Grenzen der (Co-)Regulierung

Auf der EuroReg 2011 in Frankfurt stand in diesem Jahr das Thema „Connected TV“ im Mittelpunkt. Dabei wurde klar, dass die europäischen Regulierer noch nicht wirklich wissen, wie sie damit umgehen sollen.

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Grenzen der (Co-)Regulierung

Wer bei Connected TV nur an Begriffe wie HbbTV oder Smart TV denkt, der springt eindeutig zu kurz. HbbTV, auch Smart TV genannt, da wird das Internet auf den Fernseher gebracht und der Zuschauer kann, ohne für ihn spürbaren Medienbruch, klassische TV Inhalte mit Webangeboten verbinden. Diese Entwicklung kommt mit Macht – steht aber noch ganz am Anfang. Zu dem Themenkomplex gehört aber genauso das IPTV, das ähnliche Angebotspakete erlaubt, aber auch WebTV Angebote, wie etwa über Youtube, oder Internet basierte VoD-Plattformen oder die CatchUp Angebote der Sender im Internet. Alles das ist Ausdruck einer fortschreitenden Konvergenz, an deren Ende die vollständige Integration aller bislang getrennten Mediengattungen stehen könnte.

Für die Rundfunkregulierung verbindet sich damit genauso wie für die Medienindustrie eine Herausforderung ungeahnten Ausmaßes. Nur ein Beispiel: das Internet fällt in die Bundeszuständigkeit, während der Rundfunk ganz klar Ländersache ist. Während im Internet weitgehend frei agiert werden kann ist der Rundfunkbereich stark reguliert. Die daraus in einer konvergenten Welt resultierenden Probleme liegen auf der Hand. Hinzu kommen noch völlig unterschiedliche Zuständigkeiten etwa via Kartellaufsicht oder Netzzuständigkeit. Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss durch die Richtlinien der Europäischen Kommission. Europaweit finden sich im Wesentlichen die gleichen Fragestellungen.

Deshalb versucht die EuroReg, die im vergangenen Jahr erstmals von dem Europabeauftragten der Medienanstalten, Wolfgang Thaenert, Direktor der Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien, LPR-Hessen, in Berlin initiiert wurde, Medienwirtschaft und Regulierer in einem Dialog zu vereinen. In diesem Jahr fand das zweite Arbeitstreffen in Frankfurt statt, wo sich rund sechzig Experten im Gästehaus Frauenlobstraße der Johann Wolfgang Goethe Universität einfanden. Mit dabei waren neben Vertretern deutscher Medienanstalten auch wieder die französische CSA, die englische Ofcom, CfdM aus den Niederlanden und die RTR aus Österreich. Neu hinzugekommen war die polnische KRRiT und die Europäische Kommission. Der europäische Kommerz TV Verband ACT, RTL Group, Eutelsat, Liberty Global, die amerikanischen AMC Networks des globale Dienstleistungs- und Technikkonglomerat Rovi argumentierten im Interesse der Industrie.

Bei seiner Begrüßung betonte Thaenert das grundsätzliche Problem aus seiner Sicht: „Der Regulierer läuft der Wirtschaft und der Technik hinterher.“ Für ihn ergab sich daraus eine einfache Forderung: „Wir haben vier unterschiedliche Dienste, non-lineare Abrufdienste, Fernsehen, Internet und Videotext. Das sind keine neuen Technologien, aber wir brauchen hier einen White Paper Ansatz, ein Regulierungssystem, das einfach ist und verständlich für den Nutzer.“ Kurz gesagt also ein System, das alle bislang separaten Gattungen erfasst, und das Nutzern und vor allen Dingen Unternehmen Sicherheit gibt und für sie einfach nachvollziehbar ist.

Denn die Entwicklung wird rasant weitergehen, daran ließ Lluís Borrell, Chefconsultant des weltweiten auf Medien und Telekommunikation spezialisierten Beratungsunternehmens Analysys Mason, keinen Zweifel. So besteht die Möglichkeit dass bereits im kommenden Jahr die Menge an Bewegtbild im Internet das Fernsehen überholt. Er hält es für durchaus wahrscheinlich, dass die Entwicklung der Breitbandanschlüsse in Europa in einem ausreichenden Maße wächst um dem Massenmarkt, inklusive Connected TV und HDTV gewachsen zu sein. Und führt auf der einen Seite zu mehr Chancen auf dem Markt, auf der anderen Seite aber auch zu einem weiteren Anstieg der Zahl der TV Sender und damit des Wettbewerbs.

Der Markt entwickelt sich rasant, wie auch Jürgen Sewcyzk, Unternehmensberater und im Vorstand der Deutschen TV Plattform, in Bezug auf HbbTV feststellte: „So schnell hat sich in der Vergangenheit noch keine Technologie durchgesetzt. Herr Thaenert, sie erinnern sich wie ich an den Pilotversuch Teletext, der uns über zehn Jahre begleitet hat.“ Und auch auf der Plattformseite beschleunigt sich der Wettbewerb. Neben Kabel, und UMTS – oder zukünftig LTE im Mobilfunk, wird auch der Satellit immer interaktiver.

Mit der Akzeptanz des jüngst gestarteten KASat, der auch Internetverbindungen zu Endkunden ermöglicht, sei man sehr zufrieden. „Wir liegen über Plan“, sagt Martina Rutenbeck, Geschäftsführerin von Eutelsat in Deutschland und bestätigt, das bereits der zweite und dritte KASat in der Konzipierungsphase sei: „Das IP-Protokoll ist bereits heute der dominante Weg und Sie haben recht, Interaktivität wird auch für uns immer wichtiger. Hybride Satelliten, die sowohl klassisch abstrahlen und Interaktivität ermöglichen, werden an Bedeutung gewinnen“, so ihre Prognose. Mehr Wettbewerb im klassischen Bereich aber auch mit neuen Diensten und auf neuen Plattformen mit unterschiedlichen Regulierungsrahmen, für den Vizepräsidenten des VPRT Tobias Schmid, im Hauptamt bei RTL angestellt, ist das eine schwere Hypothek. Von daher forderte er in einem kurzen Zwischenruf „Fair Regulation“, also eine Regulierung, die das klassische TV nicht anders behandelt als die neuen Angebote im Internet, ein Schlagwort, dass in der Folge die ganze Diskussion begleitete.

Darüber diskutierten dann auch Marcel Boulogne, der in der EU die Umsetzung der Medienrichtlinien verantwortet, der international renommierte Medienrechtler Christoph Wagner von HoganLovell Berlin, Ross Biggam, Generaldirektor des ACT in Brüssel, und Stepan Luiten, Director Public Policy von Liberty Global Europe, mit Lluís Borrell. Eine schnelle Reaktion von Regulierungsseite schließt sich eigentlich aus, da die Abstimmung in Europa ihre Zeit braucht. Acht Jahre dauert dieser Prozess einer Richtlinienreform in der Regel, wie Boulogne beiläufig bemerkte. Im Publikum sorgte die Bemerkung für Unruhe. Die Regel sei dieser Zeitrahmen nicht, tuschelte es hinter verhaltener Hand. Da es immer wieder zu Verzögerungen im Europäischen Parlament und in den Mitgliedsländern kommen könnte, seien es wohl eher zehn Jahre.

Boulogne betonte allerdings auch die Bedeutung, die der Rundfunk für die Kommission habe: „Das liegt über allem“, sagte er. Biggam hatte schon auf der ersten EuroReg in Berlin vor einem Jahr deutlich auf die Schwerfälligkeit des Brüsseler Apparates hingewiesen und drängte auch heute wieder auf klare Verhältnisse für die europäischen Veranstalter. Wagner betonte vor allem die Bedeutung der Regulierung eines diskriminierungsfreien Zugangs auf alle Plattformen und den Schutz des Urheberrechts. Insgesamt plädierte er aber für eine Ausdünnung des üppigen Regulierungsgestrüpps gerade für Rundfunkanbieter in Deutschland und Europa. Allerdings müsse man genau hinschauen wo das möglich sei. Beim Kinder-Jungendschutz müssten die Standards jedenfalls erhalten bleiben.

Luiten hingegen konnte mit einem eindrucksvollen Beispiel aufwarten, mit welcher Geschwindigkeit sich Märkte und Unternehmen heute bewegen. Der Kabelnetzbetreiber wird in Kürze „Horizon“ starten. Die Settopbox wurde erstmals auf der letzten IBC in Amsterdam vorgestellt, und wird den Liberty Abonnenten einen einfachen Einstieg in die Welt des Smart TV ermöglichen. „Wir bieten den Verbrauchern neben klassischen linearen Inhalten auch Video on Demand und CatchUp Dienste – von daher kommt es jetzt vor allem auf die Begleitforschung an“, so Luiten.

Beruhigendere Töne kamen von Marco Frazier, bei AMC Networks für die internationale Verbreitung der TV Sender der Gruppe, wie etwa dem Sundance Channel, verantwortlich. Mit Blick auf die Cable Operators in den USA, bei denen in den vergangenen Jahren Umsätze und Gewinnmargen sich sehr stark entwickelt hätten, sagte er: „Es gibt zur Zeit keinen Indikator, dass die TV-Anbieter in den USA ihre Geschäftsmodelle schnell grundlegend ändern müssten.“ Trotzdem betonte Oliver Hergesell, bei der RTL Group unter anderem für Public Policy verantwortlich, dass seine Gruppe längst auf allen Plattformen vertreten sei: „Wir sind dort zu finden, wo uns unsere Zuschauer suchen, aber nur, wenn unsere Rechte gewahrt bleiben.

Auch Frazier stieß in dieses Horn, als er sagte, dass man auch mit Youtube oder Facebook zusammenarbeiten müsse. Viel Material für die europäischen Regulierer, die viel Sinn für Harmonie zeigten, punktuell schien aber auch Dissens durch, worin sich zeigte, wie komplex die Diskussion doch im Detail ist. Olivier Japiot, Direktor der CSA in Paris stellte klar fest: „Wir müssen die Regulierung neu erfinden.“ Wie das Modell aussehen soll, konnte er im Detail freilich nicht sagen. Co-Regulierung müsse eine größere Rolle spielen, so eine erste, vorsichtige Anregung, die in der Folge auch von Marcel Betzel von dem niederländischen CvdM gefordert wurde.

Jürgen Brautmeier, Direktor der LfM, warnte davor, etwas zu überstürzen. Bislang würde erst ein Bruchteil der internetfähigen TV-Geräte auch entsprechend eingesetzt, und der Anteil würde sich voraussichtlich so schnell nicht ändern. Man müsse sich die Zeit nehmen, die Märkte gründlich zu analysieren. „Viel wichtiger ist aber auf neue globale Anbieter Einfluss zu nehmen. Es kann nicht sein, dass Verbraucherschutzstandards die hier in Europa anerkannt sind, plötzlich hier nicht mehr gelten.“

Damit stieß er freilich auf deutliche Skepsis bei Monica Arino: „Ich glaube nicht, dass es ein gangbarer Ansatz ist hier eingreifen zu wollen!“ Allerdings sieht auch sie die Notwendigkeit umfassender Forschung. „Für Kids ist das Smartphone heute das dominante Gerät. Wir müssen von daher genau erforschen was für die Menschen relevant ist, bevor wir wieder alles mit Regeln zupflastern.“ Im Gegenteil plädiert sie dafür die Märkte weitgehend zu deregulieren und nur das absolut notwendige als Grundstandard festzulegen.

Thaenert betonte in seiner Zusammenfassung, dass man bei Connected TV, vor allem wenn es um die Verschmelzung von TV und Internet auf dem TV Gerät im Wohnzimmer geht, noch ganz am Anfang stehe: „Wir sind noch in Phase eins. Denn das, was bislang auf den Fernsehgeräten dargestellt werden kann, ist doch nur ein ganz kleiner Ausschnitt des Internets, der von den TV-Veranstaltern ausgewählt wird.“ Hier müsse man ansetzen, meint der im kommenden Jahr das Europaressort der DLM abgebende Direktor der LPR-Hessen. Auch Brautmeier, der das Ressort im kommenden Jahr übernehmen wird, betonte den frühen Zustand der Entwicklung: „Wir müssen die Diskussion fortsetzen. Es wird noch vieler Runden wie dieser bedürfen, bevor wir den Weg klarer erkennen.“ Wie sagte Jörg-Uwe Hahn, hessischer Minister für Justiz, Europa und Integration, bei seinem kurzen Besuch auf der EuroReg auf die Frage, ob durch die Kompetenzaufteilung zwischen Europa, Bund und den Ländern nicht Schlagkraft verloren gehe: „Wer hat gesagt, dass Demokratie einfach ist?“ Wenn Demokratie tatsächlich diese Prozesse voraussetzt, dann müssen wir wohl oder übel damit umgehen. Die Entwicklung in der Technik und auf den globalen Märkten schafft inzwischen die neuen Tatsachen. Wo, bitte, bleibt Europa?
Dieter Brockmeyer
(MB 12/11_01/2012)

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