Goldminen der Mediennutzung

Parallele Mediennutzung, hybride Endgeräte, neue Player im Netz und Umbrüche im Anzeigenmarkt kennzeichnen die Dynamik auf dem Mediensektor. Doch die zentrale Botschaft des dritten newTV-Kongresses am 18. April in Hamburg lautete fast schon beruhigend: Das klassische lineare Fernsehen hat auf absehbare Zeit nicht ausgedient – erst recht nicht, wenn es durch non-lineare Inhalte ergänzt wird.

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Goldminen der Mediennutzung

„Welche Umbrüche verzeichnet die Medienlandschaft derzeit und wo sind konvergente Schnittstellen zwischen alter und neuer TV-Welt zu finden“, wollte man auf dem von der Wirtschaftsförderungs-Initiative Hamburg@work mit dem Partner BITKOM e.V. unter dem Motto „TV on the move – Time to Disruptions“ veranstalteten newTV-Kongress in Hamburg wissen. Schnell wurde hier klar: Es besteht offenbar wenig Angst, dass neue Medien und Nutzungsszenarien den klassischen TV-Markt verdrängen werden. Im Gegenteil, nicht wenige gehen davon aus, dass das klassische Fernsehen noch eine Weile das Leitmedium bleiben werde.

In den USA sehen noch 89 Prozent aller Zuschauer klassisch linear fern. Gleichzeitig sitzen aber immer mehr Menschen mit Smartphones, Tablet PCs oder Laptops vor dem TV-Bildschirm und nutzen parallel diese Geräte. Dieser Trend zur Nutzung der Second Screens hat auch die Werbung längst erreicht. Megan Cunningham von der US-Medienfirma Magnet Media berichtete, dass ihr Unternehmen bereits Werbevideos für Second Screens produziere. Und die US-Agentur GetGlue bringt Formate großer TV-Sender auf die sozialen Media-Plattformen wie Facebook oder Twitter, um vor allem die jungen Zielgruppen zu erreichen. GetGlue-Geschäftsführer Sean Besser berichtete zudem, dass Smart TV-Nutzung auf dem großen Fernsehbildschirm für die Amerikaner ganz offensichtlich kein Thema ist. Die smarte und interaktive Nutzung von Bewegbildern und Kommunikation wird bevorzugt auf anderen Geräten gesucht, die eine privatere Nutzung von Medien ermöglichen. In Frankreich ist vor allem die Nutzung von Bewegtbildangeboten über IPTV stark voran geschnitten und habe den Kabelmarkt längst überholt. Die Nutzung des ADSL-Angebots liege derzeit bei 35 Prozent der Haushalte, so Emmanuel Heyd, ein Kenner des Marktes und Consultant unter anderem auch für ARTE. Allerdings habe diese rasante Entwicklung auch eine Kehrseite, verriet Heyd, weil die hauptsächlich aus dem Bereich Telekommunikation und Mobilfunk stammenden Aggregatoren sich einen harten Preiskampf liefern, um neben dem Netzzugang auch mit großen Angebotspaketen Abonnenten zu gewinnen. Der agile Anbieter Free Mobile mit seinem IPTV-Paket Free stehe daher gewaltig unter Druck, weiß Heyd.

In Großbritannien besteht bereits eine große Diversität der Verbreitungswege von TV- und On Demand-Inhalten. Nachdem die Engländer wohl schon Weltmeister waren in der Nutzung von Videorekordern in der analogen Welt, so Maria Ingold von Mireality, bedienen sie sich inzwischen besonders fleißig der Catch-up-Angebote in den On-Demand-Mediatheken. Sehr erfolgreich auf diesem Markt schlage sich der BBC iPlayer mit 8,9 Millionen Abrufen pro Tag.

Und im Nachbarland Österreich stehen sich zwei Entwicklungen gegenüber. Einerseits besitzt der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach wie vor eine paradiesisch starke Position, andererseits tobe ein harter Preiswettkampf der Mobilfunkanbieter, die auch in den Bewegtbild-Markt drängen. Vor diesem Hintergrund habe Sky Österreich sich entlang einer eigens aufgestellten Roadmap strategische Ziele gesetzt, so Kai Mitterlechner, Geschäftsführer von Sky Austria. Der Trend zu Inhalten auf verschiedenen Endgeräten und Plattformen sei nicht zu übersehen, doch auch der österreichische Sky-Chef geht weiterhin von einer Vorreiterstellung des Fernsehens aus, das künftig die Zuschauer auf allen Medienkanälen ansprechen müsse: „Wir bieten unser Produkt auf allen Endgeräten einschließlich Festplattenlösungen (400 Stunden Programm) an, wo wir auch neue oder zusätzliche Zielgruppen erreichen.“ Professor Marcus Englert, Dozent, Consulter und Mitglied im Aufsichtsrat von MEDIA BROADCAST, wies in seinem Vortrag auf die essentiellen Paradigmenwechsel des Medienmarktes hin, etwa darauf, dass angesichts der Nutzungsverschiebungen hin zu Online-Videoangeboten auf hybriden Endgeräten auch die Wertschöpfungskette stark im Wandel begriffen sei. Zu einem großen Konkurrenten der klassischen TV-Anbieter habe sich etwa YouTube mit dem Angebot der Original Channels aufgeschwungen: „Der Aggregator wird zum Sender. Das heißt auch, dass Content immer wichtiger wird“, schloss Englert und führt als Beispiel die Fußball-Bundesliga in Deutschland an: „Eine Goldmine“, wie Englert betont, „auf der sich Geschäftsmodelle aufbauen lassen.“ Die parallele Nutzung von verschiedenen Medien und Geräten führe auch zu einem Umdenken in der Werbewelt. Die Online-Werbung boome und einige Agenturen denken inzwischen verstärkt über interaktive Kampagnen nach, durch die Online und TV verschmelzen. Beispielsweise blende RTL bereits für hybride Geräte Online-Werbung in klassische TV-Sendungen ein. Allerdings, schränkte Englert ein, nur gemessene Reichweiten seien attraktiv für die Werbung. Dies müsse zwangsläufig auch zur Messung der Online-Nutzung führen. Für die alte Welt des Fernsehens ging der NDR-Programmdirektor Frank Beckmann an das Pult und hinterließ alles andere als den Eindruck, dass da eine Entwicklung an den öffentlich-rechtlichen Sendern vorbei ziehe. Der NDR nutze die neuen Kanäle intensiv, Beckmann führte hierzu das Satire-Magazin „Extra 3“ an, dass vor der TV-Ausstrahlung bereits im Online-Stream zu sehen sei und auf 2 Mio. Abrufe komme; die Vorabend-Soap „Verbotene Liebe“ habe viele Fans auf YouTube. Beckmann führte einige GfK-Daten ins Feld, wonach der so genannte Einbruch des öffentlich-rechtlichen Senders bei der werberelevanten Zielgruppe von 14 bis 49 Jahren von 1995 bis heute bei nur vier Prozent Marktanteil liege, also längst nicht so dramatisch ausfalle, wie es gerne öffentlich dargestellt werde. „Diese vier Prozent holen wir auf, aber wir werden als öffentlich-rechtlicher Sender auch in Zukunft Fernsehen für alle Zielgruppen machen“. Allerdings hat auch der NDR-Programmdirektor die Angel nach den Internet affinen Zielgruppen im Netz ausgeworfen. „Kleine Zielgruppen erreicht man am besten online.“ Dadurch erkläre sich, dass die kleineren Sparten-TV-Kanäle sich einen zunehmend größer werdenden Anteil am Kuchen abschneiden. Der NDR werde über die Online-Medien versuchen, Zielgruppen für seine Programme zu mobilisieren und wo möglich auch Allianzen schmieden, um seine Inhalte auf die Plattformen zu bringen. Und für die Fans des Eurovison Song Contest kündigt Beckmann eine Second Screen App an.

Marc Schröder, Geschäftsführer RTL Interactive, spricht nicht mehr vom klassischen Fernsehanbieter: „Wir sind ein Bewegtbild orientiertes Medienhaus, dass alle Bildschirme bedient.“ Schröder sieht die Stärken des klassischen TVs vor allem bei Live-Programmen und Events, weil auch Social Media zeitlicher Synchronität bedürfe. Über das Video-on-Demand-Portal RTL Now biete der Sender daher auch Angebote speziell für die Second Screen Nutzung an. RTL sei offen für Partnerschaften. „Wir leben in einer Landschaft, in der aggregiert wird. Dazu wollen wir mit allen Partnern zusammen arbeiten“, bot Schröder an. Interessanter Weise sind auch in einem Bewegtbild getriebenen Medienmarkt Textangebote noch lange nicht aus der Mode. Die Teletext-Angebote werden nach wie vor häufig genutzt. Dies hat RTL nun veranlasst, eine veränderte Digitext-Version zu entwickeln, bei der auch Bilder und Videos integriert sind. Wer sich auf die Spiegel-Online-Seite begibt und das Online-TV-Angebot von Spiegel TV abfragt, findet Video-Beiträge, die allerdings häufig von Werbeunterbrechungen begleitet sind. Nabil Moghib, Herstellungsleiter Digitale Medien bei Spiegel TV, versicherte, die Abbruchrate liege dennoch unter ein Prozent. Das heißt ein angeklicktes Video wird bis zu Ende geschaut. Dafür fahre man ein dynamisches Werbekonzept. Je länger die Verweildauer des Nutzers, desto geringer die Werbeunterbrechungen.

Als Schlusspunkt dieses Nachmittags befragte Kai Flatau, Sprecher der Hamburger newTV-Initiative, eine Gruppe von Teenagern zu ihren Gewohnheiten und Einschätzungen der Medienentwicklung. Gewiss, es geschieht viel über Facebook und andere Social Media-Seiten. Einige ziehen die 100-Sekunden-Onlineausgaben von Tagesschau oder heute-Nachrichten den 15-minütigen Klassikern auf dem TV-Schirm vor. Und wenn sich etwas ereignet in der Welt wie der Sprengstoffanschlag beim Boston-Marathon, werde es oft zuerst auf Facebook erfahren, bevor zur Vertiefung der Infos gegoogelt wird. Aber die Jugendlichen sprachen auch davon, dass sie Hörfunk hören, klassisch fernsehen und sogar noch Tageszeitung lesen – hierzu sei einschränkend hinzugefügt, dass die Abiturienten noch bei ihren Eltern wohnen, die das Hamburger Abendblatt abonniert haben. Eine andere Jugendliche bekannte sich zu ARTE TV und betonte: Ihr komme es in erster Linie auf die Inhalte an und dazu benötige sie auch keinen Second Screen. Die Jugendlichen schienen zu bestätigen, was sich an diesem Tag wie ein Leitfaden durch viele Beiträge zog. Sie sind im wesentlichen Online orientiert, aber auch bei ihnen hat das lineare TV noch längst nicht ausgedient.
Bernd Jetschin
(MB 05/13)

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