„Unser Masterplan sieht eine komplette Umstellung auf die digitale Produktionstechnik bis zum Ende dieses Jahres vor“, erklärt Kai Gniffke, der Erste Chefredakteur von ARD-aktuell. „Unser Newsroom wird künftig nach der Philosophie des vernetzten Arbeitsplatzes gestaltet sein.“ Damit wird auch die räumliche Trennung zwischen Redaktion und Produktion aufgehoben. Schon jetzt sitzen die Redakteure von „Eins Extra“ im Newsroom zusammen mit Cuttern, Mediengestaltern, einem Grafiker sowie dem Moderator. Durch das vernetzte Arbeiten erfolgt die Kommunikation dort auf dem kürzesten Weg. „Der Workflow ist schneller, denn ein Redakteur muss nicht mehr mit dem Grafiker telefonieren, wenn er einen größeren Kartenausschnitt benötigt. Das ist ein großer Vorteil, der unseren Sendungen auch inhaltlich zugute kommt.“
Mit der digitalen Umrüstung wurde bei ARD-aktuell bereits sukzessive ab Anfang 2003 im Rahmen eines Pilotprojektes begonnen. Um die Workflows in der deutschen Nachrichtenzentrale überprüfen zu können, wurde dort zunächst das Sony News Base-System mit dem Redaktionssystem Open Media von Dalet ANN verknüpft, welches bei ARD-aktuell bereits 2001 eingeführt worden ist. „Wir haben die Umstellung des Workflows mit Sony erfolgreich erprobt“, konstatiert der Chefredakteur.
Allerdings erwies sich das Time-to-Air-Verhalten bei der Sony-Lösung als problematisch, weil es dem Bandsystem deutlich unterlegen war. „Sobald eine Tonbearbeitung in News Base erfolgte, hat das System in Echtzeit gerechnet und dadurch an Schnelligkeit verloren“, berichtet der redaktionelle Projektleiter Georg Grommes. „Es ist jedoch nicht sinnvoll, vom Server zu arbeiten, wenn das am Ende langsamer ist als das vorhandene Bandsystem.“ Aus diesem Grunde nahm er weitere Newsroom-Systeme von Anbietern wie Avid, Leech, Quantel, IBM, SGI oder Pinnacle unter die Lupe und entwickelte dafür bestimmte Ausschlusskriterien. „Es gibt kein nennenswertes System auf dem Markt, das wir nicht geprüft haben“, so Grommes.
Das passende System, das die Ansprüche von ARD-aktuell bedient, fand er schließlich bei Quantel. Ein entscheidendes Kriterium dabei war, dass sich diese Lösung in Open Media integrieren ließ. „Die Akzeptanz durch die Redaktion war uns sehr wichtig“, betont Gniffke, „denn das beste System nützt nichts, wenn die Menschen, die damit arbeiten sollen, es nicht bedienen können.“
Quantel lieferte Maßanfertigung
Aus diesem Grunde musste beispielsweise das Schnitt-Tool eine Benutzeroberfläche bekommen, die intuitiv bedienbar ist. „Quantel hat das System entsprechend konfiguriert und damit eine Maßanfertigung für ARD-aktuell geliefert.“ Durch die enge Zusammenarbeit mit der Firma Dalet sei erreicht worden, dass diese beiden Systeme miteinander kommunizieren und stabil laufen. „Bei Quantel in Newbury wurde uns eine Versuchsanordnung gestellt, so dass wir dort mit unserem eigenen Material all unsere Workflows abbilden konnten“, berichtet der Chefredakteur. „Alles, was wir uns vorgestellt haben, ist von Quantel eingelöst worden.“
Der Schlüssel zum Erfolg sei dabei gewesen, dass dieses Projekt immer als Gemeinschaftsanstrengung von Redaktion und Produktion betrachtet wurde. „Wir haben ein Projekt-Team aus acht Redakteuren gebildet, welche die Arbeitsabläufe der ‚Tagesschau’ genau kennen und die Anforderungen an ein neues System definieren konnten.“ Darüber hinaus wurden zu den einzelnen Themengebieten Arbeitsgruppen geformt, in denen sich die Beteiligten zum Teil kontroverse Diskussionen lieferten. „Wir sind uns sicher, dass das gut investierte Zeit war, weil wir auf diesem Weg zu einem System gekommen sind, dass nicht nur von Menschen bedienbar ist, sondern ihnen sogar die Arbeit erleichtert.“
Dank des neuen Quantel-Systems muss ein Redakteur seinen Arbeitsplatz nicht mehr verlassen, um einen Beitrag zu schneiden. Mit Hilfe des Journalisten-Tools sQ CutX kann er die eingehenden Feeds von der EBU oder das Material der Korrespondenten direkt an seinem Rechner sichten, seinen Beitrag schneiden, texten, vertonen und dem CvD zur Abnahme in den Sendeablauf stellen. „Wir verfügen nach wie vor über einzelne Cutter, welche die Qualitätskontrolle sicherstellen“, so Gniffke. „Wir können es jedoch nicht leugnen, dass wir letzten Endes weniger Personal beschäftigen werden.“
Mediengestalter übernimmt Verantwortung
Auf der anderen Seite erfahre der Beruf des so genannten MAZ-Technikers künftig eine Aufwertung als Mediengestalter, da dieser neben der Bild- und Tonbearbeitung auch für das physische Einrichten eines Sendeplans verantwortlich sei. „Das Pflegen eines Sendeablaufs und das Prüfen aller Verknüpfungen ist das Neue in der digitalen Welt. Alles, was auf dem Sendeplan nicht abgebildet ist, findet auch auf dem Sender nicht statt.“ Daher müsse sichergestellt sein, dass die einzelnen Videos mit dem Sendeplan verknüpft sind, der Teleprompter sowie das Hintergrundbild neben dem Sprecher an der richtigen Stelle geladen sind und der Schriftgenerator mit den entsprechenden Inserts verknüpft ist. „Da diese Elemente bei jeder einzelner Position kontrolliert werden müssen, sind die Mediengestalter noch viel stärker mit dem direkten Sendegeschehen befasst und übernehmen mehr Verantwortung.“
Derzeit wird bei ARD-aktuell allerdings noch mit drei verschiedenen Systemen gearbeitet. Die „Tagesschau“-Ausgaben von 12 Uhr bis einschließlich der „Tagesthemen“ werden klassisch im Bandbetrieb produziert, die Sendungen vom „Nachtmagazin“ bis einschließlich dem „Morgenmagazin“ auf der Basis von News Base und die Sendungen im digitalen Bouquet „Eins Extra“ seit dem 18. Dezember 2006 komplett mit dem Quantel-System. „Diese Phase mit drei verschiedenen Systemen wollen wir so kurz wie möglich halten.“ Sobald feststehe, dass Quantel stabil laufe, werden die mit News Base produzierten Sendungen auf das neue System umgestellt. „Bis Ende 2007“, betont Gniffke, „werden wir sämtliche Sendungen einschließlich der ‚Tagesschau’ um 20 Uhr und der ‚Tagesthemen’ auf der Basis von Quantel senden und nur noch mit einem System arbeiten.“
Tempo bei Bildbearbeitung erhöht sich
Bereits aus dem analogen Motor bei ARD-aktuell sei ein gigantisches Tempo herausgeholt worden, da in den über 50 Jahren eine unglaubliche Routine in den redaktionellen Arbeitsabläufen entstanden sei. Durch den Einsatz des Quantel-Systems werde sich vor allem bei der Bildbearbeitung das Tempo noch weiter erhöhen. „Wir können das Material schon senden, während es noch überspielt wird. Das ist der große Vorteil des Quantel-Systems.“ Beim Einsatz von News Base habe es dabei Zeitverzögerungen gegeben, welche sich die Redaktion nicht leisten könne. „Bei einem Beitrag von drei Minuten Länge, hat die Berechnung drei Minuten gedauert“, erläutert Georg Grommes. „Jetzt können wir das Material bereits nach Eingang der ersten Frames wieder ausspielen, indem wie eine ‚In’-Marke sowie ein virtuelles ‚Out’ setzen, wenn wir nicht wissen, wann der Beitrag endet.“
Insgesamt bietet das Quantel-System bei ARD-aktuell über 300 Stunden Speicherkapazität für das eingehende Rohmaterial. „Wie verfügen über einen Löschrhythmus von sieben Tagen und eine Eingangsverschlagwortung mit Timecodes, was in Europa einmalig ist.“ Die Sichtung des Rohmaterials erfolgt in LoRes mit 1,5 Mbit/s und bietet durch das Frame-genaue MPEG-1-Format eine ausgezeichnete Bildqualität, die gewährleistet, dass jedes Detail im Bild sichtbar ist. Die Ausspielung des Materials in HiRes erfolgt mit 50 Mbit/s in MPEG-2 im Standardkompressionsformat IMX.
Seine extreme Schnelligkeit verdankt das Quantel-System dem so genannten ‚Frame Magic’-Prinzip, das beim Schnitt zum Tragen kommt. Dabei wird das zu bearbeitende Rohmaterial nur einmal vom System vorgehalten und nicht in anderer Form auf dem Server abgespeichert. „Es finden keine Wandlungsprozesse statt“, erklärt Grommes, „denn beim Schnitt werden Marker auf das Ursprungsmaterial gesetzt, aber das Material erst beim Publishing bewegt.“ Die Systemarchitektur ist so angelegt, dass jedes Frame stets nur einmal auf dem Server gespeichert wird, auch wenn dieses in unterschiedlichen Beiträgen mehrmals verwendet wird. Bei diesem Frame-basierten Ansatz werden – ähnlich wie beim MPEG-2-Verfahren – stets nur die Veränderungen gespeichert.
Auf einer ausgeklügelten Technologie basiert auch das Sicherungssystem von Quantel, das die Einspielung des gesamten Materials in zwei räumlich voneinander getrennten Zonen auf dem Server vorsieht. Selbst bei einem Stromausfall oder Wassereinbruch in Gebäude A geht die Produktion ohne jeglichen Datenverlust in Gebäude B weiter, so dass jederzeit die Sicherheit für ARD-aktuell gewährleistet ist, dass das System niemals komplett ausfällt.
„Die Diskussion über die digitale Technik ist damit für uns beendet, denn sie ist akzeptiert und wird jetzt bei uns eingesetzt“, resümiert Grommes. „Die entscheidende Frage, die sich uns zukünftig stellt, ist die Workflow-Diskussion: Wie gehen wir mit der Menge des Materials um und welche Ausspielwege müssen wir damit bedienen?“
ARD-aktuell steht in Startlöchern
Neben dem klassischen Broadcast-Bereich und dem digitalen Spartenkanal „Eins Extra“ bedient ARD-aktuell derzeit den Online-Bereich. Weitere denkbare Outlets sind der Mobil-TV- sowie der IP-TV-Bereich. „Wir müssen sehen, was die Zuschauer wollen, wenn sie an der Bushaltestelle stehen oder drei Stationen mit der U-Bahn fahren“, so Gniffke. In dieser Zeit wünschten sie ein Nachrichten-Update. Es müsse geprüft werden, ob eine kurze Nachrichtensendung auf dem Mobiltelefon 60 oder 90 Sekunden lang sein dürfe, ohne dass dabei Inhalte verloren gingen. „Wir bereiten uns darauf vor, auch andere Formate zu bedienen.“ Die Entscheidung, mobiles Fernsehen anzubieten, liege bei der ARD. Die Nachrichtenredaktion stehe jedoch in den Startlöchern, um bei Bedarf sofort reagieren zu können. „Die DVB-H-Lösung, die über Handy ein Live-Fernsehbild ermöglicht, soll zum Jahresende 2007 angeboten werden“, weiß der ARD-aktuell-Projektleiter, „weil die Firmen damit verstärkt ins nächste Weihnachtsgeschäft wollen.“
In den nächsten ein, zwei Jahren komme viel Bewegung in den Markt. Dennoch sei es wichtig, nicht in eine Torschlusspanik zu verfallen. Die Institution „Tagesschau“ verliere auch im Zuge der digitalen Revolution nicht ihren Sonderstatus. „Zehn Millionen Zuschauer täglich machen uns Mut, dass wir auch in Zukunft der Marktführer bleiben werden. Wir haben keine Existenzängste, denn es gibt keine besseren Nachrichten, um sich seriös, kompetent und glaubwürdig zu informieren“, versichert Grommes. „Es ist unser großes, gemeinsames Ziel, diese Qualität in alle Wege zu transferieren.“
Birgit Heidsiek (MB 02/07)
Diskussion über digitale Technik ist beendet
ARD-aktuell plant, bis Ende 2007 seine sämtlichen Nachrichtensendungen inklusive der „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ direkt vom Server zu senden. Schon jetzt werden im digitalen Newsroom in Hamburg mit Hilfe des für ARD-aktuell maßgeschneiderten Quantel-Systems täglich drei Stunden Programm für das digitale Bouquet „Eins Extra“ digital produziert und gesendet.