Sich selbst finanzierendes Filmerbe

Ursprünglich sollte das neue VOD-Portal „Schätze des deutschen Films“ heißen. So nennt sich auch die GmbH der drei Gründer. Kurz vor dem Start entschlossen sie sich einen kommerzielleren Brand zu setzen, nämlich „alleskino.de – Der Deutsche Film. Wir zeigen alles“. den symbolischen Startknopf für das deutsche Kinofilm-Portal drückten zur Berlinale am 12. Februar Iris Berben und Volker Schlöndorff bei einem Festakt im Pauly Saal in Berlin Mitte . Welche Ziele verfolgt das Projekt und wie wird es finanziert?

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Sich selbst finanzierendes Filmerbe

Kultur oder Kommerz? Geht es darum, das Erbe des deutschen Kinofilms zu digitalisieren und sichtbar zu halten gleichsam als lebendiges Gedächtnis, oder geht es darum, Filme via Video on Demand (VoD) zu verkaufen, um so den Filmemachern zusätzliche Einnahmen zu verschaffen? Schauspielerin Iris Berben, die auch Präsidentin der Deutschen Filmakademie ist, thematisierte diesen scheinbaren Konflikt in ihrer Rede: Durchaus handele es sich bei der Plattform alleskino.de auch um „einen zusätzlichen Vertriebsweg“ für Produzenten und Kreative, die darüber möglicherweise Geld verdienen können, selbst wenn der Film zuvor nur kurz im Kino gelaufen sei. „Geld gewinnen ist nichts Schlimmes“, referierte Berben. Dass aber die drei Initiatoren des Projektes dieses zunächst „ohne Gewinnerwartung“ aus der Taufe gehoben haben, es einfach gemacht haben, sei deshalb umso schöner. Berben erklärte: „Sämtliche Rückflüsse“, die die VoD-Plattform erwirtschaften werde, „gehen an die Rechteinhaber, in den Betrieb und in den Ausbau des Portals“. Anstatt Gewinnerwartung gebe es erst einmal nur „Investmentpläne“, weiß Berben.

Tatsächlich haben die Gründer ein schlaues Geschäftsmodell ausgetüftelt, mit dem sie alle deutschen Kinofilme digital in voller Länge im Internet zum Abruf anbieten – und gleichzeitig die Kosten für den Betrieb der Plattform sowie Geldeinnahmen für die Rechtebesitzer an den Filmen erwirtschaften wollen. Dabei soll sich die Digitalisierung des Filmerbes wie eine Art Perpetuum mobile langfristig selbst finanzieren. Um die Vision pragmatisch anzugehen, haben die Produzenten Hans W. Geißendörfer und Joachim von Vietinghoff sowie der Medienunternehmer Andreas Vogel bereits im Sommer 2011 „Die Schätze des deutschen Films GmbH“ (SDDF) in Potsdam gegründet. Das ambitionierte langfristige Projekt-Ziel klingt, wie Geißendörfer selber beim Festakt einräumte, „ein bisschen größenwahnsinnig“. Denn alle bislang rund 10.000 deutschen Kinofilme von der Stummfilmzeit an und alle die noch kommen, sollen in einem Zeitraum von etwa zehn Jahren über alleskino.de ins Netz gestellt werden.

Aber immerhin: Wer das aufgeräumte VoD-Portal alleskino.de anklickt, erhält bereits aktuell ein Angebot von rund 150 Spiel- und Dokumentarfilmen aus verschiedenen Epochen und Genres der deutschen Filmgeschichte. Man kann im Angebot intuitiv über verschiedene Zugriffsparameter stöbern, die zunächst zu Trailern führen. Der VoD-Abruf des ganzen Films kostet zwischen 99 Cent und 4,99 Euro, er steht dann 48 Stunden zur Verfügung. Als Schnupperangebot gibt es auch ausgewählte kostenlose Filme. Das Kostenlos-Angebot soll künftig durch Werbefinanzierung ausgebaut werden. Da mit zahlreichen Rechteinhabern wie der Murnau- und DEFA-Stiftung, Constantin-Film, Studiocanal, Universum Film und Kontor New Media in den vergangenen Monaten Lizenzverträge geschlossen worden sind, stehen der Plattform sogar schon jetzt rund 300 Produktionen zur Verfügung, die nach und nach freigeschaltet werden sollen. Wichtig und attraktiv für Rechteinhaber an deutschen Kinofilmen ist: Wer einen Film via alleskino.de anbieten will, muss keinen Exklusivvertrag mit der SDDF abschließen, er kann den Film ebenso über andere Plattformen anbieten. Rechteinhaber haben also via alleskino.de Geldeinnahme-Chancen ohne Risiken. Mehr noch: Die SDDF will die Plattform alleskino.de als eine Art „Schaufenster“ benutzen, um im B2B-Bereich zusätzliche Interessenten wie Free-TV- und Pay-TV-Sender, andere VOD-Plattformen, IPTV-Anbieter, Kabelnetzbetreiber oder DVD- und Blu-ray-Vertriebe im In- und Ausland für die Filme zu gewinnen. So werden weitere Erlöse möglich. Pro Jahr plane man derzeit 500 weitere Filme in das Portal einzustellen, kündigt SDDF-Geschäftsführer Vogel an.

Damit ist das Portal alleskino.de bereits erstaunlich weit fortgeschritten, zumal die bisherige Finanzierung „allein durch Eigenmittel der drei Gesellschafter sichergestellt“ worden ist, wie sie in ihrer Broschüre konstatieren. Was heißt das genau? Gegenüber MEDIEN BULLETIN nennt Vogel die Zahl von rund einer Million Euro, die das Gründer-Trio bislang selber in das Projekt investiert habe. Mittelfristig werde man schätzungsweise noch weitere drei Millionen Euro für den Betrieb und den Ausbau der Plattform brauchen. Für die Generierung dieses Kapital strebe man „eine Mischung aus Investoren und Förderung“ an. Denn unter vielen anderen ist geplant, alle älteren Filme, die bislang in verschiedensten Archiven verstauben, von ARRI digitalisieren zu lassen. In anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Niederlande oder Dänemark wurden ähnliche Projekte wie alleskino.de allein aus Subventionstöpfen heraus aufgelegt, um das jeweilige nationale Filmerbe in das digitale Zeitalter zu retten. Frankreich hat dafür sogar das hübsche Sümmchen von 400 Millionen Euro aus dem EU-Fördertopf beantragt, erzählte von Vietinghoff dem Deutschlandradio. Hingegen betont das SDDF-Gründer-Trio seine schlanken Strukturen, die auf ihrer „Praxisnähe“ und ihrer „ausgezeichneten Vernetzung in der Filmbranche“ basieren. Nach rund drei bis vier Jahren werde sich die Plattform selber finanzieren, ist sich Vogel sicher. Man verfüge über schnell abrufbares technisches Know-how hinsichtlich Digitalisierung, Digital Content Delivery wie auch auf versiertes Software-Know-how beim Rechtemanagement.

Allein Geißendörfer, Hauptinitiator des Projekts, hat diesbezüglich allerhand zu bieten. Der weiland renommierte Autorenfilmer und Oscar-Nominierte entwickelte schnell auch einen Hang zum Unternehmertum und gehörte 1971 zu den Gründern des Filmverlags der Autoren. Während viele seiner Kollegen TV und überhaupt geschäftliche Interessen noch als kulturell minderwertig einstuften, hat Geißendörfer bereits 1982 seine eigene Produktionsgesellschaft, die Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion GmbH (gff) gegründet, die heute 80 Mitarbeiter beschäftigt. Er war der Erfinder der ersten deutschen Seifenoper „Lindenstraße“, die bis heute läuft. Dafür kreierte er bereits 1999 eine „Streaming Devision“, um die Soap auf Abruf anbieten zu können. Daraus hat sich dann in Zusammenarbeit mit dem Partner Alexander Leschinsky das Systemhaus G[&]L für Streaming, Softwareentwicklung und Internetdienste entwickelt, das beispielsweise beim letzten ARD/ZDF-Streaming-Projekt für Olympia nicht unwesentlich beteiligt war. Genau dieses spezialisierte G[&]L-Know-How für Digital Content Delivery wird für die Plattform alleskino.de über das Internet zur Verfügung gestellt, sei es auf dem Rechner, dem Tablet, Smartphone oder SmartTV, so das Ziel. Und dass man via iPad alleskino.de ohne Probleme abrufen kann, konnten die Gäste beim Portal-Start erleben, die entsprechenden Geräte wurden verteilt, allerdings auch wieder eingesammelt.

Auch der Potsdamer Medienunternehmer Vogel („transfer media“, „filmwerte“) hat genau das Know-how parat, das man für das Projekt braucht. Zum einen hat Vogel im Rahmen von Bildungs- und Forschungsprojekten viele auch technische Erfahrungen im Zusammenhang mit digitalen audiovisuellen Archiven und HD-Produktionen gesammelt. Noch wichtiger: Speziell seine Firma „filmrechte“ kennt sich bestens mit den filigranen Zusammenhängen des Rechtemanagements in digitalen Zeiten aus und hat dafür eine eigene Software entwickelt. Von Vietinghoff wiederum verfügt über beste Kontakte zu den Rechteinhabern, zumal er wie Geißendörfer im Vorstand der Deutschen Filmakademie sitzt. Obendrein hat er selber als Produzent 50 Filme geschaffen und ein großes Interesse daran, dass auch die älteren Produktionen sichtbar bleiben.

Rund um das Portal alleskino.de ranken viele weitere Pläne und Ideen. So will man auch die ganz jungen Filmemacher und Auszubildenden einbinden. Es soll eine interaktive Landkarte entstehen, wo genau in Deutschland die Kinofilme produziert worden sind. Es sind aktuelle und historische Specials geplant, die einzelne Aspekte der Filmgeschichte vertiefen und aktuelle Trends widerspiegeln. DAS VoD-Angebot soll durch einen Online-Verkauf wie durch ergänzende Abo- und Paketpreise ergänzt werden. Das Geschäftsmodell, so die Gründer in ihrer Broschüre, sei „flexibel angelegt, um sich den Bedürfnissen des Marktes anzupassen“. Große Harmonie und Aufbruchsstimmung beim Festakt. Die schien Regisseur Schlöndorff überhaupt nicht zu gefallen. Er konstatierte eine „Bulimie von Bildern“, mit der wir im Internet-Zeitalter „überflutet“ werden. Er finde eine „riesige Nationalbibliothek zwiespältig“. Wenn alles jederzeit und überall verfügbar sei, anstatt dass man ein einmaliges Erlebnis wie im Theater habe, „arbeiten wir gleichzeitig an unserer eigen Abschaffung“, provozierte er in die Cineasten-Runde, um dann aber doch noch zu beschwichtigen. Voraussetzung für den Sinn der Plattform sei „eine ganz große Liebe zum Film“. Das gelte für ihre Nutzer. Denn „nur ein informierter Zuschauer kann sich das Richtige runterladen“. Das gelte aber auch für ihre Betreiber. „Schön, dass Filmemacher diese Plattform machen“. Schlöndorff lobte Geißendörfer und von Vietinghoff als „Reineke Fuchs“, die vielleicht gerade noch zur rechten Zeit „dem Syndikat der großen Mafia den Weg verstellen“. Damit spielte Schlöndorff auf die große Sorge deutscher Filmemacher an, dass ihre Werke im internationalen Angebot von Big Playern aus den USA wie das VoD-Portal Netflix, das wohl auch in Deutschland starten will, oder bestehenden reinen kommerziellen VoD-Angeboten wie beispielsweise von Maxdome, LoveFilm oder Watchever untergehen können. Filme werden aber auch vom Fernsehen gemacht. Auch da ist unter dem Arbeitstitel „Germany‘s Gold“ eine VoD-Plattform mit eher nationalem Fokus in Planung. Wie passt das zusammen? Man habe bereits Gespräche geführt, sagte Vogel gegenüber MEDIEN BULLETIN. Es sei eine Verlinkung angedacht.

Erika Butzek
(MB 04/13)