Mehrwert für ein Internet affines Publikum

Wie kein anderes Medium bietet das Internet die Chance, spezifische Zielgruppen-Programme einem weltweiten Publikum zu offerieren und dabei auch kommerziell erfolgreich zu sein. Leistungsfähige Breitbandanschlüsse erlauben es zudem, hochqualitative Angebote zu machen. Wie das geht zeigen Die Berliner Philharmoniker mit der Digital Concert Hall (DCH). Realisiert wird das weltweit einzigartige Projekt von der Berliner Philharmoniker-Tochterfirma Berlin Phil Media mit Unterstützung von Sony.

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Mehrwert für ein Internet affines Publikum

„Wir arbeiten kostendeckend“, antwortet Tobias Möller, Marketing- und Kommunikationschef, der Berlin Phil Media GmbH, nüchtern auf die Frage, ob sich die Digital Concert Hall (DCH) denn refinanziert. In knapp fünf Jahren ihres Bestehens habe sie rund 11.000 zahlende Nutzer weltweit gewinnen können. Circa 25 Prozent von ihnen kommen aus Deutschland, 20 Prozent aus Japan und 18 Prozent aus den USA. Ein Jahresabonnement kostet 149 Euro, es gibt aber auch Monatsabonnements. Für sie produziert Berlin Phil Media, die eine 100-prozentige Tochter der Berliner Philharmoniker ist, jährlich rund 30 Live-Konzerte der Berliner Philharmoniker sowie etwa zehn weitere Live-Konzerte. Alle Konzerte stehen anschließend im Archiv, das zum aktuellen Zeitpunkt 190 Konzertaufzeichnungen umfasst, zur non-linearen Nutzung bereit. Die Digital Concert Hall ist ein State-of-the-Art-Premium-Angebot, das in höchster Bild- und Tonqualität live produziert und gestreamt wird.

Unterstützt wird das Projekt vom Technikpartner Sony und Sponsor Deutsche Bank. Sony hat nicht nur die Aufnahmetechnik beigesteuert, um eine professionelle Produktion zu ermöglichen, sondern auf seinen Bravia-Smart-Fernsehern auch das DCH-App vorinstalliert, das eine Grundvoraussetzung ist, um die Konzerte auf dem Fernseher zu streamen. Auch Samsung, LG und VideoWeb bieten die App an. Wie wichtig sie für die Verbreitung des Angebots ist, wird klar, wenn Möller anmerkt, dass „ein großer Anteil der registrierten Nutzer über die Sony-App die DCH überhaupt erst kennenlernen“. Weitere Empfangsmöglichkeiten sind Apps für iOS-Geräte oder der Computer, der an den Fernseher oder einen Beamer angeschlossen werden kann. Für Windows 8 wird es im Sommer eine App geben, eine weitere für Android-Geräte soll später folgen. Die notwendige Startfinanzierung hatte die Deutsche Bank übernommen und obwohl sich die DCH inzwischen zu einem großen Teil selbst finanziert, unterstützt die Deutsche Bank die Unternehmung weiterhin.

Gelungene Ansprache des jungen Publikums

Die Idee zur DCH kam dem Orchester 2005 auf einer Asien-Tournee. Ein Konzert in Taipeh wurde auch als Public Viewing angeboten. Etwa 30.000 meist junge Menschen haben es sich angesehen und Chefdirigent Simon Rattle und das Orchester wie Popstars gefeiert. Für das Orchester war dies nicht nur ein großer Erfolg, sondern auch eine Bestätigung, dass seine Musik ein junges Publikum anspricht, das es gerne öfter erreichen wollte. So entwickelte Olaf Maninger, Solo-Cellist und Mitglied im Medienvorstand des Orchesters, das Konzept, die Konzerte der Berliner Philharmoniker über das Internet zugänglich zu machen. „Dies war im Grunde ein folgerichtiger Schritt, denn Ziel des Orchesters war es schon immer, ein weltweites Publikum anzusprechen, was bis zur Einrichtung der DCH vor allem über Tourneen und CDs möglich war“, so Möller. Hinzu kommt, dass der CD-Markt rückläufig ist und live gestreamte Konzerte beziehungsweise deren Aufzeichnungen einen erheblichen Mehrwert für ein internetaffines Publikum darstellen. Nachdem konzeptionelle Fragen geklärt waren, wie etwa die nach dem Zielpublikum, der Preisgestaltung, der erforderlichen Technik oder des Marketings, ging die DCH dann 2008 an den Start. Die Technik dafür wurde in das Studio 6 der Berliner Philharmonie eingebaut, das leer stand. Vorher wurde das Studio an Plattenfirmen vermietet, die ihr eigenes Aufnahme-Equipment nutzen wollten. In diesem Studio, das sich an der Rückwand des Konzertsaals unter der Decke befindet, wurden unter anderem zahlreiche Aufnahmen der Deutschen Grammophon von den von Herbert von Karajan dirigierten Konzerten gemacht. Durch die Digitalisierung mussten die Räume nicht mehr vorgehalten werden, da das Tonaufnahmestudio der Philharmonie nun höchsten Ansprüchen genügt und alle Tonaufnahmen dort gemacht werden.

Full-HD-Broadcast-Studio

Im vergangenen Dezember wurde das Studio unter der Leitung von Peter Schurig von Sony komplett neu ausgerüstet und auf einen professionellen Full HD-Broadcaststatus gebracht. Die vorhandenen Kameras wurden durch sieben Sony HDC-P1-Full-Remote-Kameras mit Canon HJ-Broadcastobjektiven in den Bauklassen zwischen 18 bis 40 ersetzt, die auf präzise und leise arbeitenden Schwenk-Neigeköpfen von Vinten Radamec sitzen. Die Objektive sind lichtstark, so dass die Aufnahmetechnik mit dem vorhandenen Saallicht auskommt. Die wichtigste Vorgabe für die Auswahl der Kameras war, dass man die Aufnahmetechnik im Saal nicht bemerken darf. Daher sind auch nur ein-, zweimal im Jahr bei Live-Übertragungen ins Kino Kameraleute erlaubt, die sich jedoch diskret im Hintergrund halten müssen. Für diesen Zweck stehen zwei Sony PMW-500-Kameras zur Verfügung. Ebenfalls ein wichtiger Punkt ist die Ausfallsicherheit der Technik. „Sie wurde bei der Ausrüstung des Studios ganz groß geschrieben“, erklärt Schurig, der das Studio seit April 2012 federführend mitgeplant hat. Schließlich möchte man den Abonnenten der DCH keine Unterbrechung der Übertragung zumuten, erinnert Schurig an einen Wunsch von Robert Zimmermann, der gemeinsam mit Olaf Maninger die Geschäfte der Berlin Phil Media führt. Um dies sicherzustellen werden die 1080i Full HD-Kamerasignale per Glasfaserleitung ins Studio gesendet. Dort gelangen die Aufnahmen in einen DVS Venice Media Production Hub mit zweimal vier Kanälen. Von hier aus wird der Produktions-Workflow gespeichert und gesteuert. Außerdem stehen noch zwei Sony XDS 1000 XDCAM-Speicher bereit. Die Steuerung der Radamec Remote Heads und Kameras erfolgt über zwei Server, die redundant ausgeführt werden. Dies heißt, dass auf beiden Servern dieselbe Information vorhanden (gespiegelt) ist. Sollte ein Server ausfallen, startet er sich neu, während der andere übernimmt. Auch der DVS Venice läuft im Auto-Havarie-Modus. Weitere in dem Studio verbaute Technik sind ein Sony IXS-6500 Video Switcher/Router, ein Sony MVS-3000 Bildmischer und ein Digital Rapids Streaming Server.

Vorprogrammierte Schnitte

Das Orchester, die Solisten und gegebenenfalls Sänger werden mit sechs Kameras aufgenommen, die siebte ist immer auf den Dirigenten gerichtet. Der Video-Schnitt wird von vier Mitarbeitern realisiert, der jeweilige Regisseur kennt sich mit klassischer Musik aus. Einige Wochen vor dem ersten Konzert erhält er die Partitur, den Bühnenaufbau und die Positionen der Musiker im Orchester. Auf Grundlage dieser Informationen bereitet er die Drehauflösung vor. Mit Hilfe der Auflösung werden die Kameras programmiert. Über ein Touchpanel können die einzelnen Kameraeinstellungen dann während des Konzerts abgerufen werden. „Pro Konzert werden zwischen 500 und 600 Schnitte vorproduziert“, erklärt Katharina Bruner, Leiterin der Video-Produktion der Philharmonie, das Procedere. „Im Grunde ist das wie der Fahrplan bei der Bahn, der dann Station für Station abgefahren wird.“

Die meisten Konzerte der Philharmoniker werden dreimal gespielt, das gibt Möglichkeiten zur Feinjustierung, denn erst das dritte Konzert wird live in der DCH übertragen. „Einerseits findet das dritte Konzert am Samstag, also zur ,Prime Time‘ statt, zum Anderen sind die Musiker beim zweiten und dritten Konzert besonders gut aufeinander eingespielt“, so Tobias Möller. So wird beim ersten Konzert die Quadrierung beziehungsweise Auswahl der Bilder feinjustiert, das zweite Konzert wird vom Video-Team wie eine Generalprobe behandelt, das bereits aufgezeichnet und als Back-up sowie Quelle für Schnittbilder für die Live-Ausstrahlung genutzt wird. Die Bildausschnitte werden, wenn nötig, während der Aufnahme feinjustiert, damit die Musiker, die sich während des Spiels bewegen, innerhalb der Quadrierung bleiben. (Das ist so nicht richtig, wir haben nur speziell zu Beginn des Projekts Schwenks nur sehr sparsam eingesetzt) Für die Spielpause während des Live-Streamings wird ein Gespräch zu den gespielten Stücken mit einem Solisten oder dem Dirigenten vorproduziert, das immer von einem Orchestermitglied geführt wird.

Die technische Umsetzung zur Verbreitung des Streams wurde von der Berliner REQU durchgeführt (MEDIEN BULLETIN berichtete darüber in der Ausgabe 2/2013). Der Stream wird als HTTP Adaptive Streaming zu Verfügung gestellt. Beim adaptiven Streaming wird die Qualität eines an eine Webseite übertragenen Videos basierend auf sich ändernden Netzwerkbedingungen automatisch angepasst, um immer die bestmögliche Bildqualität sicherzustellen. Der Ton wird dabei konstant in der besten Qualität von 320kps AAC gehalten.

Weiterer Ausbau ist geplant

Für die Zukunft plant Berlin Phil Media den Ausbau der Website mit mehr Hintergrundmaterial über das Orchester, seine Dirigenten und Musiker, die Erweiterung der Dirigenten-Kategorie um Herbert von Karajan, sowie die Weiterentwicklung von Apps für Mobilgeräte als auch des Tons. Die Konzerte können zwar in Surround-Ton gemischt werden, für das Streaming werden sie aber lediglich in Stereo produziert. Gemeinsam mit Sony wird nun an Möglichkeiten gearbeitet, die Konzerte mit hochauflösendem Ton zu übertragen. Erste Tests mit DSDS-Recording, was der Tonqualität einer Super-Audio-CD entspricht, die unter anderem einen Dynamikumfang von über 120dB hat, wurden 2012 durchgeführt. Sie sollen dieses Jahr fortgesetzt werden. Allerdings gibt es noch keine Terminplanung für die Einführung des DSDS-Tons.

Für die Berliner Philharmoniker ist die DCH ein wichtiges Marketingmittel geworden. „Durch die DCH haben die Berliner Philharmoniker im Internet eine beispiellose Präsenz erhalten“, sagt Möller. „Durch das niedrigschwellige Angebot, das die DCH darstellt, kann man die Philharmoniker kennen lernen ohne ins Konzert gehen zu müssen – auch wenn sich das eigentliche Live-Erlebnis natürlich durch keine noch so gute Übertragung ersetzen lässt.“ Aber es sind nicht nur die Neugierigen und gelegentlich an Klassik Interessierten, die zu den Nutzern der DCH gehören. „Wir waren erstaunt darüber, wie gut viele Zuschauer das Orchester kennen“, erzählt Möller. „Wenn ein neues Gesicht auftaucht, wird gleich nachgefragt, um wen es sich handelt. Und in den Diskussionen bemerkt man auch wie fachkundig das Publikum ist.“ So dient die DCH auch dazu, dass die Philharmoniker ihr Publikum, eine sehr spitze, qualitätsbewusste Zielgruppe, besser kennen lernen.

Thomas Steiger
(MB 04/13)

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