Weg von der Soap

Seit 20 Jahren produziert Grundy UFA die Soap „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ (GZSZ) – seit 1995 in Potsdam-Babelsberg, wo das Unternehmen und seine Muttergesellschaft UFA ihren Sitz haben. Grundy ist dank „GZSZ“ in den vergangenen beiden Jahrzehnten zum Marktführer der industriellen TV-Produktion und zur Cash Cow der UFA avanciert. Im laufenden Jubiläumsjahr will man sich allerdings neu positionieren und von der Soap-Historie verabschieden.

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Weg von der Soap

Als 2008 die 4000. Folge von „GZSZ“ gefeiert wurde, hatte Grundy UFA-Chef Rainer Wemcken viel Spaß, eine große Portion Seifenschaum als Symbol für die produzierten Soaps zu präsentieren. Da folgte er noch gerne der Aufforderung von Ex-RTL-Chef Helmut Thoma: „Lasst uns eine Soap machen!“. Sie gab den Anstoß für die Entwicklung von „GZSZ“ und für viele andere Dailys, Weeklys und Telenovelas, die Grundy UFA als Marktführer der industriell gefertigten Serien in den vergangenen 20 Jahren vom Stapel ließ. „GZSZ“ ist bis heute im RTL-Programm der erfolgreiche Türöffner in die Prime-Time geblieben und steht immer noch im Mittelpunkt des Portfolios von Grundy UFA, die aktuell mit „Unter Uns“ und „Alles was zählt“ zwei weitere tägliche Serien für den RTL-Vorabend produziert, die bei RTL unter dem Rubrum „Coming of Age-Format“ laufen, weil es zuvorderst um heranwachsende jüngere Menschen geht.
Zudem produziert Grundy „Verbotene Liebe“ für den ARD-Nachmittag: eine Seifenoper, in der es schon seit 1995 um Intrigen in der High Society geht. 2008 hat Grundy indessen noch mehr Produktionen im Portfolio, insbesondere Telenovelas. Ob „Seifenschaum“, „Seifenoper“ oder überhaupt den Begriff „Soap“, das alles soll nach dem Wunsch von Wemcken zur Vergangenheit gehören. Solche Begriffe hätten für die Zuschauer einen „abwertenden Charakter“, ist Wemcken mittlerweile überzeugt.

Man habe die tägliche Serie sowohl inhaltlich als auch produktionstechnisch stetig weiter entwickelt. Jetzt sei es „an der Zeit, den Begriff „Soap“ hinter uns zu lassen“, erklärt er. Zumal man ja auch noch begriffliche Konkurrenz von den „Doku Soaps“ bekommen habe, die mit irrem Marktanteil am RTL-Nachmittag laufen. Überhaupt will Wemcken seine seriellen Produktionen von dem Image befreien, das noch aus der Anfangszeit von „GZSZ“ stammt.
Da hatten nicht nur Kritiker, sondern auch Zuschauer „GZSZ“ als Billigproduktion wahrgenommen, bei der die Bilder und Kulissen wackeln, es hölzerne Dialoge von unausgebildeten Darstellern gab. Und „Soap“ wurde als Begriff in den USA ja deshalb erfunden, weil die Serien mehr oder weniger Füllmittel für die vielen Waschpulver-Werbespots war, die um sie herum rankte. Über eine Soap seriös zu berichten, ist bis heute im anspruchsvollen Zeitungsmilieu mehr oder weniger tabu, zumal sie nicht in der meist gesehenen Prime-Time laufen, immer noch als besondere Werbeplattform dienen und überwiegend das Leben im schnöden Alltag behandeln, der wenig geeignet ist, darüber feuilletonistisch geistreiche Elogen zu verbreiten.

Aus all diesen Gründen will Grundy UFA erreichen, dass der Begriff „Soap“ in der Medienbranche, insbesondere auch bei Programmhinweisen, etwa durch „tägliche Serie“ oder „Drama“ ersetzt wird. Schließlich, so Wemcken, habe nicht nur die moderne technische Produktion, die beim Dreh heute mit Hilfe von digitalen Kinofilm-Kameras erfolgt, zu einer „brillianten Optik“ geführt. Auch „die darstellerische und dramaturgische Qualität ist wesentlich verbessert“, sagt Wemcken. Dass er nicht Unrecht hat, kann man erleben, wenn man die Serien höchstpersönlich in Augenschein nimmt. So sind die optischen Angebote viel vielfältiger geworden und können mitunter in ihrer Raffinesse auch den echten, wesentlich teureren TV-Movies der Prime-Time das Wasser reichen.

Zumindest die serielle Produktion, die Grundy UFA für RTL bietet – beide gehören zur RTL Group unterm Dach des Bertelsmann-Konzerns – lässt sich thematisch durchaus als sozial-relevant bezeichnen. Themen wie „Aids“ oder „Drogen“ spielten bereits 2008 bei „GZSZ“ eine wichtige Rolle, weil es schon damals bei „GZSZ“ auch um Aspekte ging, die den Alltag von Jugendlichen in einer Großstadt bestimmen. Wenn man aktuell mit Marie Hölker spricht, die bei „GZSZ“ 2007 als Chefautorin eingestiegen war und seit 2010 als Creative Producerin bei „GZSZ“ wirkt, merkt man gleich, wie viel „Herzblut“, wie sie selber sagt, in der Serie steckt, die sie als „ein ehrliches und tolles Genre“ feiert. Sie bleibt fasziniert von „GZSZ“ , weil die heutige Ausrichtung der Serie es erlaube, „wunderbar alltagnah und realistisch erzählen zu können mit psychologischer Genauigkeit“, schwärmt Hölker.

War „GZSZ“ einmal in einer anonymen Großstadt angesiedelt, so wird heute ganz konkret die Metropole Berlin ins Bild gesetzt. In der Coming of Age-Serie gehe es um „das Erwachsen werden, um Probleme und Helden des Alltags“. Es gebe, so ergänzt Hölker, „seit den 90er Jahren einen Berlin-Hype, eine Art Gründer-Mythos bei jungen Menschen, die glaubten „alles schaffen zu können, wenn man nur will“. Das sei aber nicht so einfach. „Man braucht wie woanders Geld, Kontakte, das nötige Selbstbewusstsein, um sich durchzuschlagen“. Man habe es mit „Anonymität, Arbeitslosigkeit, der Schere zwischen arm und reich, Konkurrenzkampf und Jugendgewalt“ zu tun. Alles Themen, die bei „GZSZ“ heute eine Rolle spielen wie die Tatsache, dass „nicht alles Gold ist, was glänzt“. Dabei hat sich Hölker zum Ziel gesetzt, den „GZSZ“-Zuschauern Stoff zu geben, der anregend sein kann, um über Werte nachzudenken.

Heute, so Hölker, „bleibt viel Nachdenken auf der Strecke, – auch Politiker stoßen keine Diskussion über Werte mehr an“. Und „oft kann man nicht urteilen, was falsch was richtig ist, zumal in unserer schnelllebigen Zeit“. Charaktere und Dramaturgie bei „GZSZ“ seien so angelegt, dass „psychologisch die Tiefe ausgelotet“ werden kann, behauptet Hölker, die so tief in den „GZSZ“-Geschichten steckt, als handele es sich um ihr eigenes Leben, was es ja auch irgendwie ist. Nach wie vor wird die Dramaturgie bei „GZSZ“ wie ein Zopf geflochten, der im relativ schnellen Szenenwechsel von Alltagsszenen bei jüngeren, jungen und älteren Menschen handelt und erst im seriellen Ablauf ein Gesamtbild wie die Nachvollziehbarkeit eines einzelnen Charakters ergibt. Als Beispiel für psychologische Tiefe nennt Hölker die Entführungsgeschichte um die Familie Gerner, die bereits im Dezember 2010 begann. Das Opfer, Sohn Dominik, wurde über mehrere Wochen gequält. Man habe „sich viel Zeit“ für die Beobachtung genommen, welche Erfahrungen mit der Tat das Opfer, sein Freundes- und Familienkreis macht, wie „die Erfahrung von Ohnmacht das Leben des Opfers zerstören kann, und wie die Umgebung leidet“.

Das habe viel mit dem gesellschaftlich-relevanten Thema „Jugendgewalt“ zu tun, wie es sich in Berlin bei „brutalen Übergriffen auf U- und S-Bahnhöfen“ ereignet.
Ob das Leben Jugendlicher in Berlin tatsächlich nur so düster ist, wie Hölker es sieht, darf fraglich sein. Natürlich hat die Metropole viel dramatischen Stoff anzubieten. Doch „GZSZ“ behandelt auch Themen wie den Tod, der nicht nur in Berlin, sondern zum Menschenleben gehört. Wie geht beispielsweise der Vater gegenüber seinem kleinen Sohn damit um, wenn die Mutter bei einem Unfall gestorben ist? Auch das ist eine Situation, die „GZSZ“ in allen Facetten psychologisch beleuchtet. Es geht etwa auch um Konflikte zwischen allein erziehenden Müttern und pubertierenden Kindern: „Wer hat Recht? – die Mutter mit der Angst oder der Pubertierende, der seinen eigenen Weg gehen will?“ Beide haben „ein berechtigtes Anliegen – man kann Verständnis für beide Seiten schaffen“, meint Hölker. Es ist ihr Anliegen, den Zuschauern zu zeigen, „dass nicht alles entweder schwarz oder weiß ist, – toll wenn man zum Nachdenken anregen kann“, sagt sie.

Ein wenig scheint, wenn man Hölkers Erklärungen lauscht, „GZSZ“ zu einer Erziehungs- oder Bildungsserie zu mutieren. Doch die Begriffe mag sie nicht, weil sie „autoritär klingen“. „Erziehung“ wäre laut Hölker eine Vorgabe „so und so muss es sein“. „Wir machen aber nur ein Werteangebot, und der Zuschauer kann selber entscheiden“, betont sie.
Hölker ist super engagiert. Warum man bei „GZSZ“ aber tatsächlich zunehmend „auch mehr sozialkritische Themen aufgeworfen“ habe, dafür nennt Grundy-Chef Wemcken einen geschäftlichen Grund. Man habe sich „thematisch ein bisschen geändert“, weil die täglichen fiktionalen Serien bei RTL auf die Reality-Programme wie etwa „Familien Im Brennpunkt“ folgen. Diese nach dem Scripted Reality-Muster gestrickten Doku-Soaps stehen bekanntlich vielfach in der Kritik, weil sie „Menschen vorführen“ wie konkurrierende öffentlich-rechtliche Fernsehmacher meinen. Richtig ist jedenfalls, dass die RTL-Doku-Soaps Probleme von Menschen zeigen, ohne diese sozialrelevant einzuordnen. Das soll offensichtlich mit den folgenden fiktionalen Dailys wie „Alles was zählt“, „Unter Uns“ und eben „GZSZ“ nachgeholt werden.

Egal, ob man die Doku-Soaps gut oder schlecht finde, sie seien „erfolgreich“, urteilt Wemcken nüchtern. Und was wird nun aus dem Genre Telenovela, das Grundy UFA vor gar nicht so langer Zeit mit „Verliebt in Berlin“ (Sat.1) und „Bianca – Wege zum Glück“ (ZDF) einmal sehr erfolgreich in den Markt eingeführt hatte, aber aktuell keine einzige im Portfolio hat? „Wir möchten auch weiter Telenovelas produzieren und sind mit Sendern im Gespräch“, antwortet Wemcken. Nach wie vor sieht er für die Telenovela, bei der es sich noch viel mehr als bei Dailys wie „GZSZ“ um die schicksalhafte Liebe und die Suche nach dem großen Glück handelt, „ein größeres Potential, nicht nur am Nachmittag, sondern auch in der Prime Time“. Wemcken stellt sich für den Abend eine „durchgehende hochdramatische wöchentliche Geschichte“ mit bis zu 30 Folgen vor, die die Zuschauer fesseln könnten.

Die Chance dafür beurteilt er gut, „aus Kostengründen nämlich, weil auch für die Prime Time fiktional nicht mehr so viel Geld zur Verfügung steht“. Dabei räumt Wemcken allerdings ein: „Wir können auch nicht zaubern. Die Produktionskonzepte müssen immer zu den inhaltlichen Konzepten passen“. Auch das Tempo bei der industriellen Produktionsweise, das einmal im starken Wettbewerb stand, sei mittlerweile ausgereizt. Die industrielle Produktionsweise habe ja „nichts mit Fließbandarbeit“ zu tun, sondern nur mit „einer ausgefeilten Planung und Logistik“, hinter der allerdings wie bei allen fiktionalen Produktionen vor allem „die Kreativität aller Beteiligten“ stünde. Markenzeichen von Grundy sei nach wie vor: „Low Cost für High Quality“ – aber, um diese Sichtweise durchzusetzen, muss Grundy UFA ganz schön im Markt kämpfen.
Erika Butzek
(MB 11/2011)

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