Wertvoller denn je?

Spätestens seit der Umstellung der Gebührenfinanzierung auf einen Rundfunkbeitrag wird von einschlägigen Interessensgruppen immer wieder die Frage aufgestellt, ob man in der Vielfalt der digitalen Medienwelt ARD und ZDF wirklich noch im bisherigen Umfang braucht. Dagegen wurde auf einer von dem Gewerkschaftsverband dbb beamtenbund und tarifunion am 9. Oktober in Berlin veranstalteten Medienkonferenz betont, die öffentlich-rechtlichen seien heute „wertvoller denn je“.

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Wertvoller denn je?

Just am Tag, als die dbb Medienkonferenz unter dem Titel „Öffentlich-rechtliche Perspektiven – Chancen und Probleme“ stattfand, wurden ARD und ZDF mal wieder von der Presse unter Beschuss genommen, beispielsweise von FAZ und Die Welt. Sie verbreiteten Ergebnisse einer vermeintlich seriösen Studie vom Bund der Steuerzahler, wonach die öffentlich-rechtlichen Sender mindestens ein Einsparpotential in Höhe von 650 Millionen Euro jährlich haben, demnach jede Menge Geld verschwenden würden. Wozu der ddb-Bundesvorsitzende Klaus Duderstädt in seiner Begrüßungsrede prompt Stellung nahm. Die These, „dass es ein kurzfristiges Milliarden-Einsparpotential bei den Öffentlich-Rechtlichen“ gebe und „die Vollversorgung der Bevölkerung durch die Programme von ARD und ZDF gar nicht mehr notwendig“ sei, da der Markt alle notwendigen Inhalte für Funk und Fernsehen längst in ausreichender Breite und Qualität anbiete, „absurd“, sagte er. Vielmehr „brauchen wir auch in Zukunft einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk“, der „sowohl personell als auch finanziell sachgerecht ausgestattet ist“, forderte Duderstädt. Allerdings merkte er ebenso an, dass „der zur Beitragszahlung gezwungene Bürger“ vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk mehr erwarten können müsse als von den privaten Anbietern: „mehr Qualität, aber auch mehr Transparenz und Kosteneffizienz“.

Hintergrund der Medienkonferenz des Gewerkschaftsverbands war, dass seine Mitglieder in vielen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkräten sitzen wie auch Aufsichtsfunktionen in den Gremien der Landesmedienanstalten haben, die die kommerziellen elektronischen Medien kontrollieren sollen. Deshalb wurde sowohl öffentlich wie einen Tag später auch nichtöffentlich über Relevanz und Aufgaben der Aufsichtsgremien diskutiert. Im Vordergrund der Einführungsvorträge von MDR-Intendantin Prof. Dr. Karola Wille sowie dem Medienrecht-Experten Prof. Dr. Dieter Dörr (Direktor Mainzer Medieninstitut), standen indessen die aktuellen öffentlich-rechtlichen Werte. Womit es um die Frage nach der Legitimation von ARD/ZDF im Angebotsreichtum einer überbordenden digitalen Multimediawelt ging. Bleibt der bisherige Funktionsauftrag, insbesondere die Grundversorgung, trotz der vielen neuen Medien auch in Zukunft erhalten? Wobei sowohl Wille wie auch Dörr um die Schwierigkeit wussten, die Gesamtbevölkerung von jung bis alt mit öffentlich-rechtlichen Programmen zu erreichen, da die heutige Gesellschaft pluralistisch zersplittert in individuellen Lebensweisen und Einstellungen ist, wie es auch die kommerziell angetriebene, fragmentierte Medienwelt widerspiegelt. Dörr erklärte, warum der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland einmalig in Europa und der Welt ist. Dies sei dem Konzept der Alliierten zu verdanken, die sich nach dem Desaster des Dritten Reichs, zu dem ja auch ein zentrales Propagandaministerium gehört hatte, zum Ziel setzten, in Deutschland in Weiterentwicklung des britischen BBC-Vorbilds einen demokratischen Rundfunk zu schaffen. Der sollte nicht dem Staat, sondern „der Gesellschaft gehören“. Ein Grund, warum der öffentlich-rechtliche Rundfunk von Gremien (Rundfunkräten) kontrolliert wird, die sich aus Vertretern von gesellschaftlich-relevanten Gruppen zusammensetzen. „Rundfunkfreiheit“, so Dörr, „war der große Begriff“, denn „freie Information ist notwendig, damit Demokratie funktionieren kann“ – nach dem Ideal eines „vollinformierten Bürgers“, erläuterte er.

Nun ist die Rechtsgrundlage in den vergangenen Jahrzehnten mit bislang 15 verschiedenen Rundfunkstaatsverträgen immer wieder angepasst worden, wobei das Bundesverfassungsgericht zwischendurch Richtlinien vorgab, insbesondere zum Verhältnis von ARD/ZDF zum Privatfunk. Schon 2007, so referierte Dörr, habe das Bundesverfassungsgericht etwa festgestellt, dass die „Tendenz zur Kommerzialisierung und Trivialisierung bei den Privaten nicht ab, sondern zunimmt“. Das wäre auch gar nicht „so schlimm“. Denn neben grundsätzlich geltenden rechtlichen Prinzipien sind die Privaten ausdrücklich legitimiert, solche Programme anzubieten, die sich an kommerziellen Gegebenheiten des Marktes orientieren. Gerade wegen der „strukturellen Defizite durch die Werbefinanzierung“ dürfe laut Bundesverfassungsgericht im Gegenzug der Auftrag von ARD/ZDF zur Grundversorgung „nicht begrenzt“ werden, sondern er müsse im Gegenteil erweitert werden. Das sei auch der Grund gewesen, warum im 4. Rundfunkstaatsvertrag ARD und ZDF jeweils zusätzlich drei Spartenprogramme (ohne Nachrichtenanteil) zugebilligt worden waren, um die gerade aktuell heiß diskutiert wird. (Zur Erinnerung: Nachdem das ZDF bereits angekündigt hat, nur noch ZDFneo und ZDFinfo fortführen zu wollen und ZDFKultur zu opfern, hat die ARD sogar vorgeschlagen, aus den insgesamt sechs Kanälen nur noch drei zu machen und dabei einen gemeinsamen Jugendkanal von ARD/ZDF in den Mittelpunkt zu stellen.

Ähnlich wie schon MDR-Intendantin Wille in ihrem Referat zuvor, vertrat Dörr die Auffassung, wonach der Grundversorgungsauftrag von ARD/ZDF nach geltender Rechtslage durch die Vielzahl der neuen kommerziellen ausgerichteten Medienkanäle nicht erledigt, sondern sogar noch verstärkt werde. Je kommerzieller der Medienmarkt werde, umso mehr seien ARD/ZDF aufgefordert ein „deutliches Kontrastprogramm im Radio, TV und Online“ zu bringen. Wobei ARD/ZDF neben ihrer demokratischen Funktion auch „eine kulturelle Aufgabe“ haben, sagte Dörr. Vehement betonte er, „umso pluralistischer die Gesellschaft, umso wichtiger die Integrationsaufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, der seinen „Auftrag an traditionellen Werten“ ausrichten müsse. Dörr: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist gerade heute so wertvoll wie nie zuvor“- allerdings nur dann, „wenn er mit seinen Programmen nicht der Boulevardisierung folgt“.

Ausdrücklich warnte Dörr ARD/ZDF davor, sich über die Maße „kommerziell zu betätigen“, wie man es beispielsweise vor dem Kartellamtsverbot für die VoD-Plattform „Germany’s Gold“ vorgehabt habe. Zumal, daran erinnerte er, die EU die Rundfunkgebühren beziehungsweise den Rundfunkbeitrag bislang als unzulässige „Beihilfe“ einstufe. Wille, die ja auch Medienrechts-Expertin ist hatte von einem „Finanzierungsprivileg“ für ARD/ZDF gesprochen. Für diese „Freiheit von kommerziellen Interessen“ müsse die „Gewährung von Meinungsvielfalt und kultureller Vielfalt“ sichergestellt werden, die „in der komplexen Welt immer wichtiger“ werde. „Vielfalt“, so weiß sie, „entsteht nicht durch Märkte“. Vielmehr sei „die publizistische Sicht wichtig“. ARD/ZDF, so Wille, müssten ihre „Legitimation täglich unter Beweis stellen mit der Verantwortung für Qualitätsangebote, als Äquivalent für das Finanzierungsprivileg“. Um die Aufgabe erfüllen zu können, sei ein „freier Zugang ohne Verschlüsselung“ für die öffentlich-rechtlichen Programme erforderlich. Wille betonte ebenso, dass die Öffentlichkeit „Recht auf Transparenz“ habe und dass – natürlich der wirtschaftliche Umgang mit dem Rundfunkbeitrag wichtig sei, wobei man sich bemühe einen Spagat zwischen Kosteneffizienz und Qualität hin zu bekommen. Die strategische Diskussion in der ARD drehe sich zurzeit um die Schaffung eines crossmedialen Angebots für Jugendliche im Alter von 15 bis 29 Jahre, die man bislang primär nur mit Fußball oder „Tatort“ erreiche. Mit dem ARD/ZDF-Kinderkanal KIKA ließen sich nur Jugendliche im Alter bis elf Jahre ansprechen. Auch sei man dabei, darüber nachzudenken, „wie das Fernsehen der Zukunft aussieht“.

Fernsehen der Zukunft

Als Inspiration dazu, zitierte Wille den Philosophen und ARD-Moderator Gert Scobel, der sich das Fernsehen der Zukunft als ein „intelligentes Gespräch über relevante Themen“ vorstellt, das die Zuschauer eher „überfordert“ und zum „Denken anregt“ anstatt auf die Quoten schielt. Nach diesen schönen Worten stellte Wille in ihrem Vortrag „Regional, digital, vernetzt – Wohin steuert der MDR?“ spezifische regionale Visionen, Unternehmens- und Programmziele vor, wobei sie nicht zu erwähnen vergaß, dass der MDR seit Jahren Marktführer unter den Dritten ist. Als Beispiel für „vernetztes Arbeiten“ hob Wille die trimedialen Aktivitäten der 20-köpfigen Redaktion in Leipzig anlässlich des Hochwassers in Mitteldeutschland vor zwei Jahren hervor, mit denen es gelang, in einem rund um die Uhr-Service die wichtigsten Informationen auch über Facebook und Twitter – TV war an manchen Orten gar nicht mehr zu empfangen – an all die weiter zu vermitteln, die sie brauchten. Ausnahmsweise, so Wille, habe man dafür sogar ein dickes Lob von der Presse erhalten, nämlich von „Die Zeit“. In diesem Fall, so Wille hatten sich die so genannten soziale Netzwerke tatsächlich als „sozial“ bewiesen. Die anschließende Podiumsdiskussion unter dem Titel „Probleme der Gremienarbeit: staatsfern oder parteibeeinflusst?“ verlief wenig kontrovers. Man war sich schnell einig, dass in den Rundfunkräten Funktionsträger, zumal ein Ministerpräsident, nichts zu suchen haben. Dazu wird noch in diesem Jahr ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht zum Fall Nikolaus Brender erwartet, dessen Chefredakteurs-Vertrag vom ZDF-Verwaltungsrat nicht verlängert wurde. Dörr geht davon aus, dass dies auch nicht mit der gebotenen Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vereinbar sei. Gleichwohl gehören seiner Ansicht nach Vertreter von Parteien in die Gremien. „Aber nur in homöopathischer Dosis“, merkte dazu Lilli Lenz an, die für die Gewerkschaft dbb selber in einem Rundfunkrat sitzt. In NRW sieht Dr. Jürgen Brautmeier, Direktor der dortigen Landesmedienanstalt, im Gegensatz zur Situation beim ZDF keine Probleme. Funktionsträger seien nach NRW-Rechtsgrundlage weder für den WDR-Rundfunkrat noch für das Aufsichtsgremium der Landesmedienanstalt vorgesehen.“ Wichtig ist, dass die Gremiumsvertreter persönlich unabhängig sind“, meinte er. Der Medienjournalist Fritz Wolf, der jüngst für die Otto-Brenner Stiftung (IG Metall) eine Studie zum Selbstverständnis der Rundfunkgremien, ihrer politischen Praxis und Reformvorschläge erarbeitet hat, ist sich indessen sicher, dass es bei der Gremienarbeit „natürlich um politischen Einfluss“ geht. Indirekt gab ihm Wille an einer Stelle in der Diskussion Recht. Auf die Frage, ob es denn nicht sinnvoll sein könnte, mal einen 18-jährigen in den Rundfunkrat zu beordern, antwortet Wille: „ja, schon – aber das ist eine Entscheidung des Gesetzgebers“. Wer erst einmal in einem Gremium ein Pöstchen hat, das machte die Diskussion zwischen den Zeilen deutlich, wird sich so schnell von selber nicht von ihm trennen. Vielleicht sollte sich der Gesetzgeber eine ganz neue Lösung ausdenken, wie man aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Institution machen kann, die der Gesellschaft unter neuen Pluralismus-Bedingungen wirklich „gehört“. Vielleicht sollte man das Management von ARD/ZDF straffen, um es flexibler zu machen, so dass nach öffentlich-rechtlichen Leitlinien mit dem Programm schneller auf die Kommerzialisierung des Medienmarktes reagiert werden kann. Wofür genau werden die Gremien gebraucht? Diese Frage wurde nicht gestellt. Natürlich wird eine Art Aufsichtsgremium gebraucht, das müsste aber weniger politischen als praktischen Sachverstand dafür haben, wie man Programme auch für ein junges Publikum macht.
Erika Butzek

(MB 11/13)

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