: wenn man keine eigenen Antworten auf drängende Fragen hat, bildet man einen „Runden Tisch“ und lädt Experten und Betroffene dazu ein. Da wird dann viel geredet; am Ende geht man auseinander und nichts weiter passiert. Ob das beim Runden Tisch zur Medienregulierung auch so ist, muss sich erst zeigen. Auf der Eröffnungsveranstaltung zu den MEDIENTAGEN MÜNCHEN 2012 wurde jedenfalls die Forderung nach einer solchen Einrichtung laut und die spontane Zusage des Bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, sie zu initiieren, wurde von den dort versammelten Protagonisten der deutschen Rundfunk- und Medienszene heftig beklascht. Auch sonst wurden einige Einwürfe des Ministers sehr begrüßt.

Seehofer sprach sich bei der Medienregulierung für „mehr Freiheit und weniger Hürden“ aus. Beispielsweise sei es nicht Aufgabe der Politik zu sagen, welcher öffentlich-rechtliche Kanal kommen oder welcher gestrichen werden solle. Politik müsse vielmehr Anreize schaffen, damit Medien den Bedürfnissen der Menschen angepasst werden könnten. Es gelte, nur das „unabdingbar Notwendige“ zu regeln, und zwar unideologisch und pragmatisch. Zu den Bereichen, die reguliert werden müssten, zähle das Urheberrecht. Dabei handle es sich derzeit um eine „Spielwiese für Spezialisten“. Das neue Leistungsschutzrecht sei ein erster sinnvoller Schritt. Darüber hinaus müsse für ein besseres Regelwerk „die EU wirklich mal Signale setzen“.

Staatsminister Thomas Kreuzer, Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, konstatierte im Laufe der Mediengipfel-Diskussion, dass eine Neuordnung der Regulierung „sehr schwierig und komplex“ sei. Grundsätzlich müssten im Medienkonzentrationsrecht jedoch Beschränkungen abgebaut werden. Dabei gelte es jedoch die Bereiche Jugend- und Verbraucherschutz nicht unreguliert zu lassen. Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der MEDIENTAGE MÜNCHEN, sagte bei seinem Grußwort, klassische Regulierungsansätze, die nach Mediengattungen differenzieren, entsprächen nicht mehr der Medienwirklichkeit, „weil das Internet die Grenzen verschwimmen lässt“. Deshalb habe die BLM einen MedienVielfaltsMonitor entwickelt. Dabei wird die Meinungsmacht einzelner Unternehmen durch eine Verknüpfung von Reichweitenanteilen und einem spezifischen Meinungsbildungsgewicht hergeleitet. Schließlich lässt sich der Anteil am Meinungsmarkt für konkrete Unternehmen in Prozentzahlen ausdrücken. So entfällt etwa auf die ARD ein Anteil am Meinungsmarkt von 22,2 Prozent, für die Bertelsmann AG ergeben sich 14,2 Prozent und für die ProSiebenSat. 1 Media AG 8,9 Prozent. Schneider ergänzte, die neue Systematik könne noch keine Online-Konzerne wie Google oder Facebook erfassen, werde aber kontinuierlich aktualisiert.

Auf der Tatsache, dass vor allem die großen Online-Konzerne aus den USA die Medienlandschaft verändern, fußte auch die Keynote von Gerhard Zeiler. Der Präsident von Turner Broadcasting System International in London argumentierte, Bewegtbilder würden zwar im Internet an Bedeutung gewinnen, das klassische Fernsehgeschäft aber nicht negativ beeinflussen. Dafür sprächen ein günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis und die große Innovationsbereitschaft der Branche. Zeiler hob die gesellschaftliche Bedeutung von wertvollem Journalismus und die „Entspannungskraft von gutem Fernsehen“ hervor. Es gelte, TV-Programme vor allem so anzubieten, dass sie immer und überall genutzt werden könnten. Diversifizierung und eine Konzentration auf lokale Geschäftsfelder sowie die Nutzung des Marketingpotenzials sozialer Netzwerke seien weitere Voraussetzungen, um im Wettbewerb mit dem Internet bestehen zu können. Während Zeiler Pay-TV als „essentiellen Teil der TV-Landschaft“ charakterisierte, bezeichnete er die Gratis-Kultur im Internet als Irrtum und die Daten-Piraterie als Diebstahl. Zeiler empfahl TV-Programmmachern Innovationsgeist und Risikobereitschaft. Dass mutiges Experimentieren wichtig sei, unterstrich auch Brian Sullivan. Der Vorstandsvorsitzende von Sky Deutschland war der Ansicht, insofern dürfe etwa der Erfolg von Harald Schmidt nicht nur an Quoten gemessen werden. Auch die ARD-Vorsitzende Monika Piel erklärte, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht nur nach Zuschauermarktanteilen sondern auch an Relevanz orientieren müsse.

Während der Panel-Diskussion, die beim Mediengipfel erstmals von Prof. Dr. Miriam Meckel moderiert wurde, sah sich vor allem Dr. Stefan Tweraser heftiger Kritik ausgesetzt. Googles Country Director für Deutschland, Österreich und die Schweiz vertrat die Ansicht, der Suchmaschinen-Marktführer benötige deshalb keine Regulierung, weil er sich konsequent nach den Wünschen der Nutzer ausrichte und selbst keine Inhalte erstelle. Fast alle Diskussionsteilnehmer waren da anderer Meinung. „Google ist Meinungsmacht“, widersprach Conrad Albert, der als Vorstand den Bereich Legal, Distribution [&] Regulatory Affairs der ProSiebenSat.1 Media AG leitet. Google dringe in immer neue Geschäftsbereiche vor, präsentiere sich mit YouTube wie ein Fernsehkanal und ziele auf die Werbeetats der TV-Branche. Dr. Tobias Schmid, Bereichsleiter Medienpolitik bei RTL Television, vertrat eine ähnliche Ansicht. Wer sich wie Google in den USA auf das First Amendment berufe, könne nicht behaupten, er könne keinen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung nehmen. Schmid sprach in diesem Zusammenhang von einer „divergierenden Logik in konvergenten Welten“. Während Tweraser auf den „neutralen Zugang“ verwies, den Google biete, bemängelte WDR-Intendantin Piel, dem Suchalgorithmus fehle es an Transparenz.

René Obermann,Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom AG, beklagte sich darüber, dass Google mit seinen YouTube-Kanälen stark vom Breitbandausbau der Telekommunikationsnetze profitiere, sich aber an den Kosten nicht entsprechend beteilige. Dr. Paul-Bernhard Kallen, Vorstandsvorsitzender von Hubert Burda Media, verwies auf Ungleichgewichte bei der Regulierung innerhalb der Europäischen Union. So lockten etwa geringe Steuersätze und ein liberaler Umgang mit dem Datenschutz Unternehmen nach Irland. Außerdem gelte für den Verkauf von E-Books in Luxemburg nur ein Umsatzsteuersatz von drei Prozent, und US-Konzerne erhielten – beispielsweise durch Holding-Konstruktionen in den Niederlanden – in der EU Steuersubventionen in Millionenhöhe. „Ungleichen politischen Steuerungssysteme“ erkannte auch Staatsminister Kreuzer und forderte Wettbewerbsgleichheit. Die widerstreitenden Kompetenzen bundesdeutscher Regulierungsbehörden, fehlendes medienpolitisches Engagement in den Staatskanzleien der Länder und wohl auch Zweifel an der Durchschlagkraft von Runden Tischen mögen den Deutschen Verband für Telekommunikation und Medien (DVTM) dazu bewogen haben, zu den MEDIENTAGEN die Einführung eines Konvergenz-Ressorts im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) zu fordern. Das neue Ressort soll für konvergente Bereiche der Branchen Telekommunikation, Medien und Energie zuständig sein. „Es ist nicht mehr möglich, diese Bereiche zu trennen. Verbraucher sehen auf ihrem Tablet TV-Inhalte oder bedienen mit dem Smartphone die Energiesteuerung ihrer Häuser. Dies sind nur die offensichtlichsten Beispiele für das Zusammenwachsen der Branchen“, erklärte Renatus Zilles, Vorstandsvorsitzender des DVTM, auf einem MEDIENTAGE-Panel. „Der heutige fachliche Zuschnitt der Ministerien trägt der dynamischen Konvergenz-Entwicklung nicht in ausreichendem Maße Rechnung. Häufig arbeiten verschiedene Bundesministerien an Themen, die eigentlich zusammen gehören – wie Telekommunikation, Medien und zunehmend der Energiesektor“. Der DVTM fordert eine an das Zusammenwachsen der Bereiche angepasste Struktur. „Ein neues Konvergenz-Ressort im BMWi kann übergreifende Themen schneller vorantreiben und damit die Position der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Wettbewerb deutlich stärken“, bekräftigte Zilles. Mit dem neuen Ressort könne Deutschland zudem international über die verschiedenen Bereiche hinweg besser mit einer Stimme sprechen. „Telekommunikation, Medien und Energie sind in hohem Maße globale Themen, bei denen eine internationale Zusammenarbeit besonders wichtig ist. Gerade der rasante Wandel zur neuen All-IP-Welt, die nicht an nationalen Grenzen halt macht, beschleunigt diese Thematik. Ein Konvergenz-Ressort im Wirtschaftsministerium wäre deutlich besser aufgestellt als der derzeitige Zuschnitt der Ministerien”, gab Zilles zu bedenken. Die Forderung nach einem Konvergenz-Ressort stieß bereits im Vorfeld der MEDIENTAGE bei Verlagshäusern, TK-Unternehmen, Industrieverbänden und auch bei den Landesmedienanstalten auf große Zustimmung. „Das beweist, dass ein Bewusstsein der Problematik durchaus vorhanden ist“, meinte Zilles. „Jetzt kommt es auf die zeitnahe Umsetzung an.“

Eckhard Eckstein
(MB 11/12)

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