Film wird Luxus-Technik

In der von digitalen Produktionstechnologien und Effizienzbestrebungen beherrschten Medienwelt scheinen Filmkamera und -material überflüssig, weil uneffizient zu sein. Vom Einsatz der Digital-Kameras versprechen sich viele eine automatische Kosteneinsparung. Gleichzeitig wird dem Film immer noch gerne eine höhere Wertigkeit in Bezug auf seine Bildästhetik attestiert. So einfach ist es aber nicht, wie die Ergebnisse einer kleinen Umfrage von MEDIEN BULLETIN unter Kameraverleihern und Kameramännern zeigen. Wir haben um eine Trendanalyse in der Übergangsphase von Film auf digital gebeten, die wir hier als Statements dokumentieren. Film wird wohl nicht sterben, aber vielleicht zu einer Luxus-Technik avancieren, die nur wenige bezahlen können.

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Film wird Luxus-Technik

Volker Tittel, BVK, seit 1982 Director Of Photography in den Bereichen Kino, TV und Dokumentarfilm über das zufällige Glück, für TeamWorx eine Produktion mit der Filmkamera drehen zu können.

Ein Beispiel aus der Praxis: Ich bin gerade in der Vorbereitung für ein TV-Movie für das ZDF, Regie: Katinka Feistl, produziert von Ariane Krampe/TeamWorx (HL: Holger Krenz, PL: Frank Lübke) mit dem Arbeitstitel: „Schleuderprogramm“, in der Hauptrolle Annette Frier als entthronte Operndiva.
Bei nur dreiundzwanzig Drehtagen für eine aufwendige TV-Komödie möchte ich gerne viele Szenen mit zwei Kameras gleichzeitig drehen. Dabei ist es ein absolutes Muss, dass die Aufnahmegeräte schnell und zuverlässig funktionieren. Für Szenen, die viel Komparserie erfordern würden, wie ein ausverkauftes Opernhaus, aber auch zahlreiche Szenen in einem Gefängnis ist in der Postproduktion digitale Bildbearbeitung geplant, die sogenannte „crowd replication“.

Der Spielfilm sollte ursprünglich mit der ALEXA oder mit der RED gedreht werden. Letztendlich hat die Produktion sich jetzt aus Kostengründen für die ARRI 416 entschieden, also für eine 16mm Kamera. Das hängt mit den hohen Leihpreisen für die digitalen Kameras und den noch hohen Kosten in der Postproduktion zusammen. Außerdem können wir nun erfreulicherweise den ganzen Film über mit zwei Kameras arbeiten, was finanziell mit der ALEXA für dieses Projekt nicht machbar gewesen wäre. Die RED, in der Leihmiete etwas günstiger als die ALEXA, kommt für mich für diesen Film nicht in Frage, da ich keinerlei Leerlaufzeiten riskieren möchte für umständliche Montagen der Peripheriegeräte an den Kamera-Body. Ich möchte bei dem enormen Zeitdruck Technik am Set haben, die schnell und unkompliziert einsatzbereit ist, vom ersten Tag an. Trotzdem hat mich die Entscheidung von TeamWorx überrascht.

Aber wir freuen uns alle, noch einmal auf Film drehen zu können, zumal klar ist, dass die Ära der Filmkameras zu Ende geht. Durch den großen und empfindlichen Sensor sind sich analoge und digitale Bilder in ihrer ästhetischen Wirkung sehr ähnlich geworden. Selbst wer sein über viele Jahre bekämpftes (!) Filmkorn vermisst, kann es in der Postproduktion wieder hinzufügen. Die Reise geht meiner Meinung nach absolut in Richtung Digital-Kamera, so sehr es mir für meine eigene AATON-Ausrüstung Leid tut, die mich drei Jahrzehnte auf zahlreichen Drehs weltweit zuverlässig begleitet hat.

Für die Projekte, bei denen Computermanipulationen und -animationen eine große Rolle spielen, ist es selbstverständlich angebracht, von Anfang an mit hoch aufgelösten digitalen Bildern in der Qualität von 3K, 4K oder sogar 5K zu arbeiten. Bei einem herkömmlichen Fernsehfilm jedoch ist es in ästhetischer Hinsicht nebensächlich, ob er mit einer Film- oder Digitalkamera gedreht wird. Zur Zeit befinden wir uns noch in einer Übergangsphase, von der analogen zur digitalen Filmaufnahme.

Aus meiner Sicht besteht ein weiterer Vorteil der Digitalkameras darin, dass man problemlos eine Reihe kleiner, kompakter Zusatzkameras einsetzen kann.
Die Sony F3 oder die Sony FS100 kann man beispielsweise als Zweitkameras immer noch mit “an Bord haben”, weil die Leihmieten nicht sonderlich hoch sind. Hochwertige Festbrennweiten sind kompatibel, so dass man wunderbar kombinieren kann.

Das Drehen mit der Canon EOS 5D Mark 2 hingegen hat meiner Meinung nach seinen Zenit überschritten. Zu ärgerlich sind die zahlreichen Einschränkungen und Bildfehler bei einem Fotoapparat, der durch einen kleinen Trick „nebenbei“ noch filmen kann. Es ersetzt einfach nicht das Video-Processing einer echten Video-Kamera. Aber wer weiß, ob die DSLR-Hersteller nicht noch mal nachlegen werden…. Es bleibt spannend.


Martin Ludwig, Geschäftsführer Ludwig Kameraverleih, über das Kosten-Dilemma, das sich beim Übergang von Film zu Digital einstellt und den Demokratisierungsprozess dank Digital-Kameras:

Arri ALEXA, RED One, RED EPIC, Sony F3 sind die klassischen Kameras, die derzeit stark gefragt sind. Vor- und Nachteile einzelner Kameratypen werden eher subjektiv wahrgenommen. Zwar würde ich wegen der Qualität des Formats (Raw Data) RED One oder EPIC bevorzugen. Doch aus Gründen der Ästhetik und des Belichtungsspielraums hat derzeit die ALEXA bei der Nachfrage die Nase vorne.
Ganz klar liegt in der höheren Effizienz der entscheidende Vorteil der Digital-Kameras im Vergleich zu den Filmkameras. Sie kommt aber nur zum Tragen, wenn der Dreh richtig organisiert ist, so dass bei Drehschluss auch die Muster fertig sind. Das geht nicht billig. Deshalb ist die Erwartung, dass die Digital-Kamera der Produktion einen „Kostenvorteil auf jeden Fall“ bietet, leider eine völlige Fehleinschätzung, zumindest meistens. Zwar ist die Effizienz in der Postproduktion enorm – und auch die Einsparung in diesem Bereich durchaus erheblich. Doch aus meiner kaufmännischen Sicht müsste gerade deshalb der Scheck an das Rental Unternehmen höher ausfallen als bisher. Das heißt: Die Kosten, die sich in der Post sparen lassen, müssten eigentlich im Rental landen. Der Markt wird sich darauf einpendeln müssen, dass Digital Realität ist. Film ist größtenteils vorbei, und deshalb ist auch die Zeit vorbei, in der wir über die Kosten als Vorteil der digitalen Produktion sprachen.

Wahr ist, dass man mit Digitaltechnik enorm günstig produzieren kann. Das gilt aber weniger für Verfahren der klassischen Fernseh- oder Filmproduktion, sondern vielmehr für kleine Filme und No- beziehungsweise Low Budget-Produktionen. Die Digitaltechnik – ob im Bereich Kamera oder Schnitt und Finishing – hat einen Demokratisierungsprozess ermöglicht, von dem viele über Jahre nur träumen konnten. Man kann heute einen ambitionierten Film mit einer 3.000 EUR-Kamera und einem 3.000 EUR- Macbook drehen, schneiden, farbkorrigieren und komplett fertig machen.
Das Angebot an Kameras ist inzwischen riesengroß. Diese Entwicklung wird sicher weiter gehen und sogar an Geschwindigkeit zunehmen, vor allem im unteren und mittleren Segment des Kameraangebots. Verfolgt man technische Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre, zum Beispiel die Entwicklung der Geschwindigkeit von Datenübertragung von USB 1.0 bis zu Thunderbolt, entdeckt man eine exponential ansteigende Kurve. Der Wettbewerbsdruck im Markt der Digitaltechnik ist gewaltig, der Markt ist groß.

Ich gehe davon aus, dass die Kamerahersteller, die sich zu Upgrade-Optionen entschieden haben, in Zukunft das Sagen haben werden. Denn es ist kaum leistbar, Kameras nach zwei Jahren zu entsorgen, nur weil die nächste Generation schon vor der Tür steht.

Hoher Preisdruck

Leider ist der Preisdruck auf die technischen Dienstleister so massiv geworden, dass inzwischen viele Rental-Unternehmen auch auf Druck der Produktionsfirmen, Digitaltechnik mit 16mm-Preisen kalkulieren. Das kann nicht lange gut gehen. Allein das Problem der Speichermedien und deren Kosten sind für uns nicht in 16mm-Preisen darstellbar. Und der Innovationsbedarf ist groß.
In Bezug auf Archivierung und Postproduktion ist festzustellen, dass zunehmend Standards entwickelt werden. Deshalb wird das Aufnahmeformat künftig nicht mehr entscheidend sein. Für die Weiterverarbeitung sind inzwischen Formate wie zum Beispiel Cinema dng im Kommen. Bei der Auswahl müssen auf technischer Seite einige Parameter genauestens geprüft werden: Der Codec bei der Aufnahme und damit die Weiterbearbeitung und Übergabe in den Schnitt, die Farbtiefe des Aufnahmeformats sowie die Datenrate des Formats.

Ein weiterer nicht uninteressanter Aspekt erscheint uns die Frage nach Rohdaten (Raw Data) oder eben schon komplett festgelegte Farbräume.
Die Fotografen waren der Kaufbildgemeinde schon beim Umstieg auf Digitale Technologien weit voraus – möglicherweise gilt das auch für die Entscheidung lieber Raw Data zu belichten, als vorher festgelegte Parameter.


Markus Schmidle, Geschäftführer FGV Schmidle GmbH, zu finanziellen und künstlerischen Vergleichsparametern von Film- und Digitalkameras:

Neben den bewährten Filmkameras haben sich vor allen Arris Alexa und die RED One im professionellen Kamera-Markt etabliert. Die ersten RED EPIC Kameras kommen gerade nach Europa und auf der IBC 2011 stellt Sony seine neue F65 vor. Daneben kommen Spezialkameras wie die High Speed Kameras X 35 von P+S Technik oder das T-Project von Weisscam auf den Markt. Sonys PMW-F3 oder Panasonic AG-AF101 sowie die DSLR Fotoapparate mit HD Videofunktion bilden das untere Segment im Bereich der Vollformatsensorkameras. Bei uns im Rental sind aktuell vor allem die Alexa und die neue Epic gefragt.

2009 wurde noch zu 70 Prozent auf Film, zu 30 Prozent digital gedreht. Das Verhältnis hat sich bei uns im täglichen Vermietgeschäft mittlerweile zu Gunsten der Digitaltechnik gewandelt. Noch sind Digitalkameras in der Anmietung teurer, weil ihre Lebenszyklen kürzer als die der Filmkameras sind. Während wir früher bei Filmkameras von zehn Jahren ausgehen konnten, sind Digitalkameras bereits nach zwei bis drei Jahren veraltet, zumindest aus derzeitiger Sicht.
Zu beobachten ist heute, dass sich der Einsatz der Digitalkameras umso eher lohnt desto hochwertiger der Bedarf bei einer Filmproduktion ist, wie etwa im Werbe- und Kinofilmbereich. In Deutschland hat sich das 16mm-Format zumindest im klassischen Fernsehfilmmarkt lange Zeit gehalten.

Nachdem es verschiedene Aussagen gegeben hatte, wonach 16mm-Negativmaterial ab einer bestimmten Filmempfindlichkeit nicht HDTV-fähig sei und der Look von amerikanischen Prime-Time-Produktionen gewünscht sei, kam es im letzten Jahr auch bei uns zu einer breiten Umstellung. Egal bei welchen Format – ob 16mm- oder 35mm-Film – ab einem bestimmten Drehverhältnis gibt es einen Break-Even-Point, ab dem es günstiger ist mit einer Digitalkamera zu drehen. Wann dieser jeweils erreicht wird ist schwer zu sagen und muss wohl jeder Produzent bei seinem Format selbst herausfinden. So haben wir teils feststellen müssen das es durchaus eine Rückbesinnung zum Film geben kann, wenn dass Drehverhältnis sehr gering ist, was zumeist bei eingespielten Serienformaten der Fall ist.

Was bei vielen digitalen Drehs vernachlässigt wird ist die Kontrolle des gedrehten Materials in nativer Auflösung vor Ort oder in der Postproduktion sowie die Archivierung beziehungsweise Datensicherung des Materials. Häufig wird das Risiko eines potentiellen Datenverlustes unterschätzt, oder man ist sich dessen gar nicht bewusst. Vom schlimmsten Fall geht man meist erst dann aus, wenn man ihn selbst schon mal erlebt hat. Der Verband VTFF hat unter Mitwirkung von Versicherern, Post-Produktionen und Geräteverleihern Sicherheitsempfehlungen zu diesen Thema erarbeitet, die bei digitalen Produktionen eingehalten werden sollten.

In Bezug auf die Bildästhetik gibt es rund um den analogen Film noch eine gewisse Mystik. Das hängt wohl vielfach damit zusammen, dass die analogen Bildeindrücke über Jahre in unseren Köpfen gespeichert wurden und diese mit den digitalen Bildern vergleichen werden. Meiner persönlichen Meinung nach sollte es einem Kameramann oder -frau noch viele Jahre möglich sein das Aufzeichnungsmedium analog oder digital in Abhängigkeit des Projekts frei zu wählen, ähnlich wie ein Maler, der mal Ölfarbe, mal Aquarell, oder Acrylfarbe nutzt. So entstehen Bilder mit verschiedenen Anmutungen und künstlerischen Stilen.

Eigene Ästhetik

Momentan wird noch häufig versucht, das digitale Bild an die analogen Seheindrücke anzugleichen. Es gibt aber bereits – was sich in Zukunft noch verstärken wird – auch spezielle digitale Bildgestaltungen mit einer Ästhetik, die wir so vom analogen Bild her noch nicht kennen wie zum Beispiel High Dynamik Range (Mehrfachbelichtungen mit extrem hohen Kontrastumfängen) oder wie er gezielte Einsatz von High-Speed-Aufnahmen in normalen Drehalltag.

Je höher das Produktionsbudget ist, um so mehr haben Regie- und Kamera-Leute Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheiten auch in Bezug auf die Kameraauswahl, wohingegen es bei seriellen Produktionen vorwiegend um Kostenfragen geht. In den kommenden Jahren wird sich die Digitaltechnik mit einem prozentuellen Anteil von über 90 Prozent gegenüber dem Film unaufhaltsam durchsetzen.
Allerdings sollte man den „Kreativen“ nicht ihre Freiheiten nehmen und ihnen Werkzeuge vorenthalten, die sie in den letzten 100 Jahren sehr erfolgreich genutzt haben. Deshalb denke ich, dass es auch von Zeit zu Zeit eine Rückbesinnung auf den Film geben wird. Film ist ja nicht zwingend eine schlechte Wahl, sondern hat am Set und in der Bildsprache seine Vorteile, eben nur andere als die der digitalen Kameras. Wir statten gerade einen russischen Kinofilm aus, der über drei Monate in der Antarktis zum Teil bei minus 40 Grad gedreht wird. In der Entscheidungsphase ob analog oder digital hat man sich bewusst für 35mm-Film entschieden, denn es gibt genug Projekte in denen Filmkameras ihre mechanischen Qualitäten bei diesen Temperaturen bewiesen haben. Während bei den meisten digitalen Equipment in den technischen Spezifikationen ein Temperaturbereich bis maximal -20° Celsius angeben wird. Genauso gibt es ästhetische oder kreative Hintergründe, die für die Auswahl der Kameras wichtig sind.

Wie lang Filmkameras und Filmmaterial noch verfügbar sind, wird letztlich nicht von uns Kameraverleihern gesteuert. Es ist vielmehr so, dass das, was im Produktionsprozess beim Film vor und hinter unseren Aktivitäten passiert, einfach wegzubrechen droht. So ist zumindest mittelfristig eine Verknappung der Kopierwerke und des Filmmaterialien zu befürchten. Wenn Personal und Kapazitäten der Kopierwerke abgebaut werden, was schon stark im Gange ist, kann es sein, dass Film plötzlich ein sehr kostspieliges Medium wird. Zudem wird auch immer weniger Filmmaterial produziert. Das gilt für den 16mm- und 35mm-Negativ- und -Positiv-Film genauso wie für den analogen Fotobereich. Wenn Film kein Massenmedium mehr ist, dann wird er sehr teuer. Film wird vielleicht nicht ganz verschwinden. Aber nur ganz wenige Künstler werden es in Zukunft schaffen, auf Film arbeiten zu dürfen.
Umfrage: Erika Butzek
(MB 09/11)

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