Ziemlich großes Minenfeld

Das neue Grünbuch zur Medienkonvergenz der Europäischen Kommission soll wichtige Impulse zur weiteren Entwicklung der Medienindustrie in Europa geben. Jedoch gehen die Meinungen zur Relevanz des EU-Diskussionspapiers, das Anfang Mai veröffentlicht werden soll, weit auseinander.

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Ziemlich großes Minenfeld

Der Aufwand ist wieder einmal enorm, aber die Erwartungen sind durchwachsen. Die Rede ist vom dem so genannten Grünbuch (manchmal auch Greenpaper genannt) zum Thema „Connected TV“, das die Europäische Kommission gerade in Arbeit hat.

Ein Grünbuch der Europäischen Kommission ist ein Papier, in dem Vorlagen für Verordnungen und Richtlinien zu bestimmten Themen enthalten sind, die nach öffentlicher, politischer und wissenschaftlicher Diskussion zu offiziellen Vorschlägen in einem Whitepaper zusammengefasst werden.

Wird der ursprüngliche Fahrplan eingehalten, wird der Text des EU-Grünbuchs „Connected TV“ unter Federführung von Neelie Kroes, der EU Kommissarin für die Digitale Gesellschaft, Anfang Mai veröffentlicht, mit einer anschließenden dreimonatigen Konsultationsphase, in der die europäischen Mitgliedsstaaten ihre Anmerkungen einreichen können. Immer wieder gab es zur Vorbereitung treffen mit Industrievertretern und Regulierern aus ganz Europa in Brüssel. Höhepunkt der Materialsammlung war aber ein Symposium im vergangenen Herbst auf Zypern, wo im großen Stil Meinungen und Erwartungen geteilt wurden. Inzwischen kursiert eine Entwurffassung, die durch die Reihen der Branchenexperten und Lobbyisten gereicht wird. „Welche Auswirkungen das Projekt auf die Industrie hat, hängt ganz davon ab, was am Ende im veröffentlichten Text steht“, sagt ein mehr oder weniger stark an der Entstehung beteiligter, recht nüchtern und ohne allzu große Erwartungen, hat man den Eindruck. Die Frage sei einfach, wie mutig und visionär die Kommission sei und welche Themen am Ende und auf welche Weise aufgenommen würden. Klar, da liegt der Blick auf den Ex-EU-Kommissar Martin Bangemann nahe. Das unter seiner Verantwortung entstandene Greenpaper, das sich Ende der 1990er Jahre erstmals mit der „Informationsgesellschaft“ und damit auch mit dem Komplex der Medienkonvergenz befasste, konnte regelrecht Impulswellen durch ganz Europa und ganze Industrien schicken. Inzwischen ist das Thema tief in das Bewusstsein der Gesellschaft vorgedrungen und entsprechend schwieriger ist es eine „Vision“ zu definieren bzw. mutig zu vertreten. „Von daher sind meine Erwartungen an den Bericht eher verhalten“, so die Einschätzung eines Kommission nahen Beteiligten.

Doch ist der Einfluss der Publikation auch im Falle weniger mutiger Thesen alles andere als frei von Einfluss. Solange das Grünbuch nicht ausdiskutiert ist, wird es keinen Fortschritt bei der Neugestaltung der relevanten Richtlinien geben, allen voran der AVMS, der Audio Visual Media Service Directive, jener Regelung also die den Rahmen der Nationalstaaten bilden innerhalb dessen sie die Audiovisuelle Industrie – allen voran das Fernsehen, an die Leine nehmen dürfen. Aber auch der Fortgang der Telekommunikationsrichtlinie wird von dem Grünbuch beeinflusst. Von daher war die Gerüchtelage wenig vielversprechend, die zwischenzeitlich in Brüssel die Runde machte, die Kommission habe die Arbeit an dem Werk eingestellt. Denn auch ohne Verzögerungen dauert es im Schnitt sieben Jahre, bis die Neufassung einer Richtlinie durch die Instanzen gewandert ist und in Kraft treten kann. Und bei einem sind sich alle Beteiligten quer durch alle Bereiche einig: Die Zeit brennt. Der Medienbereich, zumal der TV Bereich, ist europaweit überreguliert. Alte Besitzstände brechen zunehmend auf. So genannte New Entrants nutzen die Möglichkeiten globaler Kommunikation durch das Internet, weitgehend unbehelligt von Regulierungsversuchen, um neue, TV nahe, Geschäftsfelder zu besetzen, die immer mehr an Bedeutung gewinnen. Zunehmend steigt dabei die Gefahr, dass die traditionellen europäischen TV-Anbieter langfristig in Abhängigkeit der neuen Platzhirsche geraten, allen voran Apple, Amazon und Google. In Spanien hat der Disney Konzern Anfang des Jahres einen Deal mit einer bislang kleinen Video-on-Demand-Plattform verkündet, auf der zukünftig eine Disney VoD-Themenwelt exklusiv in Spanien zu finden ist. Wukaki.tv heißt diese bislang kaum bekannte Plattform, die aber erst kurz davor von dem japanischen Rakute, dem weltweit drittgrößten Onlinehänder, gekauft worden ist. International bekannter ist LoveFilms, das zu Amazon gehört. Doch auch VoD-Angebote wie Netflix und Hulu sehen ihre Zukunft längst nicht mehr allein im heimischen amerikanischen Markt. Netflix ist bereits in Schweden und England gestartet und weitere europäische Märkte scheinen längst im Fokus zu sein. Dabei haben wir noch nicht von den Plänen von Google/YouTube oder Apple gesprochen.

Für Heiko Zysk, Vice President Governmental Relations und in dieser Position bei der ProSiebenSat.1 Media AG auch für den Kontakt mit den europäischen Behörden zuständig, sind daher die Anforderung an das Grünbuch klar definiert. Den großen visionären Wurf fordert er, der die Player in Europa mit ihren amerikanischen Konkurrenten im Wettbewerb gleichstellt: „Das Grünbuch müsste der erste Schritt sein, um die Ungleichbehandlung von klassischen linearen Diensten wie dem Fernsehen und non-linearen Angeboten, die auf dem selben Screen abgebildet werden, aufzubrechen. Dies umso dringlicher, als ja die darüber hinausgehende Ungleichbehandlung von Anbietern aus der EU und von außerhalb der EU bereits heute den Wettbewerb verzerrt.“

Allerdings ist Zysk Realist genug diese Forderung mit dem wahrscheinlich machbaren abzugleichen: „Da jedoch Regulierung und Regulierungsinstanzen einen gewaltigen Selbsterhaltungstrieb haben, wird man wohl mit großem Getöse etwas an der jetzigen Regulierung herumdoktern als sich den notwendigen großen Schritt zu trauen und die Gleichbehandlung mit Anbietern aus etwa den USA herzustellen.“ Vor allen Dingen sind es auch nationale Interessen im alltäglichen, die einen solchen großen Wurf verhindern könnten: „Englische Rundfunkanbieter haben das Thema des Zugangs zu Plattformen, also die sogenannten ‚must carry’ und ‚must offer‘ ganz oben auf die Agenda gesetzt. Die Debatte ist weit oben in der EU angesiedelt, wobei England, Frankreich und Deutschland, also jene Länder, die voraussichtlich die Debatte dominieren werden, jeweils ganz andere Schwerpunkte setzen“, urteilt Lluís Borrell, Chefberater des internationalen, auf Medien und Telekommunikation spezialisierten Beratungsunternehmens Analysys Mason und ergänzt: „Das Ungleichgewicht bei den Werberegelungen scheint mir ein Schwerpunkt in Deutschland zu sein. Von daher wird sicher die Angleichung und eine Vereinfachung der Regeln ein wichtiges Thema. Die Anpassung der Subventionsmodelle ist ein Thema, das wohl eher von Frankreich angeführt werden wird.“ Es wäre aber nicht Europa, wenn die Interessenlage so einfach wäre. „Eigentlich fühlen sich die TV-Gruppen mit der derzeitigen Regulierungssituation richtig wohl“, spitzt es ein deutscher auf Medien spezialisierter Unternehmensberater zu. Der bestehende Regulierungsrahmen schütze die bisherigen TV-Anbieter, die die Situation so lange wie möglich erhalten wollten um ihre traditionellen Geschäftsmodelle zu schützen, ist er überzeugt. Die Situation gleicht einem ziemlich großen Minenfeld. Jeder Schritt kann also falsch sein. Umso spannender die Frage, wie das Grünbuch damit umgehen wird. Die ungeklärten Themenfelder jedenfalls sind vielseitig, angefangen bei Urheberrecht und Datenschutz bis hin zur zentralen Frage an welchen Stellen und in welchem Maße dereguliert werden kann. Dass an einer Verringerung der Regulierungsdichte gearbeitet werden muss, darüber herrscht sogar ein breiter Konsens, selbst bei den Regulierern, in Brüssel, aber auch in den Mitgliedsländern. Nur bei dem wie und wo gehen die Meinungen bislang noch, teilweise sehr weit, auseinander. Dabei ist nur eines sicher: Sind die Empfehlungen erst einmal veröffentlicht geht das Gezerre erst richtig los. Was wird in welcher Form Teil der überarbeiteten Richtlinien? Wir stehen also ganz am Anfang eines langen Weges. Wie gesagt, sieben Jahre dauert die Einigung auf eine überarbeitete Richtlinie, aber auch nur, wenn alles gut geht. Bei der aktuellen Dynamik der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung erscheint das vielen als viel zu lang. „Von daher ist es vielleicht gar nicht der schlechteste Ansatz, wie bisher, immer nur gelegentlich, an der einen oder anderen Stelle, einen kleinen Teil des Regelkatalogs zu ändern“, resümierte Ross Biggam, der Direktor des ACT, der Interessenvertretung der europäischen kommerziellen TV-Anbieter in Brüssel, schon vor über einem Jahr auf der EuroReg in Frankfurt. Das klingt weniger pessimistisch als bei Heiko Zysk, aber bei beiden hat es wohl eher etwas mit Pragmatismus zu tun.
Dieter Brockmeyer
(MB 05/13)

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