Mehr Macht den Kreativen!

Jenseits von einzelnen TV-Events ist das Programm des Deutschen Fernsehens immer eintöniger geworden. Gleichzeitig verdienen diejenigen, die die Programme kreieren und realisieren immer weniger Geld. Eine Wechselwirkung? Und was ist der Lösungsweg, um innovative TV- und Filmideen blühen zu lassen und kreative Leistung gerecht zu entlohnen?

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Mehr Macht den Kreativen!

Drehbuch-Autoren beklagen sich, von Redakteuren der TV-Sender nicht partnerschaftlich in die Filmrealisierung eingebunden zu werden. Produzenten sehen in der Honorierung ihrer Leistungen durch TV-Sender „einen Tiefpunkt“ erreicht und wollen einen „Paradigmenwechsel“: statt Total Buy Out fordern sie die Zweitverwertungsrechte. Technische Dienstleister sehen einen „Handlungsbedarf“, weil sie als letztes Glied in der audiovisuellen Produktionskette die Allerärmsten seien, indem sie den größten Kostendruck zu ertragen hätten. Kurzum: Die Unzufriedenheit in der Produktionswirtschaft wächst. Es scheint sich Widerstand gegen herrschende Machtverhältnisse in der TV- und Filmbranche zu formieren. Aber ist das alles wirklich neu?
Tatsächlich handelt es sich um Forderungen, die teils schon vor dem Aufkommen des Privatfernsehens vor 30 Jahren aufgestellt wurden und sich seitdem wiederholen. Allerdings haben sich mittlerweile die Rahmenbedingungen in der audiovisuellen Produktionswirtschaft drastisch verändert, wie ein Rückblick in die jüngere Entwicklung zeigt. So war der Claim „Content is King“ mal eine große Prognose. Damals, vor zehn bis zwanzig Jahren, als die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Fernsehmarkt noch in einer nebulösen Zukunft lagen. Ob Autoren, TV- und Filmproduzenten oder technische Dienstleister, sie alle durften auf eine Expansion im Bereich der Herstellung von neuen audiovisuellen Inhalten für neue Distributionswege hoffen. Zudem wurde angenommen, dass die neuen digitalen Produktionsweisen auch neue Qualität und neuartige Programminnovationen mit sich bringen werden. Doch nachdem die Digitalisierung nun in groben Zügen abgeschlossen – und damit das Ergebnis sichtbar geworden ist, stellt sich heraus: Die alten Platzhirsche aus der analogen Zeit sind auch die neuen geblieben.

Digital-Profit nur für TV-Sender

Es sind die vielen deutschen TV-Kanäle, die einerseits aus dem öffentlich-rechtlichen System von ARD/ZDF, andererseits unter dem Dach der kommerziell orientierten Unternehmen ProSiebenSat.1 und RTL gebildet worden sind. Alle zusammen haben ihre marktbeherrschende Positionen im Prozess der Digitalisierung ausgebaut. Sie sind heute auf allen denkbaren Distributionswegen unterwegs, um überall und jederzeit abrufbar zu sein. Sie sind bestens im stationären und mobilen Internet wie über die vielen neuen TV-Satellitenkanäle präsent. Dabei formatieren sie die Inhalte aus ihren klassischen linearen Programmen für den VoD-Abruf im Internet immer wieder neu und füllen ihre Spartenkanäle im Satellitenhimmel zielgruppenspezifisch mit eingekauften internationalen Lizenzprogrammen auf. Der Anteil an neu produzierten Programmen für Spartenkanäle seitens der TV-Sender ist marginal. Originär für das Internet wird weitgehend nur von Amateuren oder semiprofessionell produziert. Was bekanntlich möglich ist, weil entsprechendes Kamera- und Postproduktionsequipment heute massenhaft zur Verfügung steht. Jedermann kann sich eine HD-Kamera oder einen PC mit Postproduktions- und Sendebetriebsfunktionen für erschwingliche Preise verschaffen – und sein Glück beispielsweise bei YouTube suchen. Egal, ob und wieviel sie damit verdienen, viele sind dankbar, irgendwie Etwas „mit Medien“ zu tun. Zwar gibt es neben den VoD-Angeboten der großen Sender und Verlage auch beispielsweise Startups, die sich mit VoD-Plattformen zu profilieren versuchen. Doch ein nennenswerter Wirtschaftseffekt für die deutsche Produktionswirtschaft ist bislang nicht bekannt. Zwar knabbern etliche kleine Spartenkanäle, die sich im Satellitenhimmel tummeln, insgesamt an den Marktanteilen der vier großen deutschen Senderfamilien. Aber einerseits haben die Großen durch Selbstfragmentierung wieder Terrain aufgeholt. Andererseits generieren kleine Spartensender nur marginale Reichweiten von 0,1 Prozent beim Gesamtpublikum oder weniger, weshalb sie kaum große Produktionsaufträge vergeben können (vergleiche Kasten). Fazit: Die Prognose „Content is King“ hat sich im Wesentlichen nur für die Platzhirsche unter den TV-Sendern bewahrheitet, so dass die audiovisuelle Produktionsbranche kein neues Wachstum durch die Digitalisierung einheimsen konnte, für die sich denn auch „Content is King“ eher als Blase entpuppte.
So wundert es nicht, dass das vermeintlich neue Geschäftsfeld „Internet“ in der jüngsten Studie zu wirtschaftlichen „Eckdaten der Dienstleister für audiovisuelle Medien“, die der Verband Technischer Betriebe für Film [&] Fernsehen (VTFF) in Auftrag gegeben hat, so gut wie gar keine Rolle spielt. Die Befragung von immerhin 1.400 Unternehmen, die professionell als technische Dienstleister im audiovisuellen Medienbereich tätig sind, hat ergeben, dass nur ein Prozent der von ihnen generierten Umsätze aus dem Internet-Bereich stammt. Wenn überhaupt, dann hat die Digitalisierung für produzierende technische Dienstleister allein im Bereich der audiovisuellen Werbung neuen Schwung gebracht, der mit 29 Prozent an generierten Umsätzen fast gleich stark mit dem Bereich der Produktion von fiktionalen TV-Programmen (32 Prozent) ist. Dies weist VTFF-Geschäftsführerin Christiane Grieb jedenfalls als ein für die Branche „überraschende Ergebnis“ aus. Möglicherweise ist es darauf zurückzuführen, dass die werbetreibende Wirtschaft mehr zielgruppenspezifische Werbespots für Spartenkanäle und den Online-Bereich produzieren ließ oder für ihre eigene Web-Präsentation. Genau weiß man es nicht, weil es sich um die allererste bundesweite Studie der technischen Film- und TV-Dienstleisterbranche handelt und deswegen keine Vergleiche zu früheren Jahren gezogen werden können.

Verstärkte Industrialisierung

Sicher dagegen ist, dass die Marktdominanz der vier großen öffentlich-rechtlichen und privaten Senderfamilien im Zuge der Digitalisierung weiter angewachsen ist. Sie sind es, die den Programm-Produzenten – von Autoren über Produzenten bis technischen Dienstleistern – ihre Kosten- und Produktionsbedingungen diktieren. Obwohl die audiovisuelle Produktionswirtschaft bei der Umstellung auf neue, digital bedingte Workflows und Umstellung auf HD in den vergangenen Jahren mit großen Herausforderungen und einem komplexen Mehraufwand konfrontiert war, sind die Honorare im besten Fall dieselben geblieben, mehr aber noch sogar gekürzt worden. ARD/ZDF argumentieren, sie müssten sparen, weil der Rundfunkbeitrag ihnen ein enges Korsett verpasse. ProSiebenSat.1 und RTL sind auf höchstmögliche Rendite kapriziert, die sie an Finanzinvestoren oder Muttergesellschaft abgeführt haben. Aus diesem Grunde haben sie in jüngerer Vergangenheit das Budget für Auftragsproduktionen enorm gedrosselt und mehr in preiswerte, industrialisierte Formate wie Scripted Reality, Coaching- und Doku-Formate umgelenkt, wovon nur ein kleiner Teil der Produktionswirtschaft profitieren kann. Gleichzeitig werden innovative Projekte wie aufwändige fiktionale Serien oder künstlerisch-
kulturelle Ansprüche zur Ausnahmeentscheidung. Was folgt daraus? Erstens ist festzustellen, dass wer Marktdominanz hat, sie auch behalten will. Um bloß kein vorhandenes Publikum zu verlieren, haben die vier großen TV-Senderfamilien – außer ihrer Selbstfragmentierung – so wenig wie möglich Neues ausprobiert und wagen nur selten etwas an ihrem linearen Sendeschema und an den vorhandenen Sendeplätzen zu verändern. Man geht davon aus, dass die Dauergucker der großen Hauptprogramme Gewohnheitstiere sind, die immer dasselbe sehen wollen. Dabei wird zudem zunehmend die Form der industriellen Produktionsweise, die einst bei der Einführung von Telenovelas perfektioniert worden ist, auch auf Prime-Time-Movies und fiktionale Serien übertragen, um die Kosten zu drücken. „Constructed Reality“, so berichtete der bisherige Red Arrow International-Chef Jens Richter (der demnächst zu FremantleMedia International wechselt) vor nicht langer Zeit im MEDIEN BULLETIN-Interview sei „ein vornehmlich deutsches Phänomen“. Der Effekt: Das Programmangebot im deutschen Fernsehen ist zunehmend durch eine auf Effizienz- und Quotenorientierung basierende Industrialisierung geprägt. Motto: Alles nach dem gleichen Muster. Was lässt sich dagegen tun?
Vielleicht sollten Autoren mehr Einfluss auf den Produktionsprozess insgesamt erhalten? Eine Frage, um die es implizit am Rande der Berlinale bei einer Veranstaltung der Akademie für Film- und Fernsehdramaturgie (München) ging, die Produzent Uli Aselmann (die film gmbH) unter dem Titel „Vom Autor zum Regisseur – Renaissance des Autorenfilms?“ organisiert hatte. Aselmann stellte zu Beginn eine alte Protest-These aus dem Munde des Filmemachers und Produzenten Alexander Kluge in den Raum, wonach der Autorenfilm „der Retter des Films gegenüber der Vereinnahmung durch die Industrialisierung“ sei. Darüber sollten die vier geladenen jungen Drehbuchautoren, die sich teils auch auf dem Regie-Gebiet, als Schauspieler oder „produzentisch“ tummeln, diskutieren. Nun waren die Erfolgsautoren wie Bora Dagtekin (Autor und Regisseur von „Türkisch für Anfänger“, „Fack Ju Göhte“ und Autor „Doctor’s Diary“) und Anika Decker (Drehbuchautorin, unter anderem „Kleinohrhasen“, „Zweiohrküken“, „Rubbeldiekatz“) klug genug, nicht ins Fettnäpfchen zu treten und sich dabei den Zugang zu potentiell neuen Auftraggebern zu verscherzen. Und mit der einstigen Protestbewegung des Neuen Deutschen Films, aus der Kluge stammt, haben sie sowieso nichts am Hut, zumal sie ihr Autoren-Handwerk auch prima durch Beteiligung am Autorenpool für industriell gefertigte Produktionen wie GZSZ erlernt haben.
Dennoch brachte die Diskussion ans Licht, dass Autoren gemeinhin zwar als Ideengeber für neue Filme willkommen sind, aber im weiteren Verlauf des Produktionsprozesses von TV-Redakteuren eben „ekelig abgestoßen“ – oder mit geschmäcklerischen Fragen konfrontiert werden, mit denen sich TV-Redakteure in bis zu sechsstündigen Sitzungen beschäftigen. Der Autor werde nicht genügend gewürdigt. Dass Autoren, wenn sie sich nicht bereits eine Luxussituation erarbeitet haben, namenlos bei den Senderanstalten bleiben, bestätigte eine Dame im Publikum. Sie stand auf und bezeichnete sich als eine von Sendern abhängige Regisseurin, die bei ihrer langjährigen Tätigkeit – auf Grimme-Preis-Ebene – „noch nie einen Kontakt mit einem Autor gehabt“ habe. Sie sei deshalb von der Diskussion inspiriert und überlege, mal auszuprobieren, wie es ist, wenn sie selber ein Drehbuch schreibt.
Decker hatte zuvor gefordert, es mache „Sinn, dass Autoren aus ihrem Kämmerlein kommen“. Dagtekin hatte kritisch angemerkt, dass es „nur ein paar Produzenten“ gebe, „mit denen man gut zusammenarbeiten“ könne. Wozu selbstredend Moderator Aselmann und erst Recht Constantin-Chef Martin Moszkowicz, gehöre, der sogar höchstpersönlich nächtens mitgeholfen hatte, die von Dagetekin imitierte Social Media-Aktion zu beflügeln, die auch ein Faktor mit dafür war, dass „Fack Ju Göhte“ zum deutschen Kinokassenschlager 2013 avancierte.

Warum hatte Aselmann zur Veranstaltung nur die jungen selbstbewussten Autoren geladen, die aktuell im Kinofilmbereich und nicht beim Fernsehen beschäftigt sind? Das begründete er in einem Nachgespräch mit der „Freiheit des Kinofilms“, die für Autoren mehr als im TV-Bereich gegeben sei. Doch da ist wiederum der renommierte Drehbuch-Autor Knut Boeser, der auch Vorstandsmitglied des Verbands Deutscher Drehbuchautoren ist, anderer Meinung. Er beschreibt in einem Beitrag für Cicero, die deutsche Förderpraxis als ein unsinnig organisiertes System, das die Produzenten zwinge, von einem Fördertopf zum anderen zu wandern. Weil in diesem Prozess jeder einzelne behördliche Finanzier Einfluss auf das Filmprojekt nehme, obwohl er jeweils nur kleine Summe zahle, gehe im Prozess das künstlerische Potential verloren. Und zum Schluss landet auch ein Kinofilm wieder bei einem TV-Redakteur, weil das Fernsehen im gesamten Förderungssystem einbezogen ist. Nun kann man nicht pauschalisieren. Es gibt solche und solche TV-Redakteure und solche und solche Produzenten. „Aber das System insgesamt funktioniert nicht“, hat Boeser in vielen Jahren seiner Tätigkeit als Autor beobachtet.
Und es ist gar nicht einmal eine neue Erkenntnis. Seit vielen Jahren ist bekannt, dass das Gießkannen-System der Filmförderung in Deutschland den kreativen Prozess des Filmemachens behindert. In den vergangenen Jahren ist es sogar noch schlimmer geworden, weil die TV-Sender ausdrücklich von Produzenten erwarten, sich fehlendes Geld für kostenintensivere Projekte aus den Filmförderungstöpfen zu besorgen. Ebenso prallt die Forderung der Produzenten an die TV-Sender, ihnen Zweitverwertungsrechte zur Kapitalbildung zu überlassen, seit Jahren auf Granit, weil im Gegenzug von den TV-Sendern eine Finanzierungsbeteiligung für die Produktion von Anfang an gefordert wird, was sich aber nur große Produktionsunternehmen leisten können. Und weil die TV-Sender die Film-Rechte nun auch für ihre verschiedensten VoD-Angebote im Internet haben wollen, wird sich vermutlich schwerlich daran etwas ändern. Zumal auf medienpolitischer Ebene zunehmend angedacht ist, die Sieben-Tage-Regel für den Verbleib von TV-Produktionen in den Mediatheken von ARD/ZDF zu kippen. Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters spricht sich beispielsweise für den Wegfall der Regelung deshalb aus, um ARD/ZDF davor zu bewahren ein „Spartenprogramm für Ältere“ zu werden. Bekanntlich, das jedenfalls wird immer wieder behauptet, greifen Jüngere lieber auf VoD als auf das lineare TV-Programm zu.

Und wie stellt sich die Situation der technischen Dienstleister für audiovisuelle Medien dar, die sich zu Recht mit ihrem Beratungs-Know-How ebenso als kreativen Teil der Film-und TV-Wirtschaft verstehen? Die erwähnte neueste Studie hat ergeben, dass sich ihre Umsatzrenditen noch wesentlich negativer als die von Produzenten entwickelt haben. Um künftig Abhilfe zu schaffen, ist auch der VTFF zuallererst auf die Idee gekommen, möglicherweise eine Partizipation am Filmförderungssystem zu fordern, um auch weiterhin eine professionelle Infrastruktur für filmtechnische Dienstleistungen vorhalten zu können. Aber auch diese Idee ist nicht neu, wie man weiß, und wird kaum konstruktiv sein.
Quintessenz: Ob Autoren, Produzenten oder technische Dienstleister, sie alle sind heute insbesondere vom öffentlich-rechtlichen System abhängig, wie vom Filmförderungssystem. Keiner traut sich radikale Forderungen in Richtung eines kompletten Systemwandels zu stellen. Das System ARD/ZDF mag niemand aus der Produktionswirtschaft öffentlich in Frage stellen. Das hat auch damit zu tun, dass das deutsche Privatfernsehen, das die Produktionswirtschaft vor Jahren im Wachstum beflügelt hatte, aktuell nicht als Alternative gilt. Weder das Internet, noch die vielen neuen digitalen Kanäle noch das Pay-TV haben sich bislang als große Wachstumslokomotive für die Produktionswirtschaft gezeigt. Also bleibt alles wie es ist und war?
Wenn aber auf die Dauer kreative Leistungen unterbezahlt bleiben, droht eine Entprofessionalisierung der Branche. Die professionelle Branche würde sich den unprofessionellen Gegebenheiten im Internet anpassen, wo kaum einer mit Videos Geld verdient, sondern mal einfach was ausprobiert. Schlimmer noch der weitere Effekt: Es wird zu noch mehr eintönigen industriell produzierten Filmen und TV-Programmen führen. Mehr Macht den Kreativen! Sie müssten allerdings die Macht ohne Angst ergreifen.
Erika Butzek

(MB 2/14)