Neue kreative Spielräume

Nachdem in den vergangenen Jahren durch die Digitalisierung der Kinos das Bild die gesamte Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, zieht im Fahrwasser von S3D der Ton nach. Das räumliche Bild, so das Argument, braucht auch einen komplementären Ton. Dem tragen Dolby mit Atmos und Barco mit Auro 11.1 Rechnung. Anlässlich ihrer Präsentationen während der 63. Berlinale rüsteten sie je einen Saal im Cinestar Original am Potsdamer Platz in Berlin aus.

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Neue kreative Spielräume

Die Wahl des Kinos ist durchaus sinnvoll, denn bislang werden die Atmos- oder Auro-Tonmischungen nur in Ausnahmefällen auf die deutsche Synchronfassung übertragen, weshalb sich ein Multiplex, das ausschließlich Originalfassungen zeigt als Showcase-Kino bestens eignet. Barco hat Saal 3 ausgerüstet, Dolby Saal 7. Beide Säle unterscheiden sich minimal. Saal 3 verfügt über 367 Plätze bei 15 Reihen und eine Leinwand mit den Maßen 17,5 x 7,3 Meter. Saal 7 hat 360 Plätze bei 16 Reihen, ist also schmaler, und verfügt entsprechend über eine kleinere, 16,1 x 6,8 Meter messende Leinwand. Barco hat in Deutschland nur die Leinwand in Berlin, mit Dolby Atmos sind Säle in folgenden Kinos ausgerüstet: Cinecittà in Nürnberg, der Traumpalast Backnang in Stuttgart sowie in Österreich das Cineplexx Donau Plex in Wien.

Gemeinsam ist Atmos und Auro, dass sie den Ton exakt im Raum positionieren können. Dies wird durch deutlich mehr Lautsprecher an den Seiten, aber auch durch zwei Lautsprecherreihen an der Decke erreicht. Die Kombination führt zu einem natürlich wirkenden, räumlichen Toneffekt, der den Zuschauer einhüllt, anstatt ihn von vorne oder der Seite anzusprechen. Ist der raumfüllende Ton schon während einer Vorführung mit einem der 3D-Ton-Systeme auffällig, macht sich der Mehrwert insbesondere durch seine Abwesenheit in einer Vorstellung mit 5.1 oder 7.1-Ton bemerkbar. Erst in diesem Vergleich wird deutlich wie unnatürlich und ungenügend die frontale Beschallung, angereichert mit Toneffekten von der Seite oder von hinten im Grunde ist. Auch bei S3D ist der Mehrwert der Technik nicht unbedingt in der Vorführung selbst bemerkbar, sondern erst im Nachhinein, wenn Personen und Gegenständen das durch 3D erzeugte Volumen und Räumen die Tiefe fehlt. Dies ist auch gut so, denn da Technik, die ständig an ihre Anwesenheit erinnert, als störend und kontraproduktiv empfunden wird, würde sie auf diesem Weg erst Recht keine Akzeptanz finden. Besonders gut lässt sich dies wahrscheinlich an Filmmusik festmachen, da gerade sie immer wieder unangenehm auffällt, wenn sie das emotionale Empfinden des Zuschauers derart zu lenken versucht, dass sie zum dominierenden und alles zukleisternden Element des Films wird. Sowohl Dolby als auch Barco demonstrierten die Leistungskraft ihrer Systeme mit einem Film und einer technischen Präsentation. Dolby zeigte den mit Atmos gemischten deutschen 3D-Mystery-Thriller „Lost Place“ (ab 19. September), Barco den mit Auro gemischten 3D-Animationsfilm „The Croods“. Gerade für einen Thriller oder Horrorfilm eignen sich die neuen Tonsysteme hervorragend, da die Soundeffekte beklemmende Gefühle verstärken. Dies wurde in einem Ausschnitt aus dem im 19. Jahrhundert spielenden, in Atmos gemischten, Horrorfilm „Woman in Black“ deutlich. In ihr zieht der von Daniel Ratcliffe gespielte Hauptcharakter mehrere mechanische Figuren auf, die sich dann bewegen und Geräusche machen. Da sich die Kamera in der Mitte des Raums befindet, tickt und scheppert es um den Zuschauer herum, während er zusammen mit Ratcliffe bangend auf das Erscheinen der Frau in Schwarz wartet. Das Gefühl in einer unkontrollierbaren, unübersichtlichen und furchteinflössenden Situation zu sein, überträgt sich durch das Sounddesign mühelos auf den Zuschauer. Aber selbst in simplen Szenen stellt sich das Gefühl des mitten drin Seins sehr schnell ein. Sei es bei Szenen im Wald, wenn man über sich und um sich herum die Blätter rascheln hört oder wie in dem in Auro gemischten 3D-Animationsfilm „The Croods“, wenn Vögelschwärme um einen herum flattern oder die Welt im Zuge der beginnenden Kontinentalverschiebung auseinander bricht.

Mit beiden Systemen kann die Position der Tonquellen sehr genau geortet werden, es ist sogar möglich nur auf den ungefähren Ort hinzuweisen, da Atmos und Barco Tonverhältnisse und Hörsituationen realitätsnah nachbilden. In „Lost Place“ gibt es eine Szene, in der Daniel (François Goeske) in einer Radarstation nach Elli (Jytte-Merle Böhrnsen) sucht. Plötzlich hört man sie rufen und genauso wie Daniel hört auch der Zuschauer, dass das Rufen aus einer bestimmten Richtung kommt, aber wie Daniel, erkennt auch der Zuschauer zunächst nur die ungefähre Richtung. Auch beim 5.1 oder 7.1-Sound lässt sich die ungefähre Richtung, aus der ein Ruf kommt feststellen. Doch im Gegensatz zu den neuen Systemen hat man beim Surround nicht das Gefühl, dass sich durch besseres Hinhören die exakte Herkunft fest stellen ließe. Dies ist mit Atmos und Auro aber möglich. Thomas Neumann, Soundsupervisor und Sounddesigner bei Rotor Postproduction, die die Tonmischung für „Lost Place“ gemacht haben, sagte bei der Präsentation: „Mit Atmos ist es gelungen, die in 3D dargestellten Räume noch plastischer zu machen. Zwar spielt der Sound bei einem guten Film immer eine Rolle, doch bei 3D kommt ihm für das immersive Erlebnis eine noch größere Bedeutung zu.“ Filmemacher, die mit Atmos drehen wollen, rät er sich frühzeitig Gedanken darüber zu machen welche neuen kreativen Spiel- und Wahrnehmungsräume das System eröffnet. Analog dürfte dieser Rat auch für Auro gelten.

Beim dominierenden Dolby 5.1-Surround-System kommt der Ton aus einem Lautsprecher in der Mitte vorne, jeweils einem rechts und links davon und jeweils einer Gruppe von Surround-Lautsprechern an der Seite. Als Zusatzlautsprecher kommt ein Subwoofer für kräftigere Bässe hinzu. Beim 7.1-System wurden die Seitenlautsprecher lediglich in Surround-Lautsprecher für die Seitenwände und die Rückwand aufgeteilt. Damit lässt sich zwar schon ein Hörerlebnis schaffen, bei dem der Kinobesucher akustisch das Gefühl hat mitten drin zu sitzen, für einen 3D-Film ist dies aber noch längst nicht ausreichend, weshalb Atmos und Auro nun auch die Decken mit Lautsprechern ausgerüstet haben. Je nach Größe des Saals können dies bei Dolby Atmos bis zu 64 Lautsprecher sein, die alle einzeln angesprochen werden. Aber selbst diese Zahl ist perspektivisch noch erweiterbar. Die hohe Anzahl der Lautsprecher erlaubt es das Sounddesign eines Films genauer auf einen bestimmten Punkt im Raum abzustimmen oder Geräusche überzeugender durch den Raum wandern zu lassen. Wirklich exakt können bestimmte Punkte im Raum allerdings nur mit der Wellenfeldsynthese adressiert werden, die für Kinos keine Option ist. Bei Atmos wird der Ton von den Tonmeistern so gemischt, dass er aus bestimmten Quadranten zu hören ist und nicht auf vorbestimmten Kanälen. Unterstützt werden bis zu 128 gleichzeitige und verlustfreie Audio-Streams. Die eigentliche ‘Tonmischung’ erfolgt aber erst individuell abgestimmt auf die jeweilige Anzahl der verwendeten Lautsprecher im Saal über den Atmos Cinema Processor CP850. Über die im DCP abgelegten Metadaten ist sicher gestellt, dass unabhängig von der Menge der Lautsprecher, das Ton-Bilderlebnis in jedem Kino exakt so ist, wie von den Filmemachern gewünscht. Dadurch kann Atmos auch bei kleineren Installationen genutzt werden, anderseits ist es abwärtskompatibel, wie auch schon 7.1 oder 5.1 abwärtskompatibel sind.

Ioan Allen, Senior Vice President Dolby sagt in dem Atmos-Promotion-Video: „Atmos ist ein immersives Erlebnis und das ist das, was Kinos letztendlich wettbewerbsfähig macht und im Geschäft hält.“ Dolby hat das System zum ersten Mal bei der CinemaCon Ende April 2012 in Las Vegas vorgestellt, wo es auf großes Interesse stieß. Inzwischen sind weltweit rund 100 Säle mit Atmos ausgerüstet worden, davon etwa 20 in Europa und in Deutschland drei. Vier weitere Leinwände sind vom Integrator dcinex projektioniert. Dolby hat sich zum Ziel gesetzt dieses Jahr insgesamt 1.000 Leinwände mit Atmos auszurüsten. Zu in Atmos gemischten Filmen gehören unter anderem „Der Hobbit“, „Life of Pi“, der im Mai startende neue „Star Trek“-Film „Into Darkness“ oder „Gravitiy“ mit George Clooney. Atmos mischen können in Deutschland Post Republic in Berlin und Rotor Film in Babelsberg. Voraussetzung für eine Atmos Mixing Suite ist ein Lautsprecher-Aufbau wie im Kino sowie ein Plug-In für ProTools. Mit einem Joystick kann man dann den Ton auf einem Display, das den Raum repräsentiert, herum wandern lassen.

Bei Barco weichen die Lautsprecherhängung im Kino und die Philosophie was ein ‘natürlicher’ Ton ist, vom Mitbewerber ab. Während bei Atmos an der Rückwand und den Seitenwänden des Kinosaals jeweils nur eine Lautsprecherreihe angebracht ist, sind es bei Barco zwei. Beiden Systemen gemeinsam ist der Einsatz der Deckenlautsprecher und der Subwoofer. Barcos Philosophie fußt darauf, dass natürlicher Ton durch Reflektion entsteht. Um dies nachbilden zu können, haben die Tontechniker von Barco und ihrem Partner den belgischen Galaxy Studios, drei Schichten identifiziert, aus denen Ton kommt. Sie entsprechen etwa einem Winkel, abgehend vom Betrachter, von 0°, 30° und 90° (Surround, Höhe, Überkopf). Bei der Demonstration des Systems, bei dem Layer zu- und abgeschaltet wurden, wurde deutlich, dass ein echtes immersives Hören in der Tat nur mit allen drei Layern möglich ist. Auro wird im Gegensatz zu Atmos kanalbasiert gemischt, nämlich auf 11 Kanälen weshalb das System genau genommen Auro 11.1 heißt. Für die Aufrüstung auf das Barco Auro 11.1-Audioformat ist nur eine geringe Hardware- und Installationsinvestition erforderlich. Der vorhandene Audioprozessor muss dabei nicht ersetzt werden. Barco hat mit Dreamworks eine Vereinbarung getroffen die nächsten 15 Filme des Animationsstudios in Auro zu mischen. Aktuell ist neben „The Croods“ auch der 3D-Film „Die fantastische Welt von Oz“ in Auro gemischt worden. Barco Auro 11.1 ist mit den vorhandenen Audiogeräten und aktuellen Workflows vollständig kompatibel, weshalb keine neuen Tools zur Inhalteerstellung erforderlich sind. Die Kosten für die Umrüstung auf Atmos oder Auro sind schwer zu beziffern zumal noch Umbau- und gegebenenfalls Renovierungskosten zu berücksichtigen sind. Am Besten führt man eine Umrüstung im Rahmen einer ohnehin geplanten Renovierung des Kinos durch, denn die Verlegung der Lautsprecherkabel und die Anbringung der Lautsprecher führt unter Umständen dazu, dass Wände und Decke aufgestemmt und neu verkleidet werden müssen. In den beiden Cinestar-Sälen jedoch sind die Lautsprecher auf der Wand angebracht worden. Zudem muss eine Tonanlage individuell für einen Saal eingemessen und geplant werden. Das nimmt einiges an Zeit in Anspruch. Klare Angaben über die Kosten für die Umrüstung der Technik gibt es nicht, von Integratoren wird sie jedoch mit 40.000 bis 80.000 Euro angegeben – je nach Größe der Säle. Richtig große Lösungen können aber auch in einen großzügigen sechsstelligen Bereich hinein reichen.

Thomas Steiger
(MB 04/13)