Ruhe nach dem Sturm

Die gute Nachricht ist: Der Digitalisierungssturm, der den Markt in den letzten Jahren ziemlich unübersichtlich gemacht hat, ist offensichtlich vorbei. Die schlechte Nachricht ist: Der Kostendruck für die TV-Produktion bleibt erhalten. Ein Rück- und ein Ausblick zum Jahreswechsel, auch mit Sicht auf das Programm.

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Ruhe nach dem Sturm

Ein Trend hat sich im Jahr 2013 fortgesetzt: Die großen privaten TV-Veranstalter, namentlich die marktbeherrschenden TV-Sendergruppen ProSiebenSat.1 und RTL, haben weiterhin Quartal für Quartal himmlischen Wachstum und steigende Renditen verkündet. Das hat wenig mit dem Programm und seiner Qualität zu tun, sondern mit dem zunehmenden Engagements im Online-Bereich, wo man auf vielfältige Weise vorhandenes Programmvermögen mehrfach verwerten kann. Auch haben sie ganz neue Geschäftsfelder aufgemacht. Die RTL Group ist beispielsweise international mit YouTube eine Kooperation eingegangen, um mehr Geld aus Werbung zu verdienen. ProSiebenSat.1 tummelt sich im eCommerce-Bereich und entwickelt immer mehr Phantasie für Online-Plattformen, die im Video-, Games- und Musikbereich angesiedelt sind. Verloren gegangene Zuschauer versucht man wieder mit extra Spartenprogrammen einzufangen. Dabei ist ProSiebenSat.1 nun kein paneuropäischer Konzern mehr, sondern konzentriert sich abgesehen von seiner Produktionsunit Red Arrow wieder auf Deutschland. Zwar ist der TV-Markt immer fragmentierter, wobei es dennoch bei einem marktbeherrschenden Duopol in Deutschland bleibt. Von den Nischensendern der dritten Generation bemüht sich Tele 5 besonders um Aufmerksamkeit, indem der Sender ständig verspricht „leider geil“ zu sein.

Bei ARD/ZDF gibt es seit Anfang 2013 keine Gebühren mehr, sondern einen Rundfunkbeitrag. Nach Schätzungen sollen damit noch ein paar Hundertmilliönchen zusätzlich eingenommen werden. Wie die verteilt werden sollen, ist noch nicht klar, zumal vor Gericht Klagen gegen den Rundfunkbeitrag eingelaufen sind.

Sicher ist nur, dass das viele schöne Geld von den privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern nicht in die TV-Produktionswirtschaft einfließen wird. Sind die Margen für Dienstleistungen erst mal nach unten gedrückt, dann sorgt schon der intensive Wettbewerb dafür, dass sie da auch bleiben. Die neue Produktionstechnik hat Studios überflüssig gemacht. Darunter hat insbesondere Studio Hamburg zu leiden. Vor allem die Überkapazitäten in Berlin bereiten Schmerzen, was vielleicht der Grund für Fluchtbewegungen auf der hohen Managementebene ist.

Derweil ist der TV-Konsum stabil geblieben. Es wird immer noch massenhaft geguckt, was im Free-TV angeboten wird. TV ist Lieblingsmedium geblieben. Vor allem die Jüngeren sind aber immer mehr im Internet mit ihren mobilen Endgeräten wie Smartphones, Tablet PC oder Laptop unterwegs. Sind sie zuhause, dann nutzen sie die Geräte als Second Screen, um zeitversetzt TV zu schauen. Die eine Studie meint Second Screen sei ein überschätzter Trend, die andere meint das Gegenteil. Nur macht sich keiner die Mühe, zu definieren, was man meint.

Ein weiterer Begriffswirrwarr rund ums Digitale ist aber 2013 nicht entstanden. Die einmal angekündigte Revolution scheint versandet. Der Effekt der Digitalisierung ist in erster Linie, dass auf Seiten der Produktion alles immer billiger werden muss, und dass der Nutzer dafür mit neuen Bündelungsangeboten mehr Geld liefern soll. Bezahlfernsehen hat sich jetzt auch in Deutschland durchgesetzt. Sky Deutschland rechnet damit, Ende 2013 erstmals schwarze Zahlen zu schreiben. Deshalb wird nun wahr, was lange angekündigt wurde: Mit „100 Code“ steigt Sky Deutschland in die Produktion einer eigenen Serie ein, zusammen mit internationalen Partnern. Produziert wird sie von der ProSiebenSat.1-Tochter Red Arrow.

Nachdem das Kartellamt die von ARD/ZDF zusammen mit TV-Produzenten geplante VoD-Plattform Germany’s Gold gestoppt hat (wie zuvor das Pendant von ProSiebenSat.1/RTL) hoffen deutsche TV-Produzenten nun, die erfolgreiche US-VoD-Plattform Netflix werde auch eine Dependance in Deutschland aufbauen – und gleich fiktionale Serienaufträge an sie verteilen. Watchever vom französischen Konzern Vivendi steckt, so wird kolportiert, hierzulande noch in den roten Zahlen, hat aber schon mal verkündet, auch eine eigene Serie zu planen.

Derweil haben viele TV-Zuschauer spitz gekriegt, dass es auf ARTE ein besseres Programm als bei den herkömmlichen Sendern gibt, weshalb ARTE in Deutschland den besten Reichweitenzuwachs seit seiner Gründung verbuchen konnte. Der von ARD/ZDF anvisierte crossmediale Jugendkanal wird, wenn überhaupt nicht vor 2015 starten. Während die Privaten neue Kanäle planen, wollen ARD/ZDF mindesten zwei Kanäle dicht machen. Das ZDF hat weiterhin RTL in Sachen Quote gezeigt, was eine Harke ist, und will obendrein weiterhin jünger werden, während RTL nun mehr ein älteres Publikum zwischen 14 und 59 Jahren bedienen will. Was schlicht mit der Altersspirale zu tun hat. Laut Digitalisierungsbericht 2013, von Infratest erhoben, sind mittlerweile 1,5 stationäre TV-Geräte in jedem deutschen TV-Haushalt verbreitet, 56 Millionen insgesamt. Der Digitalisierungsschub, der sich 2012 durch den anlogen Satelliten-Switch-off ergeben hatte, war 2013 schon wieder mächtig abgebremst. 81 Prozent der TV-Haushalte empfangen mittlerweile digitales Fernsehen, der kleine Rest hängt am Kabel, wo es die letzte Chance gibt, noch TV anlog zu gucken. Vor dem echten TV-Gerät hat sich das Mediennutzungsverhalten insofern geändert, dass immerhin 30 Prozent der TV-Gucker auch mal den Elektronischen Programmführer, EPG, nutzen. Zappen ist nicht mehr so einfach. Zwar stehen in elf Prozent der TV-Haushalte bereits die SmartTVs, die bekanntlich TV mit Internet verbinden, doch nur 50 Prozent der Haushalte haben sich tatsächlich angeschlossen. Einige davon wissen erstaunlicherweise, dass man auf diese Weise auch so etwas wie „HbbTV“ empfangen kann, doch nur ganz wenige haben auch Lust dazu.

Dagegen nimmt die Verbreitung von DSL-TV, wie von Telekom angeboten, zu. Weshalb es in diesem Jahr 2013 einen großen Aufschrei gegeben hat, als Telekom angekündigt hat, bei all denen die nicht Video-Kunde von Telekom sind, eine Volumendrosselung vorzunehmen. Doch Telekom wurde via Gerichtsbeschluss schon ausgebremst.

Was ist noch passiert? Feuilletonisten und Harald Schmidt sind völlig von einem neuen Trend begeistert, der, na klar, aus den USA stammt. Man schaut sich fiktionale Serien nicht mehr etwa in Form von einer Folge pro Woche an, sondern alle Folgen als Mammutfernsehen auf einmal. Aber nur feinste Produktionen wie etwa „House of Cards“, „Homeland“ oder auch mal was Dänisches wie „Borgen“ und es darf auch etwas Deutsches wie „Weissensee“ sein. Als deutsche TV-Produktion hat 2013 der Vierteiler-Event „Unsere Mütter, unsere Väter“ nicht nur in Deutschland, sondern auch im Weltvertrieb Furore gemacht. Er stammt aus der Erfolgsschmiede von TeamWorx, die es aber nicht mehr gibt. Denn die UFA hat sich insgesamt „rebranded“ und daraus UFAFiction gemacht. Im Gesamtprozess der UFA-Straffung wurden wohl etwa 20 Prozent der festen Mitarbeiter entlassen, heißt es.

2014 wird alles besser. Zum einen wird man sich vermutlich in Ruhe in der digitalen Welt neu arrangieren können. Zum anderen findet ab Juni die Fußball-WM in Brasilien statt und die deutsche Mannschaft wird als Sieger heimkommen, oder etwa nicht? Vielleicht wird RTL die mit BBC koproduzierte Dokumentation „Hidden Kingdom“ zeigen, die RTL-Programmchef Frank Hoffmann in einem Interview als einzige echte Programminnovation bezeichnete. Restauranttester Rach wird dann nicht bei RTL, sondern in neuer Funktion beim ZDF zu sehen sein. Zu Jahresbeginn wird das ZDF „Die Pilgerin“ zeigen, womit man vermutlich einen ähnlichen Quotenhit wie einst Sat.1 mit „Der Wanderhure“ erzielen möchte. Bei der ARD entfällt „Beckmann“, stattdessen will man auf dem Sendeplatz komischer werden. Doch zuallererst ist Weihnachten angesagt, da ist bei der ARD wieder Märchenzeit und es werden schon im Nachmittagsprogramm schöne Filme gezeigt, wie „Pinocchio“ oder „Sechs auf einen Streich“ mit vier Neuverfilmungen (u.a. „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“, „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“). Einziger Wehrmutstropfen dabei: Sendungen in UltraHD, dem technischen Top-Thema im Jahr 2013, wird es auch im kommenden Jahr noch nicht geben.

Erika Butzek
(MB 12/13_01/14)

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