„Digital Video Broadcasting – Terrestrial“ (DVB-T) ist pünktlich zur IFA 2003 als so genanntes mobiles „Überallfernsehen“ in Berlin-Brandenburg gestartet – und damit erst zehn Jahre jung. Es war eine „Weltpremiere“, wie Dr. Hans Hege, Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) damals sagte. In einem Kraftakt hatte Hege als Vorreiter dafür gesorgt, dass erstmals in einer Region der Welt das analoge Fernsehen komplett zu Gunsten von DVB-T abgeschaltet wurde.
Schon damals waren privaten TV-Sender, insbesondere RTL, nicht besonders von DVB-T angetan. DVB-T war für sie mit höheren Kosten verbunden. Die Sender müssen bei DVB-T für jeden einzelnen tatsächlich erreichten Zuschauer zahlen. Für die gebührenfinanzierten ARD/ZDF-Sender war und ist es zurzeit egal, die Privaten fürchteten eine Schmälerung ihrer Renditen. Sie willigten dennoch auch in die DVB-T-Folgeprojekte in den anderen Bundesländern ein, weil seitens Medienanstalten Subventionen flossen, die dann allerdings von der EU beanstandet wurden. Weil DVB-T dann zumindest in Ballungsgebieten eine unerwartet hohe, für die Werbefinanzierung relevante Reichweite generierte, entschlossen sich RTL und die ProSiebenSat.1-Gruppe Jahre später noch einmal sich vertraglich bis Ende 2014 zu verpflichten, ihre Programme auch über DVB-T auszustrahlen. Immerhin: Der gesamte Marktanteil von DVB-T in Deutschland betrug 2012 im Vergleich zu Kabel, Satellit und DSL-TV, laut Digitalisierungsbericht, propere 12,5 Prozent.
Vor Ablauf der DVB-T-Vertragsfrist hat RTL auch auf Grund der neuen Rahmenbedingungen in der aktuellen digitalen Welt einen DVB-T-Kassensturz gemacht. Dabei hat RTL festgestellt, dass der Marktanteilsbetrag von DVB-T, speziell für die Mediengruppe RTL Deutschland, 2012 „nur 4,2 Prozent“ im Vergleich zu den anderen gemessenen Übertragungswegen betrug und DVB-T “mit Abstand teuerster Übertragungsweg, 30-mal so teuer wie Satellit“, also unrentabel ist, heißt es im offiziellen Positionspapier. Einer der Gründe, die anderen nennen wir noch, warum RTL aus DVB-T ausscheren will. Nun hat DVB-T und insbesondere die weltweit forcierte Abschaltung der analogen Fernsehfrequenzen noch eine ganz andere Relevanz, die einst unter dem Schlagwort „Digitale Dividende“ stand (und aktuell wieder unter dem Rubrum „Digitale Dividende 2“ europaweit Thema ist, wobei man in Deutschland sogar bereits über die „Digitale Dividende 3“ spricht). Weil das digitale Antennenfernsehen weniger Frequenzen als das analoge braucht, konnten in Deutschland im Jahre 2010 die durch analoge Abschaltung frei gewordenen Frequenzen an Mobilfunkunternehmen zu Gunsten der Staatskasse versteigert werden, an O2, Telekom und Vodafone. Im Gegenzug mussten die sich verpflichten, eine Breitbandversorgung für ländliche Regionen, zum Beispiel via LTE zu garantieren. Damals war der Start von DVB-T in Berlin-Brandenburg auch mit der Hoffnung verbunden, dass diese Technologie (Stichwort: „DVB-H“) zu ganz neuen Produkt- und Dienstleistungserfindungen in Kombination von Bewegbildübertragung und Interaktion im mobilen Empfang führen würde. Dazu kam es nicht, weil das mobile Internet mit Smartphones und Tablet PCs obsiegte. DVB-T, das weiß Hege mittlerweile, hat sich „in Mobilfunkgeräten nicht durchgesetzt“. Trotzdem: Speziell im Ballungsgebiet Berlin ist DVB-T heute extrem beliebt und wird von 22 Prozent der Fernsehhaushalte genutzt, wobei die Hälfte davon das kostenlose DVB-T-Angebot für Zweit- und Drittgeräte einsetzt, wie Hege in einer „Verbraucherinformation DVB-T“ konstatiert. Das heißt aber auch: Nur sehr wenige TV-Haushalte nutzen DVB-T als einzige Fernsehempfangsquelle, sind vielmehr stationär auch an Kabel, Satellit oder IPTV angeschlossen. In Berlin kann man dank DVB-T rund 30 Programme in bester digitaler Qualität empfangen und dabei wie eh und je schnell durch das Angebot zappen. Doch in ländlichen Gebieten von Brandenburg, für die Hege auch verantwortlich ist, ist die Akzeptanz von DVB-T gering, weil, so meint Hege, dort via DVB-T keine privaten Programme zu empfangen sind.
Tatsächlich, so die Direktorenkonferenz der Medienanstalten (DLM), verbreiten RTL und ProSiebenSat.1 ihre Programme im Gegensatz zu ARD/ZDF bislang vornehmlich nur in Ballungsgebieten, aus Kostengründen natürlich. Die Medienanstalten rechnen nun damit, dass der Ausstieg von RTL zu einem Schneeballeffekt führen wird, die ProsiebenSat.1-Gruppe wie andere beteiligte private TV-Sender nachziehen werden und letztlich sich auch ARD/ZDF, wie Hege meint, von DVB-T verabschieden werden. Was langfristig die auch medienpolitisch relevante Folge haben könnte, dass es in Deutschland kein Free-TV, kein kostenloses Fernsehen mehr gäbe. Denn die Satellitenübertragung ohne zusätzliches Entgelt, darauf weist Hege hin, ist lediglich für die kommenden zehn Jahre durch das Bundeskartellamt sichergestellt. Kabelfernsehen gibt es nicht kostenlos. So schlägt Hege vor, perspektivisch das gesamte bisherige Free-TV im Internet als Livestreams zu senden. Für den Abruf müsste der Verbraucher dann lediglich in Form der Flatrate für stationäres Internet zahlen, zum Beispiel via SmartTV oder PC.
Während ARD/ZDF ihre Programme seit diesem Jahr bereits als Livestream bieten, halten sich die privaten Sender mit Livestreams noch zurück. Allerdings: Gerade die kleinen privaten Nachrichtensender N24 und n-tv sind schon seit geraumer Zeit auch als Livestream unterwegs. Was ein Livestream einen Sender kostet ist bislang intransparent, weil dazu bislang kein Sender eine Aussage macht. Hege vermutet jedenfalls, dass ein Livestream wesentlich preisgünstiger als DVB-T für die Sender ist.
Natürlich dreht sich alles um Geld. Dabei, so weiß Hege, verfolgen die privaten Veranstalter mittlerweile das Geschäftsmodell, „dass sie möglichst nichts mehr für den Transport ihrer Programme bezahlen, umgekehrt dafür Geld bekommen“ wollen. Eine wesentliche Rolle spielt hier die Verschlüsselung von HD-Programmen, die nur gegen Zusatzentgelt angeboten werden. Was die RTL-Gruppe nun bereits mittels der Astra-Plattform HDplus und gegenüber Kabelnetzbetreibern erreicht hat, würde man auch gerne im Bereich DVB-T umgesetzt sehen. Konkret: Man würde durchaus gegen Entgeld via DVB-T die HD-Programme ausstrahlen. Technisch möglich wäre das sogar. Dann nämlich, wenn in Deutschland DVB-T in den Folgestandard DVB-T2 transferiert werden würde. Doch Marc Schröder, Geschäftsführer RTL interactive und als Mitglied der Mediengruppe RTL Deutschland für die Strategische Unternehmensentwicklung verantwortlich, bezweifelt die Realisierung im Sinne der RTL-Vorstellungen. Laut Schröder wäre eine Zukunft der Terrestrik für private Sender „nur verschlüsselt möglich“. Nur die Verschlüsselung würde „stabile ökonomische Rahmenbedingungen“ gewährleisten, sprich DVB-T gegen Bezahlung ermöglichen. Dazu aber wäre laut Schröder der Umstieg der gesamten Branche erforderlich wie eben auch die notwendige teure Transferierung von DVB-T auf DVB-T2. Allein für die Mediengruppe RTL Deutschland sei dabei ein Investitionsvolumen „im mittleren zweistelligen Millionenbereich“ erforderlich, um den Umstieg langfristig zu realisieren. Eine solche Investition, so Schröder wäre aber nur dann zu rechtfertigen, wenn seitens Bund und Länder wie seitens verschiedener Regulierungs- und Aufsichtsbehörden ein „stabiler Verbleib der terrestrischen Frequenzen im Verfügungsbereich des Rundfunks auch über das Jahr 2020 garantiert“ sei. Das sei nicht der Fall, weshalb RTL aus DVB-T nach Auslauf der bestehenden Vertragsfrist aus DVB-T aussteige. Schröder fügt allerdings ebenso hinzu: „Generell ist RTL Deutschland der Überzeugung, dass auch weiterhin eine drahtlose Übertragung für den Rundfunk, auch für die mobile Nutzung, sinnvoll ist. Daher setzen wir uns dafür ein, diesen Bereich des Frequenzspektrums auch weiterhin einer primären Verbreitung durch den Rundfunk vorzubehalten – welche Technologie hierfür im deutschen Markt die richtige sein wird, wird sich zeigen.“ Offensichtlich ein Verhandlungsangebot gegenüber der Politik.
In Österreich übrigens, wo anstatt DVB-T neuerdings gleich DVB-T2 eingeführt werden soll, plant RTL derzeit dabei zu sein. Dort sei nämlich sowohl die verschlüsselte Verbreitung wie die langfristige Planungssicherheit durch Sicherstellung der notwendigen Frequenzressourcen gegeben, heißt es bei RTL.
Wie und an wen nun demnächst die „Digitale Dividende 2“ in Deutschland vergeben wird, ist noch im Fluss, wie auch die Diskussion, was aus DVB-T wird. Zwingend sei es ja auch wiederum nicht, dass DVB-T wegen des Ausstiegs von RTL völlig kippt, meint Hege. Mit einem Marktanteil von 4,2 Prozent bei DVB-T sei RTL offensichtlich bei den DVB-T-Guckern nicht sonderlich beliebt.
Dennoch setzt Hege zurzeit mehr auf das Internet als auf DVB-T. Es sei eher eine Frage des Zeitpunkts, wann der Ausstieg erfolge. Hege liebäugelt offensichtlich wieder einmal damit, dass Deutschland Vorreiter wird und als erstes Land in Europa sich von DVB-T verabschieden wird. Was man sich vor wenigen Jahren noch nicht habe vorstellen können, sei heute doch schon bewiesen. Man könne über das Internet prima Fernsehen gucken. Und was passiert dann eigentlich, sollte DVB-T sterben, mit den vorhandenen Frequenzen? Die würden dann in eine „Digitale Dividende 3“ eingehen. Und der Fortschritt der Technik geht immer weiter. Es wird dann wohl um die schon viel diskutierten hybriden Formen zwischen Mobilfunk (LTE) und terrestrischem Fernsehen gehen. DVB-T-Pionier Hege hat schon ein neues Projekt angedacht: Es heißt: „Erprobung des Internets als Form der stationären Fernsehversorgung“. Da sollen bisherige DVB-T Nutzer den Breitbandzugang für die Fernsehnutzung testen.
Erika Butzek
(MB 03/13)