Wer die 25-jährige Geschichte der Fernsehsender Sat.1 und RTL vergleicht, stößt auf einen großen Unterschied: Diskontinuität in der Managementstruktur von Sat.1 auf der einen Seite, die Kontinuität bei RTL auf der anderen Seite. Fragt man einen alt gedienten Sat.1-Mitarbeiter, wie viele Geschäftsführer und Programmdirektoren der Sender in seiner jungen Historie gehabt habe, kommt als prompte Antwort „tausend und einen“. Unübersichtliche Verschachtelungen in den Strukturen der Vergangenheit machen es unmöglich, die verantwortlichen Köpfe für Sat.1 mal schnell an den Fingern abzuzählen.
Ganz anders bei RTL. Da weiß sogar heute noch eine breitere Öffentlichkeit, dass Helmut Thoma den Sender zum Erfolg geführt hatte. Dann kam Gerhard Zeiler, der, wenn auch im Hintergrund als Chef der weltweit operierenden RTL Group, auch heute noch den Kurs für RTL maßgeblich bestimmt. Seine kurzfristige Entscheidung, mit dem heutigen Filmproduzenten Marc Conrad, der unter Thoma RTL-Programmdirektor war, ein RTL-Urgewächs zum RTL-Chef zu machen, nahm Zeiler schon nach 100 Tagen zurück. Seitdem sorgt die ehemalige Controllerin, die ihr Handwerk im Hause Bertelsmann lernte, Anke Schäferkordt, als Frontfrau für Kontinuität in der RTL-Senderfamilie.
Die RTL-Geschichte zeigt, wie die von allen anderen stabilen Wirtschaftsunternehmen: Nur Kontinuität kann zum Erfolg führen. Die Umtopfung von Sat.1 von Berlin nach München, die schon wieder mit einer neuen Geschäftsführung verbunden ist, bedeutet auch, Sat.1 muss wieder einmal neue Wurzeln schlagen. Das kann dauern.
Aktueller Stand: Heute sind beide Sender als Mitglied ihrer jeweiligen Senderfamilien an der Börse notiert: die RTL Group in London, ProSiebenSat.1 in Frankfurt. Die Strategie der RTL Group – übrigens einschließlich der Strategie für die Produktionsfirmen von FremantleMedia, zu der die UFA zählt- wird von der Zentrale in Luxemburg vorgegeben. Die Strategie für Sat.1 kommt vermeintlich von einer Zentrale in Unterföhring bei München, wo der Noch-Vorstand Guillaume de Posch sitzt, den man eine „lahme Ente“ nennt, weil er bereits seinen Abgang verkündet hat. Wann sein Nachfolger bestimmt wird, weiß man nicht.
Während RTL (und die RTL Group) ein Bertelsmann-Kind waren und sind, war die Geschichte von Sat.1 auch schon während des Leo Kirch-Imperiums von wechselnden Gesellschaftern bestimmt. Dann kam Haim Saban mit seinen Investoren, die man wie diejenigen vom heutigen ProSiebenSat.1-Besitzer KKR/Permira mittlerweile einfach „Heuschrecken“ nennt. Nationalität und Standort von KKR/Permira lassen sich kaum eindeutig bestimmen. Es sind echte globale Player in einer zunehmend virtuell gewordenen Finanzwelt, die, weil sie sich verzockt hat, bekanntlich weltweit in der Krise ist.
Zurück auf Start
Nun war Sat.1 immer schon nur eine Schachfigur in wechselhaften strategischen Konzerngeflechten und taktischen Interessenkonflikten. Häufig wurde der Sender, zum Beispiel, als er noch unter der Ägide von Leo Kirch nach der Wiedervereinigung Deutschlands von Mainz nach Berlin zog, sogar luxuriös aufgepäppelt, mit viel Geld für das Programm und das Flair. Der Sender blühte auf, allerdings ohne wirtschaftlichen Erfolg, weil das verdiente Geld in andere Schatullen des Leo Kirch Labyrinth-Imperiums zurückfließen musste. Unter Haim Saban floss das vorrangig mit der Telenovela „Verliebt in Berlin“ erwirtschaftete Geld in die Investoren-Schatulle. Als Dank dafür wurden viele erfolgreiche, aber teure fiktionale Eigenproduktionen wie „Edel & Starck“ aus dem Programm genommen, damit die Rendite noch besser wurde. Und immer dann, wenn es bei Sat.1 in Konkurrenz zu RTL tatsächlich aufwärts ging, wurde der Erfolgskurs durch einen Wechsel des Managements wieder zunichte gemacht. Wie auch beim Wechsel von Saban zu KKR/Permira: Zurück auf Start.
Doch schon beim zehnjährigen Jubiläum des Senders hatte der frühere Sat.1-Chef und heutige VPRT-Präsident Jürgen Doetz festgestellt: „Sat.1 war der Blockadebrecher für das deutsche private Fernsehen, doch wir taten uns schwer daran, jene Führungsrolle auch mit dem Platz des Spitzenreiters in der Gunst der Zuschauer zu verknüpfen. Die Geschichte von Sat.1 wird, wenn sie einmal geschrieben wird, deshalb auch aufzeigen, wie vielfältig die Konflikte waren, die quasi stellvertretend auf dem Rücken dieses Senders ausgetragen wurden.“
Das galt damals, das gilt heute, auch wenn unter anderen Konstellationen. Ein kleines Stück der komplizierten Sendergeschichte hatte Doetz in der Publikation „Faszination Fernsehen“ zum zehnjährigen Senderjubiläum frank und frei aus seiner damaligen Erlebnisperspektive als Leo Kirch-Mitarbeiter beschrieben.
Fakt ist: Sat.1 wurde am 1. Januar 1984 in einem Kellerstudio in Ludwigshafen – angesiedelt zwischen Friedhof und Schlachthof – geboren, bevor eine schicke Sendezentrale in Mainz aufgebaut wurde. Schon die Geburt war von Interessenskonflikten der Gesellschafter begleitet. Verkürzt: Auf der einen Seite stand Filmhändler Leo Kirch, der mit Sat.1 eine werbefinanzierte Abspielplattform für seine vielen gebunkerten Filme und Serien haben wollte, die er vorher schon ARD und ZDF als Lizenzen verkauft hatte. Auf der anderen Seite standen die Zeitungsverleger – vom Axel Springer Verlag bis zur FAZ, die aus diversen medienpolitischen Gründen ins Boot geholt worden waren, um Sat.1 als „Urknall“ für das private Fernsehen in Deutschland aus der Taufe zu heben und auf neue Werbeeinnahmen im Sektor Fernsehen hofften. Da gab es allerhand Zoff. Und irgendwann stieben die Parteien auseinander, nachdem alle zuvor mächtig Einfluss auf das Programm von Sat.1 genommen hatten.
Dagegen war RTL, damals noch RTL plus, Piraten-gleich aus einem winzigen Studio von Luxemburg aus, mal locker vom Hocker ohne jegliche medienpolitische Erlaubnis mit dem Senderchef Thoma über Antenne gestartet, womit er von Anfang an in Deutschland wesentlich mehr Zuschauer erreichte als Sat.1 im mickrigen Ludwigshafener Kabelpilotprojekt. Das war ein TV-Nachfolgeprojekt für den damals – trotz störanfälliger Mittelwelle – bei Deutschlands Jugend sehr erfolgreichen Radiosender, der im Gegensatz zu den öffentlich-rechtlichen Hörfunksendern genau die Hits anbot, die man hören wollte. Kein Wunder, dass Thoma, wie er heute sagt, die Zielgruppe 14 bis 49 Jahre damals für Deutschland nach US-Vorbild erfand und mit einem „erfrischend anderen Programm“ Reklame machte. Wohingegen Sat.1 versuchte, ARD und ZDF nachzueifern.
Doch im Laufe der Zeit gelang es Sat.1 – zunächst beispielsweise mit „Schreinemakers“ und „Talk im Turm“ – und mehr und mehr vor allem im fiktionalen Bereich neue Standards für frische Farben zu setzen, die sich von den gefälligen altbackenen Formaten bei ARD und ZDF abhoben. Da musste auch RTL mehr für die eigenproduzierte Fiction tun.
2004: Sat.1 feiert zwanzigjähriges Jubiläum. Haim Saban ist schon da, der Sendergruppenchef heißt noch Urs Rohner und setzt seinen Schweizer Landsmann Roger Schawinski noch rasch als Sat.1-Chef ein, der den gerade recht erfolgreichen Martin Hoffmann ablöst, der die Stafette von Fred Kogel übernommen hatte. Zu diesem Zeitpunkt stellt Doetz fest: „Sat.1 steht, wie kein anderer Sender, für die Geschichte und die Probleme, für hochwertige Eigenproduktionen, für die Unruhe des deutschen Privatfernsehens – und wir können schon stolz darauf sein, dass es Sat.1 geschafft hat, eine unverzichtbare Konstante des Privatfernsehens zu sein.“
Obwohl Sat.1 gerade mit der Erfindung von TV-Event-Produktionen wie „Der Tunnel“ und „Das Wunder von Lengede“ Furore und beste Quote gemacht hatte und gleichzeitig mit den preiswerten Doku-Formaten „Lenßen & Partner“ und „K11“ für das Reichweitenproblem von Sat.1 am Nachmittag – bis heute – gelöst hatte, sah Medienpolitiker Doetz schon damals vor allem „Probleme“ und „Unruhe“ am Horizont. Allerdings war der Medienmarkt damals auch gerade in die Turbulenzen der Werbekrise nach dem Zusammenbruch der New Economy gerutscht.
Und schon seit einiger Zeit hatte es Sat.1 nicht nur im Wettbewerb mit RTL schwer, sondern vor allem mit dem Münchner Sender ProSieben aus der eigenen Familie. Der war schon von Kirch dafür vorgesehen worden, sein Publikum vor allem mit US-Lizenzprogrammen zu holen. Die haben seit jeher, nicht erst seit „Dr. House“, sondern beispielsweise schon mit „Die Simpsons“ beim jüngeren Publikum mit großem Erfolg angefangen. Weil ProSieben aufgrund preiswerterer Programmware als Sat.1 mit seinen Eigenproduktionen – oder teuren Fußballlizenzen – von jeher auch ein großer wirtschaftlicher Erfolg beschieden war, wollten die Münchner, wie es die Berliner bei Sat.1 empfanden, diktieren, was richtig und was falsch ist. Schon bei der von Kirch verordneten Fusion zur Senderfamilie hatte sich letztlich immer ProSieben mit seinen Vorgaben durchgesetzt.
Zentralisierung abschließen
Von der Vergangenheit zur Gegenwart und Zukunft: Im Sommer 2009 wollen die beiden großen marktbeherrschenden kommerziellen Fernsehsendergruppen, die immer noch ein Duopol bilden, ihre Umzüge – und damit verbunden auch ihre Zentralisierung – abgeschlossen haben. Die Mediengruppe RTL Deutschland wird dann mit all ihren Einzelsendern an einem Ort in Köln-Deutz beheimatet sein. Der Berliner Sender Sat.1 soll dann in der ProSiebenSat.1-Zentrale in Unterföhring bei München eingegliedert worden sein. Von Insidern ist zu erfahren, dass der geplante Umzug von Sat.1 zwar horrende teuer sei. Weil aber ProSiebenSat.1 ohnehin derart verschuldet sei, käme es darauf auch nicht mehr an.
Welches Programmprofil Sat.1 in Zukunft haben soll, wie viele Eigenproduktionen in welcher Qualität erlaubt sein werden, das ist offensichtlich alles noch nicht ausgemacht. Fest steht nur, dass der bisherige Kabel eins-Chef Guido Bolten bereits ab dem 1. Januar das Sat.1-Kommando übernimmt.
Sicher ist: Geld für teures Programm hat die ProSiebenSat.1-Gruppe ohnehin nicht. Sie sucht ihr Heil in der Zentralisierung, die sie „Zukunftsprogramm“ nennt. Auch ob die technische Realisierung der Zentralisierung der Verwaltung und Programmplanung, die zusammen mit IBM in Vorbereitung ist, von Anfang an klappen wird, bleibt abzuwarten. Zu beobachten ist, dass die Mediengruppe RTL Deutschland die Zentralisierung am neuen Standort in Köln mehrfach verschoben hat. Trotz Ankündigung seitens des ZDF, das neue digitale Nachrichtenstudio auf dem Lerchenberg in Mainz in diesem Jahr in Betrieb zu nehmen, ist auch da noch nichts passiert.
Aus den einstigen „privaten“ Sendern sind längst kommerzielle Senderfamilien geworden. Die Intention, die dahinter steht, ist, die im Zuge der Digitalisierung entstandene Fragmentierung des Fernsehmarktes und den damit verbundenen Quoten-Verlust bei den großen Sendern durch zentral gesteuerte Senderfamilien wieder wett zu machen und gleichzeitig die Betriebskosten zu drücken. Ein Ziel, das auch ARD und ZDF verfolgen. Beim ZDF ist gar geplant, ein ZDF 2 für jüngere Zuschauer über einen der drei vorhandenen Digi-Kanäle aufzuziehen. Das alles führt zu Zoff nicht nur mit den kommerziellen Sendern, sondern auch mit den Verlegern, da bei allen Digitalisierungsplänen immer auch das Internet eine große Rolle spielt, das die Verleger gern ohne Konkurrenz von ARD und ZDF besetzen wollen. Stichwort: „Rundfunkstaatsvertrag“.
Rund um ProSiebenSat.1 werden immer wieder Spekulationen laut, wonach der Axel Springer Verlag die Senderfamilie doch noch übernehmen werde, obwohl das Kartellamt einen Riegel davor geschoben hatte. Vermutlich wäre es in diesem Fall aber günstiger, die Zentralisierung der ProSiebenSat.1-Gruppe eher vom Springer-Standort Berlin vorzunehmen. Aber auch das ist reine Spekulation.
Dem Medienstandort Berlin bleiben nach dem Wegzug von Sat.1 als Fernsehsender nur noch der arme öffentlich-rechtliche Rundfunk Berlin Brandenburg und der Nachrichtensender N24 aus der ProSiebenSat.1-Gruppe erhalten. RTLs Nachrichtensender n-tv wurde schon vor Jahren nach Köln zwecks Zentralisierung abgezogen. Natürlich bleiben aber eine Reihe von Hauptstadt-Studios sowie Dependancen ausländischer Fernsehsender in Berlin bestehen – samt einer quirligen, kreativen Film-, TV- und Internet-Produktionsszene. Nur: Von wem wird die welche Aufträge erhalten? Seitdem Sat.1 als Sparringpartner für RTL mehr oder weniger ausgefallen ist, setzt der Sender vornehmlich auf preiswertes Doku-Entertainment bei Reality-Formaten und Shows: von „Bauer sucht Frau“ bis zu „Das Supertalent“. „Bauer sucht Frau“ allerdings wird von der Berliner Poduktionsfirma MME realisiert, deren Chef, Martin Hoffmann, einst Sat.1-Chef war. Auch der Sitz des Marktführers unter den Inhaltelieferanten, nämlich die Bertelsmann und RTL Group-Tochter UFA, sitzt nahe bei Berlin in Potsdam. Wie auch die Produktionsfirma „Producers at Work“, die zum ProSiebenSat.1-Konzern gehört. Dependencen in München hat die UFA aber auch.
Zur Feier des 25-jährigen Sender-Jubiläums hat RTL unter anderem zwei große Jubiläumsshows am 10. und am 17. Januar für die Prime-Time geplant, um die vielen „Programmhighlights“ der vergangenen Jahre noch einmal zu präsentieren. Während Sat.1 sein Jubiläum vermeintlich sparsam völlig ignoriert – im Programm und auch als feierlichen Event –, schlägt RTL damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Einerseits wird das Programm recht preiswert werden, vieles kommt ja aus der Konserve. Andererseits wird es treuen RTL-Guckern viel Freude machen: Es gibt beispielsweise wieder „viele Vitamine“ mit „Tutti Frutti“ und die Erika Berger-Beratung „Eine Chance für die Liebe“ zu sehen. Da kann sich das Publikum über den Mist, der mittlerweile Comedy ist, auf die Schenkel klatschen – da ist denn auch die Wirtschaftskrise vergessen. Zu Gast sind unter anderem Günther Jauch, Peter Kloeppel, Dieter Bohlen, Inka Bause, Erika Berger, Jack Klugman (alias „Quincy“).
Wetten, dass? Auch das 25-jährige Jubiläum wird RTL wohl eine gute Quote und Werbeeinnahmen bringen.
Dass Sat.1-Mitarbeiter keine Lust zum Feiern oder auf einen Jubiläumsrückblick haben, kann man gut verstehen. Der Umzug von Berlin nach München, der für das nächste Jahr verordnet ist, steht zurzeit in ihrem Lebensmittelpunkt. Weder wissen sie, ob sie ihren Arbeitsplatz bei Sat.1 im nächsten Jahr noch behalten werden, noch macht es ihnen Spaß, von einem Ort zum anderen verschoben zu werden. Zumal München im Vergleich zu Berlin ein teures Pflaster ist und der künftige Arbeitsort nicht mehr am schönen Gendarmenmarkt in Berlin liegt, sondern auf einem Industriegelände in Unterföhring.
Erika Butzek (12/08)