Fragmentierung als Prinzip

An Medienkongressen ist Deutschland wahrlich nicht arm. Und doch behauptet der Medientreffpunkt Mitteldeutschland (MTM) in Leipzig seine Position. Sein Programmangebot ist dabei weit gefächert. In diesem Jahr richtete er einen besonderen Fokus auf die wirtschaftliche Situation von Lokal-TV-Anbietern in Europa. Veranstaltet wird der MTM von den Landesmedienanstalten der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gemeinsam mit Unternehmen der Medienbranche, dem Mitteldeutschen Rundfunk und der Stadt Leipzig.

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Fragmentierung als Prinzip

Seit 15 Jahren gibt es ihn bereits, den Medientreffpunkt Mitteldeutschland (MTM) in Leipzig, und der Ablauf ist fast schon so etwas wie institutionalisiert. Vor allen Dingen die Partys sind fast unverändert zur Tradition geworden: die „Party der privaten Medien“, wie das Event am ersten Abend im Bayerischen Bahnhof etwas angestaubt heißt, und der „MDR Medientreff“, mit öffentlich-rechtlichem Selbstbewusstsein alljährlich in der Moritzbastei zelebriert wird. Die alte Handelsstadt Leipzig ist reich an hervorragenden Lokationen für Veranstaltungen. Sowohl der alte Bahnhof wie auch die Überreste der Stadtbefestigung, der noch bis 1993 von der Universität Leipzig bewirtschaftet wurde und den größten Studentenclub Europas beherbergte und inzwischen zum Kulturzentrum mutiert wurde, gehören sicherlich dazu und tragen viel zum Reiz bei, den der MTM ausübt. Die drei Kongresstage selbst verdienen wirklich die Benennung „familiär“, spätestens seit man vor drei Jahren aus der Messe weg zog um in der MediaCity Leipzig seine Heimat zu finden, jenem neu gebauten Studiokomplex direkt neben dem MDR, der auch dessen größter Mieter ist. Seit dem dienen die fünf Studios und die Werkstätten als Veranstaltungsorte für die einzelnen Themen, während der Foyerbereich als charmant überschaubare Networking Lounge Verwendung findet. Dieser Funktion wird durchaus auch bei der Gestaltung des Programms Rechnung getragen. Jeder Veranstalter hat sich an die ausgeprägten Kaffee- und Lunchpausenzeiten zu halten, damit die Chance zum Austausch nicht zu kurz kommt. All das mag dazu führen, dass auch die Medienprominenz durchaus den MTM zum Stelldichein nutzt, wie etwa ZDF-Intendant Thomas Bellut in diesem Jahr, der unter anderem mit Tobias Schmid, VPRT und RTL, und den Intendanten Lutz Marmor und Karola Wille von ARD/NDR und MDR, über die Zukunftsstrategien der Sender und der Politik der Länder debattierte. Natürlich saßen auch die mit dem Thema befassten Staatsminister Sachsens und Thüringens mit auf diesem Podium! Und hier sind wir aber auch schon an den Grenzen des Machbaren. Man definiert sich als regionale Medienkonferenz, von daher ist bei aller Größe des Ansatzes immer auch der lokale Bezug gegeben. Zudem, wahrscheinlich der Rolle des MDR geschuldet, fährt der öffentlich-rechtliche Rundfunk alles auf was er hat, während die kommerzielle Konkurrenz das offenbar viel entspannter sieht. Von der ProSiebenSat.1 Gruppe saß entsprechend „nur“ der Unternehmenssprecher Julian Geist auf dem Podium. Thematisch überzeugte das MTM durch seine große Breite im Angebot aktueller Themen, nicht anders als es auch die Tagungskonkurrenten etwa in Köln, Berlin oder München tun, wie gesagt, meistens mit einem regionalen Bezug. Allerdings wäre es auch eine deutlich überzogene Erwartung, wirklich etwas Neues zu erwarten. In dieser Konkurrenzsituation tanzt man gezwungener Maßen um die gleichen Feuer. Ausnahmen gibt es, ganz generell aber regiert hier bei der Verteilung der Zufall!

Natürlich wurde auch das Thema Connected TV als Schwerpunkt aufgegriffen. „Wer ist der Herr über den Bildschirm“, war die zentrale Fragestellung. Interessant war, wie auch hier das Regionale zum Thema wurde. Klar, in vielen Märkten hat sich gezeigt, dass Apps mit regionalen Inhalten besonders nachgefragt werden. Arthur Vildomec aus der Thüringer Staatskanzlei führte aus, dass nun auch kleine lokale Anbieter den Weg auf den First Screen fänden. Dies könnte allerdings zulasten der Großen gehen: „Wo mehr Zeit in die Nische fließt, fehlt sie den etablierten Anbietern, die bisher die Medienzeit unter sich aufgeteilt haben.“ Die RTL-Medienpolitikerin Petra Gerlach hingegen sah die großen Sender nicht in Gefahr und begrüßte, dass durch die Fragmentierung des Angebots nun auch seltene Zuschauerbedürfnisse befriedigt würden. Weitere Themen in diesem Schwerpunkt waren, wie es sich für Deutschland gehört, der Datenschutz und „das Recht des Zuschauers auch zukünftig anonym fernzusehen“, wie es der EU-Parlamentarier Tino Kunert formulierte. Kurz, man blieb als TV-Industrie wieder einmal unter sich. Dass auf dem Bildschirm zukünftig ganz andere Anbieter mit um die Gunst des Zuschauers buhlen und damit der Zuschauermarkt in bislang unbekanntem Umfang fragmentiert werden könnte, das blieb einmal mehr ausgeblendet.

Schwach besuchte SLM-Sonderveranstaltung

Allerdings gab es nicht wenige, die das breite Themenangebot, das neben TV und Höfunk, auch Medienproduktion, Print bis Online und Social Media abdeckte und auch Breitband, TV-Kabel, 3D und Finanzjournalismus oder Mittel- und Osteuropa – und auch das sind wieder nur Beispiele für die beispiellose Vielfalt – auch als zu fragmentiert kritisierten. Dabei haben viele dieser Kongresse eine lange Tradition, werden von Beginn an von den gleichen Interessengruppen verantwortet und haben ihren festen Zuschauerstamm, die nur zu diesem Kongressteil nach Leipzig kommen. Andere Programmpunkte hätten es schwer sich in dieser Konstellation durchzusetzen, so eine immer wieder gehörte Kritik.

Das mag einer der Gründe gewesen sein, dass das Zuschauerinteresse an der eintägigen Sonderveranstaltung der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (SLM), die erstmalig die Wettbewerbsszenarios des regionalen und lokalen Fernsehens in Europa beleuchtete, überraschend schwach ausfiel. Das war umso bedauerlicher, als die Besucher der Konferenz durch die Bank den hohen Informationswert und den inhaltlichen Ansatz lobten. Ziel war es die Lösungsansätze die Lokal-TV-Anbieter in anderen europäischen Ländern auf ganz ähnliche Probleme wie hierzulande zu präsentieren und zu diskutieren. Im Fokus standen dabei England, wo Lokal-TV gerade erst als so ziemlich letzten Markt in Europa eingeführt wird, Österreich, Polen und Tschechien. Die Einleitung in die einzelnen Themenfelder wurde von dem Spanier Lluís Borrell von dem weltweit tätigen Telekommunikations- und Medienberatungsunternehmen Analysys Mason präsentiert. Er legte einen starken Fokus auf die öffentlich-rechtlichen Regionalanbieter, die es freilich mit ihrer Finanzausstattung den kommerziellen Lokal-TV-Anbietern das (Über)leben schwer machen. Er regte daher an, analog zu dem britischen Modell, bei dem ein bestimmter Betrag von den Gebühren der BBC abgeschnitten wird um damit lokale TV-Angebote zu subventionieren, in Deutschland ähnlich zu verfahren. Der Vorstoß wurde von Judith Noll, Frontfrau des Erfurter Salve TV und im Bundesverband Lokalfernsehen aktiv, gerne aufgegriffen. Allerdings dürfte ihr Sender das nach der eigenen Darstellung am wenigsten nötig haben. Durch konsequenten Einsatz modernster ferngesteuerter Aufnahme- und Sendertechnik konnte der Personalstamm und Kosten auf ein Minimum reduziert werden. „Es macht keinen Sinn großes Fernsehen zu kopieren. Wir müssen uns auf unsere eigenen lokalen Stärken konzentrieren“, so ihr Credo. Damit stieß sie bei Carsten Hartmann vom immer noch defizitär agierenden rheinmain.tv offene Türen auf. Er will die Aktivitäten seines Senders in Zukunft eng mit den Mitgliedern des Bundesverbands abstimmen.

Dabei geht es nicht nur um die technische Neuausrichtung, sondern auch um Programmkooperationen. „Wir denken intensiv über Konzepte nach, etwa über ein Tourismusmagazin, das im Wechsel von jeweils einem anderen Sender gemacht wird. Wir kommen so günstig zu sehr attraktivem Programm“, sagt er. Versuche, auch in letzter Zeit etwa über andere Strukturen eine bundesweite Werbezeitenvermarkung auf die Beine zu stellen, seien alle gescheitert. Damit ist das Modell aber nicht tot. In Spanien etwa, aber auch in England, wo die neuen kommerziellen Lokalanbieter ein Network anstreben, und Österreich wird aktuell an diesem Modell aktiv gearbeitet. Das sei nicht einfach, betont Malcin Kotlowski von W24, dem Wiener Lokal- TV-Sender, der anders als andere Sender im Besitz der Stadt ist und zudem selbst einen Anteil von fünf Prozent am Wiener Kabelnetz hält. „Das kann nur für den Satelliten gelten. Der ist für einen Anbieter alleine zu teuer. Wenn es also gelingt hier Programmteile zusammenzulegen, dann bekommen wir eine landesweite Abdeckung hin, die entsprechend vermarktet werden kann.“ Jacek Stefaniak, der im polnischen Rybnik den Sender Televizja TVT betreibt, kritisiert vor allem die Konkurrenz durch die öffentlich-rechtliche Regionalkette von TVP: „Dort spricht man immer mehr das breite Publikum an und setzt uns damit immer stärker unter Druck!“ Diesem Eindruck will Maria Bazcak, Direktorin von TVP3 in Szczecin gar nicht widersprechen: „Unser Ziel ist die Erhöhung unserer Zuschauerzahlen“, bestätigt sie ohne Scheu.

Auch wenn bislang Themen wie IP Streaming oder Second Screen bei der aktuellen Problemlage der meisten kommerziellen Lokal-TV-Anbietern nicht unbedingt im Vordergrund steht, so ist man sich doch deren Bedeutung bewusst. Richard Kastelein, kanadischer Second Screen Guru, der in den Niederlanden wohnt, macht den TV-Anbietern jedenfalls Mut, sich aktiv damit auseinanderzusetzen: „Es ist einfacher als Ihr denkt und es bringt so viel – an Mehrwert und Zustimmung!“
Dieter Brockmeyer
(MB 06/13)

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