Ganzheitliches Angebot

Grass Valley ist dabei, sich neu zu positionieren. Im deutschen und europäischen Markt ist ein neues Management am Start, das seine Wurzeln in der IT-Branche hat. Dr. Christopher Brennan zeichnet als Vizepräsident Zentraleuropa und Eurasia verantwortlich, Michael Zabolitzki als Geschäftsführer der Region DACH. MEDIEN BULLETIN sprach mit ihnen über Grass Valleys Zukunftsvisionen und -strategien.

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Ganzheitliches Angebot

Grass Valley will verstärkt in das Lösungsgeschäft einsteigen. Was bedeutet das für das Produktgeschäft?

Michael Zabolitzki: Das ist ein entscheidender Punkt. Wenn man in das Lösungsgeschäft rein will, heißt das nicht automatisch, dass man sich aus dem Produktgeschäft verabschiedet. Vielmehr bieten sich hier zahlreiche Synergien. Der Verkauf von Kameras, Mischern und Routern bietet in Kombination mit Workflow- oder Playout-Lösungen die Möglichkeit, Kunden ganzheitlich anzusprechen. Wenn man weiß, was der Kunde braucht, welche Ziele er verfolgt und wie seine Produktionsumgebung in den nächsten Jahren aussehen soll, dann kann man auf Basis vorhandener Produkte passgenaue Lösungen dafür erarbeiten. Das ist ein neuer Ansatz. Es geht uns also nicht mehr darum, ein einzelnes Produkt zu nehmen und zu schauen, wie es irgendwie in die Produktionsumgebung des Kunden hinein passen könnte. Vielmehr wollen wir zuerst die Lösung entwickeln und dann die passenden Produkte dafür aussuchen. Produkt- und Lösungsgeschäft stehen deshalb in keinem Widerspruch zueinander, sondern ergänzen sich sogar ausgezeichnet. In unserem künftigen Geschäft werden weiter Produkte mitverkauft, aber Beratungsdienstleistungen werden einen deutlich höheren Stellenwert in unseren Angeboten an den Markt spielen. Auch die ganze Software, zum Beispiel unsere Middleware-Software, ist beratungs- und integrationsintensiver und bringen den Kunden dann auch einiges mehr an Vorteilen. Hier sieht man, dass die Branche insgesamt immer stärker in die IT hinein geht.

Christopher Brennan: Wir sehen mehr und mehr Kunden in Deutschland, aber auch in Russland und in der Türkei, die unter starkem Wettbewerbs- und Kostendruck stehen. Die brauchen solide Partner, die ihnen hier zur Seite stehen, und suchen unsere Meinung und Beratung. Der reine Geräteverkauf, das sogenannten Boxen-Business, spielt kaum mehr eine Rolle. Stattdessen wird sich vieles auf softwarebasierte Lösungen verlagern. Das bietet letztlich auch große Vorteile für unsere Kunden. Ein gutes Beispiel dafür ist die neue LDX-Kamera von Grass Valley. Sie ist im Grunde schon eine Lösung. Man kauft ein Basismodell zum Einstieg und kann es softwaretechnisch über Lizenz-Keys hochrüsten. Der Kunde hat so die Möglichkeit, flexibler auf die Marktanforderungen zu reagieren.

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Es dauert heute länger, bis man im Dialog mit dem Kunden erkennt, was er will. Beratungsgespräche werden wichtiger. Der kürzlich erfolgte Verkauf der Integrationssparte wird Ihnen oft als Nachteil ausgelegt. Wie sehen Sie das?

MZ: Unsere Lösung vom Integrationsgeschäft hat für Grass Valley-Kunden mehr Vor- als Nachteile. Der Grund ist einfach. Bislang waren wir an einen Systemintegrator gebunden, nämlich an den im eigenen Haus. Egal wo wir hin gegangen sind, konnte es passieren, dass wir als Konkurrent betrachtet wurden, weil wir eine eigene Systemintegration hatten. Heute ist das anders. Das eröffnet natürlich ganz andere Spielfelder. Das heißt aber nicht, dass wir uns aus dem Integrationsgeschäft verabschiedet haben. Wir haben zwar den Geschäftsbereich verkauft arbeiten aber weiter mit der Firma zusammen, die ihn jetzt betreibt – nur nicht mehr exklusiv. Den Grass Valley-Kunden können wir dadurch mehr bieten als vorher. Das ist deshalb auch ein Weg zum Kunden hin und nicht von ihm weg.

CB: Unsere neue Strategie ist schon jetzt durchaus erfolgreich. Wir haben viele Systemingenieure und Lösungsarchitekten in letzter Zeit eingestellt und zwar in allen Regionen. Die Geschäfte laufen gut. Zahlen dürfen wir zwar nicht nennen, aber wir wachsen in Europa zweistellig – auch in Deutschland. Das geschieht unabhängig von der Systemintegration. Wir machen hier also also bereits etwas richtig.

Sie wollen näher an den Kunden heran rücken und ihn besser beraten. Broadcaster sind aber nicht gewohnt, für Beratung Geld auszugeben. Ändert sich hier etwas?

MZ: Auch Broadcaster sind bereit, für Beratungsleistungen zu zahlen, wenn es darum geht, ihre Investitionen zu schützen und nach vorne zu schauen. Das bezieht sich natürlich nicht auf die ersten Schritte im Geschäft für die unsere Presales-Mannschaft zuständig ist. Auch hier haben wir übrigens neue Leute eingestellt. Zudem planen wir unser Partnergeschäft in Deutschland auszubauen, um höhere Skaleneffekte zu erzielen und eine stärke Präsenz nach außen zu zeigen. Auch über die Partner werden wir die Kunden besser betreuen können. Die Produkte wollen wir aber auch künftig selbst beim Kunden platzieren, um so den direkten Draht zu ihm zu halten. Aber das Fulfillment werden wir immer mehr über neue starke Partner machen.

Potenzielle Partner, wie zum Beispiel Broadcast-Handelshäuser und -Integrationsunternehmen, beklagen sich schon eine ganze Weile, dass die großen Hersteller immer mehr Aufgaben einschließlich des Geschäftsrisikos auf sie abwälzen. Zu Recht?

CB: Das sehe ich etwas anders. Natürlich muss das Verhältnis zwischen Hersteller und Partnerunternehmen immer gut ausbalanciert sein. Die großen Partner, die natürlich auch ein Beratungsgeschäft haben, Installation und Integration anbieten, müssen jedoch keine Hardware mehr vor sich herschieben, wenn sie mit uns kooperieren. Das heißt, ihre Margen fallen dann wesentlich höher aus. Allein deshalb dürften sie ein starkes Interesse an einer Zusammenarbeit mit uns haben. Wenn wir uns darauf fokussieren, die richtige Hardware mit der richtigen Software-Lösung dem Partner für das Endberatungsgeschäft anzubieten, dann kann er noch seine Lösungsansätze oben drauf setzen. Das wird dann für ihn noch mal lukrativer.

MZ: Ich bin davon überzeugt, dass in der Broadcast-Branche, je mehr Produkte eingesetzt werden, auch die Margen kleiner werden und dann unsere potenziellen Partner nach Geschäft Ausschau halten, wo sie noch Geld verdienen können. Und das finden sie in den Bereichen Beratung, Installation, Integration und Implementierung. An der eigentlichen Box wird nur noch eine Partei verdienen können und nicht mehr zwei oder drei.

CB: Das ist genauso in der IT-Branche bereits geschehen. IBM ist ein Beispiel dafür. Als Hardware Firma angefangen, verdient man heute Geld mit Software und Solutions. Den gleichen Weg wird auch die Broadcast-Branche gehen. Im reinen Produktanschaffungs- und Verwertungsbereich wird die Broadcast-Industrie in zehn Jahren garantiert anders dastehen als heute.

Was bedeutet das für die Fernsehsender?

CB: Der Druck auf die Broadcaster wird ebenfalls immer größer. Sie müssen sich Richtung Multiscreen-Angebot positionieren. TV ist nicht mehr allein auf dem Markt. Inhalte können immer günstiger produziert und verbreitet werden. Das hat eine Konsequenz auf die Einnahmen der Broadcaster und darauf, wo Werbung am effektivsten positioniert werden kann. Diese Dinge entwickeln sich sehr schnell. Gerade in Deutschland, wo man im Gegensatz zu anderen Ländern eine eher alte Struktur hat. Die junge Generation hat ein ganz anderes Medienverhalten. Live-TV spielt in ihrem Rezeptionsverhalten kaum mehr eine Rolle.

Welche Themenbereiche wollen Sie besonders adressieren?

MZ: Wir gehen, wie gesagt, stärker auf die Wünsche der Kunden ein. Dafür haben wir insbesondere Lösungen für Sport, Live-Produktion und Nachrichten im Portfolio. Aber es gibt keine Lösung, die für alle gleichermaßen interessant ist. Das ist genau das Thema. Wir müssen sehr genau schauen, was der Kunde mit seiner individuellen Umgebung und Historie benötigt, um ihn fit für die Zukunft machen zu können. Dazu muss er allerdings auch bereit sein, die neuen Wege mitzugehen.

CB: Wenn man Online nicht präsent ist und seinen Content dort nicht zur Verfügung stellt dann wird man über kurz oder lang die Jugend nicht an sein Programm binden können. Wir wollen deshalb das Broadcast- mit dem Online-Geschäft verbinden. Dafür haben wir auch Lösungen, die zum Beispiel auf unserem Serversystem K2 Edge basieren, die ursprünglich aus der Ende 2011 von Grass Valley übernommenen Firma PubliTronic stammen.

Gibt es dafür die richtigen Ansprechpartner in den Sendern? Ist das gegenseitige Verständnis da? Bislang war ja oft eine gewisse Skepsis gegenüber Vorschlägen von IT-Vertretern erkennbar.

CB: Ich habe noch keine Berührungsängste entdeckt. Mehr und mehr unserer Kunden wissen vielmehr, dass sie in der digitalen Welt ihre Geschäftsmodelle verändern müssen – egal ob private oder öffentlich-rechtliche Sender. Und die wissen genau, dass das ohne IT nicht geht. Alle haben die gleichen Probleme mit dem Thema CAPEX (Investitionskosten) und OPEX (Betriebskosten). Wenn wir mit unseren Lösungen stärker auf den OPEX-Bereich eingehen können, dann sind wir bei den Kunden sehr willkommen. Wenn wir mit Software Mehrwertfunktionalität bieten, die je nach Bedarf genutzt oder nicht genutzt werden kann – wie bei unserer neuen LDX-Kamera – gewinnen unsere Kunden höhere Flexibilität in den möglichen Einsatzbereichen. Auch die Broadcast-in-a-Box-Systeme auf Basis des Serversystems K2 Edge oder Media Asset Management von Ingest bis Playout mit unserem Media Workflow Application Framework Stratus bieten Lösungen, die in diese Richtung gehen. Es ist überall das gleiche. Broadcaster wollen Top-Inhalte schaffen, ihre Zuschauer begeistern und dabei auch Geschäfte machen, die ihnen das Überleben sichern. Um das zu erreichen, gibt es genug Gesprächspotenzial.

Wie begegnet man Ihnen als Ex-IT-Manager im Rundfunk?

MZ: Ich habe nicht den Anspruch, den Stein der Weisen mitzubringen, bloß weil ich aus der IT-Branche komme. In Deutschland macht man aber leider oft den Fehler, schlechte Erfahrungen mit der IT als Maßstab zu nehmen. Davon rate ich dringend ab. Vielmehr sollte man sich vergegenwärtigen, welche Vorteile die IT in Sachen Hilfestellung für das Broadcast-Geschäft bietet. Schlechte Erfahrungen mit der IT muss man ja nicht unbedingt wiederholen. Besser ist, sich auf die guten zu fokussieren. Wenn die Kunden erstmal feststellen, dass man auf dem Support-Weg unterwegs ist und ihnen helfen will, mit ihnen als Partner zusammen gehen will, dann ist man jedenfalls eher willkommen als jemand, der nur IT verkaufen will.

Warum hat IT einen so schlechten Ruf im TV-Geschäft?

CB: Es gibt da immer noch einige Vorurteile. Es heißt, die Produkte laufen nicht stabil, sind zu kurzlebig und sind billig. Das sind alles Dinge, die man im Broadcast-Bereich nicht braucht. Da hat der Kunde Recht. Wir verkaufen aber keine Kamera mit Windows-System und keinen Router, den man dreimal während einer Sendung resetten muss. Uns geht es darum, zu zeigen, dass es in der Wertschöpfungskette viele Dinge gibt, wo die Broadcast- von der IT-Industrie noch lernen kann – zum Beispiel wie man Workflows intelligenter und flexibler organisiert. Wenn man mit solchen Fragen die Broadcaster erreicht, hat man das Eis gebrochen.

Warum sollen die Broadcaster auf Grass Valley setzen? Andere Anbieter marschieren mittlerweile in eine ähnliche Richtung.

CB: Wir werden uns auf drei Segmente fokussieren: Playout, Live und News. Wir werden keine Systemintegration mehr im Haus machen und Ü-Wagen bauen. Das haben wir vor einem Jahr als André Andreoli Präsident wurde als Strategie beschlossen und jetzt umgesetzt. Das hat unsere Kundschaft insbesondere auch in Deutschland sehr begrüßt. Wir arbeiten jetzt mit allen Systemintegratoren zusammen, was auch positiv bewertet wurde. Die Fokussierung auf drei Bereiche hat bewirkt, dass sehr viele Ressourcen innerhalb von Grass Valley freigesetzt wurden. Dadurch können wir jetzt mehr in unsere Entwicklung investieren – übrigens auch in Weiterstadt, wo wir 35 Mitarbeiter in der Entwicklungsabteilung haben. Wir haben da 13 neue Leute für unseren Softwarebereich und Stratus eingestellt. Die arbeiten eng mit Beaverton in den USA zusammen. Unser Engagement richtet sich klar auf große bis mittelgroße Kunden im Rundfunk- und Produktionsbereich.

Wie sieht es mit den vielen kleinen Inhalteanbietern. Sind die neuen Player aus dem Internet für Grass Valley auch interessant?

MZ: In solche Märkte wollen wir erst noch rein entwickeln. Wir werden auch dafür Lösungen anbieten – zum Beispiel kleinere Playout-Systeme.

Ist Channel-in-box hier ein Thema? Snell, Miranda und jetzt auch Harris sind bereits auf dem Markt unterwegs.

MZ: Das Thema Channel-in-box muss man differenziert sehen. Es kommt hier darauf an, wie integrativ sich so ein System am Ende zum ganzen restlichen Geschäftsmodell eines Senders verhält. Wenn ein solches System unabhängig vom Geschäftsablauf ist und eben nicht integrativ funktioniert, dann wird es uneffizient. Wir setzen deshalb klar auf die integrative Variante und arbeiten an einer offeneren, flexibleren Channel-in-a-box-Lösung, die einfach zu nutzen ist und sich jedem Geschäftsablauf individuell anpassen lässt.

Im Gegensatz zu anderen Herstellern können wir dabei aus einem umfassenden Produkt-Portfolio schöpfen und uns so von vielen Mitbewerbern deutlich abgrenzen. Wir wollen von A bis Z mit der Integration und Software alles als Solution anbieten können. Zum ganzheitlichen Angebot gehört auch, dass wir Broadcaster bedienen können von klein bis groß und dementsprechend auch die Lösungen von klein bis groß. Das gilt auch für Channel-in-a-box-Lösungen.

Das Broadcast-Geschäft wird immer kleinteiliger. Jeder kann heute Sender sein. Wo setzt Grass Valley da an?

MZ: Wir werden hier mit spezialisierten Partnern arbeiten. Weil wir alleine nur eine gewisse Bandbreite an Kunden selbst betreuen können. Aber es werden in Deutschland natürlich nicht mehr als ein Dutzend Partner sein.

Herr Brennan, Sie haben vor zehn Jahren eine Doktorarbeit zum Thema „Radical Innovation with Information Technology“ geschrieben. Was hat sich seither verändert?

CB: Die radikale Innovation durch IT wird auch die Broadcast-Branche maßgeblich verändern wie zuvor schon das Bankwesen, die Telekommunikation oder E-Commerce. Allerdings geht die Entwicklung heute noch viel schneller als vor zehn Jahren. Die Frage ist da: Wie kommt ein Unternehmen damit zurecht? IT wird immer mehr zur Chef-Sache und hat große strategische Bedeutung. Das war lange nicht der Fall. Ein CTO muss heute kein Techniker sein sondern jemand, der das Geschäft versteht und weiß, wie man es durch IT unterstützen kann, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Heute muss jeder Manager das Verständnis für die IT mitbringen, wenn er erfolgreich sein will.

Was hat Grass Valley in nächster Zeit in EMEA vor?

CB: Wir sind noch in vielen Gesprächen. Es wird in der Broadcast-Branche genau wie in der IT-Branche in den nächsten Jahren eine anhaltende Konsolidierung geben. Wir verfolgen das aufmerksam und hören unseren Kunden zu, was sie benötigen. Grass Valley selbst ist sehr gut aufgestellt für die nächsten 20 Jahre. Der neue Besitzer Francisco Partners hat genug Geld und investiert weiter in das Unternehmen.

Am Ende will der aber auch eine Rendite sehen?

MZ: Wir haben schon in diesem Jahr gezeigt, wie leistungsstark wir sind und dass wir profitabel arbeiten können – und zwar zu einem marktgerechten Preis und nicht irgendwie quer subventioniert wie das bei manchen anderen gerne mal gemacht wird. Jetzt geht es darum, das Portfolio soweit zu festigen und zu ergänzen, dass wir unsere Vision als der Premium-Technologie-Anbieter für die Broadcast-Industrie verwirklichen können. Die Strukturen dafür sind bereits alle geschaffen worden.
Eckhard Eckstein
(MB 12/12_01/13)

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